KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Die KPÖ zu 90 Jahre Oktoberrevolution

Von KPÖ-Bundesausschuß (25.10.2007)

Wahrlich „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ (John Reed) waren die Tage der Oktoberrevolution in Russland, die sich am 7. November 2007 zum 90. Mal jährt. Diese Revolution bildete den Höhepunkt in der Reihe der großen Revolutionen der modernen Geschichte der Menschheit: die englische Revolution von 1688, die amerikanische von 1776, die französische von 1789, die europäischen Revolutionen von 1848 und die Pariser Kommune von 1871. Sie war nicht nur ein Impuls für die ArbeiterInnen- und Befreiungsbewe­gungen, sondern hatte enorme Auswirkungen auf die weitere Weltgeschichte. Doch statt dogmatischer Glorifizierung und falschem Pathos ist zum Jahrestag kritische Hinterfragung und Nachdenklichkeit über die der Oktoberrevolution folgenden Geschichte und die im Namen dieser Revolution erfolgten Fehlentwicklungen angebracht.

Revolutionen sind „Lokomotiven der Geschichte“ (Karl Marx). Richtig ist aber auch sie als „Griff des in diesem Zuge reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse“ zu sehen (Walter Benjamin). Revolutionen werden nicht nach Belieben gemacht, sie haben objektive Grundlagen: „1. Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten… 2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus. 3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die … zu selbständigen historischem Handeln gedrängt werden.“ (W. I. Lenin)

Dies traf in besonderer Weise auf die Oktoberrevolution zu. Mit der zentralen Losung „Frieden, Brot, Land“ entsprach die bolschewistische Partei als organisierende Kraft der revolutionären Bewegung nicht nur der breiten Massenstimmung einer kriegsmüden und geschundenen Bevölkerung. Als eine der wenigen Partei der internationalen Sozialdemokratie sahen sich die Bolschewiki auch 1914 der Friedenspolitik verpflichtet, statt einen Burgfrieden mit dem Kapital und den kriegführenden Mächten zu schließen und sich dem Hurrapatriotismus zu unterwerfen. Damit entsprach sie dem Internationalismus der Tat, dem die 2. Internationale schon längst abgeschworen hatte.

Sowjets als neue Form der Demokratie

Die Oktoberrevolution war als Sprung über die bürgerlich-demokratische Demokratie hinaus und in Anlehnung an die Pariser Kommune auch mit dem Entstehen der Sowjets als einer neuartigen Form der Demokratie, der Selbstbestimmung durch die ArbeiterInnen, BäuerInnen und Soldaten verbunden. Die Bedeutung derselben kam auch damit zum Ausdruck, dass sich inspiriert von der Oktoberrevolution auch in Ungarn, Bayern und anderen Ländern starke Rätebewegungen bildeten, die zeitweise sogar die Macht übernahmen oder zumindest in Doppelherrschaft mit den bürgerlich-parlamentarischen Institutionen fungierten.

Die Oktoberrevolution hatte auch enorme Auswirkungen auf Österreich: Die Gründung der KPÖ und der Republik, eine breite Rätebewegung und enorme Zugeständnisse der herrschenden Klasse bei sozialen Reformen (Achtstundentag, Arbeiterurlau­bsgesetz…) und demokratischen Errungenschaften (Betriebsräte­gesetz, Arbeiterkammern…) in den Jahren nach dem Krieg aus Angst vor einer revolutionären Umwälzung auch in Österreich.

Lenin war durchaus bewusst, dass Russland als „schwächstes Kettenglied“ des Kapitalismus zwar reif für die Revolution war, durch seine große Rückständigkeit, die asiatisch-despotischen Züge seiner Geschichte und Gesellschaft aber in einer Weise belastet war, welche eine sozialistische Entwicklung massiv hemmte. Ein zahlenmäßig vergleichsweise schwaches Proletariat und eine durch die Aufteilung des Großgrundbesitzes im Zuge des Dekrets über den Boden gestärkte Bauernschaft verbunden mit der Zählebigkeit des dörflichen Soziallebens waren eine denkbar ungünstige Ausgangslage.

Lenin sah die Oktoberrevolution als „ein Vorspiel der sozialistischen Weltrevolution“. Seine Hoffnung auf eine folgende Revolution in Deutschland und anderen Ländern als Unterstützung für das rückständige Russland wurde allerdings durch das Versagen der Sozialdemokratie nach dem Ende des 1. Weltkrieges enttäuscht.

Die „Mühen der Ebenen“

Auf die „Mühen der Berge“ folgen laut Brecht bekanntlich die „Mühen der Ebenen“. Die Oktoberrevolution ist daher nicht zu trennen von den ihr folgenden Fehlentwicklungen und Verbrechen. Zu erinnern ist an die Warnungen von Rosa Luxemburg über die Reduzierung des öffentlichen Lebens auf die Bürokratie und auf die Hinweise von Antonio Gramsci, dass „Im Osten war der Staat alles, die Zivilgesellschaft … in ihren Anfängen und gallertenhaft“ sei. Die Freiheiten der ersten Revolutionsjahre in Russland wurden alsbald durch Gewalt ersetzt, wichtige Errungenschaften später wieder rückgängig gemacht. Lenins Warnung in seinem Testament vor den diktatorischen Allüren Stalins wurden missachtet.

Die Degradierung der Sowjets zu einflusslosen formalen Institutionen und die Verlagerung der Politik aus der Rätedemokratie fast ausschließlich in die Partei, die Schauprozesse, Arbeitslager, Deportationen, eine Industrialisierung als teilweisen Gewaltakt durch Zwangsarbeit, der brutale Umgang mit als Kulaken abgestempelten Kleinbauern bei der Kollektivierung wie überhaupt das Fehlen einer konsistenten und differenzierten Politik gegenüber der Gesamtheit der agrarischen Verhältnisse prägten leider in sehr negativer Weise trotz aller sonstigen bedeutenden sozialen Errungenschaften die Entwicklung der Sowjetunion.

Der Hauptfeind wurde immer mehr in den eigenen Reihen gefunden, ein wuchernder Personenkult erstickte eine lebendige Demokratie, anstelle der Diktatur des Proletariats trat eine Diktatur der Parteibürokratie. Eine wesentliche Erfahrung von Revolutionen ist jedoch, dass sie auf bereits errungenen Menschenrechten und demokratischen Freiheiten aufbauen und diese weiterentwickeln, diese aber nicht ignorieren und beseitigen dürfen.

Die 1919 gegründete Kommunistische Internationale wurde mit Verweis auf den Aufbau des „Sozialismus in einem Lande“ immer stärker den Interessen sowjetischer Machtpolitik und damit stalinistischen Deformationen untergeordnet. Politische Fehleinschätzungen wie etwa die „Sozialfaschis­musthese“ wurden der kommunistischen Bewegung aufgezwungen und verhinderten eine breite Front gegen den aufkommenden Faschismus. Der Hitler-Stalin-Pakt schloss nicht nur die Okkupation fremder Territorien, sondern auch die Auslieferung von AntifaschistInnen an das Naziregime ein.

Der Impuls hat sich erschöpft

Die Sowjetunion ist freilich nicht am Krieg gescheitert. Das bewies das revolutionäre Russland schon mit der Abwehr der Konterrevolution im Inneren und der Intervention von 14 imperialis­tischen Mächten in den Jahren des Bürgerkrieges. Der Kampf gegen die Vernichtungs- und Ausrottungspolitik des Hitlerfaschismus mobilisierte unabhängig von politischen Fehlentscheidungen die Menschen in einer noch nie gekannten Weise, als es um die schiere Existenz ging. Als Teil der Anti-Hitler-Koalition konnten die Völker der Sowjetunion nicht nur das eigene Land befreien, sondern auch fast ganz Ost- und Mitteleuropa und auch einen Teil Österreichs. Die Existenz der Sowjetunion erleichterte es vielen Ländern sich aus kolonialistischer Unterdrückung zu befreien.

Gescheitert ist der Realsozialismus – der nach der Entstalinisierung im Gefolge des 20. Parteitages 1956 in den 60er und 70er Jahren parallel zum zur Ausbildung des Fordismus im Westen sein „goldenes Zeitalter“ paradoxerweise bei steigenden Wohlfahrtskosten und gleichzeitig sinkender Wirtschaftsleistung erreichte – am Wettbewerb mit dem Kapitalismus und dem Wettrüsten im Kalten Krieg. Vor allem aber an der eigenen Unzulänglichkeit, dem andauernden Verlust der ideellen, kulturellen und politischen Hegemonie, der schwindenden Überzeugung der Menschen, dass dies ihre Gesellschaft war. An die Stelle einer schöpferischen Weiterentwicklung und Anwendung des Marxismus trat eine fragwürdige „marxistisch-leninistische” Ersatzreligion.

Dieser Staatssozialismus scheiterte, weil er kein entwicklungsfähiges Zusammenwirken von Staat, Zivilgesellschaft und Ökonomie zustandebrachte und sich nicht vom unflexiblen administrativen Kommandosystem löste. Die Überwucherung aller gesellschaftlichen Bereiche durch die Bürokratie führte letztlich sogar dazu, dass diese im Endstadium des Realsozialismus zu einem wesentlichen Faktor seiner Implosion wurde, der die mafiöse privatkapitalis­tische Plünderung des verselbständigten Gemeineigentums und die Wiederherstellung des Kapitalismus folgte.

Am 90. Jahrestag der Oktoberrevolution ist es angebracht auf Marx zurückzukommen: „Proletarische Revolutionen … kritisieren sich beständig selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche“.

Was bleibt?

Der Begriff Revolution ist heute durch die politischen Herrschaftsver­hältnisse, die desillusionierten Alltagserfahrungen aber auch durch falsche Glorifizierungen wie kaum ein anderer missbraucht, verschlissen und diskreditiert. Umso mehr gilt es festzuhalten, dass Revolutionen keine übergeschichtliche Größe oder lineare Zwangsläufigkeit darstellen, sondern immer in ihrem jeweiligen historischen Kontext neu zu fassen sind, die die Klassenwidersprüchen der jeweiligen Gegenwart und alternative Handlungs- und Entwicklungsmöglichke­iten einschließen und die auch in der emanzipatorischen Lösung globaler Menschheitsfragen angelegt sind.

Ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts, sei es als sozialistische Politik oder als alternativer Gesellschaftsen­twurf hat dann eine Chance, wenn er zivilgesellschaf­tlich-demokratisch im Sinne der Selbstermächtigung legitimiert ist, den Rechtsstaat und die Grund- und Menschenrechte als zivilisatorische Errungenschaft anerkennt und weiterentwickelt.

Entgegen bürgerlichen Thesen gibt es aber „kein Ende der Geschichte“. Mit Brechts „So wie es ist, bleibt es nicht“ schöpfen die KommunistInnen ihren Optimismus aus dieser Entwicklung für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Ein solcher wird freilich nur geschichtswirksam, wenn er an den Umständen von hier und jetzt anknüpft und das Scheitern des aus der Oktoberrevolution hervorgegangenen Sozialismusmodells schonungslos und selbstkritisch aufarbeitet.

Broschüre der KPÖ: Es ist genug für alle da! (pdf, download, 377kb)

Es ist genug für alle da!

Ein bedingungsloses und existenzsicherndes Grundeinkommen ist möglich.


Die KPÖ fordert das existenzsichernde, bedingungslose Grundeinkommen für alle Menschen die in Österreich ihren Lebensmittelpunkt haben. Warum wir diese Forderung erheben, wie und ob das finanzierbar wäre, welche Debatten und Standpunkte es rund um dieses Thema gibt, Antwort auf häufig gestellt Fragen und Klarheit in den Begriffedschungel (Grundeinkommen vs Grundsicherung) das soll diese Rubrik auf unserer Internetseite bringen.