KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Neue Strategien entwickeln

Interview mit Arif Akkilic, Mitglied einer in Wien gegründeten Familieninitiative zur Unterstützung der politischen Gefangenen in der Türkei.

In der Vorwoche drangen türkische Sicherheitskräfte mit Gewalt in den Istanbuler Stadtteil Armutlu ein, wo zahlreiche ehemalige politische Gefangene und deren SympathisantInnen mit einem Todesfasten gegen die Verlegung der Gefangenen in sogenannte F-Typ-Zellen protestierten. Die Überführung der Gefangenen in die F-Typ-Gefängnisse (Einzelzellen, Zellen zu zweit) bedeutet die Zerschlagung ihrer politischen Struktur. Bisher waren sie in Zellen, in denen bis zu 80 Menschen zusammen waren. Diese Situation wurde genutzt, um weiterhin von drinnen politisch arbeiten zu können. Das über einjährige Todesfasten konnte diesen staatlichen Angriff auf die erkämpften Rechte der politischen Gefangenen in der Türkei nicht verhindern.

Arif, welche Organisationen sind noch am Todesfasten beteiligt?

Es gibt ein Koordinationskomittee der politischen Gefangenen in den Gefängnissen. Es wird keine Parteizugehörigkeit herausgestellt, da die Massnahmen der türkischen Regierung alle politischen Gefangenen betreffen. Die Gefangenen bezeichnen sich als Linke aus der Türkei, nicht als türkische Linke. Das heisst eben auch, dass Menschen unterschiedlichster politischer Herkunft am Hungerstreik beteiligt sind.

Wie sieht das Medieninteresse in der Türkei aus? Ist ein Unterschied zum europäischen Nichtinteresse wahrzunehmen?

In der Türkei hat das Medieninteresse auch abgenommen. Zu Beginn des Todesfastens begann die Wirtschaftskrise in der Türkei, wo alle Aufmerksamkeit auf die Krise gerichtet war. Dann der 11. September – Amerika, jetzt Afghanistan ? Die Gefangenen mit ihren Forderungen kommen nicht an die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit wird nur über linke Medien hergestellt, über Menschenrechtsorganisationen oder Angehörigeninitiativen.

Soll das Todesfasten weitergehen?

Einen Teil der politischen Gefangenen, die starke körperliche Schädigungen während des Todefastens erlitten haben, lässt der türkische Staat für ein halbes Jahr raus. Nach der Stabilisierung des körperlichen Zustandes müssen sie wieder zurück ins Gefängnis. Eine unvorstellbare Grausamkeit. Die Gefangenen, die drin bleiben, machen weiter. Ebenso wird in Amutlur das Todesfasten von einem Teil der vorläu
Als im Dezember 2000 die Massaker in den Gefängnissen stattfanden, haben sich KünstlerInnen, Intellektuelle, MenschenrechtsaktivistInnen zuammengeschlossen und versucht, zwischen Regierung und Gefangenen zu vermitteln. Teilweise haben auch KolumnistInnen von verschiedenen Tageszeitungen über das Massaker berichtet. Sie haben formuliert, dass die Forderungen der politischen Gefangenen von der Regierung zumindest mal zur Kenntnis genommen werden müssen. Die Regierung räumte ein, dass Nichtregierungsorganisationen sich an der Gestaltung des F-Typ-Gefängnisses beteiligen können. Die Gefängnisse sind gebaut, die Gefangenen werden auf jeden Fall dorthin gebracht. Diese Farce fand dann auch schnell ein Ende. Der Justizminister lehnte jede weiteren Verhandlungen ab. Die Aktion, dass Gefangene für ein halbes Jahr rausgelassen werden, verkauft die Regierung zynischerweise als eine Lebensrettungsaktion.

Wann hat sich die Familieninitiative in Wien gegründet und welche Ziele verfolgt ihr?

Nach der Stürmung des Gefängnisses im Dezember 2000 sind einige Verwandte aus Wien in die Türkei ge

Habt ihr Kontakte zu politischen Organisationen in Österreich oder anderen Ländern?

Es gibt in Wien eine politische Plattform von verschiedenen linken Organisationen aus der Türkei – Dedudak –, die die politischen Gefangenen ebenfalls unterstützen. Zwischen uns und der Plattform gab es einen Austausch darüber, was sie denken und was sie tun wollen. Es war Anliegen der Initiative, mit dieser Plattform zusammenzuarbeiten. Wir machten den Vorschlag, die Gründung von UnterstützerInnenkomittees europaweit anzuregen, auch um mehr Druck auf das Europaparlament ausüben zu können.

Hat sich in eurer Unterstützungsarbeit im Laufe der Zeit etwas verändert bzw. hat sich der Focus aufgrund von politischen Misserfolgen verschoben ?

Es hat sich einiges verändert. Es gab Auseinandersetzungen über die Strategie des Todesfastens. Ich persönlich unterstütze selbstverständlich die Forderungen der politischen Gefangenen weiterhin, weil sie von ihnen aufrecht erhalten werden. Jedoch möchten ich und einige andere, dass der Hungerstreik bzw. das Todesfasten so schnell wie möglich beendet wird. Es soll eine politische Ausstiegsstrategie entwickelt werden. Die Opferung der Gefangenen, macht – meiner Meinung nach – keinen Sinn. Es ist nicht klar, was passiert, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden. Gibt es Überlegungen, andere Strategien zur Durchsetzung der Forderungen zu überlegen oder wird das Todesfasten bis zum Ende geführt. Wir haben also überlegt, was wir tun können, damit dieses Todesfasten beendet werden kann. Politische Niederlagen müssen rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden, damit neue Strategien entwickelt werden können.
Auch wir haben, trotz großem Engagement, hier in Österreich nicht soviel erreicht.
Unsere Idee war, dass Flüchtlinge, die es schaffen nach Europa zu kommen und anerkannt zu werden, ebenfalls Initiativen gründen sollen. Sie kennen ja die Bedingungen in den Gefängnissen am besten. Dies haben wir an die Plattform weitergegeben. Bis jetzt gibt es auch in anderen Ländern nur Familieninitiativen.
Weiterhin wollten wir einen Termin mit der Aussenministerin vereinbaren, leider erfolglos. Stattdessen wurde uns mitgeteilt, dass sich das europäische Parlament darum kümmert.
Im März gab es eine zweiwöchige Öffentlichkeitsaktion auf dem Ballhausplatz. Die Familienangehörigen forderten die österreichische Regierung auf, sich für die ihre Kinder in der Türkei einzusetzen. Es gab keine Reaktionen vom Bundeskanzler. Van der Bellen und Hannes Svoboda sowie Terezija Stoisits haben die Aktion besucht. Türkische Presse war auch vor Ort. Ein Jahr Todesfasten hat nichts an der Situation in der Türkei verändert. Keine Verhandlungen seitens des türkischen Staates, die Öffentlichkeit wird mit anderen Material gefüttert. Die politischen Gefangenen sind in die F-Typ-Gefängnisse verschleppt worden.

Wie bewertest du die Initiative von einigen Familienangehörigen zur zeitweisen Freilassung der haftunfähigen Gefangenen?

Die Familien sind zur Staatsanwaltschaft gegangen und haben gesagt, dass sie ihre Kinder wollen – sie wollen nicht, dass sie sterben. Es gibt auch ärztliche Atteste darüber, dass viele Gefangene nicht mehr in der Lage sind, selbst für sich zu entscheiden, weil sie so schwere körperliche Schädigungen erlitten haben. Der türkische Staat verkauft die temporäre Freilassung als humanistische Tat. Von den Angehörigen ist das schon zu verstehen, aber politisch ist das fatal. Im Prinzip haben sie die Gefangenen entmündigt.Die Gefangenen haben ihre politische Aktion nicht abgebrochen. Es gibt aber auch Angehörige, die sich nicht daran beteiligten und den politischen Willen ihrer Kinder akzeptiert haben.

Wie geht es jetzt weiter?

In der Türkei ist von MenschenrechtsaktivistInnen eine Stiftung gegründet worden. Diese hat die Aufgabe, Gefangene, die rauskommen, medizinisch, psychologisch,

Ist Hungerstreik weiterhin ein geeignetes politisches Mittel?

Ich denke, dass die Forderungen der Gefangenen unbedingt unterstützt werden müssen. Ich bin nicht dafür, dass der Hungerstreik bis zum Tod der Gefangenen gehen soll. Die Aktion soll etwas bewirken, draussen und drinnen. Aber es sollen keine Gefangenen sterben.
Der türkische Staat weiss, dass in den Gefängnissen ein starke politische Organisierung stattgefunden hat. Das will er mit allen Mitteln zerstören. Er tötet Gefangene.
Also ich denke, Hungertstreik ist weiterhin ein politisches Mittel, aber zeitlich begrenzt, abwechselnd. Ich bin gegen Todesfasten. Ich will nicht, dass sich die Gefangenen opfern. Es geht darum, politisch etwas zu bewegen. Es ist auch wichtig, dass es draußen eine Bewegung dazu gibt. Wenn es draußen ein starke Opposition gibt, die wiederum Druck aufbauen kann, macht es Sinn. Diese Balance muss da sein. Wenn dass nicht ist, müssen andere Aktionsformen überlegt werde und wir müssen überlegen, was wir draussen tun können. Es muss eine Parallelität und einen Austausch geben, auch mit UnterstützerInnen in Europa.
Im Vorfeld müsste eine andere Mobilisierung statt

Interview: Yo Taubert

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