KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Rede von KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier zur Verabschiedung von Franz Muhri

21.September, Wiener Zentralfriedhof

Liebe Maria, liebe Erika, lieber Filip, lieber Georg, liebe Genossinnen und Genossen, werte Trauernde.

Die österreichische Arbeiterbewegung verliert mit Franz Muhri einen ihrer bedeutendsten Politiker und Österreich einen großen Menschen und Patrioten. Wir trauern um einen Freund und Genossen, dessen Rat und dessen Ermutigung uns in der bevorstehenden gefährlichen Zeit sehr fehlen wird.

Franz Muhri war österreichischer Patriot - und zwar im guten Sinn des Wortes. Geprägt wurde er durch die Erfahrung des Kampfes gegen Krieg und Faschismus.

Am 21. Oktober 1924 in einer steirischen Bergarbeiterfamilie zur Welt gekommen, “war (es) eine schwere Kindheit und Jugendzeit”, die er durchlebte. Eine Steinschleuder, ein Fahrrad – das waren Errungenschaften. "Und doch möchte ich diese Zeit nicht missen”, schreibt er in seinen Lebenerinnerungen.
Sein Ziehvater war, wie wir dort auch erfahren, ein klassenbewußter antifaschistischer Arbeiter, “gefühlsmäßiger Kommunist”. Er brachte Franz in einem Bautrupp bei der Graz-Köflacher Eisenbahngesellschaft unter. Das bedeutete harte körperliche Arbeit, aber auch erste Möglichkeiten zur Bildung. Damals schloß Franz sich einer antifaschistischen Widerstandsgruppe an, die von einem kommunistischen Lehrer geleitet wurde. Dieser junge Mann, Richard Zach, 1941 von den Nazis verhaftet und 1943 hingerichtet, sollte Franz Muhri zeit Lebens begleiten. “Ich bin den anderen Weg gegangen,” stand nun als Wahlspruch auch über seinem Leben: “Bequemer wäre es gewesen, den Kopf zu senken, klug zu lächeln, die Knie zu verrenken, Demut hecheln und kein verbotenes Buch zu lesen...Ich bin den anderen Weg gegangen.... verzeiht es tut mir gar nicht leid...“

Der “Andere Weg” führte den 18jährigen zunächst von der deutschen Wehrmacht in die Reihen der Widerstandsgruppe auf der Koralpe. Für den jungen Mann, obwohl selbst noch “gefühlsmäßiger Kommunist”, stand nach der Befreiung aber eines fest: Die Katastrophe des Faschismus und der Krieg waren nicht aus dem Nichts über die Völker hereingebrochen. Niemals dürfte es wieder dazu kommen.
Sie waren die giftigste Frucht eines Gesellschaftssystems, in dem Geld und Profit, nicht aber der Mensch zählten. Gerade in den Menschen und namentlich denjenigen, aus deren Mitte er entstammte, erkannte Muhri aber auch die, die es grundsätzlich in der Hand hätten, dem Lauf der Welt eine eine Wendung zu geben. Dazu bedurfte es radikaler Veränderung der Verhältnisse und - das lehrte ihn die Geschichte - einer selbständigen revolutionären Partei, die zu sein die Sozialdemokratie aufgehört hatte.

So schloß Franz Muhri sich der wiedererstandenen Kommunistischen Partei Österreichs an, die als einzige zum Widerstand gegen den Anschluss aufgerufen hatte. Als 21jähriger wurde er Sekretär in seinem Heimatbezirk Deutschlandsberg. Nach einigen Stationen im Steirischen und Niederösterreichischen wurde Franz Muhri 1954 zum Kandidaten des Zentralkomitees gewählt und gleichzeitig zu einem dreijährigen Studienaufenthalt delegiert. Im Buch “Stalin und Wir” schreibt er über die Dramatik der Ereignisse, denen er entgegenreiste: “Der 20. Parteitag der KPdSU 1956... Es war das ein schwerer Schock, auch ich war geprägt vom ‘Personenkult’. Ich und wir alle in der KPÖ, in der kommunistischen Bewegung, haben diesen Kult mitgemacht, selbst betrieben... “. Was hieß das aber nur für den jungen Mann? War mit den Enthüllungen des 20. Parteitages der Kommunismus widerlegt? Hieß das, dass die Kämpfe der Zeit, das Ringen um Frieden, soziale Gerechtigkeit und Sozialismus ihre Berechtigung verloren hatten?
Franz Muhri zog gegenteilige Konsequenzen. Von jenen bewegten Monaten in Moskau bis in seine letzten Lebenstage blieb Franz Muhri seiner Überzeugung treu, dass Menschlichkeit so sehr sie vom Verhalten des einzelnen seinen Ausgang nehmen muss, eine neue Gesellschaft verlangt; das heißt einen Bruch mit den Strukturen und der Kultur kapitalistischer Ausbeutung erfordert.

Die Erkenntis, die Franz Muhri aber in dieser Zeit auch gewann, und die sein war politisches Leben prägte, war, dass nur der Kommunismus bewahrt werden konnte, der sich ständig erneuerte.


1965 auf dem 19. Parteitag der KPÖ löste er den langjährigen Vorsitzenden, Johann Koplenig ab. Es war das eine Zeit, in der sich die Gewitterwolken über die KPÖ schon zusammengezogen hatten. Nur drei Jahre nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden wurde Franz Muhri vor eine schwere Probe gestellt. Der militärische ‘Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten zur Beendigung des Prager Frühlings’ spitzte alle in der kommunistischen Bewegung wirkenden Widersprüche zu. So wie fast alle kommunistischen Parteien Europas hatte die KPÖ mit dem Aktionsprogramm der tschechischen KP für einen neuen demokratischen Sozialismus sympathisiert, weil sie sich davon einen Impuls für eine Erneuerung des Kommunismus insgesamt erhofft hatte. Auch Franz Muhri wurde vom Einmarsch der Warschauer Pakt Staaten am 21. August 1968 überrascht. Das folgende ist bekannt. In seiner ersten Stellungnahme verurteilte das ZK die Besetzung der CSSR und forderte den “Abzug der fremden Truppen sowie die Wiederherstellung ihrer vollen Souveränität”.
Später aber geriet diese Position in die Minderheit. Die bereits lange vorher bestehenden Differenzen in der KPÖ brachen offen auf. Auf dem Höhepunkt der Krise, beim 20. Parteitag im Jänner 1969 versuchte Franz Muhri zwar noch die Spaltung der KPÖ zu verhindern, indem er seinen Rücktritts androhte, und so die Wiederwahl der Exponenten der Kritik am Einmarsch der Warschauer Pakt Staaten ins Zentralkomitee durchsetzte. Allein, er konnte den Bruch nicht verhindern. Die Extreme aller Seiten ließen sich nicht mehr ausgleichen und Unduldsamkeit und Dogmatismus hatten über Dialogbereitschaft und das Ringen um Einheit und Erneuerung die Oberhand behalten. War es die Erfahrung dieser tragischen Spaltung des österreichischen Kommunismus, die mit der Abwendung und Ausgrenzung so vieler wertvoller MitstreiterInnen der KPÖ endete, die den Vorsitzenden Franz Muhri zu einem besonders sensiblen und bedachten innerparteilichen Umgang veranlassten?

In seinen Lebenserinnerungen bezeichnet Franz Muhri die Rücknahme der ursprünglichen kritischen Stellungnahme zum Einmarsch der Warschauer-Vertragsstaaten nicht nur als einen Fehler, sondern auch als “einen Rückschlag in der notwendigen Erneuerung in unserer eigenen Partei”.
Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen? Darüber habe ich mit Franz Muhri mehrmals gesprochen und ich glaube, dass er im entscheidenden Punkt recht hat: Ich zitiere: “Man kann die Fehler und Versäumnisse einer politischen Partei und Bewegung nicht rückgängig machen. Sie sind Geschichte, die nicht noch einmal von vorne begonnen werden kann. Aber man kann daraus lernen, man kann versuchen, die Partei und die Bewegung umzugestalten und einen aktiven Beitrag zu leisten, damit die Lehren in der Zukunft verwirklicht werden.”


Franz Muhri hat dieses Lernen, dieses Ringen um Erneuerung über sein Wirken als Vorsitzender der KPÖ hinaus zur entscheidenden Maxime des Handelns gemacht. Darin besteht sein politisches Vermächtnis.

Trotz vieler kritischer Einsichten wurde Franz Muhri vom Zusammenbruch des Realsozialismus in Osteuropa überrascht. Stets hatte ihn die Hoffnung auf Besserung über beunruhigende Beobachtungen hinweg sehen lassen. Seine Überzeugungen wurden neuerlich auf eine harte Probe gestellt. Der schmähliche Abgang jener Staats- und Parteiführer, in deren Erneuerungswillen wir alle – Franz Muhri eingeschlossen – Hoffnungen gesetzt haben, war wohl die größte menschliche und politische Enttäuschung seines Leben. Im Unterschied zu vielen, die sich damals tatsächlich mit dem Gedanken an ein “Ende der Geschichte” anzufreunden anfingen, ging Franz Muhri ein weiteres Mal “den anderen Weg”. Weder ließ er sich entmutigen, noch scheute er davor zurück, sich der Herausforderung einer radikalen Selbstbefragung und einer Erneuerung – auch des eigenen Denkens – zu stellen. Noch heute, sieben Jahre nach seinem Erscheinen, stellt sein Buch “Kein Ende der Geschichte” weit mehr als ein Zeitdokument dar, sondern ist aktuelle Darlegung jener Probleme, vor denen jeder einzelne Kommunist, jede einzelne Kommunistin und die gesamte Linke stehen.


In der letzten Periode seines Wirkens legte er den Schwerpunkt seiner praktischen Arbeit auf das Gebiet der internationale Beziehungen. Anfang der 90er Jahre waren so gut wie alle Gesprächsfäden abgerissen. Er organisierte mit dem “Mauerbacher Dialog”, eine Serie von informellen internationalen Begegnungen, auf dem sich erstmalig nach den Zusammenbrüchen die VertreterInnen linker Parteien aus Ost und West begegneten. Franz Muhri wurde so zu einer Schlüsselperson des sich neu entfaltenden Internationalismus.

Zu einer wichtigen Erfahrung wurden ihm auch die Schritte bei der Entwicklung eines erneuerten christlich-kommunistischen Dialogs: Gerade heute wird uns bewusst, wie dringlich es ist, von gemeinsamen Werten der Humanität, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit auszugehen und und quer zu weltanschaulichen Trennungen Verantwortung zu übernehmen und die Umrisse einer neuen, einer besseren Welt zu entwerfen.

Ich selbst hatte Gelegenheit, mit Franz Muhri bis in seine letzten Lebensmonate an dem Buch über die Bewältigung des Stalinismus zu arbeiten, eine Arbeit, deren Abschluss Franz Muhris letztes großes Anliegen war. Dabei ging es ihm nicht um das Öffnen alter Wunden, auch nicht allein um die Wiederherstellung der Ehre ungerecht beschuldigter und verurteilter Menschen, sondern vor allem um eine Botschaft an die heutige Generation der KommunistInnen:
Wenn Kommunismus der Name für die Idee der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse und der Menschheit ist, so dürfen wir es nicht zulassen, dass es in unserem Denken und Handeln zu einer Trennung zwischen den Werten der Demokratie und des Humanismus von denen unserer Bewegung kommt.


Franz Muhri war kein Theoretiker, aber er war ein theoretisch gebildeter und vor allem begabter Mensch. Er blieb zeitlebens ein Kind seiner Klasse, deren Befreiung den Sinn und den Inhalt seines Lebens ausmachte. Doch seine Lebenserfahrung und sein Bildungseifer machten aus ihm auch, was der große italienische Marxist Antonio Gramsci einen “organischen Intellektuellen” nannte.

Franz Muhri war Erneuerer. Aber sein gesamtes politisches Leben legt davon Zeugnis ab, dass es keine Erneuerung ohne Kontinuitäten gibt. In diesem Sinne wurde er zu einer Klammer zwischen dem Gestern und dem Morgen der kommunistischen Bewegung. Gleichermaßen verkörperte sich ihm das Geschichtliche und das Neue des Kommunismus.

Franz Muhris Rat wird uns fehlen, wenn es gilt, die richtige Balance zwischen Kontinuität und Erneuerung unserer Bewegung zu finden. Vor allem fehlt uns Franz als ein erfahrener Mitstreiter, in diesen Tagen in denen uns stündlich immer mehr bewusst wird, wie gefährdet der Frieden und wie zerbrechlich die Grundlage der menschlichen Existenz in der heutigen Welt geworden sind. In der das globale Unrecht sich als “grenzenlose Gerechtigkeit” geltend machen möchte. Von ungebrochener Aktualität sind daher folgende seiner Worte:
“Wir dürfen nicht ruhen, solange Menschen auf der Erde in Armut leben, keine Arbeit, keine Wohnung , keine ärztliche Versorgung haben, solange Frauen diskriminiert werden, solange autoritäre Regimes, Krieg und Unterdrückung herrschen.”

Franz Muhri wird uns stets ein politisches und menschliches Vorbild bleiben. Franz, wir werden Dein ehrendes Andenken bewahren.


Liebe Erika, liebe Maria, lieber Filip, lieber Georg
Ihr habt so lange Euren Franz mit so vielen Menschen und vor allem mit der kommunistischen Partei teilen müssen, heute sind wir zusammengekommen, um den Schmerz und den Kummer über sein Ableben mit Euch zu teilen.

Nachruf des Bundesvorstands der KPÖ auf Franz Muhri.

Ein Beitrag von Franz Muhri zum Thema Stalinismus findet sich hier.


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