KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Heisse Tage in Belem

2008 wird das Weltsozialforum in Belem stattfinden

Von Walter Baier (4.11.2007)

Vom 29. Oktober bis 1. November traf sich in Belem, dem seit einigen Monaten feststehende Austragungsort des 2009 stattfindenden 8. Weltsozialforums der Internationale Rat des WSF. Das aus 150 Personen aus allen Kontinenten bestehende Gremium wurde nach dem 1. Weltsozialforum 2001 in Porto Alegre gegründet. Seine Aufgabe ist es, die allgemeinen politischen und organisatorischen Voraussetzungen fuer die Durchfuehrung des Forums herzustellen. Seit 2006 vertrete ich das Netzwerk transform! im Internationalen Rat.

Die Ankunft im tropisch feuchten Belem nimmt einem im wahrsten Sinn des Worts den Atem. Verlaesst man die klimatisierte Ankunftshalle des internationalen Flughafens ist es, als ob ein feuchtes Handtuch auf Nase und Mund gedrueckt wuerde. Schon der erste Eindruck macht klar: Amazonien ist ein anderes Brasilien. Die einzige Zufahrt zur von allen Seiten durch Fluesse begrenzten Stadt ist eine breite, zerklueftete Strasse, gesaeumt von niedrigen abgewohnten, teils nicht fertiggebauten aermlichen Haeusern, deren Reihen unterbrochen sind von hell erleuchteten Tankstellen und grell bunten Produktreklamen der US-amerikanischen transnationalen Konzernen. Das Bild der Strasse gleicht eher Nairobi oder Mumbai als Rio oder Sao Paolo. Hier am Aequator ist Brasilien tatsaechlich Dritte Welt. Die Armut ist nicht in den Favelhas an der Peripherie konzentriert, sie springt dem Anreisenden sofort ins Auge. Belem ist die Hauptstadt des amazonischen Bundesstaats Para, dem zweitgroessten Staat der brasilanischen Foederation. Mit seinen 3 Millionen EinwohnerInnen zaehlt die <metropolitan area> zu einem der fuenf groessten Ballungsraeume Brasiliens. 49 Prozent der 7,2 Millionen EinwohnerInnen von Para leben unterhalb der Armutsgrenze. 54 Prozent der Haushalte haben keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser.

Ich komme um 11 Uhr nachts nach einem dreieinhalbstu­endigen Flug aus Rio de Janeiro an. Meine GastgeberInnen ueberraschen mich. Gerade heute erreiche das katholische Fest Cirio de la Senhora de Nazare mit einem Feuerwerk vor der Kathedrale von Belem seinen abschliessenden Hoehepunkt. 500.000 Menschen – aus allen Teilen des des 1,2 Millionen Quadratkilometer grossen Bundesstaats –auf Booten, mit Fahrraedern oder zu Fuss angereist – fuellen einen riesigen Platz. Auch die Menschenmischung auf den Strassen ist eine andere als im reicheren Sueden Brasiliens: Indigene und Farbige bilden hier die Mehrheit der Bevoelkerung. Die Begeisterung der Menschenmasse, die ein 20minuetiges Feuerwerk begleitet von sakralen Gesaengen und melodischem brasilanischem Pop erlebt, scheint keine Grenze zu kennen. Zwei Millionen waren es uebrigens, wie mir erlaeutert wird, als zur Eroeffnung der zweiwoechigen Feierlichkeit die Statue der Madonna durch die Stadt getragen wurde.Ueberbor­dendende Volksfroemmigkeit oder ganz einfach Flucht aus einem bedrueckenden und brutalen Alltag, den man den meisten Gesichtern ablesen kann? Die katholische Kirche hat hier uebrigens keinen leichten Stand. Nur mehr 65 Prozent bekennen sich im fast 100 Prozent christlichen Para zum Katholizismus. Nicht nur, weil Bischoefe, wie der im 200 Kilometer weit entfernten Altamira lebende Erwin Kraeutler ihr Amt unter Morddrohungen ausfuehren muessen, sondern weil die Kirche auf ihrem ureigensten Gebiet durch die aus den USA importierten und finanzierten Freikirchen herausgefordert wird. Die grosszuegige Foerderung dieser Freikirchen auch seitens staatlicher Stellen sei, so wird mir erklaert, eine der Reaktionen auf die Befreiungsthe­ologie.

Rassismus funktioniert, wie auf den ersten Blick erkennbar, vor allem als soziale Ausgrenzung. Rund um die Kathedrale zwei Hochhaeuser, auf deren Balkons die besseren Leute fern vom Gewuehle auf dem Boden den Feiern im wahrsten Sinn beiwohnen. An beiden Seiten der Zugangsstrasse, auf der wir uns mit einer Masse junger Leute in Richtung Hauptplaz schieben, sehen wir schmucke Ein- und Mehrfamilienha­esern, die den Eindruck kleiner Festungen machen. Durch Elektrozaeune oder Stacheldraht von der Strasse getrennt nimmt hier der Mittelstand an der frommen Feier teil. Vor Betreten des grossen Plazes werden die BesucherInnen von der Polizei nach Waffen durchsucht; nicht alle versteht sich, der weisse Europaeer gilt sozusagen von vorneherein als vertrauenswuerdig. So gehe ich mit meinen beiden Begleitern, denen die bevorzugte Behandlung sichtlich peinlich ist, an der Reihe von Menschen, die darauf warten, sich abtasten zu lassen, unbehelligt vorbei.

Im Regenwald mit Padre Rene

Meine Gastgeber sind Fokularini aus Belem. Padre Rene, ein Priester und Caritas-Arbeiter aus der Schweiz, im urspruenglichen Beruf Geograf, ist mir auch aus sprachlichen Gruenden als Betreuer zugeteilt. Er laedt mich zu einer Bootstour in den Regenwald ein. Der Archipel in der Guajara-Bay speist sich zu einem betraechtlichen Teil aus Amazonas Wasser. Der Ribeirinho, der unser kleines Boot steuert, bewegt sich im weitverzweigten System der Flussarme, die zwischen einer Breite von mehr als tausend und nur wenigen Metern variieren, als handelte es sich um beschriftete Strassen. Wir befinden uns 130 Kilometer vom Meer in Suesswasser. Trotzdem steigt und faellt der Wasserstand zweimal am Tag mit der Ebbe und Flut des Atlantik.

Am Rande der Fluesse leben die Ribeirinhos in einfachen Huetten. Nur wenige sind vom Boot aus sichtbar. Den Lebensunterhalt liefert der Fischfang und das Abernten von Maniok, der Cupuacu- oder der Aica-Frucht. Hier lebt man stressfrei erklaert uns der Bootsfuehrer, es verhungere niemand. Paradoxer Weise bestehe in dieser von gewaltigen Wassermassen gepraegten Welt das Hauptproblem in der Versorgung mit Trinkwasser. Bedroht sind die auf Subsistenz gegruendete Lebensgrundlagen und Kultur der Indigenen aber vor allem durch das brutale Vordringen des kapitalistischen Modells in den Regenwald. Seit dem Bau der <Transamazonika> (1972) werden jaehrlich hunderttausende Hektar des Regenwalds gerodet. Millionen Menschen wurden nach dem Auffinden von Erdoel, beim Bau von Wassertkraftwerken und Strassen ihrer Boeden beraubt und vertrieben. Neuester Hype ist es, die UreinwohnerInnen dazu zu zwingen, statt der urspruenglichen Diversitaet des Regenwalds Monokulturen, etwa Eukalyptusbaeume zur Kohleproduktion oder Palmoel, aus dem Biosprit gewonnen wird, zu pflanzen. <Reforestation> wird dieses Projekt euphemistisch genannt. Absurderweise wird in unseren Breiten der Einsatz von Biosprit als oekologisch vertraegliche Alternative zu den CO2-Emissionen propagiert. Im Regenwald werden die fatalen Konsequenzen deutlich: Sozial bedeutet der Uebergang zum <Industriewald>,aus dem vor allem transnationale Konzerne, darunter auch brasilianische, Gewinne lukrieren, die Enteignung der ansaessigen Gemeinschaften. Den UreinwohnerInnen, die sich seit je mit Nahrung selbst versorgen konnten, wird zugemutet, die Nahrungsmittel nun fuer teures Geld einzukaufen. So haelt auch in dieser ueppigen Welt der Hunger Einzug. Die Landfrage hat zu brutalen Klassenkaempfen gefuehrt. An vielen Orten, wo die Indigenen und ihre Organisationen wie <Via Campesina> durch Landbesetzungen Widerstand leisteten, engagierten die Landlords und die Konzerne bewaffnete Banden und liesen die Menschen vertreiben oder massakrieren.

In den wenigen grossen Hotels in Belem geben sich heutzutage PolitikerInnen und VertreterInnen internationaler Organisationen die Klinke in die Hand, wird mir erzaehlt, was immerhin auch ein Zeichen fuer die wachsende internationale <Awareness> bezueglich der Probleme des Regenwalds sei. 20 Prozent des weltweiten Suesswassers bewegt sich im oekologischen Kreislauf Amazoniens. Seine Zerstoerung hat katastrophale weltweite oekologische Auswirkungen. Der Erhalt der Biodiversitaet, des Oekosystems sowie der Kultur und Nahrungssouve­raenitaet der amazonischen Bevoelkerungen stellen daher, wie eine Fuehrerin der Indigenenbewegung im Verlauf der Tagung des Internationalen Rats des Weltsozialforums ausfuehrte, lokale Notwendigkeiten von globaler Bedeutung dar. Das 2009 in Belem stattfindende Weltsozialforum wird dieser Tatsache unter anderem dadurch Rechnung tragen, dass der erste Tag den panamazonischen Bewegungen zur Darstellung ihrer Forderungen und Kaempfe gewidmet sein wird.

Mitten im Dschungel nach zahlreichen Abzweigungen im System der drei Fluesse Rio Carnapijo, Rio Arapiranga und und Rio Acara, die die Guajara Bay mit Wasser speisen, legen wir am Steg einer Schule, der einzigen in einem riesigen Eizugsgebiet an. 65 SchuelerInnen werden von fuenf LehrerInnen in ebenerdigen offenen Holzhuetten unterrichtet. Taeglich fahren sie mit den beiden Schulbooten und Kanus zur Schule. Als eines der beiden Boote eines Tages von Flusspiraten aufgebracht und sein Motor gestohlen wurde, reduzierte sich die Zahl der SchuelerInnen fuer Monate auf 15. Fuer die kleine Dorfgemeinschaft der Isla de Jao Pilatus ist die Schule, wie der Buergermeister erklaert, ein <Geschenk des Himmels>. Nicht nur, wegen der Chance, die sie den Kindern der Gegend eroeffnet, sondern weil durch sie auch15 Arbeitsplaetze geschaffen wurden.

Der Internationale Rat

Der Unterschied zwischen der Realitaet im Regenwald und dem klimatisierten Konferenzraum, in dem sich der Internationale Rat, eine Art Weltparlament der sozialen Bewegungen trifft, ist beachtlich.

Die 150 Personen, die diesen Rat bilden, sind ein bunt zusammengewuer­felter Kreis. Hier treffen sich die Gruppe franzoesischer und brasilianischer Intellektueller, die im Jahr 2000 als Kontrapunkt zum Weltwirtschaf­tsforum in Davos zum ersten Welt Sozial Forum ins suedbrasilianische Porto Alegre aufgerufen hatten mit VerreterInnen grosser sozialer transkontinentaler Bewegungen wie der in Lateinamerika, Afrika und Europa aktiven Bauernassoziation, <Via Campesina> und der brasilianischen Landlosenbewegung MST, mit einflussreichen Gewerkschaften, darunter die brasilanische CUT, die Koreanische Gewerkschaftszen­trale und die suedafrikanische COSATU, feministischen Gruppen, dem Weltmarsch der Frauen und zahlreichen Netzwerken wie <Friends of the Earth>, <Habitat>, der Internationalen Konfoederation der Gewerkschaften oder transform! Tatsaechlich stellen der Internationale Rat und das Weltsozialforum heute die breitesten weltweiten gegen den Neoliberalismus gerichteten Zusammenschlu­esse dar.

Sowie einige seiner profilierten Vertreter scheint auch der Internationale Rat als solcher in die Jahre gekommen: Intellektuelle sprechen zu <Leaders> sozialer Bewegungen und diese zu OrganisatorInnen von auch finanzstarker NGOs. Das verleiht den Debatten mitunter eine schwer verdauliche Betulichkeit. Doch die Sprechweise spiegelt auch die muehsam erarbeiteten Formen wider, in denen politische Uebereinstimmungen immer wieder neu erarbeitet werden. Demokratie von unten und quer zu bisherigen Grenzen politischer Kultur zu entwickeln, ist ein anspruchsvolles und immer fragiles Projekt. Am Leben erhalten wird der Prozess vor allem durch seine staendige Erweiterung, und insbesondere auch um die Erfahrungen, die neue Kraefte in ihn einbringen. Das Weltsozialforum in Belem wird in diesem Sinn durch drei entscheidende neue Impulse charakterisiert werden: die indigenen Bevoelkerungen – ein grosser Teil der 22 Millionen Menschen in den neun lateinamerika­nischen Staaten Amazoniens auf 2 Millionen Quadratkilometern lebend ist indigen – die zentrale Rolle, die den oekologischen Fragen zukommt und den Beitrag der Frauen.

Die gemeinsame Sitzung des Internationalen Rats und der Arbeitsgruppe des panamazonischen Sozialforums zur Vorbereitung des WSF wurde von der Vorsitzenden der Frauenassoziation geleitet, einleitend sprach fuer <Via Campesina> eine Companera aus Manaus. Die wortreichen Unterstuetzun­gserklaerungen der (maennlichen) Vertreter der Gemeinde von Belem, des Staats Para, in dessen Geschichte erstmals eine Frau, Ana Julia Carepa (PT) den GouverneurInnen­posten bekleidet und der Foederalregierung wurden freundlich und selbstbewusst zur Kenntnis genommen. Vor allem ist den Ansprachen der Politiker zu entnehmen, dass Infrastruktur und Logistik der Grossveranstaltung gesichert scheinen.

Die groesste Herausforderung ist allerdings ein kommunikatives und kulturelles Problem, das geloest werden muss. Es besteht in der Organisierung der Teilnahme der in den entlegenen Gebieten wohnenden indigenen Menschen. Die kulturellen Unterschiede zwischen ihnen machen auch diese Kommunikation schwierig. Eine Sprecherin der schwarzen Bevoelkerung verfweist auf ein anderes Problem: Ihre Bevoelkerungsgruppe lebe seit Generationen im Zustand einer Identitaetskrise. Erinnerten die weissen BrasilianerInnen ihre europaeische Herkunft und fuehlten sich als Abkoemmlinge portugiesischer, italienischer oder spanischer Immigation und bezoegen sich die Indigenen zumindest auf ihre Ethnie, so erleben die Schwarzen ihr Herkommen ausschliesslich als Entwurzelung. Wie die Sprache finden, um diese Menschen in den globalen Prozess der Foren zu involvieren?

<Wir wollen kein amazonisches Sozialforum mit internationaler Beteiligung> fuehrt die Vorsitzende aus, <aber wir wollen der Welt erklaeren, dass ueber ihre Zukunft in Amazonien entschieden wird.>

In dreitaegiger Debatte werden vom Internationalen Rat die ersten inhaltlichen und die organisatorischen Grundlagen fuer das im Jaenner 2009 stattfindende Weltsozialforum definiert. Der erste Tag wird den Rahmen fuer den Dialog der amanzonischen Sozialbewegungen mit der Welt bilden, der zweite und der dritte Tag wird fuer die von den TeilnehmerInnen selbst organsierten Veranstaltungen reserviert, und am vierten Tag sollen Vorschlaege fuer gemeinsame Aktionen und Projekte zusammengetragen und vereinbart werden.. Bereits in den kommenden Wochen wird die Debatte ueber die konkreten Inhalte ein internationaler Diskussionsprozess im Internet starten. Der fuer 26. Jaenner 2008 geplante internationale Aktionstag des Weltsozialforums, der in den einzelnen Regionen den vorhandenen Kraeften entsprechend in unterschiedlicher Form organisiert wird, soll eine kommunikative Offensive einleiten.

Im ersten Quartal 2008 wird dann der Internationale Rat eine erste Zusammenfassung der Debatte in Richtung auf einen detaillierten Ablauf erarbeiten.

http://www.forumsocialmundial.org.br/index.php
Download Broschüre (Achtung, 1,2 MB Dateigröße)

34. Parteitag der KPÖ


8./9. Dezember 2007 Installation in der Raummitte des Parteitages



KPÖ in Aktion - Partei in Bewegung


Der Parteitag der KPÖ in der Donaustadt wurde mit der Begrüßung der internationalen und österreichischen Gäste, der Ehrung langjähriger AktivistInnen und dem Gedenken an unsere Toten eröffnet.


Im folgenden die inhaltliche Beiträge, einige der zahlreichen Grußbotschaften und die beschlossenen Resolutionen.


Referat von KPÖ-Bundessprecher Mirko Messner