KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Prädikat solidarisch: Was sich AktivistInnen unter "solidarischer Gesellschaft" vorstellen.

Von Melina Klaus (1.12.2010)

Einer von den beiden Texten, die Diskussionen im Bundesvorstand und auf einer bundesweiten Aktionskonferenz widerspiegeln, und neben dem Leitantrag als breites Diskussionsangebot dienen. Es sind dies keine Beschlussvorlagen, sondern Papiere, die die Diskussion begleiten wollen.

In unseren Analysen, die als Diskussionsanstöße gedacht sind und unseren alltäglichen politischen Forderungen – sei es zu den Themen Arbeit, Soziales, Ökologie, Antirassismus, … – treffen wir immer wieder auf die Fragen von Interessen, Teilhabe, Ausschluss, Spaltung und Verteilung. Wenn wir unsere Analysen, Fragen, Antworten, Forderungen und auch Utopien zusammentragen und zusammenfassen, entsteht dann ein Bild einer solidarischen Gesellschaft?

Es sieht so aus. Jedenfalls können wir sehen, also Schlüsse ziehen, und auch spüren, dass unsere manchmal sehr bunte und plurale Politik und Aktion etwas gemeinsam haben. Neben unserem gemeinsamen Verständnis von Geschichte, Organisierung und über sehr weite Teile unserer gemeinsamen Weltanschauung, hat sich auch ein gemeinsames Verständnis davon, was uns zum guten Leben fehlt und was wir davon erwarten, herausgebildet.

Um welche Alternativen wollen wir kämpfen? Welche Alternativen leben? Manche Antworten darauf (siehe unten) scheinen vielleicht für eine Partei der ArbeiterInnebe­wegung überraschend. – Unsere Lebenslagen, Nöte, Wünsche werden und wurden nicht nur immer mehr divers, sie finden sich auch immer stärker in den politischen Diskussionen wieder. Wir machen nicht Politik für andere, wir wollen sie für heute machen und (möglichst nachhaltig) für kommende Generationen.

Die Begriffsgeschichte von Solidarität, um deren Vorstellungen es nun gehen soll, umfasst das juridischen Phänomen der Gesamtschuld, mit der ein Individuum für eine Gruppe einsteht, das gewerkschaftliche Solidaritätsprinzip der gegenseitigen Absicherung gegen Auswirkungen der kapitalistischen Industrialisierung, und die ArbeiterInnen­bewegungs-Werte-Geschichte der internationalen Solidarität, bis hin zur Pervertierung durch scheinbar solidarische Krisen-Rezepte. Doch darauf, dass es „wenn?s der Wirtschaft gut geht, uns allen gut geht“, fallen wir noch lange nicht herein! Die Verantwortung für unser Wohlbefinden lassen wir uns nicht aus der Hand nehmen! Unser Prädikat ?solidarisch? bezieht sich auf die Menschen als wohl egoistische Wesen, allerdings im Kollektiv und mithin als soziale und gesellschaftliche Wesen: Wenn?s allen gut geht, geht’s mir gut!!

Unser Prädikat solidarisch bezieht bewusst Alle mit ein. Menschenrechte sind unteilbar, Solidarität kann nicht einer Bedürftigkeit­sprüfung unterzogen werden.

Unsere Politik, unser Engagement, unser Leben

Nunmehr kommen AktivistInnen, ParteinehmerInnen zu Wort. Ohne Vorgaben oder Lenkung wird die Frage nach einer Solidarischen Gesellschaft beantwortet. Und dabei wird deutlich, es geht um das Leben, das wir führen und das, wofür wir uns engagieren.

Eine solidarische Gesellschaft, das gute Leben – ist das ?Friede, Freude, Eierkuchen?, naiv?

Nein, es sind die Alternativen, die uns in Bewegung setzen. Es ist Widerstand, Politik und Gesellschaft anders zu denken. Es ist das Gegenteil zu Resignation. Es ist das Schärfen und Aufrechterhalten eines Möglichkeitssinnes, der von der eigenen Veränderbarkeit und der der Gesellschaft überzeugt ist. Ein Möglichkeitssinn, der vom kritischen Wirklichkeitssinn nicht zu trennen ist: Das gute Leben, her mit dem ganzen Leben, sind die Vorstellungen von einer anderen Gesellschaft, die nicht zuletzt aus dem Leben in unserer gegenwärtigen Gesellschaft heraus entsteht. Etwa wie Katja Kipping beispielhaft zum Thema Grundeinkommen umreißt: „Eine Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen? Vielen fällt es schwer, sich das heute vorzustellen. Andere sind unsicher über die Wirkungen. Freilich, niemand kann eine definitive Garantie ausgeben, wie eine Grundeinkommen­sgesellschaft funktioniert. Was es aber in der Realität gibt, ist das Gegenmodell zum Grundeinkommen: Also Arbeitszwang, Bedürftigkeit­sprüfungen, Sozialleistungen unterhalb der Armutsgrenze und die finanzielle Inhaftnahme von Angehörigen. In Deutschland ist dies bekannt unter der Bezeichnung Hartz IV. Wir können also zumindest empirisch überprüfen, was passiert, wenn nicht das Grundeinkommen, sondern sein Gegenpart realisiert ist.“

Die Stellungnahmen sind mehr programmatisch, denn argumentativ. Unsere Argumente, das sind unsere Texte in Zeitschriften und internet, unsere Resolutionen, Stellungnahmen, Wahlprogramme, Flugblätter und unsere Gespräche in Parteigruppen, Bewegungen, am Arbeitsplatz, kurz unsere Politik.

Alle nun folgenden Zitate (im Folgenden kursiv) wurden bei der bundesweiten Aktionskonferenz im Juni dieses Jahres zum Thema der Solidarischen Gesellschaft von den anwesenden AktivistInnen gesammelt und festgehalten. Sie sollen nun als Diskussionsansatz dienen. Klar ist, es handelt sich bei der Zusammenschau lediglich um eine Momentaufnahme. Zwar nahmen die vorliegenden Stellungnahmen für die AktivistInnen einen zentralen Stellenwert ein, doch freilich können sie nur als ein Ausschnitt gelesen werden. Ein Ausschnitt, der weder all unsere Themen, noch all unsere politischen Zugänge und Ansätze umfassend repräsentiert. Alle LeserInnen sollen sich aufgefordert fühlen, ihrerseits Beiträge in die Diskussion einzubringen. (Melina Klaus)

Solidarität schafft Existenzsicherheit und umgekehrt

Ich stelle mir unter einer solidarischen Gesellschaft das Recht auf Grundversorgung vor. Dieses Recht beinhaltet die kostenlose Versorgung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kultur, Mobilität und Kommunikation. In all diesen Bereichen gibt es auch heute schon Ansätze. Wir müssen nur den Mut haben, sie auszubauen und Alternativen zu versuchen. Rechte auf Wohnen und Energie müssen dem Verwertungsin­teresse entzogen werden, wie z.B. bei der Energiegrundsiche­rung! Ich kämpfe auch für das Recht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle individuellen Bedürfnisse. 

Solidarität orientiert sich an der Teilhabe an der Gesellschaft aller. Sicherung des Lebens, Zugang zu medizinischer Betreuung, Bildungschancen für alle, Möglichkeiten der Mobilität, Auseinandersetzung mit dem ?älter werden?, sind die Voraussetzungen, auf denen Gesellschaft gebaut werden muss. Soziale Sicherheit, auch unabhängig von Lohnarbeit. 

Eine solidarische Gesellschaft ermöglicht jeder und jedem uneingeschränkten Zugang zu Bildung, Kultur und Politik. Wir wollen die Möglichkeit, Erfahrungen in allen Bereichen zu machen, uns Fehler zu erlauben und uns dabei sicher sein zu können, dass die Gesellschaft im Sinne der Solidarität diese Erfahrungen akzeptiert und die menschlichen Bedürfnisse nach Sicherheit und Selbstbestimmung versucht zu decken.

Die solidarische Bedürfnisbefri­edigung für alle braucht Voraussetzungen. Wir müssen uns die Frage stellen, welche sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedingungen wollen wir in den Mittelpunkt stellen. Und von dort aus dann, von diesen Voraussetzungen aus, können wir unterschiedliche Alternativen entwerfen.

Jeder Mensch muss ein Existenzrecht haben, unabhängig von seinen/ihren Fähigkeiten.

Alle Menschen brauchen Platz im öffentlichen / gesellschaftlichen Leben. Gerade Leistung darf nicht als Maßstab für den uneingeschränkten Zugang gelten.

Wir fragen nach der Solidarität der Generationen, d.h. wie wird Vorsorge und Versorgung geregelt und finanziert? Und stehen gegen das Ausspielen der Generationen gegeneinander. Altern in Würde darf nicht nur ein Schlagwort sein. 

Das Gegenteil von Heute ist keine Angst vor Morgen. 

Partei der Freiheit

Eine solidarische Gesellschaft ermöglicht die größtmögliche individuelle Freiheit in den Grenzen, die die Freiheit der Anderen erfordert. Was brauchen wir zum Leben und wie wollen wir leben? Wir müssen uns das Leben der schwächsten in unserer Gesellschaft anschauen und von dort aus Forderungen aufrollen.

Freie Entscheidungen müssen möglich werden, dann bedeutet Emanzipation auch, keine Angst davor zu haben, freie Entscheidungen zu treffen. Kollektive Gleichheit und individuelle Freiheit gehen einher mit emanzipierten Entscheidungen.

Eine solidarische Gesellschaft ist für alle da! Politik und Gesetze müssen versuchen, Grenzen aufzuweichen und abzuschaffen. Solidarität kann sich nicht abschotten und nur für ?Erwählte? gelten, das passt gar nicht zusammen. Unsere Politik hier und jetzt hat immer auch einen globalen Maßstab und den muss sie bedenken.

Freiheit ist, frei von Ausbeutung, beinhaltet das Recht auf Bildung, Wohnen, Nahrung, Wahlfreiheit zwischen Arbeit oder nicht Arbeit. 

Bedingungslos solidarisch zu sein, heißt zu fragen: Was brauchst du um dein Leben so zu führen, wie du es für richtig hältst? Es ist wichtig, dass nicht nur Meta-Themen behandelt werden, sondern alternative Lebensweisen – Alltagsleben, Leben mit Kindern, unser Leben.

Ganz wichtig ist auch die Achtung der freien Meinungsäußerung, nicht nur für die Presse, sondern als akzeptiertes, durchgängiges Prinzip in Familie und Schule und überall!

Freiheit ist die Befreiung von Zwängen, auch von denen durch Arbeit und Produktion. 

Partei der EigentümerInnen

Jede und jeder soll EigentümerIn sein. Zu gleichen Teilen.

Wer das Geld hat, hat das Sagen. Deshalb gehört zur Solidarität kommunales Eigentum, das allen zur Verfügung steht. Die Verstaatlichung der Banken wäre ein wichtiger Schritt. Menschen vor Zahlen. Bedürfnisse vor Interessen.

Gesellschaftlicher Wohlstand ist als kollektives, öffentliches Gut zu verstehen. Gesellschaft ist eine Verteilungsfrage. Wem gehört was? Wem gehört wieviel von was? Die vorhanden Ressourcen sollen mit der Gießkanne verteilt werden. Alles gehört allen.

Solidarisch ist eine Gesellschaft, wenn sie auf die Verteilung schaut. Teilhabe und Eigentum haben viele Facetten: Solidarische Gesellschaft bedeutet auch, jedeR hat Zugang zum öffentlichen Raum; dazu gehören Theater und Kulturstätten genauso wie die Straße, der Park etc. Die Straße ist kommunales Eigentum, Kultur muss mit einer Grundsicherung bezahlbar sein. Zugangsmöglichke­iten zu Bildung, Wasser und anderen Ressourcen sind die Maßstäbe ökonomischer Planung und Verteilung, so stehen gesellschaftliche Überlegungen gegen Profitinteressen.

Zugang zu Ressourcen, Wohnen, Energie, aber auch Grundsicherungs- und Grundeinkommen­smodelle müssen bedingungslos sein. Sie sind die monetäre Seite der Teilhabe. Über Ausgaben und Umschichtungen verhandelt die Solidarische Gesellschaft, etwa alternative Energie statt Rüstungsausgaben. 

Solidarisch ist Umverteilung. Umverteilung der Reichtümer von „Oben nach Unten“. Kurz, Solidarische Gesellschaft ist gerechte Verteilung von Vermögen und Einkommen, Mitsprache und der Kampf gegen Ausbeutung. Solidarische Gesellschaft kann nur frei von Ausbeutung sein. 

UnternehmerInnen einmal anders

ParteinehmerInnen der KPÖ sind soziale und politische UnternehmerInnen, sie unternehmen etwas. Wir warten nicht. Wir fordern, fördern und formen.

Nicht auf die goldene Zukunft warten – was kann jetzt schon getan werden, auch bei sich selbst? Wo sind Ansätze einer gelebten Solidarität im Kapitalismus? Genossenschaften, neue Informationstechno­logien, nicht-gewinnorientierte Zusammenarbeit, open source, creative common licence, Tauschbörsen, die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, es lohnt sich, Dinge zu denken und zu versuchen.

Wir hinterfragen gegenwärtige Vorgaben, was ein „erfolgreiches“, glückliches Leben ist: Sozialprestige, Konsumverhalten, Geschwindigkeiten. Konsumeinschränkung heißt ja nicht Lustein-schränkung.

Eine Solidarische Gesellschaft nimmt Verantwortung gegenüber Gemeinwesen und Natur wahr, Menschen nehmen Verantwortung gegenüber persönlichem Handeln. Wir wissen um die Konsequenz persönlichen Handelns.

In einer solidarischen Gesellschaft übernimmt die Öffentlichkeit und der Staat Verantwortung und Aufgaben, z.B. Erwachsenenbildung.

Eine Solidarische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die sich bewusst ist, dass sie den Zweck hat, sich gegenseitig zu unterstützen im Gegensatz zu Ausgrenzung. Ist eigentlich eine Zweckgemeinschaft im besten Sinne. 

Direkte Demokratie gehört zur solidarischen Gesellschaft. Die Menschen, die von etwas betroffen sind, müssen entscheiden können! Das ist ein Grundprinzip für Mitbestimmung und Kontrolle. Doch geht es nicht nur um die Demokratisierung von Politik und Gesellschaft, sondern auch von Wirtschaft und Produktion, z.B. Mitentscheidung für alle Menschen die in einem Betrieb arbeiten.

Solidarität braucht transparente und partizipative politische Prozesse. 

Brüderlichkeit wird Geschwisterlichkeit

Grundlegend ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau, und der Umgang mit Kindern. 

Der Kampf für eine Solidarische Gesellschaft ist der Streit um die Verfügungsgewalten in allen Bereichen des Lebens, ist die Auseinandersetzung mit dem Patriarchat. Die Frage nach Solidarität macht auch vor den Beziehungen der Menschen untereinander nicht halt. – Könnten herkömmliche Beziehungsstruk­turen / Partnerschaften nicht anders geregelt werden?

Solidarisch ist, Gleichberechtigung und Zusammenhänge herzustellen zwischen den Geschlechtern wie zwischen den Erdteilen.

Nicht auf Kosten Anderer zu leben ist ein moralisches Gebot, aber nicht nur: Es birgt die Verantwortung für die Verteilung von Ressourcen, Möglichkeiten, Zeit, …

Gegen Diskriminierungen, für die Einhaltung der Menschenrechte, Internationale Solidarität – das sind Gegenmodelle gegen die derzeitige Fremdenfeindlichke­it. 

Und Vieles noch

Ökologie, Soziales, Offene Grenzen, Migration, Demokratie sind so verwoben, dass wir Vieles nur zusammen denken können. Antirassismus, Internationale solidarische Zusammenarbeit, Faire internationale Beziehungen, Frieden. – Ohne diese Fragen, ist eine alternative Gesellschaft nicht zu denken.

Mindestlohn, Grundeinkommen bedingungslos, Bildung für alle, Recht auf Faulheit, Recht auf Erfüllung, Entschleunigung. – Die „Rede vom Verzicht“ ersetzen wir durch die „Erzählung von der Befreiung“ von Zwängen und Belastungen.

Aber auch ganz andere Themen bedeuten für mich solidarische Gesellschaft – Die Schieflage zwischen Männern und Frauen auszugleichen! Und auch das Zurückdrängen der Autos. Das Auto dominiert unseren öffentlichen Raum, es betoniert unsere Landschaft zu. FußgängerInnen vor!

Kunst, Kultur, Freiräume können zum Zusammenleben beitragen und sollen wieder gesellschaftlich relevant werden, widerständig, produktiv, nicht kommerzialisiert. 

Eine solidarische Gesellschaft ist für mich nicht ein Modell. Ein Modell ist was Fertiges und vor allem zum Betrachten gut. Und eben nur modellhaft. Sie ist für mich ein Prozess. Für eine solidarische Gesellschaft zu sein bedeutet für mich, Schritt für Schritt Alternativen zu herrschenden Zuständen zu formulieren und einen Teil davon auch gleich zu leben!

Alle Informationen zum 35. Parteitag der KPÖ