POSITIONEN & THEMEN
(27.3.2019)
Kürzlich ist der Startschuss gefallen: Die aktuelle Pflegedebatte wurde mit einer Veranstaltung der Sozialministerin eingeläutet. Die Frau Sozialministerin (manche meinen Unsozialministerin wäre treffender) meint ja bekanntlich, dass Sorge und Zuwendung in den weiblichen Genen verankert sei.
Mit „PFLEGE.fit für die Zukunft“ startet nun also ein Prozess, der sich bis in den Spätherbst ziehen wird. Es wird um Betreuungsmodelle, Ausbildung und Gehälter für Pflegekräfte gehen bis hin zur Frage, wer die Pflege finanzieren soll. Alle ringen für mehr Geld und Professionalisierung, aber ausgerechnet beim gesamtgesellschaftlichen Risiko der Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit soll durch laienhaftes Agieren vor Ort – so die Idee einiger – das Land „zukunftsfit“ gemacht werden.
Gegenwärtig brmühen sich sämtliche Ministerien konsequent, Ihre Aufgaben und Wunschprojekte in den Vordergrund der Debatte zu rücken. Verteidigungsminister Kunasek ortete bereits im vergangenen Herbst einen Investitionsstau von 3 Mrd. € beim Heer. Wenn nicht rasch etwas passiere, sei die „Existenz des Heeres“ bedroht – so Kunaseks Generalstab. Diese Herren verlangen nun öffentlich eine Anhebung des Heeresbudgets auf mindestens 3,3 Milliarden Euro jährlich bis 2022 um das Notwendigste abzudecken. Für eine „vollumfängliche Landesverteidigung“ seien zwei Prozent des BIP jährlich notwendig. Zwei Prozent des BIP wären derzeit rund 7,4 Milliarden Euro. Nach dem derzeitigen Bundesfinanzrahmengesetz werden bis 2022 zwischen 2,2 Mrd. Euro und 2,42 Mrd. Euro jährlich ausgegeben werden. Die geforderten 7,4 Mrd. Euro würden also eine glatte Verdreifachung der jährlichen „Verteidigungsausgaben“ bedeuten. Derartige Ausgabensteigerungen fordert nicht einmal der amerikanische Präsident von seinen NATO-Partnern ein.
Soweit die Begehrlichkeiten des Ministers für Landesverteidigung und seiner Generäle. Vergleichen wir die Zahlen mit dem Langzeitpflegebereich. Derzeit gibt der Staat fünf Milliarden Euro pro Jahr für Pflege aus. Das entspricht 1,3 % des BIP. Damit wird allerdings Vieles finanziert, das den Menschen wirklich dient. Darin enthalten sind die Mittel für Pflegegeld und Leistungen, die aus dem Pflegefond finanziert werden. Die öffentlichen Ausgaben für Pflege machen mittlerweile knapp 40 % aller budgetfinanzierten öffentlichen Gesundheitsausgaben aus.
Im Jahr 2017 wurden insgesamt 149.442 Personen durch mobile Dienste und 82.485 Personen in stationären Einrichtungen der Pflege außerhalb der Akutspitäler betreut. Etwa 20.700 Personen wurden durch andere Betreuungsformen der Langzeitpflege versorgt.
In allen Versorgungseinheiten der institutionellen Langzeitpflege waren mit Stichtag 31.12.2017 67.003 Menschen beschäftigt. Statistisch gesehen ist rund jede vierte Familie in Österreich mit der Problematik von Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit unmittelbar konfrontiert. Geschätzte 1,4 Millionen Menschen sind in Österreich direkt oder indirekt in ihrem privaten Umfeld in die Pflege involviert. Das entspricht mehr als 15 % der Bevölkerung.
Zurück zur Startveranstaltung der Ministerin im schicken Studio 44 am Rennweg. Die Ministerin bemüht bei der Eröffnung die Kriegsteilnehmerin Florence Nightingale: „Pflege sei eine Kunst“ wird ostentativ behauptet. Beim politisch hochrangig besetzten Podium am Vormittag gaben VertreterInnen sämtlicher politischen Parteien ihre Statements ab, wobei einhellig das deutsche Pflegeversicherungsmodell abgelehnt wurde.
Einigkeit besteht auch darüber, dass die pflegenden Angehörigen mehr „Beachtung und Respekt“ entgegengebracht werden muss und dass die bürokratischen Hürden für die Betroffenen abgebaut werden müssen. Die Vertreter der Regierungsparteien streben unisono Pflegevorsorge, Unterstützung der Angehörigen, Ausbau der laufende Demenzstrategie, Fortschritte in der Ausbildung, die Attraktivierung des Berufsbildes, die Absicherung der Finanzierung an. Die Ministerin fordert bundesweit einheitliche Lösungen.
Über zwei seit längerem beauftragte Studien konnte wiederum nur berichtet werden, das die Ergebnisse in Kürze erwartet werden: Derzeit werden europaweite Finanzierungsmodelle analysiert und der Personalbedarf erhoben, wobei die große Unbekannt die Drop Out Quote der professionell Pflegenden in Österreich ist.
FP-Klubobmann Rosenkranz betonte vehement, dass seine Partei strikt eine „Vollkaskomentalität“ ablehne und brachte wiederum die Chimäre einer „Pflegegenossenschaft“ auf kommunaler Ebene ins Gespräch. Die allgemeine Versicherungspflicht wird von der FP abgelehnt.
VP- Klubobmann Wöginger betont mit Nachdruck, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt Finanzierungsvorschläge, die aus der Hüfte geschossen werden, nicht erwünscht sind.
Bemerkenswert ist, dass der Vertreter der Wirtschaftskammer, Martin Gleitsmann, eine WKÖ-Gütesiegel für die Agenturen der 24 h Betreuung ankündigte, ein Projekt, das ja bislang eines der Sozialministerin ist. Wird sich künftig die Wirtschaftskammer, die bisher in Zusammenarbeit mit den Agenturen die Scheinselbstständigkeit der Betreuuerinnen legitimiert, selbst kontroliieren?? Lediglich die Vertreterinnen der Liste JETZT und der Arbeiterkammer fordern die Besteuerung von Vermögen und Kapital ein.
Der Nachmittag war durchwachsen mit Imputs zur Gesellschaftsanalyse, Robotik in der Pflege und es durften auch zwei StudentInnen der Fachhochschule Salzburg Ihre Motivationen und Perspektiven präsentieren. Besonders bezeichnend war, dass zum hervorragenden Beitrag der Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger, Birgit Meinhard-Schiebel, für das Publikum keine Debattenmöglichkeit eingeräumt wurde.
Was übrig bleibt ist der Eindruck, dass von Regierungsseite eine streng hierarchische Vorgehensweise angestrebt wird. „Lasst uns gemeinsam über die Qualität der Herausforderungen reden und erst dann über die Finanzierungsmöglichkeiten“, wird gesagt, was aber wohl so viel heißen soll, wie: „Wir organisieren hier für die Öffentlichkeit den Eindruck einer Partizipation der Beteiligten und schnapsen uns die grundlegende Orientierung und die Finanzierung selbst aus.“
Die KPÖ fordert seit Jahrzehnten entschieden die Besteuerung von Vermögen und Kapital um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen – das aber hat die Ministerin jedoch in ihrem Masterplan Pflege bisher dezidiert ausgeschlossen. Sie setzt auf billige Laienarbeit, die mehrheitlich von Frauen geleistet wird.
Rudi Gabriel, Mitglied des Bundesvorstands der KPÖ und Arzt in Eisenstadt
Weitere Aspekte zur „Offenen Wunde Pflege“ können der pflegepolitischen Broschüre des ZVPÖ entnommen werden, die unter office@zvpoe.at gegen einen kleinen Unkostenbeitrag bestellt werden kann.