KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Nochmals: Gaza

Von Hanna Gerber (4.2.2009)

Inzwischen scheint wieder Ruhe in die internationale Berichterstattung eingekehrt. Der Gaza-Krieg unlängst ist schon kein Thema mehr, aufregend sind andere Dinge. Dieser Text also um gegen diese Un-Kultur des Vergessens anzuschreiben und den nahtlosen Übergang zur Tagesordnung. Und fast noch schlimmer: Gegen eine Un-Kultur der Ignoranz gegenüber Menschen, die nichts anderes sind als Opfer. Seit wann ist Identifikation mit dem Täter / Aggrssor eine politische Haltung und was tut diese Identifikation mit uns?

Unmittelbarer Anlass sind vor allem jene Debatten, die rund um den Konflikt in diversen e-Mail-Foren und im FreundInnenkreis geführt wurden.

Als österreichische Antifaschistin bin ich vorbehaltlos für die Existenz eines jüdischen Staates. Das Existenzrecht des Staates Israel ist nach dem Holocaust nicht außer Frage zu stellen. Vielleicht ist es – angesichts des noch immer grassierenden Antisemitismus in vielen Ländern – sogar notwendig, dass er größer als das heutige Israel ist. Mehrere Dinge sind allerdings zu bedenken, wenn frau das hier in Österreich als Nachgeborene der TäterInnengene­ration, als Historikerin und als linke Feministin sagt: Was sagt es über mich, wenn ich hier sitze, in meinem relativ sicheren Leben, und sage, dass der Staat Israel so groß und stark werden möge wie nötig, aber bitte, weit weg von mir und nicht auf meine Kosten? Weiß eigentlich jemand, warum nach 1945 niemand über die Option gesprochen hat, Israel auf deutschem oder österreichischem Territorium zu errichten? Das wäre doch historisch gerecht gewesen, wenngleich aus bestimmten Gründen nur eine sehr theoretische Option. Was ich sagen will, ist: Hier zu sitzen und die Verbrechen der gegenwärtigen israelischen Regierung zu verteidigen (und dass es Verbrechen waren, steht außer Frage), entbehrt nicht einer gewissen gewollten Blindheit, die im verdrängten Schuldgefühl der nachgeborenen, im antifaschistischen Sinne Erzogenen wurzelt. Dass wir uns gleichzeitig erneut mitschuldig machen, fällt dabei gar nicht mehr auf. Das war nicht immer so und Solidarität mit den PalästinenserInnen hatte auch nicht immer den Geruch des Antisemitismus.

Ich bin alt genug zu wissen, dass österreichische PolitikerInnen und Intellektuelle in der Kreisky-Ära sich besonders um Solidarität mit den PalästinenserInnen bemüht haben: Die Söhne (vielleicht auch vereinzelte Töchter) aus vertriebenen palästinensischen Familien durften in Österreich mit einem staatlichen Stipendium studieren, Charlotte Teuber-Weckersdorf (eine Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Wien) war aktiv engagiert in der Solidaritätsarbeit für Palästina, hat Gelder für Krankenhäuser und Schulen dort gesammelt usw. Denn nicht erst seit kurzem ist die humanitäre Situation, in der die palästinensische Zivilbevölkerung lebt, eine katastrophale.

Nur weil der Standard sich auf die Seite der KriegstreiberInnen geschlagen hat, macht das seine Berichterstattung in dieser Frage nicht richtiger. Die Frage, die gestellt werden müsste, ist vielmehr, warum es immer leichter fällt – und das seit über 50 Jahren – Geld in Waffen zu stecken und den bewaffneten Konflikt am Brodeln zu halten als in Konfliktprävention und -lösung, in einen moderierten Dialog unter Schirmherrschaft der UNO zu investieren, der die Würde aller Beteiligten wahrt. Dass es den PalästinenserInnen so schwer fällt, das Existenzrecht des Staates Israel zu akzeptieren – obwohl das ja mittlerweile die Position der Fatah ist – hat damit zu tun, dass von ihnen verlangt wird, ihre entschädigungslose Vertreibung einfach hinzunehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es auf dieser Welt heute keine anderen Mittel und Wege gibt, zu einer Lösung zu kommen, als diesen Zustand der Ungerechtigkeit zu perpetuieren – und unsere Ignoranz und Verblendung durch einen vermeintlichen antifaschistischen und aufgeklärten Diskurs, der in Wahrheit islamophob, vorurteilsbehaftet und eurozentristisch ist, helfen da leider gar nicht weiter.

Zum Argument, die Hamas tritt Frauenrechte mit Füßen: Das fällt genau in diese Kategorie. Schon zu Zeiten des Afghanistan-Krieges wurde dieses Argument ins Treffen geführt, z.B., von konservativen amerikanischen Feministinnen wie Phyllis Chesler, wohlweislich ignorierend, dass die Taliban nur mit Hilfe der USA etabliert worden waren, um deren geopolitischen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen (Parallelen zur Etablierung der Hamas als Gegenkraft zur Fatah sind nicht rein zufällig). Es handelt sich bei diesem Argument nur um die Instrumentali­sierung der Forderung nach Frauenrechten zur Legitimierung von Kriegen.

Fragen, die im Zusammenhang mit der Stärke der Hamas zu stellen wären, wären andere: Wie kam es zu diesem erstarken religiös fundamentalis­tischer Kräfte? Warum sitzt Marwan Barghouti noch immer im Gefängnis? Warum ist Mahmoud Abbas der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde und nicht Barghouti?

Hat sich eineR schon mal gefragt, wo in der Medienberichter­stattung die Stimmen israelischer KriegsgegnerInnen blieben? Es gibt z.B. ein ganzes Netzwerk von Frauenorganisa­tionen in israel (<LEX>Israelisches Frauennetzwerk gegen den Krieg</LEX>), das sich für eine Einstellung des Angriffs- und Okkupationskrieges ausgesprochen hat. Von wegen: Israel hätte keine Option gehabt usw. Ich halte diese als Phantasielosigkeit verkleidete Parteinahme für ein einem patriarchalen Diskurs auf den Leim gehen. Konflikte auf diese Art und Weise zu lösen ist zutiefst Menschen und Frauen verachtend, es sind Männer, die die Gelder für die Waffenproduktion und -käufe haben und die Waffen einsetzen und die der Welt einreden, wenn ein paar Kinder umkommen, seien dies angesichts der Notwendigkeiten zu verschmerzende Kollateralschäden.

Aus vielen Jahren Solidaritätsarbeit hab ich eines gelernt: Es ist wichtig zu wissen, wer die BündispartnerInnen sind, mit denen wir zusammenarbeiten und auf die wir uns beziehen / berufen. Die rechtsgerichtete israelische Regierung gehört nicht zu diesen.

Zu den Bildern des Schreckens, die wir gesehen und die uns angeblich überflutet haben: Ich glaube, wir sahen die Bilder des wirklichen Schreckens genau nicht.

Zum Argument, dass in Afrika in Kriegen täglich mehr Menschen umkommen als bisher in Gaza und dass die GegnerInnen des Krieges in Nahost dies nicht thematisierten: Israel-Palästina ist auch ein von den Medien selektiv hochgespielter Konflikt, in dem die Stärke der Bush-Regierung ein letztes Mal demonstriert wurde. Konflikte in Afrika sind weit nicht so publikumswirksam. Im Zusammenhang mit den Kriegen in Afrika stellen sich natürlich mehrere Fragen: Wer liefert die Waffen an die Kriegsparteien? In wessen Interesse ist die Unterstützung der einen Partei und nicht der anderen, z.B. im Kongo? Was hat das mit Europa, unserer Lebensweise, mit dem Erbe des Kolonialismus zu tun? Warum besteht kein Interesse von Seiten der Medien, über die afrikanischen Konflikte einen Diskurs loszutreten? Wir diskutieren hier ja nur, weil die Medien über Gaza berichtet haben. In dieser Frage halte ich es mit Jean Ziegler – bis vor kurzem UN-Sonderberichter­statter für das Recht auf Nahrung und bekannt für Aussagen wie: „Die Weltlandwirtschaft könnte problemlos 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet“ und „heute stirbt … alle 7 Sekunden ein Kind unter zehn Jahren an Hunger oder an mit Unterernährung verknüpften Krankheiten. Im Jahr 2005 hat der Hunger mehr Menschen getötet als alle in diesem Jahr geführten Kriege zusammen“ – der deutlich ausspricht, was Sache ist und warum dieses kapitalistische System weltweit einer anderen Wirtschaftsordnung weichen muss. Die Kriege in Afrika haben mit der Aufrechterhaltung der Ausbeutungsver­hältnisse zwischen Nord und Süd, mit der Etablierung von kooperationsbe­reiten Machteliten zu tun, wie unser gesamtes „Migrationsproblem“ und die Schengen-Grenze.

Wer während der Zeit der Angriffe auf Gaza an einer der Demos für eine Einstellung der Kampfhandlungen in Nahost teilgenommen hat, konnte Interessantes erleben: Frau wurde von einer marokkanischen Feministin angesprochen, die sich gegen Gewalt an Frauen in Marokko engagiert und an Kooperation mit Feministinnen hierzulande interessiert ist. Zwei weinende alte palästinensische Männer umarmten einander am Rande der Demo. Ein österreichischer Passant meinte zu einem Demonstranten, er solle dorthin gehen, wo er herkommt und dort herumschreien (woraufhin die Donnerstagsdemo-geschulte Frau nur antworten konnte: Entschuldigen Sie, was sagen Sie da? Er kommt doch von hier). Ein Transparent (getragen von zwei Männern aus Afghanistan) trug die Aufschrift: „Gerechtigkeit ist unser Ziel, vom Euphrat bis zum Nil“. Kopftücher tragende Frauen riefen „Kindermörder Israel“. Junge moslemische Frauen gingen in kleinen Gruppen und skandierten lauthals Parolen.

Was ich mit alledem sagen will, ist, dass die Dinge nicht nur schwarz und weiß sind und dass auch die moslemische Realität komplexer ist als wir sie gemeinhin wahrzunehmen geneigt sind, insbesondere auch, was das Leben von Frauen betrifft.

Und dass es wichtig ist, sich zu positionieren, bevor frau zu den Alltagsgeschäften übergeht.

Übrigens nicht zu vergessen: Wir leben in einem Land, in dem ein Buch über den unlängst zu Tode gekommenen heimischen Hassprediger Nummer eins und eine DVD, auf der eben dieser singend der deutschtümelnden Kultur huldigt, mehrere Wochen lang die Bestsellerlisten anführten.

Auf Grund all dessen fordere ich, dass …

… G.W. Bush, E. Olmert, E. Barak und T. Livni vor ein Kriegsverbrecher­tribunal gestellt werden;

… Waffenlieferungen an Israel ebenso wie die Hamas einzustellen sind;

… Friedensgespräche aufgenommen werden, die alle Konfliktparteien und auch jene Staaten, die (direkt oder indirekt) am Entstehen Israels Teil hatten, mit einbezieht.

Zum Nachdenken auch folgendes Gedicht von Erich Fried:

Worauf es ankommt

Es kommt im Augenblick nicht darauf an wann es war dass die Unterdrückerregierung in Israel sich verwandelt hat in eine Verbrecherregierung Aber es kommt darauf an zu erkennen dass sie jetzt eine Verbrecherregierung ist Es kommt auch nicht mehr darauf an darüber zu streiten nach welchem Vorbild sie ihre Verbrechen begeht Diese Verbrechen selbst tragen sichtbar die Spur ihres Vorbilds Aber es kommt darauf an nicht nur klagend oder erstaunt den Kopf zu schütteln über diese Verbrechen sondern endlich etwas dagegen zu tun Es kommt nicht darauf an was man ist Moslem, Christ, Jude, Freigeist: Ein Mensch der ein Mensch ist kann nicht schweigen zu dem was geschieht