KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Europa links denken?

Von Walter Baier (18.12.2007)

Vor vier Jahren haben wir nach kontroverser und dramatischer Debatte mit einer knappen Mehrheit den Beitritt der KPÖ zur Europäischen Linkspartei beschlossen. Heute debattieren wir darüber, wie wir den Rahmen der EL für einen europaweiten linken Widerstand gegen den neoliberalen Lissaboner EU-Vetrag und den Kampf um ein anderes Europa nützen können. Bisweilen wird gefragt, ob nicht zwischen der Orientierung auf einen Kampf um eine demokratische und soziale Umgestaltung Europas und unserer Ablehnung des EU-Beitritts Österreichs vor zehn Jahren ein logischer Widerspruch besteht.

Die Situation ist tatsächlich paradox: Aus heutiger Sicht kann man nämlich einschätzen, dass sich ausnahmslos alle unsere seinerzeitigen Argumente gegen den EU-Beitritt als richtig herausgestellt haben: Österreichs neutraler außenpolitischer Status wurde entwertet, die Arbeitslosenrate ist deutlich gestiegen, der Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse ist bei gleichzeitig gigantisch anwachsenden Profiten gesunken, der Einfluss rechter, nationalistischer und rassistischer Kräfte hat – entgegen der Hoffnung vieler linker BefürworterInnen des EU-Betritts – nicht abgenommen, sondern ist stark angewachsen.

So wahr wie alles das ist, stimmt aber auch, dass uns der ständige Hinweis darauf, dass wir Recht gehabt haben, politisch nicht weiter trägt. Weil nämlich das Österreich des Jahres 2007 ein wesentlich Anderes als das der 90er-Jahre ist, können wir nicht dieselben Kämpfe wie damals führen. Die Geschichte kennt keine Retourmatches So existiert etwa der verstaatlichte Industrie- und Bankensektor, der mit mehr als 150.000 Beschäftig­ten in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft die materielle Grundlage einer Alternative zur EU-Mitgliedschaft, gebildet hätte, heute nicht mehr. Die großen Firmen der Eisen-, Stahl- und Elektroindustrie, der Energiewirtschaft, der Erdölverarbeitung, der Chemie und des Apparatebaus wurden größten Teils privatisiert. Die mit Abstand größte einheimische Bank, die CA-BV zuerst an die bayerische Hypo verkauft, gehört heute, nachdem diese ihrerseits von der italienischen Uni-Credit geschluckt wurde, zu einem italienischen Konzern und ist nichts mehr weiter als dessen Osteuropafiliale. Das verändert nicht nur die wirtschaftliche Parameter sondern auch die Sicht auf den Gegner. Ist es realistisch, einem Konzern wie der UniCredit mit zigtausenden Beschäftigten in rund einem Dutzend Länder ausschließlich auf nationalstaatlicher Ebene entgegentreten zu wollen? Nein, das ist es natürlich nicht.

Vor wenigen Wochen habe ich an einem internationalen Betriebsräteseminar teilgenommen. Ein Betriebsrat eines US-amerikanischen Automobilkonzerns illustrierte sein Referat mit drei Dias. Das eine zeigte den Konzern aus der Perspektive der EU. Man sah die bekannten 15 Standorte, die gemeinsamen EU-rechtlichen Vorschriften unterliegen; als zweites wurde der Konzern aus einer europäischen Perspektive gezeigt. Da vergrößert sich die Zahl der Betriebe auf etwa 40 bis 50, weil Betriebe in Nicht-EU-Mitgliedern wie Russland, Belorussland, Ukraine oder Türkei dazukommen, Standorte also, in denen nicht einmal die bescheidenen sozialen und Arbeitsrechte EU gelten. Und abschließend sagte er, zeige ich Euch nun, wie der Konzern aus der Sicht des Managements ausschaut. Hier „explodierte“ das Bild förmlich, denn jetzt wurde auch das engmaschige Netz der Zulieferbetriebe sichtbar, die zwar formell eigenständig, faktisch aber vollständig in den Konzern integriert sind, allerdings ohne dass in ihnen die gleichen arbeits- und sozialrechtlichen Normen gelten würden, oder eine gemeinsame Interessensver­tretung bestünde. Noch einmal gefragt: Kann man sich vorstellen, einer solchen, zu transnationalen Netzwerken verflochtenen Kapitalmacht ausschließlich auf einer nationalstaatlichen Ebene gewerkschaftlich oder politisch entgegen treten zu können?

Meine Schlussfolgerung lautet: vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus beurteilt, und ich füge hinzu, dass wir in den letzten zehn Jahren gelernt haben, dass dieser Klassenstandpunkt zu eng ist, denn wir müssen gleichzeitig ökologisch, feministisch, pazifistisch und kosmopolitisch denken, aber auch vom Klassenstandpunkt aus betrachtet, ist schon längst erforderlich, der Transnationali­sierung des Kapitals eine politische Integration gegenüber zu stellen. Der Klassenkampf in Europa ist schon seit geraumer Zeit über den Nationalstaat hinausgewachsen, sein Rahmen ist heute global, zumindest aber, tatsächlich europäisch geworden.

Erforderlich ist, gemeinsame gesamteuropäische Sozialstandards, Mindestlöhne, rechtliche Maßnahmen zum Schutz der Öffentlichen Dienste, Mindestsätze für Gewinn- und Vermögenssteuern etc. durchzusetzen. Dazu bedarf es gemeinsamer sozialer Kämpfe ebenso wie demokratischer Rechte und Strukturen auf europäischer Ebene. Das scheint so klar, dass man sich fragen kann, wie der Beitritt zur Europäischen Linken in unserer Partei überhaupt strittig sein konnte.

Die Antwort reicht viele Jahrzehnte in die Geschichte unserer Bewegung zurück. Spätestens seit den 20-Jahren und 30er-Jahren, als sich für viele Linke herausstellte, dass der Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion nicht jenen Modellcharakter hatte, den die Führung der Kommunistischen Internationale ihm zu schrieb, ja zu Zeiten des Stalinismus sogar zu unfassbaren Verbrechen führte, begann die Debatte um einen westlichen, europäischen Weg zum Sozialismus, der anders verlaufen müsste als jener im Osten. Es entwickelte sich ein westlicher, der sowjetischen Erfahrung gegenüber kritisch eingestellter Marxismus, der in der Tradition von Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci oder Nicos Poulantzas dachte und nach alternativen Wegen suchte. Seinen vorläufig letzten Höhepunkt erreichte diese Suche im Eurokommunismus der 70er-Jahre, der übrigens entgegen einer landläufigen Darstellung eine sehr vielfältige und keineswegs monolithische Strömung gewesen ist.

In der KPÖ war die Debatte nach alternativen Wegen zum Sozialismus 1969 durch den Sieg des Dogmatismus über alle Erneuerungsströmun­gen in der Partei abgebrochen und fast ein viertel Jahrhundert unterdrückt worden. Wir haben, wie wir heute wissen, für den Dogmatismus und die unkritische Orientierung an der Sowjetunion einen sehr hohen politischen Preis bezahlt. Erst der Kollaps des Realsozialismus, der uns vor die Notwendigkeit der Erneuerung stellte, führte bei uns zur Neueröffnung der unterbrochenen Debatte um einen demokratischen und pluralistischen Sozialismus.

Wollen wir also die Kontroverse um den Beitritt der KPÖ zur Europäischen Linken verstehen, müssen wir beide Ebenen der Fragestellung – die europapolitische und die ideologische – berücksichtigen, die sich in dieser Entscheidung überlagerten und sie so zu einem Schlüsselthema bei der Überwindung des Dogmatismus in unserer Bewegung machten. Daher auch die Schärfe der Debatte.

Und tatsächlich gilt ja auch unter dem Gesichtspunkt unseres Ideals eines demokratischen, feministischen und ökologischen Sozialismus, dass der Maßstab, in dem er politisch gedacht und erkämpft werden kann, nicht mehr der Nationalstaat, sondern der europäische ist.

Diskussionsbeitrag am 34.Parteitag der KPÖ, 8./9. Dezember 2007

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