KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Dem Traum folgen



Vom umjubelten Star der Dreigroschenoper zur “terroristischen Verschwörerin”.
Erinnerung an die Schauspielerin Carola Neher. Von Uschi Otten


Wer es 1935 in Nazi-Deutschland noch wagte, ausländische Sender zu hören, konnte in den deutschsprachigen Ausstrahlungen von Radio Moskau zuweilen auch der Stimme Carola Nehers begegnen – der umjubelten Polly aus Brechts legendären Dreigroschenoper, – wenn sie Gedichte von Heine, Klabund oder Erich Mühsam vortrug. Von scheinbar glücklichen Lebensumständen der Schauspielerin zeugt noch im Februar 1936 ein Foto in der “Arbeiter-Illustrierten-Zeitung”, das sie als frohe Mutter “eines kleinen Sowjetbürgers” zeigt. Wenige Monate später ist dieses Lebensglück zerstört, sind Mutter und Vater verhaftet, unter der Anklage einer “terroristischen Verschwörung” Verhör und Folter ausgesetzt, das eineinhalbjährige Kind bei einer P?egemutter hinterlassen, die kurz darauf ebenfalls in den Gulag gerät. “Der kleine Sowjetbürger” wird ohne Wissen über seine Herkunft in Erziehungsheimen aufwachsen.
Ihre Schulbildung erhält die am 2. November 1900 geborene Tochter des Musikers Josef Neher, Chorregent am Nymphenburger Schloß, beim Orden der Englischen Fräulein. In den Hungerjahren des ersten Weltkriegs arbeitet die Achtzehnjährige bei der Dresdner Bank, ?nanziert von ihren Einkünften heimlich privaten Schauspiel-, Tanz- und Gesangsunterricht.
Im Spätsommer 1920 glückt ihr ein erstes Engagement in Baden-Baden. Das Städtische Schauspiel bringt jede Woche eine Premiere heraus und bietet der als Tänzerin und Schauspielerin unter Vertrag genommenen Novizin eine Vielzahl von Aufgaben. Nach zwei Spielzeiten sucht sie der Provinz zu entkommen und wendet sich in ihrer Heimatstadt an Lion Feuchtwanger, Dramaturg an den Münchner Kammerspielen, der sie mit den Nachwuchsautoren Arnolt Bronnen und Bert Brecht bekannt macht. Intendant Otto Falckenberg läßt sie mit einer Serie von Hosenrollen in Wedekind-Stücken gastieren und Brecht, dessen erster Bühnenerfolg mit Trommeln in der Nacht noch bevorsteht, verhilft ihr zu einer kleinen Rolle in dem Film Mysterien eines Frisiersalons mit Karl Valentin.
Im Sommer 1924 verliebt sich ein bereits arrivierter Kabarettautor und Dramatiker in die zielstrebige junge Schauspielerin: der Dichter Klabund, mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke.
Doch als die leidenschaftliche Liebesbeziehung mit dem zehn Jahre älteren, an Lungentuberkulose erkrankten Klabund beginnt, ist sie bereits ans Theater Breslau verp?ichtet. Obwohl das kalte Klima der Oderstadt Gift ist für seine kranken Lungen, folgt ihr Klabund. Sie heiraten im Mai 1925.
Carola Nehers Interpretation der Hai-Tang in Klabunds Kreidekreis wird zum durchschlagenden Erfolg der Fünfundzwanzigjährigen. In Frankfurt/Main steht sie kurz darauf als einzige Frau unter vierzehn Männern als Marusja, der Hauptrolle in Klabunds Revolutionsdrama Brennende Erde auf der Bühne und wird umgehend nach Berlin engagiert.

Umschwärmter Gast

Während Klabund immer häu?ger zur Kur nach Davos muss, eilt seine hochbeschäftigte Gattin von einer Produktion zur anderen. Salonrollen spielt sie aus dem Handgelenk, brilliert als Partnerin von Albert Steinrück, Tilla Durieux, Adele Sandrock, Werner Krauss und Grete Mosheim. Sie hält sich ?t durch Boxunterricht, genießt als umschwärmter Gast den Glanz von Pressebällen und Empfängen der politischen Prominenz, zeigt sich am Arm des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Hohenzollern.
Im April 1927 holt Burgtheaterdirektor Herterich den Jungstar zu einem dreimonatigen Gastspiel nach Wien, für lauter Hauptrollen in Stücken von Klabund, Shaw und Strindberg. Im Herbst ist sie bereits wieder am Deutschen Theater in Berlin, wo unterdessen auch der junge Brecht als Dramatiker und Regisseur Fuß fassen konnte. Er wirbt um sie, besetzt sie als Polly in der Dreigroschenoper, doch wenige Wochen nach Probenbeginn wird Carola Neher durch eine plötzliche Hirnhautentzündung ihres Mannes nach Davos berufen. Am Morgen des 14. August 1928 stirbt Klabund.
Die disziplinierte Schauspielerin kehrt umgehend zu den Proben zurück, hält aber der Belastung der ohnedies von ständigen Krächen gezeichneten Probenarbeit nicht stand. Roma Bahn muss binnen weniger Tage einspringen. Im Oktober aber bewältigt Carola bereits wieder eine Folge von Premieren am Deutschen Theater, ehe sie Anfang 1929 in einer gestrafften Neuinszenierung der Dreigroschenoper endlich die ihr von Anbeginn zugedachte Rolle übernehmen kann. Die nachfolgende Ver?lmung von G.W. Pabst überführt ihren Rum in alle Kinos des Landes.
Einen Heiratsantrag Brechts schlägt sie aus, sie taugt nicht zur Vereinnahmung in seinen vielköp?gen Clan.
Nachdem Elisabeth Hauptmanns Happy End mit der Neher als Haleluja -Lilian trotz Weills wiederum schmissiger Vertonung Brechtscher Songtexte dem Schiffbauerdammtheater nicht die erhoffte Wiederholung eines Kassenhits bringt, schreibt Brecht für sie die Titelrolle in Die heilige Johanna der Schlachthöfe. Auch in seinen ersten Entwürfen zu Turandot hat er sie vor Augen. Doch 1930 verlobt sich Carola mit dem Dirigenten und Komponisten Hermann Scherchen. Der erfolgreiche Förderer moderner Musik ist Mitglied der KPD und gastiert häu?g in Moskau. Auch Carola Neher begeistert sich für die Sowjetunion und lernt Russisch in der Marxistischen Arbeiterschule. Seit sie mit Ernst Busch, zugleich ihr Partner in der seichten Unterhaltungsrevue Ich tanze um die Welt mit dir, in der sie ein Dauertanzpaar spielen, auf einer Massenveranstaltung der “Roten Fahne” Brechts von Eisler vertonte Ballade zum §218 sang, gilt sie als Sympathisantin der Kommunistischen Partei. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ist ihr das Erreichte schal geworden. Angesichts eigener Privilegiertheit vermag sie immer weniger über die Not Millionen Arbeitsloser hinwegzusehen, zu denen mehr und mehr Schauspieler zählen. Sie verliebt sich in ihren Russischlehrer, einen frischgebackenen Ingenieur deutsch-rumänischer Herkunft, aus Akkermann in Bessarabien. Mit dem drei Jahre jüngeren, tatendurstigen Kommunisten Anatol Becker will sie den Widersprüchen fragwürdig gewordener Existenz entkommen.

Beginn des Exils

Als die dem Reichstagsbrand folgenden Massenverhaftungen unter Oppositionellen den Großteil ihrer Kollegen ins Exil treiben, hält es sie nicht länger in Nazi-Deutschland. Im Sommer 1933 reist sie mit Becker, der schon lange darauf brennt, nach Moskau zu gelangen, über Wien zu seiner Familie. Der Beginn ihres Exils läßt sich hoffnungsvoll an. Im Winter bieten sich zwei reizvolle Gastrollen am Neuen Deutschen Theater in Prag und nach ihrer Eheschließung erhalten sie das ersehnte Visum für Moskau. Dort ?nden sie nur notdürftig Unterkunft bei Freunden Beckers, schlafen auf dem Boden. Auch beru?iche Aussichten zerschlagen sich. Aus den hoch?iegenden Plänen Gustav von Wangenheims, die Dreigroschenoper mit ihr herauszubringen oder Erwin Piscators, der sie als Protagonistin seiner in Engels projektierten Theatergründung vorsah, resultiert die kärgliche Aufgabe, Wangenheims vorwiegend aus Laien bestehender Truppe “Deutsches Theater/ Kolonne links” Schauspielunterricht zu erteilen.
Im Sommer 1934 ist Carola, nach einer Fehlgeburt erneut schwanger, nochmals in Prag, wo ihre aus München angereiste Mutter ihr zur Unterhaltssicherung der nächsten Monate etwas im Mantelsaum hinüber geschmuggelten Schmuck überbringt. In der von deutschen Flüchtlingen überfüllten Stadt trifft sie auf Zenzl Mühsam, nach der Ermordung Erich Mühsams knapp drohender Verhaftung entkommen. Durch sie lernt Carola auch den Münchener Räterevolutionär und KPD-Funktionär Erich Wollenberg kennen, wegen seiner Kritik am Kurs des Politbüros gegenüber der SPD aus der Partei ausgeschlossen und eben aus Moskau ge?ohen. Von Wollenberg mit der Adresse Else Taubenbergers versehen, einer deutschen Genossin, der sie ihr Kind zuweilen in Obhut geben kann, kehrt sie nach Moskau zurück, doch kurz nach der Geburt ihres Sohnes Georg zerbricht das Verhältnis der Eheleute an den Belastungen andauernder Not. Carola ernährt sich und ihren Sohn fortan als Regieassistentin beim Meshrapom?lm, durch gelegentliche Auftritte im Rundfunk oder bei antifaschistischen Veranstaltungen, die sie mit Zenzl Mühsam oder Ernst Busch zusammen bestreitet.
Im Mai 1935 begegnet Brecht bei der Sondierung einer Alternative zu seinem dänischen Exil Neher zum letzten Mal, als Rezitatorin seiner Gedichte auf einer ihm gewidmeten Veranstaltung im Moskauer Klub deutscher Arbeiter. Carolas Notlage hat sich weiter verschärft, denn noch vor Brecht hat Nazideutschland sie ausgebürgert, weil sie neben Feuchtwanger und anderen Prominenten einen Appell an die Saarbevölkerung unterzeichnete, gegen den Anschluß an Hitlerdeutschland zu votieren. Ohne gültigen Paß sitzt aber sie in der Falle. Eine Serie von Schauprozessen, ausgelöst durch die von Stalin inszenierte Ermordung des Parteirivalen Kirow; verbreitet unter Sowjetbürgern wie Emigranten ein Klima von Angst, Ohnmacht, allgegenwärtiger Denunziation und Verdächtigung.

Verrat an der Moral

Im Frühjahr 1936 werden Zenzl Mühsam und Anatol Becker verhaftet und als “terroristische Verschwörer Wollenbergs” angeklagt, gar ein Attentat auf Stalin geplant zu haben. Carola, eigene Gefährdung nicht scheuend, sucht in allen Gefängnissen der Stadt nach ihrem verschwundenen Mann, um ihm Lebensmittel zu überbringen, während im Zuge längst auch gegen sie laufender “Ermittlungen” Gustav von Wangenheim sie als “Abenteuerin” mit “antisowjetischer Einstellung” denunziert. Wenige Wochen darauf in Haft genommen, versucht sie, von Folter und Verhören zermürbt, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Ein Militärgericht verurteilt die angebliche “trotzkistische Spionin” 1937 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, Anatol Becker wird erschossen.
Brecht, der unter dem dänischen Strohdach an Szenen von Furcht und Elend des Dritten Reiches feilt und ein Gedicht an die frühere Geliebte in die Schublade legt, entwirft in dieser Zeit drei Briefe an Feuchtwanger, in denen er den Freund vorsichtig bittet, sich für sie einzusetzen: “Es wäre mir allerdings recht, wenn Sie diese meine Bitte vertraulich behandelten, da ich weder Mißtrauen gegen die Praxis der Union säen, noch irgendwelchen Leuten Gelegenheit geben will, solches zu behaupten.” Ob er jedoch diese Briefe jemals abgeschickt hat, ist laut Günther Glaeser, dem Herausgeber der Brecht-Briefe, fraglich. Feuchtwanger, dessen Bücher in der Sowjetunion in hohen Auflagen erscheinen, besucht als Stalins Gast die Schauprozesse. Obwohl er Carola Neher unter den Verhafteten weiß, liefert er in seinem Reisebericht Moskau 1937 eine auch von Brecht enthusiastisch begrüßte, entschiedene Legitimation der Stalinschen Prozesse. Beide fungieren in dieser Zeit, in der immer mehr Weggefährten im Gulag verschwinden, als Herausgeber der Moskauer Zeitschrift “Das Wort”. 1938 veröffentlicht darum die niederländische Exilzeitung “Unser Wort” einen leidenschaftlichen Protest Walter Helds, der die sowjetfreundlichen Exil-Schriftsteller des Verrats an den Opfern Hitlers und Stalins, des Verrats an der eigenen Moral zeiht: “Sie, Herr Brecht, haben Karola Neher gekannt. Sie wissen, daß sie weder eine Terroristin noch eine Spionin, sondern ein tapferer Mensch und eine große Künstlerin war. Weshalb schweigen Sie?”

Nach Abschluß des Hitler-Stalinpaktes werden deutsche Häftlinge zur Auslieferung an die Gestapo nach Moskau verlegt. Weil aber Carola Neher trotz härtester Schikanen sich dem Ansinnen der sowjetischer Geheimpolizei widersetzt, sie als Agentin zu gewinnen und sich zudem deutsche Behörden nach ihrer Ausbürgerung für nicht zuständig erachten, kommt sie zurück ins Gefängnis von Orjol. Eines ihrer letzten Lebenszeichen ist ein Brief vom März 1941 an die Leitung des Kinderheimes, wo sich ihr Sohn be?ndet, in dem sie nach der Entwicklung des knapp Sechsjährigen fragt, und auch danach, ob er von seiner Muter wisse.
Als im Sommer die deutsche Wehrmacht in die Sowjetunion einfällt, steht sie als Hochverräterin auf der Fahndungsliste der SS.
Weil die deutschen Bombardements den Ort in Trümmer legen, werden die Gefangenen nach Osten deportiert. Vereiste Flüsse verzögern den Transport, erzwingen Zwischenstation im überfüllten, von einer Typhus-Epidemie verseuchten Gefängnis von Sol-Iletzk nahe der Grenze zu Kasachstan. Hier erliegt die einundvierzigjährige Carola Neher, Häftling Nr. 59783 am 26. Juni 1942 einer schweren Typhus-Infektion. Ihr Leib landet im Massengrab einer Kalkgrube. Ihr Sohn aber, der mit einer Ausbildung als Musiklehrer in die Fußstapfen seines Großvaters tritt, sollte erst als Dreißigjähriger die Geschichte seiner Eltern erfahren und 1975 von Odessa in die Bundesrepublik übersiedeln.


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