KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS


"Den Tagen, die kommen, gewachsen sein"


Die Lebensgeschichte der Zenzl Mühsam, Von Uschi Otten

Als fünftes Kind eines Hopfenbauern und Gastwirts am 28. Juli 1884 in Haslach geboren, wurde Zenzl um die Jahrhundertwende als Dienstmädchen einem Münchener Metzger in Stellung gegeben. Sie hielt es nur wenige Monate aus. Fortan bekunden Meldelisten der Stadt München alle paar Monate wechselnde Adressen und damit wechselnde Arbeitsverhältnisse. Für die weitgehend rechtlosen Hausangestellten, ihren Herrschaften zu Pflichterfüllung, Treue und Gehorsam verpflichtet, galt die Kündigung als unschicklich und letztes Mittel, gänzlich unaushaltbaren Arbeits- und Lebensbedingungen zu entkommen. Doch Zenzl war keine, die sich ducken konnte. Mit siebzehn wurde sie schwanger. Am 16. Oktober 1902 gebar sie ihren Sohn Siegfried. Minderjährig und kaum imstande, den eigenen Unterhalt zu verdienen, musste sie ihren Sohn Siegfried in Pflege geben. Den Namen des Vaters behielt sie zeitlebens für sich. Aus dem Elend der sozialen Ächtung, die ledige Mütter in jenen Tagen erfuhren, half ihr ein Arzt, der ihr Heines "Buch der Lieder" und auch Goethes "Faust" zu lesen gab. Vielleicht war es diese erste existentielle Erfahrung mit Literatur, aus der Zenzl nicht nur vorübergehend Trost und Aufrichtung empfing, sondern in der für sie charakteristischen Weise unmittelbare, lebenspraktische Konsequenz zog: "Ich nehme mir einen Künstler zum Mann, nur ein Künstler versteht das, was ich will."

Schwermut und Schwabinger Boheme

Auf Schwabinger KünstlerInnenfesten begegnete sie Flüchtlingen aus dem zaristischen Russland, die sich nach dem Scheitern der Revolution von 1905 in München niedergelassen hatten und Hilfsaktionen für die Opfer organisierten. Der Ernst der russischen Studenten, die in ihren schwermütigen Liedern den nach Sibirien verschleppten und toten Freunden gedachten, kontrastierte mit der Ausgelassenheit der Schwabinger Boheme und bewegte sie, die Schriften Gorkis zu lesen. In diesem Umfeld traf die Vierundzwanzigjährige auf den Maler und Bildhauer Ludwig Engler und zog mit ihm zusammen. Vor misstrauischen, denunziationswilligen Nachbarn, denen das Leben des Künstlervölkchens ein Dorn im Auge war, galt Zenzl als Englers Hausangestellte, denn ein Konkubinat war nicht nur sittenwidrig, sondern ein Delikt, mit hohen Geld- und Gefängnisstrafen belegt. Im November 1913 wurde sie Mühsams Geliebte, zwei Jahre später, in den Hungerzeiten des Ersten Weltkriegs, heiratete die bayrische Bauerntochter den jüdischen Apothekersohn, mit dem sie ohne politische Theorie, aus eigener Lebenserfahrung ein Ziel teilte: die von Gewalt und Unterdrückung befreite Menschheit.
Zwanzig Jahre sollte sie ebenbürtige Gefährtin und verlässlichste Verbündete des anarchistischen Revolutionärs sein, "Kamerad Zenzl", wie Ernst Toller sie nannte. Sie stand 1918 an Mühsams Seite auf den Barrikaden und rief mit ihm die Münchener Bevölkerung zur Beendigung des Krieges und zur Revolution auf. Während seiner nachfolgenden Festungshaft kämpfte sie um seine Amnestierung, schrieb den päpstlichen Nuntius Pacelli um Unterstützung an, ebenso wie Lenin.

Ermordung Mühsams

Dass Mühsam, der infolge der Haftbedingungen an Herzbeschwerden litt und dem ein Ohr ertaubt war, im Dezember 1924 vorzeitig auf Bewährung entlassen wurde, sollte er ausgerechnet dem Umstand verdanken, dass die bayrische Regierung den seit einem Jahr in weitaus komfortablerer Festungshaft einsitzenden Adolf Hitler begnadigen wollte. Fortan begleitete Zenzl ihren Mann durch ganz Deutschland bei Solidaritätsveranstaltungen der Roten Hilfe für die noch zu Tausenden inhaftierten politischen Gefangenen.
Die Dörchläuchtingstraße 48, in der Wilhelm Pieck zu Gast war pries und der junge Herbert Wehner – ehe er vom Anarchismus zur KPD konvertierte – als Logiegast und zeitweiliger Mitarbeiter Mühsams sich mit der Schauspielerin Lotte Löbinger verband, war ein offenes Haus für alle linksoppositionellen Kräfte und stand damit ganz oben auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten. Regelmäßig von anonymen Anrufern bedroht, wurden ihnen im Dezember 1932 die Scheiben eingeschlagen. Zenzl erlebte, wie Mühsam, der angesichts der wachsenden nationalsozialistischen Bewegung für eine Beendigung des linken Bruderzwistes und einen freiheitlichen Sozialismus eintrat, gegen Ende der Weimarer Republik zunehmend isoliert wurde. Weil es am Geld zur Flucht fehlte, wurde Mühsam in der Nacht des Reichstagsbrandes verhaftet. Dass Zenzl gegen seine Misshandlungen in Gefängnis und KZ Beschwerde erhob und nach seiner Ermordung am 10. Juli 1934 eine öffentliche Untersuchung forderte, machte sie den NS-Behörden verhasst. Die amerikanische Journalistin Dorothy Thompson warnte sie, dass die Gestapo sie im Anschluss an die Beerdigung Mühsams verhaften wolle. Zur gleichen Stunde ßoh Zenzl illegal über die Grenze nach Prag.
Ihr Leben ins Exil gerettet zu haben, galt Zenzl unbeirrbar als Auftrag, zum Kampf gegen das Nazi-Regime aufzurufen. Doch musste sie erfahren, dass ihre Wirkungsmöglichkeiten nicht allein durch polizeiliche Außagen begrenzt, sondern auch durch die Zerstrittenheit sozialdemokratischer und kommunistischer Hilfskomitees behindert wurden. Wie zuvor Mühsam, erlebte sie die in der Emigration mit nicht geringerer Vehemenz ausgetragenen Richtungskämpfe der linken Parteien und geriet, abgeschnitten vom unmittelbaren Austausch mit anarchistischen Gewährsleuten Mühsams, die sich größtenteils in der jungen spanischen Republik befanden, zwischen alle Fronten.

"Parteischädigende Aktivitäten"

Weil sie im Kreise deutscher EmigrantInnen nicht zurückhielt mit heftiger Kritik an den Organisationen, deren Beistand sie während Mühsams Inhaftierung schmerzlich vermisst hatte und auch aus ihrer Empörung über Versuche der Kommunisten, den toten Mühsam nunmehr propagandistisch für sich zu vereinnahmen, kein Hehl machte, erhielt der kommunistische Schriftsteller Ernst Ottwald den Parteiauftrag, sich um die widerborstige Anarchistenwitwe "zu kümmern" und ihren "parteischädigenden Aktivitäten" entgegenzuwirken.
Auch war nach Moskau berichtet worden, dass sie den eben aus der KPD ausgeschlossenen Erich Wollenberg an der Arbeit zu ihrer Broschüre über den "Leidensweg Erich Mühsams" beteiligte, in der sie der Weltöffentlichkeit Zeugnis geben wollte von dem in Deutschland herrschenden Terror. Wollenberg, Mitkämpfer Mühsams aus Rätezeit und Festungshaft, KPD-Funktionär und Mitarbeiter des sowjetischen Militärapparats, hatte unterdessen mit Stalin gebrochen und war im Sommer 1934 von Moskau nach Prag geflohen.
Zenzls Kontakt mit dem "Parteifeind" Wollenberg und ihre Absicht, aus dem geretteten Nachlass Mühsams zu veröffentlichen, mochte die Führung der Komintern beunruhigen, deren Interessen es wenig dienlich sein konnte, Mühsams detaillierte Tagebuchaufzeichnungen aus den Tagen der Münchener Räterevolution und seine Kritik am Wirken kommunistischer FunktionärInnen dem politischen Gegner zu überlassen. Zudem schien Mühsams umfangreiche Korrespondenz mit der Parteiführung und sämtlichen Fraktionen der linken Bewegung bestens geeignet, die Dossiers des parteiinternen Überwachungs- und Disziplinierungsapparats mit weiteren Informationen anzureichern, um sie in einer neuerlichen Welle von "Säuberungen" als Belastungsmaterial gegen unliebsame ParteigenossInnen einzusetzen. Erste Einladungen in die Sowjetunion lehnte Zenzl ab. Nachdem sich aber die Hoffnung auf eine Veröffentlichung ihrer Broschüre in anarchistischen Verlagen und eine bescheidenen Absicherung von dieser Seite zerschlugen, folgte sie dem Angebot der Roten Hilfe Moskau, die Schrift in allen Weltsprachen zu drucken.
Als ihr zudem der KPD-Vorsitzende und vormalige Tischgast Wilhelm Pieck in der Sowjetunion die Veröffentlichung der Werke Mühsams zusicherte, reiste sie in Ermangelung anderer Alternativen im August 1935 nach Moskau, wo man sie mit Auftritten bei antifaschistischen Veranstaltungen umwarb. Kaum dass sie den Nachlass Mühsams ins Land geholt hatte, wurde sie unter der Anklage "konterrevolutionärer Aktivitäten" verhaftet. Als Beweismaterial galt ihre Korrespondenz mit anarchistischen Freunden, der Kontakt mit Wollenberg und unter Folter erpresste, falsche Geständnisse von Inhaftierten. Gegenüber den Pariser GenossInnen rechtfertigte Wilhelm Pieck ihre Verhaftung, die sich wie ein Lauffeuer unter den EmigrantInnen verbreitete und zu Protesten bei sowjetischen Gesandtschaften führte. Nach sechs Monaten wurde sie plötzlich entlassen und in einem Haus der Roten Hilfe untergebracht, wo sie streng observiert wurde. Ihr Bemühen um ein Ausreisevisum in die USA lieferte 1938 den Vorwand zu ihrer zweiten Verhaftung. Wegen "Missbrauch des Gastrechts und antisowjetischer Propaganda" wurde sie zu acht Jahren Zwangsarbeit verurteilt und in ein Frauenstraflager in der mordwinischen Steppe deportiert. Sie überlebte den Krieg in verschiedenen Lagern und wurde 1948 in Koltschenowa bei Nowosibirsk ohne Obdach und Arbeit in die Verbannung entlassen, wo sie ein Polizist vor dem Verhungern rettete und zurück nach Moskau schickte. Im Hotel "Lux" wartete Zenzl mit etlichen deutschen EmigrantInnen auf ihre Rückkehr nach Deutschland. Doch die Denunziation einer Leidensgefährtin, der späteren DDR-Volkskammerabgeordneten Roberta Gropper, die Pieck vor Zenzls Rückkehr warnte, bewirkte ein Aufenthaltsverbot in Moskau. Zenzl kam nach Iwanowo, in das von der Schweizerin Mentona Moser gegründete Kinderheim, wo die Dreiundsechzigjährige wenig später erneut verhaftet und zur Arbeit auf einer Kolchose in der "speziellen Siedlung" Jelanka bei Nowosibirsk verurteilt wurde. Nach unzähligen Eingaben und langwierigen bürokratischen Prozeduren durfte sie zwei Jahre nach Stalins Tod, am 27. Juni 1955, nach Berlin zurückkehren.

Widerborstige Witwe

Zwanzig Jahre einer Emigration, die im wesentlichen aus Gefängnis, Straflager und Verbannung bestand, lagen nun hinter ihr. Wie alle Überlebende des Gulag in der DDR einem Schweigegebot unterstellt, erhielt sie eine kleine Wohnung in Pankow. Doch weder eine hohe Ehrenrente als "Verfolgte des Nationalsozialismus" noch staatliche Ordensverleihungen konnten sie abhalten, mit List und Ausdauer für eine Wiederbeschaffung der Schriften Mühsams und ihre Veröffentlichung einzutreten. Es gelang ihr, aus Moskau Fotokopien des ihr entwundenen Nachlasses zu erbitten, die dann aber nicht ihr, sondern der Ostberliner Akademie der Künste überstellt wurden. 1958 konnte sie eine kleine Werkauswahl durchsetzen, jedoch in so geringer Auflage, dass dies dem Ausschluss der Öffentlichkeit gleichkam. Als sie erkennen musste, dass die Akademie unter dem Diktat der SED gehalten war, den Nachlass Mühsams gegenüber WissenschaftlerInnen abzuschotten und durch stete Zensur die "Bombe" Mühsam zu entschärfen, widersetzte sie sich dem Ansinnen, der Akademie die Urheberrechte zu übereignen.
Anfang 1960 geriet die widerborstige Witwe mit ihrem geselligen Lebenswandel ins Visier der Staatssicherheit. Neuerlich umstellt, unterschrieb sie die Verpflichtungserklärung als "Kandidatin einer konspirativen Wohnung", deren eigentliche Funktion darin bestand, Zenzl einzuschüchtern und vor unliebsamen Kontakten abzuschotten. Als die 76jährige schwer an Lungenkrebs erkrankte, nahm sich Sepp Maier ihrer an, ein SED-Mitglied, dem sie vertraute, weil er als junger Mensch den Mut hatte, an Mühsams Beerdigung teilzunehmen. Sepp Maier vermochte der unfügsamen Witwe nunmehr auf dem Sterbelager die bis dahin verweigerte Einwilligung abzuringen, der Akademie der Künste alle Urheberrechte an Erich Mühsam zu überschreiben, was über Jahrzehnte einer Abschottung und Neutralisierung des einzig bedeutenden deutschen anarchistischen Schriftstellers gleichkam.
1962 verstarb Zenzl Mühsam im Alter von 78 Jahren. Sie erhielt ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, der Gedenkstätte der SozialistInnen. Im Herbst 1992 aber wurde ihre Urne – veranlasst durch Rationalisierungsmaßnahmen der Friedhofsverwaltung und die Auffassung des Berliner Senats, "dass nur die Teilung der Stadt eine gemeinsame Grabstätte bis dato verhindert hatte"– ohne jede Feierlichkeit und ohne dass die Öffentlichkeit davon Notiz bekam, in das Ehrengrab Erich Mühsams auf dem Dahlemer Waldfriedhof überführt.


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