(18.10.2010)
Politisches Aktionsprogramm der Partei der Europäischen Linken 2011 2013
Leitantrag des EL-Vorstandes an den 3. EL-Parteitag
Paris, 3. – 5. Dezember 2010
Gemeinsame Aktionsplattform für Widerstand und Alternativen in Europa
Der 3. Parteitag der Europäischen Linken findet zu einer Zeit statt, da den Menschen in Europa immer mehr unerträgliche Zumutungen abverlangt werden. Mehrheitlich werden in den europäischen Ländern Programme zur Begrenzung der öffentlichen Ausgaben eingeleitet, Supersparkurse gefahren, öffentliche Dienstleistung privatisiert und der Arbeitsmarkt zerstört. Um diese Politik als allgemein gültig zu verfestigen, werden die Länder mit vollster Unterstützung ihrer Regierungen einer Vormundschaft durch die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und andere Institutionen wie dem IWF unterstellt.
Diese Politik wird als notwendige Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise dargestellt. Die Krise jedoch ist eine Krise der Vorherrschaft der Märkte und des Großkapitals, eine globale und eine Krise des heutigen Kapitalismus und seiner Finanzmärkte. Diese Krise wirkt sich auch auf die Umwelt, Energie, Lebensmittel, die kulturellen und moralischen Werte aus. Deshalb zeigt sich die Krise auf allen politischen Ebenen und in allen Gesellschaften, die der vorherrschenden kapitalistischen Produktionsweise unterliegen. Sie zeigt sich innerhalb der europäischen Verfasstheit, ihrer aktuellen Orientierungen, in der neoliberaler Politik ihren Institutionen.
Die gegenwärtige Schuldenkrise stellt eine neuerliche Phase der andauernden Krise dar. Ihre Wurzeln liegen in den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der letzten 30 Jahre. Die Verflechtung der vielfältigen Ursachen der Krise beeinträchtigt nun mehr und mehr das tägliche Leben der Menschen.
Wir, die Partei der Europäischen Linken, lehnen gemeinsam mit anderen sozialistischen, kommunistischen und rot-grünen Parteien und Organisationen als Plurale Linke diese in der EU durch eine Reihe von Verträgen bis hin zum Lissaboner Vertrag verordnete neoliberale Politik und ihre Strukturen ab.
Die Verantwortung für diese Politik liegt bei der großen Koalition der europäischen konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Parteien, die Europa und die europäischen Länder in dieser Zeit regiert haben. Wir wollen eine politische Alternative zum neoliberalen Modell schaffen. Angesichts der weit verbreiteten Sparkurse entwickelt sich überall in Europa Widerstand. Die große Herausforderung für die Linke ist, diesen Widerstand zu organisieren, mögliche Alternativen abzustecken und aus diesen Protesten eine Bewegung für eine alternative solidarische Zivilisationslogik zu formen. Wir tun das im Namen eines sozialen, ökologischen und friedlichen Europas.
Ein immer strikteres Festhalten am Stabilitätspakt und der auf Strukturanpassungsprogrammen des IWF aufbauenden Strategie Europa 2020 wird die Krise nicht überwinden; im Gegenteil, Verwerfungen, Spannungen, der Autoritarismus und die sozialen Ungleichheit werden sich in Zukunft verschärfen. Es besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft kollabiert, Armut und prekäre Arbeitsverhältnisse massiv zunehmen, das Gesellschaftsmodell und die europäische Zivilisation zerstört werden. Es besteht die Gefahr einer fortgesetzten Krise der Eurozone abgesehen von den unüberwindlichen Problemen, die anderen Ländern wie Großbritannien, Ungarn, Rumänien oder den baltischen Staaten aufgebürdet werden. Eine gefährliche Unfähigkeit, sich mit den Herausforderungen der ökonomischen Frage auseinanderzusetzen, wird offensichtlich. Es besteht die ernste Gefahr, dass die Demokratie stranguliert, eine durch die Interessen des Marktes diktierte Beschränkung auf effiziente Regierungsführung in den Mitgliedsstaaten walten und die Leitung der Volkswirtschaften durch die Europäische Kommission, die EZB und den IWF installiert wird.
Es existiert längst ein handfestes Risiko, dass sich die Legitimitätskrise innerhalb der EU verstärkt, dass sich der Impuls für den demokratischen Gedanken Europas und für Solidarität unter den Verachteten, Ausgestoßenen und Verleugneten abschwächt. Das betrifft die Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer Rechte und Freiheiten, die Fähigkeit, ihre Geschicke selbst zu bestimmen. Stattdessen sind eine extreme Rechte und deren ultranationalistische, ausländerfeindliche und rassistische Ideen am Wachsen.
Die Gefahren für das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung und nationaler Minderheiten in der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten wachsen, und die Chancen für wirkliche Gleichheit von Frau und Mann stehen unter argem Druck. Dies schließt tendenziell auch drastische Rückschritte bei bereits erreichter Geschlechterdemokratie und Nichtdiskriminierung aller Minderheiten innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus ein.
Nicht die Menschen in Europa, die Arbeitenden und Arbeitslosen, die Lernenden und die in Ausbildung stehenden Jugendlichen, die Älteren, Frauen und Kinder, Kranken oder Behinderten, Armen oder der Mittelschicht Angehörenden sollten für diese Krise bezahlen. Nein, wir betonen: Die Zeit für einen radikalen Politikwechsel ist gekommen. Dieser Kurswechsel muss sicherstellen, dass die Verantwortlichen für die Krise auch zum Begleichen der Kosten der Krise herangezogen werden. Nachhaltige Regularien müssen entwickelt werden, die das Bank- und Kreditsystem unter öffentliche Kontrolle stellen und ihm eine Umorientierung auf soziale und ökologische Ziele verordnen. Konkrete Schritte können und sollen unternommen werden, um die EU-Politik und die Regierungen aus den Klauen der Finanzmärkte zu lösen, damit die Profitlogik in eine neue Logik der auf sozialer Gerechtigkeit und nachhaltiger Ökologie beruhenden menschlichen Entwicklung umgewandelt werden kann.
Das ist ein realistischer Weg. Das ist ein Herangehen im Interesse der europäischen Länder und ihrer Völker. Mit dem konstruktiven Willen, Alternativen zu formulieren, um mit den Menschen in einen breit angelegten Dialog zu treten und den gemeinsamen Kampf zu organisieren, unterbreiten wir die unsere Vorschläge. Sie folgen keiner Friss-Vogel-oder-stirb-Logik. Sie sind geeignet, Schritte auf dem Weg hin zu den Notwendigkeiten zu entwickeln, die von allen politischen und gesellschaftlichen Kräften und den Menschen in Europa im Dialog mitentwickelt werden sollen.
1. Es ist Zeit für eine radikale Demokratisierung der europäischen Politik
Diese Krise ist auch eine Krise der Demokratie. Allzu oft werden wichtige Entscheidungen über die Köpfe der arbeitenden Menschen hinweg getroffen. Diese glauben, dass die EU eine weit entfernte, unergründliche und interventionistische Konstruktion ist, die ihre Bedürfnisse und Hoffnungen ignoriert. Ein Wechsel in der Außen-, Umwelt, Sozial- und Wirtschaftspolitik der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bedeutet, einen auf aktiver Teilhabe der Menschen, der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments beruhenden neuen demokratischen Prozess in Gang zu setzen mit neuen Interventionsrechten und Rechten für die Arbeiter. Wir stehen für demokratische Republiken mit Verhältniswahlrecht. Dieser demokratische Wandlungsprozess muss die europäischen Institutionen wie auch die Politik der EU und aller anderen europäischen Länder betreffen. Wir kämpfen für eine demokratische Neubegründung Europas und der Europäischen Union.
Viele Menschen sehen in der wachsenden Armut in der Gesellschaft und in den Ungleichheiten ein Versagen der Europäischen Union. Wenn die Europäische Union nicht in der Lage ist, der Spekulation Einhalt zu gebieten, wer dann? Nationale und eurozentrische Lösungen, die sich gegen die Interessen anderer Völker in Europa und weltweit richten, schaffen keine soziale Gleichheit. Ohne Solidarität und Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg wird es uns nicht möglich sein, die Politik der Zukunft zu gestalten. Wir glauben, dass soziale Verantwortung nur aus Zusammenarbeit und nicht aus Konkurrenz erwächst.
Demonstrationen, Streiks und andere Formen des Protests durch die Arbeiterschaft, durch Studierende, Menschen in ländlichen Regionen, durch Rentnerinnen und Rentner überall in Europa zeigen, dass der Widerstand gegen die brutalen Sparmaßnahmen wächst. Immer mehr Menschen fordern, dass für die Menschen ein Ausweg aus der Krise, für die Umwelt und sozialen Zusammenhalt, Vollbeschäftigung, menschenwürdige Löhne und Renten, Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitssystem und anderen gesellschaftlichen Systemen sichert. Die Proteste werden jedoch langfristig ohne europaweite politische Aktionen und tiefgreifende Veränderungen in der europäischen Politik und deren Institutionen die oft unter dem Motto Ein anderes Europa ist möglich standen nicht von Erfolg gekrönt sein. Die Europäische Linke wird aktiv werden, um die Anziehungskraft sinnvoller Alternativen für ein soziales, demokratisches, ökologisches und friedliches Europa zu verbessern. Viele Menschen auch außerhalb Europas betrachten die Veränderungen hin zu einer neuen kooperativen, auf Solidarität, ökologischen Grundsätzen und Geschlechtergleichheit begründeten Entwicklungsweise als erstrebenswerte, notwendige und konkrete Alternative.
Die Menschheit ist darauf angewiesen, ihre Produktionsweise und den Naturreichtum mit Umsicht zu nutzen statt ihn aufzubrauchen, auszubeuten und zu zerstören. Sauberes Wasser, ein hoher Bildungsstandard, Selbstständigkeit, menschenwürdige Arbeit, Gesundheitsfürsorge, interkultureller Dialog, moderne Kommunikation und Mobilität sind keine Luxusgüter, sondern soziale Rechte, die zu garantieren sind. Trotzdem wird vielen Menschen der Zugang zu den grundlegenden sozialen und öffentlichen Dienstleistungen verwehrt.
Die Partei der Europäischen Linken macht sich stark für eine demokratische alternative Politik, um die Situation auf jeder Ebene der örtlichen, nationalen, europäischen und globalen zu verändern. Dabei sind wir auf der Suche nach Partnern: politische Kräfte, Gewerkschaften und gesellschaftliche Bewegungen, also jene, die meinen, ein anderes Europa sei möglich. Das bedeutet, wir wollen dem Neoliberalismus auf nationaler und europäischer Ebene politisch und sozial die Stirn bieten. Wir wollen die Mehrheit für dieses Ziel gewinnen. Aus diesen Gründen ist die Europäische Linke Teil der Mobilisierungen und beteiligt sich am Dialog mit anderen politischen Kräften, den Gewerkschaften, der Friedensbewegung, Verbraucherverbänden, Umweltgruppen, Aktivisten für Gleichberechtigung und gegen Rassismus, kritische Wissenschaftler und IT-Spezialisten, Aktivisten der Sozialforen, Bildungs- und kulturellen Verbänden. Zusammen mit gesellschaftlichen Akteuren, die sich in der Industrie, der Landwirtschaft und beim Verteidigen der öffentlichen Daseinsfürsorge engagieren, wollen wir einen Beitrag zur Verwirklichung aller politischen und sozialen Rechte der Menschen leisten und ein weltoffenes Europa mitbestimmen. Wir arbeiten für die gemeinsamen Rechte der Menschen ungeachtet ihrer Nationalität, Hautfarbe, ihres Geschlechts und ihrer Sprache.
Der Export eines Herrschaftsmodells über Menschheit und Natur, das jedes Lied und jeden Tropfen Wasser lediglich als Dollarzeichen sieht, hat diese Welt weder sicherer noch menschlicher gemacht. Die Freiheit des Einzelnen rechtfertigt weder das Recht des Stärkeren noch das uneingeschränkte Diktat des Marktes. Die Zweckentfremdung des wissenschaftlich-technologischen Fortschritts in einem Innovationstrend zur Profitmaximierung des Finanzmarktkapitalismus gefährdet unser aller Zukunft. Der Geist des freien Wettbewerbs, der Privatisierung und Deregulierung ist nach dem Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus zum politisch entscheidenden Faktor geworden. Die Grundsätze des Denkens in der europäischen Nachkriegszeit wie soziale, wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit und eine ernsthaft in gegenseitigem Interesse verfolgte friedliche Außen- und Sicherheitspolitik wurden weiter ausgehöhlt.
Mit dem einheitlichen Binnenmarkt – modelliert nach dem Maastrichter Vertrag und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt wurden Ende der 1980er und in den 1990er Jahren die Weichen gestellt für Lohn- und Sozialdumping an Stelle der Stärkung der öffentlichen Daseinsfürsorge.
Unsere öffentlichen Institutionen sind das Rückgrat der Demokratie, sei es in der Bildung, dem Gesundheitswesen, dem Verkehr oder der Kultur, damit sie der regionalen Wirtschaft Kredite gewähren oder den Zugang zur Energieversorgung auf örtlicher Ebene gewährleisten. Gleichzeitig aber bleiben die enormen Probleme der Beschäftigung, Armut, sozialen Ungleichheit und der europäischen Landwirtschaft selbst bei Erweiterung der Union ungelöst.
Kritische Fragen wie Energiesicherheit, Klimawandel und freier Zugang zu Kommunikation und Informationsnetzwerken sind gleichermaßen weiter problematisch. Es ist Zeit, den Parlamenten auf nationaler und europäischer Ebene in der Gesetzgebung und der demokratischen Kontrolle eine wichtigere Rolle zuzuweisen.
Die Krise des Kapitalismus und dessen neoliberales Management, sein imperialistisches System, die Militarisierung und die damit verbundenen ultrasektiererischen Strategien haben die internationalen Beziehungen zutiefst beeinflusst und verändern Grenzen, an die ein ausbeuterisches, räuberisches und auf Dominanz gerichtetes System gestoßen ist und welche auf breiter Front nach radikalem demokratischem Wandel verlangen.
Andererseits kommt der vielschichtigen Krise eine Katalysatorrolle bei der Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses zu, wobei die US-Hegemonie immer mehr in Frage gestellt wird, während Ländern außerhalb der sogenannten entwickelten Welt wie China, Indien, Brasilien etc. eine zentrale Rolle zukommt. Jenseits der Abhängigkeit von den USA muss die Europäische Union zum selbstsicheren Akteur in einer Welt der gegenseitigen Achtung und der Zusammenarbeit werden.
2. Wir zahlen nicht für eure Krise
Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise ist wie eine Bugwelle über die ungelösten Probleme der Menschheit hinweggefegt. Während der vergangenen zwei Jahre haben die Regierungen der dominanten Mächte, angeführt von denen der G 8, das globale Finanzsystem mit enormen Summen öffentlicher Gelder am Leben erhalten. Sie haben die Rolle der Retter eines kollabierenden globalen Finanzmarktes übernommen. Dabei blieben sie gleichgültig gegenüber anwachsender Armut und den Herausforderungen des Klimawandels. Die Schulden der öffentlichen Hand haben Rekordniveau erreicht. Die schlimmste Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahrzehnte ist nicht im Geringsten vorüber. Die Regierenden haben weder die nun außer Kontrolle geratenen internationalen Finanzmärkte noch die globale Wirtschaftsordnung in Frage gestellt. Es gibt keinerlei Regularien gegen die Währungsspekulation, die Spekulation mit Lebensmitteln oder lebenswichtigen Gütern. Die keinesfalls überwundene Krise des Finanz- und Wirtschaftssystems entwickelt sich zu einem Sicherheitsrisiko für das tägliche Leben und für das friedliche Miteinander der Länder.
Europa und die Europäische Union stecken ebenfalls mitten in der Krise. Millionen von Arbeitsplätzen sind verschwunden oder bedroht. Andererseits müssen in wachsendem Ausmaß Menschen mehr als eine Beschäftigung annehmen, um leben zu können. Unsichere Arbeitsplätze und Flexibilisierung der Arbeit werden zur bitteren Realität. Soziale Probleme nehmen zu. Wirksame Maßnahmen, diejenigen haftbar zu machen, die die Finanzkrise verursacht haben, stehen bei der Europäischen Union immer noch aus. Die nationalen Regierungen halten sich ebenfalls zurück, die Finanzspekulanten bei der Lösung der Krise heranzuziehen, etwa durch Abschöpfen der Vermögensgewinne. Damit ist ihre Antwort klar. Der Steuerzahler und die Bevölkerung hauptsächlich der ärmsten Länder der Eurozone sollen die Kosten der Finanzkrise tragen. Die Ursachen für die dramatische Verschuldung der Länder insbesondere Ost- und Südeuropas, aber auch Irlands, Großbritanniens, Islands und der Baltischen Staaten liegen gleichfalls in der europäischen Politik. Doch nun sollen die Länder die Konsequenzen alleine tragen. Dabei müssen sie auf dringend benötigte Investitionen in Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung verzichten und weitere Einschnitte in ihren Sozialsystemen und im öffentlichen Sektor vornehmen. Die Sanierung der öffentlichen Infrastruktur muss warten. Damit produziert man die Probleme von Morgen. So wird verschleiert, dass in den reicheren Mitgliedsstaaten jahrelang katastrophales Lohndumping betrieben wurde und der daraus entstehende Druck mit politischen Fehlentscheidungen beantwortet wurde. Das Versagen der Politik in den eher gefährdeten Ländern ist das Spiegelbild der exklusiven Orientierung auf Auslagerung und Export in den größeren Ländern. Höhere Löhne würden auch die großen Länder vor dem Strudel finanzieller Instabilität und den Staatsdefiziten von Morgen bewahren; sie stehen vor der Notwendigkeit, soziale Klauseln gegen Dumping im internationalen Handel durchzusetzen. Die vorherrschende Politik und die Konzentration auf niedrige Löhne ziehen weiterhin das Dogma des Wettbewerbs durch niedrigere Sozialausgaben vor.
Nun muss jeder die Hilfspakete für die Banken zahlen; aber der Einfluss der Menschen auf andere politische Handlungsoptionen ist eingeschränkt, wohingegen jene, die die Krise verursacht haben, verschont bleiben. Der Glaube, dass die Verstaatlichung von Banken eine Art sozialistische Gotteslästerung ist, wurde erschüttert. Die Staaten haben die Bankhäuser unter ihre Fittiche genommen, und einige von ihnen sind schon wieder im Geschäft und machen respektable Gewinne. Der Einfluss der Regierungen erstreckt sich jedoch nur auf eine Rettung der Banken, die den Bankern ihr Einkommen sichert. Eine angemessene Umverteilung des Reichtums ist nicht in Sicht. Im Großen und Ganzen verstaatlichen die jetzigen Regierungen, ohne Schritte zur Erweiterung des demokratischen Einflusses und der Kontrolle zu unternehmen. Damit verstaatlichen sie lediglich die Verluste durch mehr staatliche Schulden, unzureichende Investitionen und höhere Gebühren. Sie tragen schon jetzt für alle möglichen ungelösten sozialen Probleme die Verantwortung.
Diese derzeitige Regulierung dient den Interessen des Finanzkapitals und nicht den Interessen der Mehrheit. Der vorherrschende politische Kurs kennt nur eine Antwort auf die Krise: plündern der Staatssäckel und mehr Ausbeutung der Arbeitenden. Er ist Teil des Klassenkampfes von oben und schreckt nicht davor zurück, Bezieher und Bezieherinnen kleiner Einkommen gegen Menschen auszuspielen, die auf soziale Transferleistungen angewiesen sind und beide gegen Immigranten und Flüchtlinge.
Wir sind überzeugt, dass die Mehrzahl der Menschen für die Kampagne für sozial gerechte, ökologisch nachhaltige, demokratische, friedliche und solidarische europäische Politik gewonnen werden kann, und veröffentlichen deshalb andere Vorschläge zur Bewältigung der Finanzkrise.
2.1. Krise wirksam bekämpfen jetzt!
Die Europäische Union und die europäischen Staaten müssen sich der Zusammenarbeit zuwenden und zur Reform des europäischen und internationalen Währungssystems beitragen. Wichtige strategische Bereiche wie das Bankensystem sollen auf der Grundlage gesellschaftlichen Eigentums und dessen demokratischer Kontrolle und öffentlichen Zugangs organisiert werden. Im neoliberalen Europa wurden wir Zeuge des generellen Angriffs auf die Rechte der Arbeiterschaft und deren Löhne. Die Europäische Linke kämpft gegen Sozialdumping. Wir wollen alle Bewegungen unterstützen, die sich aktiv gegen die Strategie des Ausspielens Armer gegen Arme wenden. Wir unterstützen die Arbeiter überall in Europa in ihrem Kampf für eine Umverteilung der Einkommen, gegen Massenarbeitslosigkeit und unsichere Arbeitsplätze. Wir müssen unsere Schlagkraft für soziale und Klassenkonflikte in Europa stärken, um soziale Rechte und Rechte der Arbeiterklasse zu verteidigen. Gegen Sozial- und Steuerdumping muss eine europäische Finanzpolitik auf dem Prinzip der progressiven Besteuerung begründet werden. Wir kämpfen für das Prinzip Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am selben Arbeitsplatz in ganz Europa.
Die Europäische Linke schlägt die folgenden Maßnahmen zur Begrenzung der Macht und des Einflusses der Finanzmärkte vor:
Um Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen, müssen die folgenden Maßnahmen in allen Ländern ergriffen oder koordiniert getestet werden:
Wir wollen an der Spitze der Kampagne für eine weltweite Finanztransaktionensteuer stehen, für höhere Einkommen, mehr abgesicherte und gute Arbeitsplätze und humanere Arbeitszeiten, sichere Renten und eine bessere öffentliche Infrastruktur. Das werden wir gemeinsam mit Gewerkschaften, Sozialforen, Frauen-, Jugend- und Umweltbewegungen, Migrantenorganisationen und örtlichen Behörden tun. Wir wollen diese Kampagne in unseren Ländern und auf europäischer Ebene anführen. Wir gehen davon aus, dass diese Kampagne zugleich als globale Forderung verstanden werden muss.
Ohne sofortige Aktionen wird es keine wirksame Veränderung der Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise geben. Nachhaltige politische Veränderungen gehen darüber hinaus; weshalb alternative politische Aktionen und ein europäischer Aktionsplan zur Bekämpfung der Armut miteinander verbunden werden müssen. Gemeinsam mit den Gewerkschaften werden wir die Kampagne zur Einbringung einer Sozialklausel in die europäische Verfassung vorantreiben. Die konsequente Verknüpfung der Wirtschafts- und Währungsunion mit einer Sozial- und Umweltpolitik ist unverzichtbar. Für eine Sozialklausel in der europäischen Verfassung zu kämpfen und auf eine Sozial- und Umweltpolitik zu orientieren, ist mehr als nur ein auf die EU konzentrierter politischer Ansatz. Diese Forderungen kommt auch aus den Gewerkschaften und stellt damit die Verbindung zu gesellschaftlichen Bewegungen her.
2.2. Aktionsplan gegen Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung
80 Millionen Menschen in Europa leben unterhalb der Armutsgrenze. Fast noch einmal so viele Menschen sind von Armut bedroht. Galoppierende Arbeitslosigkeit ist einer der hauptsächlichen Faktoren dabei. Das betrifft zunehmend auch Menschen in schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen. Sie sind arm, obwohl sie arbeiten. Es zeugt von politischem Versagen auf der ganzen Linie, wenn in einer der produktivsten Regionen der Welt, den 27 EU-Ländern, eines von fünf Kindern von Armut bedroht ist.
Die Folgen der Ausgrenzung durch Armut, Nachteile in der Bildung und der öffentlichen und allgemeinen Gesundheit, im Lebensumfeld, dem unzureichenden Anteil an sozialen, kulturellen und finanziellen Diensten werden als wachsende Gefahren für den sozialen Frieden erlebt. Die Mehrheit der Bevölkerung erwartet, dass Politiker wirksame Schritte gegen Armut einleiten und andererseits die nutzlose Konzentration von Reichtum in wenigen Händen beschränken. Die EU erklärte das Jahr 2010 zum Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, um zur Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung beizutragen. Die Strategie Europa 2020 hat sich ebenfalls die Verhinderung von Armut auf die Fahnen geschrieben. Das Anwachsen von Armut und sozialer Ungleichheit ist jedoch das Ergebnis der von der EU betriebenen neoliberalen Politik.
In der Logik der gegenwärtigen strategischen Entscheidungen und der praktischen Schritte zur Bekämpfung der Auswirkungen der wirtschaftlichen und finanziellen Krise werden unverändert Wettbewerb, Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit an die Spitze der Agenda gestellt. In einer Zeit, in der die europäischen Eliten so wenig an schlüssigen und verständlichen Antworten auf die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme beizusteuern haben, tun sie zugleich nichts gegen die sich tagtäglich ausbreitenden sozialen Ungleichheiten. Die Auswirkungen der Armut haben sich nicht verringert, denn die Ursachen der anwachsenden Armut wurden noch nicht einmal angegangen. Die Partei der Europäischen Linken hat sich der sozialen Gerechtigkeit verschrieben. Reichtum kann sich nicht länger in den Händen einiger weniger, den Eigentümern von Kapital und großen Vermögen, konzentrieren. Europa muss erkennen, dass Eigentum verpflichtet und dem Gemeinwohl dienen soll.
Gemeinsame Güter wie Wasser, Gesundheit, Kultur, Landbesitz, Naturreichtümer und Produktionsmittel dürfen nicht privatisiert werden, im Gegenteil, sie müssen dem Gemeineigentum zugerechnet und ihre Vergesellschaftung angestrebt werden.
Die Linke betrachtet den Kampf gegen Armut als soziale und politische Herausforderung. Wir benötigen eine Entwicklung, die den Menschen in den Vordergrund rückt. Der Kampf gegen Armut wird nur dann erfolgreich sein, wenn dieses Ziel zur Schlüsselkomponente jeder Politik der Europäischen Union und der Länder wird. Europa braucht umfassende soziale Sicherheit auf hohem Niveau. Obdachlosigkeit und Kinderarmut müssen 2015 verschwunden sein. Die konkrete Überwindung der Armut ist eng verbunden mit der Lösung aller anderen sozialen und Umweltprobleme in unserer Gesellschaft.
Ein europaweiter Aktionsplan wird für diese Ziele dringend gebraucht. Die Europäische Linke schlägt die folgenden Ziele vor, die sich signifikanter Aspekte der jetzigen Kämpfe gegen die Krise annehmen:
3. Für ein neues Entwicklungsmodell
Die Idee, dass ambitionierte und koordinierte Politikschritte notwendig sind, um sich den vitalen Herausforderungen der Menschheit und des Planeten zu stellen, setzt sich mehr und mehr durch. Die Kapitallogik stellt dabei ein größeres Hindernis dar. Die Finanzkrise, deren systemischer Charakter erwiesen ist, verdeutlicht die gigantische Dimension der Verschleuderung, die durch den momentanen Entwicklungspfad produziert wird. Deshalb zeigt die Gesamtheit der in diesem Dokument vorgestellten Vorschläge eine alternative Logik eines belastbaren und zivilen neuen Entwicklungsmodells auf. Diese drei Dimensionen sind untrennbar miteinander verbunden: die soziale beinhaltet offensichtlich die wirtschaftliche Sphäre, die zuallererst dazu genutzt werden sollte, den Bedürfnissen und Wünschen jedes Einzelnen zu dienen.
Es geht darum, eine neuen Ära der menschlichen Zivilisation zu beginnen, die auf einem progressiven Prozess vielfältiger Reformen des Systems beruht, tägliche Routinen verändert und ohne die Ambitionen und Interessen aus dem Blickfeld zu verlieren geführt wird.
Das Handeln im Dienste eines wirklichen Zivilisationswandels hat eine gemeinsame Bewegung zur Folge:
Mit diesen Vorschlägen wendet sich die Europäische Linke an die Bevölkerung Europas; an Männer und Frauen ungeachtet ihres Wohnsitzes, ungeachtet der Weltanschauung oder Religion, ungeachtet der Tatsache, ob sie in oder außerhalb der Europäischen Union geboren wurden. Die immense Verschärfung der sozialökonomischen und ökologischen Krise verlangt nach sofortigen radikalen Maßnahmen. Wir wollen, dass Europa und die ganze Welt für alle lebenswerter werden. Damit dies aber geschehen kann, muss sie vor den Bedrohungen geschützt werden. Wir können die Welt nicht verbessern, wenn wir sie nicht bewahren, aber wir können sie bewahren, indem wir sie verbessern. Die Europäische Linke vertritt die Vision einer radikal anderen Welt, der Demokratie und des Sozialismus. Die Europäische Linke ist offen für alle, die diese Agenda unterstützen wollen. Wir erstreben eine Welt der Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit, ohne Repressalien, Ausbeutung, Hunger und Not. Wir möchten, dass dieses Projekt Wirklichkeit wird.