KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Leitantrag: Für eine solidarische Gesellschaft

(1.3.2011)

Antragsteller: Bundesvorstand

Abstimmung: Mehrheit pro, 16 Gegenstimmen, 1 Enthaltung;

Here you will find the declaration in English: For a Society of Solidarity 

Vorbemerkung

Millionen Menschen sind in Europa gegen die neoliberale »Bewältigung« der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Straße gegangen. Selbst moderate Gewerkschaften haben in mehreren Ländern für Generalstreiks mobilisiert. Und dennoch: an der Politik der Herrschenden hat sich kaum etwas geändert. Sie stützen sich beim »Durchregieren« meistens auf parlamentarische Mehrheiten, mit denen sie sich legitimieren, und mit denen sie Beschlüsse im Interesse der Minderheit der Reichsten in der Gesellschaft fassen.

Obwohl das Leben für die meisten Menschen immer beschwerlicher wird, ja selbst die aktive politische Zustimmung der Bevölkerung zunehmend schwindet, behauptet sich der Neoliberalismus als hegemoniales materielles und geistiges System einer umfassenden Entsolidarisierung der Gesellschaft. Dies ist das Hauptproblem, mit dem wir uns auseinander setzen müssen, mit dem sich jede progressive, systemkritische politische Bewegung auseinander setzen muss.

Wir sehen einen wesentlichen Grund für die scheinbare Unbeweglichkeit der politischen und kulturellen Zustände im vorherrschenden Zweifel an der Durchsetzbarkeit grundlegender gesellschaftspo­litischer Alternativen. Wir meinen, es ist Zeit, in den antineoliberalen Bewegungen und Bündnissen und darüber hinaus für eine positive gesellschaftpo­litische Orientierung zu werben, dieser einen Namen und ein Ziel zu geben. Die KPÖ schlägt vor, sie als »Solidarische Gesellschaft« zu bezeichnen.

Ein unerträglicher Zustand …

Der Zwang zur Profitmaximierung ist sowohl Motor des kapitalistischen Systems als auch Ursprung der daraus erwachsenden globalen Zivilisationskrise. Die Profite der Konzerne sind heute so groß, dass sie nicht mehr gewinnmaximierend in der Produktion reinvestiert werden können. Der Handel auf den Finanzmärkten verspricht höhere Profite. Geld wird für Wetten und Spekulation eingesetzt, um so aus Geld mehr Geld zu machen. Die Summe der Geldwerte in dieser „virtuellen“ und „fiktiven” Welt ist bereits um ein Vielfaches höher als die in der sogenannten „Realwirtschaft“.

Wenn die Luftgeschäfte platzen, und was sollen sie sonst tun, stockt der Betrieb des Systems und springt erst wieder an, wenn die faulen Wechsel auf Kosten der Massen beglichen werden. Genau das läuft heute in unseren Breiten ab. Die herrschende Politik betätigt sich mit ihren staatlichen Bankrettungsschir­men als gigantische Umverteilungsmas­chine, die von unten nimmt und nach oben gibt.

Die Verluste der Finanzmarkt-Akteure werden auf diese Weise vergesellschaftet, die Gewinne privatisiert. Das reale Geld dafür wird nicht nur aus der Privatisierung öffentlicher Güter gewonnen. Die zugunsten des Finanzkapitals geplünderten Staatskassen sollen durch „Reformen“, sprich durch Abriss oder Reduzierung sozialstaatlicher Einrichtungen und Errungenschaften, durch beschleunigte Umverteilung von unten nach oben saniert werden. Die Kluft zwischen Arm und Reich nimmt national, europaweit und global immer größere Ausmaße an.

Prekarität, von vielen Frauen als „Normalzustand“ schon die längste Zeit erlebt, wird zur prägenden Lebenserfahrung einer zunehmenden Zahl von Menschen. Solidarische und egalitäre Bereiche in den Gesellschaften (Sozialversiche­rungen, freier Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtun­gen usw.).

Errungenschaften der Arbeiterbewegung und demokratischer Kämpfe oder „verstaatlichte“ Ergebnisse sozialpartner­schaftlicher Klassenkompromisse, werden zur Ware gemacht, eingeschränkt oder vernichtet bzw. an ihrer notwendigen Ausformung und Weiterentwicklung gehindert. Dies lädt das finanzmarktge­triebene, ökonomische, ökologische und demokratiepoli­tische Krisengemenge, die Krise des kapitalistischen Zivilisationsmo­dells insgesamt, weiter auf.

Die ökonomische Möglichkeit, umwelt- und menschenverträgliche Lebensumstände für alle einzurichten, wird durch die Zunahme gesellschaftlichen Reichtums und unter anderem technologischen Wissens immer größer; die politische Machbarkeit scheint andererseits immer fraglicher aufgrund der machtmäßig abgesicherten, sich ausbreitenden globalen Kluft zwischen Arm und Reich, der vielfältigen sozialen Segmentierung und der klassenmäßigen, nationalen, ethnischen, alters- und geschlechtermäßi­gen, religiösen und anderer Spaltungen der Gesellschaften.

… soll erträglich gemacht werden.

Das Konkurrenzprinzip ist dem kapitalistischen System „von Anbeginn“ eingeschrieben. Die neoliberale ökonomische Zurichtung der Gesellschaften lässt es aber durch Deregulierung und Aufkündigung sozialer Verträge in einem bisher ungekannten Ausmaß in sämtliche Poren der Gesellschaften sickern. Alle Lebensbereiche, aus denen Gewinn gepresst werden kann, sollen dem Verwertungsprinzip unterworfen werden.

Damit das System als Ganzes nicht in Frage gestellt wird, müssen Irrationalitäten widerstandslos hingenommen, muss dem obersten System-Gebot – »Es gibt keine Alternative« –, geglaubt werden. Nicht nur werden soziale und politische Kompromisse im Produktionsbereich und gewerkschaftliche Strukturen in Frage gestellt, untergraben oder bekämpft.

Nicht nur Lohnarbeitende, sondern alle Menschen sollen entsprechend denken, handeln und sich behandeln lassen: als Konkurrierende, als Ent-Solidarisierte, als Wesen, die den „Standortwettbe­werb“ vor Ort und in der Welt als Selbstverständlichke­it akzeptieren. Die von jeglichem humanen Anspruch „befreite“, aus der Produktion übernommene Vorstellung von maximaler „Effektivität“ und „Konkurrenzfähig­keit“ wird nahezu ins Religiöse überhöht und als Gestaltungsprinzip gesellschaftlichem und individuellem Handeln und Denken zugrunde gelegt.

Neoliberale Hegemonie, die Vorherrschaft neoliberaler Politik, Ideologie und Kultur, bedeutet letztlich die materielle und ideologische, moralisch-kulturelle Zerstörung dessen, was Solidarität hervorgebracht hat. Der Begriff der „Solidarität“ wird dabei umgedreht: zur „Solidarität“ der Armen mit den Reichen, der Ausgegrenzten mit den Regierenden, der kleinen Sparer mit den großen Banken. „Solidarität” wird so als Instrument systemerhaltender Propaganda benutzt: je weniger der Staat für Soziales, Gesundheit und Pflege ausgibt, umso heftiger wird „Ehrenamtlichkeit“ in sozialen Vereinen beworben; werden Kosten auf diesen Bereich abgewälzt und den sozial Engagierten, vor allem Frauen aufgebürdet.

„Solidarität” wird aber auch pervertiert in der rassistisch aufgeladenen „Volksgemeinschaft“ nationalistischer, faschistischer und rechtsextremer Bewegungen und Parteien. »Zusammengehörig­keit« der eigenen »Nation« oder »Rasse« wird vorgespielt und mit Ausgrenzungen verbunden – von MigrantInnen, Minderheiten, Asylsuchenden oder generell AusländerInnen, „Leistungsunwi­lligen” oder anderen vermeintlichen „Schmarotzern”. Rechtsextremismus knüpft an sozialen Frustrationen eines großen Teils der Bevölkerung an, die aus dem realen Kapitalismus entstehen, und setzt sie letztlich zum Systemerhalt ein. Neoliberale Politik und Rechtsextremismus können durchaus im Clinch miteinander liegen, aber sie treffen einander in der antidemokratischen gesellschaftspo­litischen Vision der „Elitenherrschaft“ bzw. des „Führerstaates“.

Die Alternative

Neoliberale Gesellschaftsges­taltung besteht nicht nur in der Zerschlagung von Solidarsystemen, in der Ausrichtung auf Eliminierung gewerkschaftlicher Organisiertheit oder in der Zurücknahme sozialer und demokratischer Errungenschaften: Ihr kultureller, neoliberale Hegemonie begründender Kern ist die Verallgemeinerung eines unsolidarischen, barbarischen Menschenbildes.

Es ist dieser Kreislauf ökonomischer Profit- und neoliberaler kultureller Hegemonieproduk­tion, den es zu durchbrechen gilt. Das ist der Sinn unseres Vorschlags, sich gemeinsam für eine Solidarische Gesellschaft in Bewegung zu setzen. Die Solidarische Gesellschaft ist nicht nur die Idee von der Möglichkeit einer alternativen gesellschaftlichen Entwicklung; sie ist die notwendige Strategie des Lebens und des Überlebens im System und gleichzeitig die Idee der Überwindung des Systems.

Indem sie nicht vereinbar ist mit dem Zwang zur Profitmaximierung, verlangt sie nach einem alternativen, der menschlichen Gattung entsprechenden Gesellschaftsen­twurf. Dieser ist mehr ist als die Verknüpfung von auf Solidarität und Gleichheit orientierter Bewegungen, hat aber solche zur Voraussetzung. Ob die Idee der Solidarischen Gesellschaft weiterführt zu einer von uns als sozialistisch begriffenen Gesellschaft, hängt in erster Linie von den in Bewegung Befindlichen selbst ab, also auch von uns und unseren Vorstellungen – an denen wir noch gründlich zu arbeiten haben.

Die Solidarische Gesellschaft ist eine Herausforderung; keine, die von irgendwelchen Führern als Befehl ausgegeben werden kann, denn sie kann nur bewältigt werden, wenn Menschen sich eigenverantwortlich in Bewegung setzen; keine, auf deren Bewältigung gewartet werden muss, die irgendwo in der Zukunft liegt – denn sie drängt sofort zu ihrer Erfüllung:

? Als Re- oder Neukonstruktion gewerkschaftlicher Praxis, als Kampf um den Erhalt, die Wiedergewinnung und Neubildung demokratischer Stützpunkte in der Ökonomie.

? Als Widerstand gegen den atemberaubenden Abbau sozialer Errungenschaften und bürgerlich-demokratischer Regeln.

? Als Streit um neue Regeln der Partizipation, also um die Teilnahme und Teilhabe an demokratischen Entscheidungen und Strukturen.

? Als soziale Bewegung, die Unterschiedlichkeit anerkennt als Voraussetzung für solidarisches Verhalten und Handeln.

? als Bewegung, die Menschen- und soziale Rechte nicht voneinander trennt und demnach unvereinbar ist mit rassistischen Menschenbildern.

Als Bewegung, der es um Macht geht. Nicht in erster Linie um die einer politischen Partei oder Parteienkoalition, sondern um Macht für jene, die das solidarische System leben, in seinem Sinne tätig werden; um Macht über die Ressourcen der Gesellschaften, – was alle brauchen, muss allen gehören, muss gesellschaftliches Eigentum bleiben oder werden –, über die Art und Weise sowie über das Ziel von Produktion, ihre Einbettung in die Umwelt, über die Sinngebung gesellschaftlicher Regulierung.

Solidarische Gesellschaft heißt, niemanden zurückzulassen; heißt 

? soziale Sicherheit, Freiheit von Existenzangst für alle – wie sie z.B. die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen bezweckt. Das sind Voraussetzungen für die Autonomie der Einzelnen, für freie Zeit, um am gesellschaftlichen Gestaltungsprozess teilhaben zu können, an der Entwicklung partizipativer Strukturen in Politik, Ökonomie und Gesellschaft, in denen solidarische Beziehungen entwickelt und durchgesetzt werden können;

? gleiche Rechte für alle: Wahlrecht und gleiche soziale Rechte für alle Menschen dort, wo sie ihren Lebensmittelpun­kt haben;

? Kampf gegen staatlichen, strukturellen und individuellen Rassismus und Sexismus, Überwindung patriarchaler Strukturen;

? Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums aus der Hand weniger in die Verfügung der Mehrheit, von privat zu öffentlich und von oben nach unten. Eine dem entsprechende, andere Steuer-, Budget- und Kommunalpolitik;

? Verteidigung, Schutz, Ausweitung und Demokratisierung des öffentlichen Eigentums, des öffentlichen Gesundheitswesens, der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Sozialversiche­rungssysteme;

? Kostenfreistellung aller lebenswichtigen Bedürfnisse, Energiegrundsiche­rung, Freifahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln;

? Barrierefreiheit in jeder Beziehung für Menschen mit Behinderung;

? Beseitigung aller Bildungsschranken auf allen Bildungsebenen;

? Umverteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit sowie der Einkommen, die tatsächliche Gleichheit in den Geschlechterbe­ziehungen ermöglicht;

? Beseitigung der wachsenden ökonomischen und sozialen Unterschiede in Europa und in der Welt durch Entmachtung der internationalen Konzerne, grundlegende demokratische und soziale Umgestaltung der EU und der Wirtschaftsbe­ziehungen in der Welt;

? Ausrichtung der Gesellschaften auf ihre ökologische Verträglichkeit;

? Auflösung aller Armeen und Militärbündnisse, Verschrottung sämtlicher Massenvernichtun­gswaffen.

Solidarische Gesellschaft bedeutet letztlich die Verwirklichung all jener gesellschaftlichen Voraussetzungen und Garantien, die solidarisches Zusammenleben ermöglichen und erfordern. Die Solidarische Gesellschaft ist kein Traum, der auf ein zukünftiges Paradies verweist, sondern wird aus der Notwendigkeit geboren, ein überlebtes System hier und jetzt zu überleben.

Der real existierende Kapitalismus verfügt über kein menschengerechtes Zukunftsprogramm. Er kann sich nicht mehr den neuen Herausforderungen der Menschen- und Naturverträglichke­it anpassen, sondern passt nur mehr die Menschen an seine Mängel an. Ein Systemwechsel ist notwendig.

Das erfordert neben den Kämpfen zur Abwehr der Zumutungen diverser Sparprogramme, neben der Interessenspolitik auf betrieblicher, kommunaler und anderen Ebenen den Aufbau linker Milieus, eine Politik der Selbstermächtigung; eine Erneuerung der Kultur der Solidarität, die wiederum eine über den gesellschaftlichen Status quo hinausweisende historische Perspektive eröffnen muss. Diese Perspektive nennen wir als kommunistische Partei Sozialismus, der seine Formen aus der Kultur der Solidarität entwickelt – aus Handlungen, aus denen politische Räume entstehen.

In diesen praktischen Prozess, in dem Gegenmacht sich bilden kann, bringt die KPÖ sich ein. Die »Solidarische Gesellschaft« ist der Begriff, mit dem wir das tun. Er entspricht der sozialen Lage des Großteils unserer Aktivistinnen und Aktivisten, der Notwendigkeit, uns selbst dementsprechend zu organisieren; er entspricht unserer Auffassung von revolutionärer Realpolitik, und ist auf der Höhe der Zeitenwende, in der wir uns befinden.

For a Society of Solidarity

(The Declaration in English / Textdocument)