Auf schmalem Grat:
Eine Linkspartei zwischen Regierung und Opposition
Diskussionsbeitrag auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin
(13.1.07)
Nach der Gemeinderatswahl Anfang 1998 stand die KPÖ Graz plötzlich
vor einer neuen Herausforderung: In Folge des Wahlergebnisses hatte unsere Partei
nicht nur vier Sitze im Gemeinderat (Stadtparlament), sondern auch einen Sitz
im Stadtsenat (Stadtregierung). Möglich wurde dies durch eine Regelung
in unserer Verfassung, welche auf kommunaler Ebene allen Wahlparteien mit einem
entsprechenden Ergebnis Regierungssitze einräumt. Etwas, was in der KPÖ
Graz nicht nur ungetrübte Freude auslöste.
Es gab eine Reihe von Stolpersteinen, die wir ganz klar sahen, denen auszuweichen
aber trotzdem sehr schwer werden würde.
> Die KPÖ verfügte
über keinerlei Regierungserfahrung. Sieht man von einem kurzen Zeitraum unmittelbar
nach Kriegsende ab, war die KPÖ weder im Bund, noch in einem Bundesland und
auch in keiner nennenswerten größeren Stadt mehr in einer Regierung
vertreten. Wir hatten Jahrzehnte ausschließlich als kleine Oppositionspartei
agiert.
> Uns war bewusst, dass viele
unserer Vorschläge und Forderungen nur bei einem völligen Politikwechsel,
der auch teilweise die Grenzen unseres Gesellschaftssystems sprengen müsste,
realisierbar sind. Ein solche Politikwechsel lässt sich aber nicht mit vier
von 56 Abgeordneten in einem lokalen Parlament herbeiführen.
> Mit der Übernahme einer
Regierungsfunktion ist auch die unmittelbare Verantwortung für einen Teilbereich
der Kommunalpolitik verbunden. In unserem konkreten Fall war es das städtische
Wohnungswesen, welches uns sicher nicht ohne Hintergedanken von
den anderen Parteien übertragen wurde. Es war klar, dass sich viele Menschen
von uns deutliche Verbesserungen erwarten würden. Schließlich war ja
die Wohnungspolitik jahrelang ein Schwerpunkt unserer Kommunalarbeit. Immer wieder
wurden von uns Missstände im Bereich der kommunalen Wohnungen aufgezeigt.
Ohne entsprechende Mehrheiten im Gemeinderat und Stadtsenat sind Verbesserungen
wohl schwer durchsetzbar. Außerdem gab es unter den Bediensteten im Wohnungsamt
niemanden, welcher der KPÖ politisch nahe stand.
> Nicht zuletzt sahen wir auch
die Gefahr eines politischen Verschleißes. Würden wir nicht automatisch
mit allen Regierenden in einen Topf geworfen, sollte es uns nicht gelingen, unterscheidbar
zu bleiben? Schon allein die Bezüge eines Stadtsenatsmitgliedes sind einer
notwendigen Bodenhaftung nicht gerade förderlich und wurden deshalb von uns
auch immer kritisiert. Ein Umstieg von Straßenbahn, Bus oder Fahrrad auf
Wagen mit Chauffeur sind ebenfalls nicht gerade Turbolader in Sachen Glaubwürdigkeit.
Unsere damalige Situation war relativ schwierig. Wir sahen die Gefahren auf
uns zukommen, konnten uns ihnen aber nicht entziehen. Bei einer Ablehnung der
Übernahme einer Regierungsfunktion hätte jede andere Partei einen
beliebigen Vorschlag zur Besetzung dieser Position einbringen können. Dies
wäre wohl auf wenig Verständnis bei unseren Wählerinnen und Wählern
gestoßen.
Um unser Problem aus der Welt zu schaffen, griffen wir einen alten KPÖ-Vorschlag
auf: Die Zahl der Stadtsenatssitze solle von 9 auf 7 reduziert werden. Damit
könnte es zu immer verlangten Einsparungen an der Spitze kommen und als
Nebeneffekt müssten wir auch kein Regierungsamt mehr übernehmen. Da
die Umsetzung dieses Vorschlages auch einer anderen Stadtsenatspartei einen
Sitz gekostet hätte, wurde er umgehend abgelehnt. Letztendlich wurde von
uns die Funktion eines Stadtsenatsmitgliedes, zuständig für das Wohnungswesen,
übernommen.
Von Anbeginn wurde besonderes Augenmerk auf die Bewahrung eines eigenständigen
Profils gelegt. Wichtig erschienen uns dabei folgende Bereiche:
1.) Frage des öffentlichen Eigentums.
Da sich die finanzielle Lage der Stadt Graz nicht wesentlich von den anderen größeren
Kommunen in Österreich unterscheidet, gab und gibt es einen besonders starken
Privatisierungsdruck. Dieser äußert sich in Ausgliederungen stadteigener
Unternehmen beziehungsweise deren Verkauf oder Teilverkauf. Dabei hätte man
immer gerne die KPÖ im Boot gehabt. Uns war aber immer bewusst, dass eine
Zustimmung zu Privatisierungen nur bei Strafe des eigenen politischen Niedergangs
möglich sei.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der Druck, der seitens der anderen Regierungsparteien
auf uns ausgeübt wurde. Schließlich müssen ja auch die Vorhaben
im eigenen Ressortbereich finanziert werden. Die erste Bewährungsprobe
erfolgte beim Verkauf des Energiesektors der Grazer Stadtwerke. Die KPÖ
lehnte diesen strikt ab und bildete gemeinsam mit unabhängigen Persönlichkeiten
eine Initiative, die unter der Losung Hände weg von den Stadtwerken
sie gehören allen Grazerinnen und Grazern! mehr als 17.000
Unterschriften gegen einen Verkauf sammelte. Da die SPÖ wie schon
oft wieder einmal sogar im Liegen umgefallen ist, ist es zwar zum Teilverkauf
des Energiesektor gekommen, die KPÖ hat jedoch an Ansehen gewonnen, was
unter anderem darin zum Ausdruck gekommen ist, dass ein sehr angesehener und
aktiver Abteilungsleiter der Stadtwerke nach 40jähriger SPÖ-Mitgliedschaft
seine Partei verließ und auf der Liste der KPÖ bei der nächsten
Gemeinderatswahl kandidierte.
2.) Eigenständige linke Wohnungspolitik.
Die KPÖ hatte unter anderem durch ihre Aktivitäten im Bereich des Wohnens
Ansehen gewonnen. Da die Wohnungsfrage in fast alle größeren Städten
eine Rolle spielt, konzentrierten wir uns schon vor zirka 20 Jahren auf dieses
Thema. Hier kann einerseits das Versagen des kapitalistischen Systems sehr deutlich
vor Augen geführt werden, andererseits kann Betroffenen oft wirksam geholfen
werden. 1992 wurde der KPÖ-Mieternotruf verbunden mit einem Rechtshilfefonds
für Spekulantenopfer eingeführt. Regelmäßige Mieterberatungen
sowie Informationsveranstaltungen für Haussprecher gehörten ebenso zum
Angebot wie die öffentliche Aufdeckung von Missständen beim Wohnen.
1997 setzte die KPÖ mit Hilfe einer Volksrechteinitiative eine Belastungsobergrenze
beim Wohnungsaufwand in der Höhe von maximal 33 Prozent vom Haushaltseinkommen
durch. Unmittelbar darauf schaffte die KPÖ bei der Gemeinderatswahl 1998
erstmals den Einzug in den Stadtsenat. Uns war klar, dass es schwer werden würde,
diese Position zu halten, wo wir nun direkt für das städtische Wohnungswesen
zuständig waren. Doch es war nach einjährigem Kampf möglich, 1999
eine generelle Mietzinssenkung bei stadteigenen Wohnungen durchzusetzen. Als bekannt
wurde, dass Graz im Jahr 2003 europäische Kulturhauptstadt sein würde,
wussten wir, dass dies eine nächste Chance auf Verbesserungen sein könnte.
Wir hatten damals noch mehr als 1000 Gemeindewohnungen, welche über kein
Bad oder keine Dusche verfügten beziehungsweise, wo sich das WC noch am Gang
befand. Unter dem Motto Auch das ist Kultur: Ein Bad für jede Gemeindewohnung!
starteten wir eine Initiative zur Sanierung des städtischen Wohnbestandes.
Unsere Forderung wurde dann sogar in das Programm für das Kulturhauptstadtjahr
aufgenommen. Mittlerweile sind wir unserem Ziel schon sehr nahe gekommen. Ich
wage zu behaupten, dass dies das nachhaltigste Projekt des Kulturhauptstadtjahres
2003 war.
3.) Niemals Wasser predigen und Wein trinken!
Die KPÖ hatte immer die viel zu hohen Politikerbezüge in Österreich
kritisiert. Nun darf man auch nicht selber soviel Geld einstreifen, wenn es plötzlich
auf das eigene Konto überwiesen wird. Daher haben wir uns selbst eine Gehaltsbeschränkung
auferlegt. Alles, was über einen Nettobezug von 1950 Euro überschreitet,
wird zur Unterstützung von Menschen in Notlagen verwendet. Um dieses System
transparent zu gestalten, wird alljährlich um den Jahreswechsel ein Tag
der offenen Konten duchgeführt.
4.) Offene Türen für Hilfesuchende.
Es ist nicht wichtig, dass kommunistische Mandatare sich bei allen Events und
sonstigen gesellschaftlichen Ereignissen anwesend sind. Sehr oft sind dies nur
Veranstaltungen für eine geschlossene Gesellschaft, die nur Zeit kosten und
nichts bringen.. Stattdessen müssen wir Zeit haben, wenn sich Menschen mit
ihren Problemen an uns wenden. Was oft als Handwerkelei abgetan wird,
halte ich für unverzichtbar. Natürlich müssen wir uns ständig
politisch für eine allgemeine Verbesserung der Lebensverhältnisse einsetzen.
Einer Familie, der der Strom oder das Gas abgeschaltet wurde, weil sie die Rechnung
nicht bezahlen konnte, hilft es nicht wirklich, wenn wir ihr sagen, dass wir ohnehin
für ein besseres Sozialsystem einsetzen, welches vielleicht in einigen Jahren
kommt. Hier ist sofortige Hilfe notwendig!
Diese vier Schwerpunkte haben letztendlich dazu geführt, dass die KPÖ
nicht schon nach einer Regierungsperiode politisch verschlissen war. Bei der
Gemeinderatswahl 2003 konnten wir mit 20,9 Prozent und 12 Gemeinderats- sowie
2 Stadtsenatssitzen erneut stark zulegen. Die Arbeit in Graz wirkte sich auch
außerhalb unserer Stadtgrenzen aus. Bei der Landtagswahl im Oktober 2005
konnte die KPÖ erstmals seit 35 Jahren wieder in ein österreichisches
Landesparlament einziehen. Mit 6,3 Prozent und vier Mandaten wurden wir vor
den Grünen drittstärkste Partei im steiermärkischen Landtag.
Die rechte FPÖ und die Haider-Partei BZÖ flogen überhaupt aus
dem Landtag.
Natürlich ist unsere Arbeitsweise auf die Dauer keine Erfolgsgarantie.
Es kann auch Rückschläge geben, dies muss uns immer bewusst sein.
Vor allem dürfen wir uns nie auf Erfolgen ausruhen! Aber ich wage zu behaupten,
dass angesichts unserer schwierigen politischen Lage, des jahrelangen Schrumpfens
und der Überalterung unserer Partei, diese unsere Vorgangsweise die einzige
Chance war, eine jahrzehntelange Isolierung zu durchbrechen und in unserem Bundesland
wieder zu einem politischen Faktor zu werden.