Von Michael Graber (22.11.2010)
Der Doyen der österreichischen Wirtschaftswissenschaft ist tot. Noch zu seinem 95. Geburtstag veranstaltete die Arbeiterkammer ein faszinierendes Podiumsgespräch mit Kurt Rothschild über die große Wirtschafts- und Finanzkrise, dem hunderte Zuhörer folgten. Im gleichen Jahr erschien sein letztes Buch. Sein 90. Geburtstag war Anlaß für ein großes wissenschaftliches Symposium.
Die Ehrungen, die Kurt Rothschild in den letzten Jahrzehnten zuteil wurden setzten, gemessen an dem Lebenswerk des Ökonomen, sehr spät ein. Das hängt damit zusammen, daß Rothschild Zeit seines Lebens ein engagierter Kritiker des ökonomischen mainstreams war und über den rein wissenschaftlichen und akademischen Bereich hinaus gesellschaftspolitisches Engagement nicht scheute. So beteiligte er sich an Konferenzen in Solidarität mit der Verstaatlichten Industrie, die Ende der 80er Jahre zerschlagen und privatisiert wurde oder an kritischen Beratungen im Vorlauf der Einführung des Euro.
Kurt Rothschild studierte Jus und Nationalökonomie an der Uni Wien und konnte noch rechtzeitig vor dem Einmarsch der Hitlertruppen mit einem Stipenium nach Glagow gehen, wo er den Krieg überlebte und seine wissenschaftliche Laufbahn begann. Als sozialistischer Mittelschüler war er der Idee des Sozialismus verbunden. In der Emigration und nach seiner Rückkehr nach Wien stand er der KPÖ nahe. Auch meine Entscheidung das Volkswirtschaftsstudium aufzunehmen fiel nach einem Gespräch mit Kurt Rothschild.
1947 trat Kurt Rothschild in das Wirtschaftsforchungsinstitut ein. Ab 1962 war er Dozent an der Uni Wien und 1966 einer der Gründungsprofessoren der Uni Linz, der er bis zu seiner Emeritierung angehörte. Seine englischsprachigen Studien und Publikationen wurden lange ignoriert und kamen erst 1966 unter dem Titel Marktform, Löhne, Außenhandel im Europaverlag heraus. Schon dieser Titel legte den wissenschaftlichen Standort Rothschilds klar. Er war ein Gegner des unkritischen Glaubens an die freien Kräfte des Marktes, seine Befassung mit Fragen der Lohntheorie signalisierte sein gewerkschaftsnahes Engagement und Fragen der Außenhandelstheorie kam der Debatte um Österreichs Stellung als Kleinstaat zwischen den Blöcken zugute.
Kurt Rothschild verstand Wirtschaftstheorie nie als Selbstzweck sondern als Mittel zur gründlichen Durchleuchtung unserer Umwelt damit diese besser und menschenwürdiger gestaltet werden kann. Diesem Motto blieb er bis zuletzt treu. Ein Interview Rothschilds 2009 erschien unter dem Titel Wenn man die Welt ändern will, muß man die Wirtschaft ändern.