KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Nun also Belgien!

Von Andreas Wehr (20.12.2007)

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die sich in ihren bisherigen Berichten über das Auf und Ab in der sich nun schon seit einem halben Jahr hinziehenden belgischen Regierungskrise mal belustigt, mal mäßig besorgt zeigte, sprach jetzt ihr Verdikt: „Das Ende von Belgien“, ausdrücklich ohne ein Fragezeichen versehen, lautete die Überschrift eines Zweispalters von Dirk Schümer im Feuilleton vom 14. Dezember 2007 (siehe die Dokumentation der wichtigsten Passagen des Artikels in Link). Ganz so, als sei dieses Ende bereits eingetreten. Und genau so ist es auch gemeint. Zwar wird dem Gesamtstaat eine Gnadenfrist eingeräumt, da diesmal „der landestypische Kompromiß“ wohl noch mal erzielt werde. Doch der kann nach Schümer nur „der letzte sein“ Und so macht sich der Autor bereits Gedanken darüber, was aus Brüssel, dem Königshaus und der „maroden Wallonie“ anschließend werden soll.

Daß tatsächlich nur wenige im Land, bei aller Gereiztheit und Ratlosigkeit über die nicht endenwollende Regierungskrise, ernsthaft über eine Scheidung nachdenken, ist für Schümer nebensächlich: „Zwar spricht sich nur eine Minderheit von weniger als zwanzig Prozent der Belgier für eine sofortige Teilung aus, doch dürfte die Spaltung auf mittlere Sicht gar nicht mehr zu verhindern sein (…)“. So ist denn auch die Schwarz-Gelb-Rote Trikolore in immer mehr Fenstern des Landes nur eine „nostalgische Mode“. Daß die in Europa einflussreiche Frankfurter Allgemeine mit Sympathie über eine Auflösung des Nachbarstaats schreibt, wird von den flämischen Separatisten aufmerksam registriert und zu Recht als Ermutigung verstanden werden.

Wie bereits zuvor bei der Zerstörung Jugoslawiens, der Auflösung der Sowjetunion und der Teilung der Tschechoslowakei ist auch jetzt wieder die Rede von einem „Kunststaat“, der zu Recht untergehe. Laut FAZ soll auch „Belgien als lukratives Kunstprodukt erschaffen“ worden sein und „zwar von einem kleinen Kreis reicher Kulturfranzosen“. Da kann man nur stauen! Nicht etwa das von oben zusammengezimmerte, auf mittelalterlichen Dynastien errichtete und mit Hilfe eines Krieges aus der Taufe gehobene Bismarcksche Deutsche Reich war ein Kunststaat, nein, dies soll vielmehr das vierzig Jahre zuvor gegründete Belgien sein. Und so zählen die seinerzeit beispiellose liberale und moderne Verfassung und die dort gelebten Freiheitsrechte des 1830 gegründeten, ersten wirklich bürgerlichen Staates Europas nichts. Ein natürlicher und eben nicht „künstlicher“ Staat ist nach Meinung Schümers offensichtlich nur einer, der sich durch einheitliche Sprache, ethnische Geschlossenheit und auch Blutsverwandtschaft der Stämme auszeichnet. Dies ist klassisch romantisch, durch und durch reaktionär und leider auch sehr deutsch. Wir wissen, wohin das bei uns geführt hat. Erst nach dem Zusammenbruch des Wilhelminischen Reiches konnte Deutschland – gut neunzig (!) Jahre nach Gründung Belgiens – an jene dort vorweggenommene Entwicklung endlich anknüpfen.

„Kunststaaten“ wären nach diesem Maßstab übrigens die meisten Länder der Welt. Und so ist das herbeigeschriebene Schicksal Belgiens denn auch nur ein Menetekel für Kommendes. In der Ankündigung des FAZ-Artikels heißt es: „Ein Staat zerfällt. Dieses Szenario werden wir bald noch häufiger erleben, bei den Schotten, den Kosovaren, auch den Südtirolern.“

Was zerreißt nun auch westeuropäische Staaten in einem historischen Augenblick, in dem sich doch Europa angeblich gerade vereint? Es ist genau jener europäische Einigungsprozess, der ja nichts anderes ist als ein Ein- und Unterordnungspro­zess in das System der Globalisierung, der die Nationalstaaten sprengt. Lange war angenommen worden, daß die Grundfreiheiten der EU, der freie Waren-, Personen-, Dienstleitungs- und Kapitalverkehr allein die Mitgliedstaaten in einen erbarmungslosen Standortnatio­nalismus treibt. Nun machen sich auch die reichen Regionen dieser Länder auf, die innerstaatliche Solidarität aufzukündigen und notleidende Gebiete abzuschütteln. Im erbarmungslosen Kampf der Regionen jede gegen jede wird innerstaatliche Solidarität zu einem Luxus. In Belgien ist es Flandern, das dem „maroden Wallonien“ angeblich „die Renten- und Sozialkassen alimentiert“. Die Schotten wollen die Einnahmen aus dem Nordseeöl nicht länger teilen, die Anhänger der italienischen Lega Nord nicht für den armen Süden zahlen und die reichen Katalonen fühlen sich eh als ein eigenständiges Mittelmeervolk. Die Liste ließe sich um einige Kandidaten verlängern, auch um deutsche. „Aus deutscher Perspektive zeigt der Verfall Belgiens, dass eine Nation mit eingebautem Wohlstandsgefälle nur schwer überlebt“, resümiert Dirk Schümer. Und die FAZ weist schon mal den Weg: „Diese wohlhabenden Entitäten, denen der Nationalstaat des vorigen Jahrhunderts zu eng geworden wird, eint der Wille, nach dem Loswerden der Zentralmacht und einer angepeilten ‚Unabhängigkeit‘ schnellstmöglich der EU beizutreten.“ Und so könnten statt der heute 27 bald 40 oder gar 50 Staaten diese Union bilden. Das internationale Monopolkapital wird es freuen, sind doch solche Kleinstaaten Wachs in ihren Händen.

Der Kapitalismus neoliberalen Zuschnitts macht sich auf, die Landkarte Europas neu zu zeichnen. Die nationalen Bourgeoisien sind an großen und einheitlichen Territorien immer weniger interessiert, spielen doch Grenzen dank der EU-Binnenmarktfre­iheiten für den ungehinderten Kapital- und Warenfluss keine Rolle mehr. Doch Nationalstaaten sind nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in harten Klassenauseinan­dersetzungen und unter dem Eindruck des Vorbilds des Ostens auch Sozialstaaten geworden. In ihnen wird Solidarität durch den Transfer erheblicher Mittel zugunsten notleidender Regionen geübt. Dafür ist die EU kein Ersatz. Der Kampf für den Erhalt des Nationalstaats ist daher in erster Linie eine soziale Auseinandersetzung. Traditionelle und liebgewordene antietastische Sichtweisen trüben in diesem Kampf nur den Blick auf die wirklichen Gefahren.

zitierter Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Kommunistische Partei Belgien Pétition: Sauvons la solidarité Sichern wir die Solidarität Wir sind Wallonen, Brüsseler oder Flamen, wir sind BürgerInnen der Welt. Wir wollen nicht, dass eine neue Mauer zwischen den Menschen entsteht, zwischen den Regionen und den Ländern. Wir wollen nicht, dass das grundsätzliche Prinzip der Solidarität ersetzt wird, durch jenes der Konkurrenz und des Egoismus. Belgien: Vor jugoslawischen Verhältnissen?
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Samstag, 20. April 2013
10 Uhr
Eröffnung und Begrüßung

10:30 Uhr
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Publikumsdiskussion

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Inputs - Österreich
Publikumsdiskussison

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