KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Politische Thesen - EL Parteitag, Prag

Plakat zum Parteitag der Europäische Linken in Prag

(24.10.2007)

Der Parteitag der Europäischen Linken, findet von 23. – 25. November in Prag statt. In Vorbereitung drucken wir die Diskussionsgrun­dlage, die politischen Thesen des Vorstandes der EL, ab.

Die Partei der Europäischen Linken – fähig, die Realität zu beeinflussen und zu prägen

Der 2. Kongress der Partei der Europäischen Linken findet zu einem Zeitpunkt statt, da die Bürger Europas in ihrem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben vor einer entschei-denden Herausforderung stehen – für die Zukunft der Europäischen Union, des Kontinents und der Welt neue, konkrete Antworten zu geben. In unseren Ländern und in der Europäischen Union sind wir Tag für Tag mit einer Politik konfrontiert, die keinen überzeugenden alternativen Ausweg aus der Sackgasse zu weisen vermag, in die der Neoliberalismus die Menschheit geführt hat. ??Jeder Mensch möchte in Würde leben und über sein/ihr Schicksal selbst bestimmen. Die herrschende Politik verweigert jedoch den Bürgern Europas das Recht, über die Zukunft des Kontinents zu entscheiden. Eine Kursänderung der Politik ist unser strategisches Ziel. Die Europawahlen von 2009 bieten der Europäischen Linken eine wichtige Gelegenheit, diese Kursänderung in Europa einzuleiten.

I. Die Partei der Europäischen Linken: Eine andere Politik für eine andere Gesellschaft?A. Wo wir stehen

Wieder einmal steht auf der Tagesordnung die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“. Über uns schweben Gefahren wie Umweltkatastrophen, Aufrüstung, permanenter Krieg, die Privatisierung aller Lebensbereiche und der Widerspruch zwischen Kapitalismus und Emanzipation des Menschen. ??Die Strategie des Präventivkrieges war ein Fehlschlag und hat eine Krise ausgelöst. Aber Europa und seine Regierungen sind nicht in der Lage, mit dieser Logik zu brechen. Ein multilateraler Prozess, der den Schwerpunkt auf eine Politik der Regelung internationaler Streitfragen legt, ist noch nicht in Sicht, wie das tragische Szenario im Nahen Osten, besonders in Palästina, zeigt. Solche Unfähigkeit kann die Situation nur weiter eskalieren und die Spirale von Krieg und Terrorismus weiter drehen. Diese Logik führt zu Wettrüsten und der Militarisierung der europäischen Politik unter der Hegemonie der USA. ??Zugleich dominiert inmitten von Chaos und turbulentem Übergang eine neue Form von „neoliberalem Organizismus“, der die Politik unterminiert. Die fundamentalistische Basis dieses neuen Kapitalismus ist die Vorstellung, das Unternehmen biete ein Paradigma, ein Modell für alles – nicht nur für die Organisation der Produktion, als wirtschaftliches Akteur, sondern für die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes. Mit der Behauptung, das Paradigma sei „neutral“, soll die Politik ersetzt oder den Zielen der Wirtschaft untergeordnet werden. Sie wäre dann zur Sinnlosigkeit verurteilt.??Es wird immer deutlicher, dass die Versuche zum Abbau des öffentlichen Sektors, dass die brutalen Angriffe gegen die Gewerkschaften, die wir gegenwärtig in Westeuropa erleben, der Vorstellung dienen, alle Sektoren, die nicht mehr als „produktiv“ angesehen werden oder die direkte Machtausübung dieser neuen politischen Akteure stören könnten, ein für allemal zu beseitigen. ??Die wirtschaftlichen Fragen sollen also der Großbourgeoisie, den Banken und Finanzinstitutionen überlassen werden, während sich die Politik um die Armen und Ausgegrenzten kümmert, das heißt um Probleme, die die Wirtschaft ihr übrig lässt. ??Die von Maastricht ausgehenden neoliberalen Weichenstellungen haben eine Erosion der materiellen Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung verursacht und zu einer Krise der Ablehnung der europäischen Integration geführt. Diese Krise ist darauf zurückzuführen, dass es dem wirtschaftlichen und sozialen Modell an Nachhaltigkeit fehlt, weshalb es unerträgliche Ungleichheit, Umweltkatastrophen sowie prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen hervorbringt. Damit können die politischen Probleme nicht gelöst werden, die dem Versagen des sozialen und politischen Zusammenhalts auf dem alten Kontinent zugrunde liegen. ??Dieses Vakuum und fehlende Aussichten auf Veränderung können zum Erfolg neopopulistischer Projekte führen, die auf einer Mischung von fremdenfeindlichen, rassistischen Elementen und neoliberalen Prinzipien beruhen. Deren Verfechter benutzen Angst und Unsicherheit als Hebel für einen reaktionären Massenpopulismus, für nationalistische Tendenzen, die eine tödliche Bedrohung für Bürgerrechte, demokratische Gleichheit, die Verteidigung sozialer Errungenschaften, ja des Sozialstaates selbst darstellen. ??Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen wir gemeinsam mit dem Volk soziale und kulturelle Aktionen entfalten, den Kampf um soziale Transformation unter den gegenwärtigen Bedingungen führen, um so dem politischem Handeln wieder einen Sinn zu geben. ??Wie unterschiedlich die Bedingungen in den einzelnen Ländern auch sein mögen, so ist die Krise, die die gesamte Gesellschaft erfasst hat, eine Krise des sozialen Zusammenhalts, wie Europa ihn bisher kannte. Sie löst Konflikte, Spaltungen und Spannungen aus. Sie spitzt den Klassenkampf zu. Gemessen an traditionellen politischen Kategorien, ob nun rechter oder linker Natur, nehmen diese Konflikte neue Formen an, weisen andere Eigenschaften auf. ??Die Krise der Politik ist eine der gefährlichsten und am wenigsten untersuchten Auswirkungen des neoliberalen Modells, das unserem Kontinent nun schon seit zwanzig Jahren aufgezwungen wird.??Die Krise des Verhältnisses zwischen Politik, Institutionen und Gesellschaft hat ein Vakuum geschaffen, das wegen des Fehlens einer Perspektive den Eindruck erweckt, die Politik sei nicht in der Lage, sich den großen Fragen unserer Zeit zu stellen.??Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ausgehend von diesen Realitäten eine neue Perspektive zu weisen. ??Diese Aufgabe muss unser Kongress bewältigen. Er muss die EL angesichts dieser Herausforderungen weiter profilieren. ??Die Partei der Europäischen Linken ist von politischen Parteien gegründet worden, die soziale und demokratische Transformation sowie Alternativen zur neoliberalen Politik durch aktives Engagement in den Institutionen und in den verschiedenen alternativen Bewegungen erreichen wollen. Wir möchten zum Aufbau von Bündnissen beitragen, die etwas ändern, so dass reale Alternativen entstehen.

B. Kämpfe, soziale Bewegungen und die Rolle der EL

Die Volkskämpfe, die sozialen und Bürgerbewegungen im globalen Maßstab haben die Forderung auf die Tagesordnung gesetzt: „Eine andere Welt ist möglich!“ Die globale Bewegung hat nicht nur die großen internationalen und transnationalen Institutionen herausgefordert, sondern auch die wirtschaftliche Macht. Wenn sie sich auch ungleichmäßig entwickelt, ist diese Bewegung dennoch eine wertvolle Quelle der Erneuerung linker Politik. ??Das Nein zum Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden hat sich in allen Ländern der Europäischen Union ausgewirkt und die tiefe Vertrauenskrise gegenüber der neoliberalen Orientierung der europäischen Politik offenbar gemacht. Europa erlebt weiterhin bedeutende Konflikte sozialer, bürgerrechtlicher und kultureller Natur. Die Gewerkschaftsbe­wegung steht vor neuen Herausforderungen. Der „alte“ Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit wird von neuen Zielen und Widersprüchen zwischen den Geschlechtern, Generationen, Kulturen und ethnischen Gruppen überrollt, vor allem aber von dem Bewusstsein, dass das Verhältnis von Mensch und Umwelt sie alle überlagert.??Aber die meisten dieser Kämpfe fließen nicht von selbst zusammen oder treten in Kontakt mit Formen der politischen Vertretung. Viele Forderungen der neuen Generationen, die das Arbeitsleben, das Leben insgesamt, die von der Gender-Frage beeinflussten zwischenmenschlichen Beziehungen betreffen, führen nicht automatisch zu einer vorherrschenden Kultur, wie Antonio Gramci sie genannt hat. Alle diese Forderungen werden nur dann zu einem Gesellschaftspro­jekt, wenn sie mit einer Kultur der Transformation und einer entsprechenden politischen Struktur zusammenwirken, die in der Lage ist, die Kräfte des Protests und die ?Verfechter sozialer Veränderungen zusammenzuführen. ??Das ist die Aufgabe der EL. ?Dieser Forderung können wir nur durch eine tiefgreifende Transformation der politischen Kultur gerecht werden. Das erfordert große Anstrengungen bei der theoretischen und praktischen Erneuerung. ??Wenn wir dazu nicht in der Lage sind, wird die Arbeit zu einem rein ökonomischen Faktor herabsinken, statt ein Paradigma für Emanzipation, für individuelle und kollektive Freiheit zu sein. Die Krise der Linken und der Demokratie würde sich weiter verschärfen.??Wir sprechen von einer Gesellschaft, in der zahlreiche Bewegungen für Veränderungen wirken, die von Spaltung, Gewalt, besonders gegen Frauen, von Individualismus und „tribalem“ Egoismus zerrissen ist. Angesichts dessen müssen wir im Lager des Kampfes für Veränderungen ein einheitliches soziales und kulturelles System aufbauen, müssen wir einen Prozess der Vereinigung, der Sozialisierung und gemeinsamer Politisierung befördern. ??Wir müssen die Transformation der gesamten Gesellschaft als integrierenden Bestandteil einer großen kulturellen Transformation, der Einführung neuer Formen des Zusammenlebens begreifen.

C. Europa und die Institutionen

Die Legitimitätskrise der Politik gefährdet den Prozess der europäischen Integration. Das Vertrauen in die europäischen Institutionen war noch nie so gering wie heute.??Die jüngste Ratspräsidentschaft hat sich erneut selbst Schranken auferlegt, indem sie die EU auf den globalen Wettbewerb in Bereichen wie Arbeitsmarkt, Energiepolitik, Naturressourcen und andere orientierte. In der Berliner Erklärung vom 25. März 2007 und beim EU-Gipfel vom Juni 2007 hat man auf der Logik des Binnenmarktes und dem von Maastricht geschaffenen Rahmen bestanden. Damit wurde der neoliberale Kurs der europäischen Integration bewahrt und mit ihm die politische Orientierung des neuen Vertrages. Wieder sollen die Entscheidungen von einer Regierungskonferenz und vom Europäischen Rat getroffen werden, ohne dass eine demokratische Debatte oder die Abstimmung in einem Referendum zugelassen werden. Das kann die Kluft zwischen den Bürgern Europas und dem europäischen Projekt nur weiter vertiefen. ??Statt die schwierigen politischen Probleme zu lösen, die die Krise der EU ausgelöst haben, versuchen die europäischen Regierungen sie zu umgehen. Heute stehen nicht nur die sozialen Errungenschaften der Arbeiter-, Frauen-, Friedens- und Umweltbewegungen auf dem Spiel, wie sie der Sieg über den Nazifaschismus in den Ländern Ost- und Westeuropas hervorgebracht hat, sondern viel mehr das Recht auf Organisation schlechthin. ??Wenn man das politische System den Interessen des Marktes und der Wirtschaft unterwirft, die Macht weiter konzentriert und die Politik mehr und mehr personalisiert, stellt man damit die traditionelle Organisation der Zivilgesellschaft in Frage. ??Der wachsende Druck auf den Zentralstaat und die Lokalverwaltungen, mehr Sicherheit zu gewährleisten, ist die andere Seite der fortschreitenden Aushöhlung der Demokratie. Wenn die Ausnahme zur Regel, wenn der Ausnahmezustand zum Dauerzustand wird, wenn die Freiräume immer mehr eingeengt werden, dann wird es zur wichtigsten, wenn nicht gar alleinigen Aufgabe der res publica, Repression auszuüben, für „law and order“ zu sorgen. ??Die Partei der Europäischen Linken muss in ihrem politischen Handeln einen Qualitätssprung erreichen. Das hängt von ihrer Fähigkeit ab, sich dem angeblich schicksalhaften neoliberalen Gesellschaftskon­zept entgegenzustellen, die Überzeugung auszustrahlen, dass die Dinge verändert werden können. ??Das macht eine konsequente Auseinandersetzung mit der Ideologie des Neoliberalismus erforderlich. Es geht um Lösungen für die Probleme, die aus den täglichen Erfahrungen der verschiedenen Bewegungen erwachsen. Diese Kämpfe können den Einstieg in eine sozioökologische Transformation Europas bewirken. Hier weist die Politik der EL große Schnittmengen mit Positionen der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften, der alterglobalis­tischen Bewegungen, dem Europäischen Sozialforum, mit Positionen feministischer, ökologischer und sozialer Bewegungen, mit der Welt von Wissenschaft und Kunst auf. ??Dieses Projekt erfordert eine engere Vernetzung unserer Parteien auf europäischer Ebene, die Entwicklung neuer Formen von Kommunikation und Kooperation. Es erfordert ein schärferes politisches Profil unserer parlamentarischen und außerparlamen­tarischen Kämpfe auf europäischer Ebene. Wir haben das Ziel, die große Koalition von Populisten, Konservativen und Sozialdemokraten aufzubrechen, die das Projekt Europa bisher geprägt hat. Wir wollen das Angebot einer linken Alternative ins Gespräch bringen. ??Die soziale Verwüstung, die die Reformen auf dem Arbeitsmarkt und das rasche Wachstum dessen bewirkt haben, was wir Prekariat nennen – stellt den Bereich dar, gegen den wir unsere Sozialpolitik entwickeln müssen. Deshalb müssen wir die europäische Politik des Grünbuchs bekämpfen, jenen erneuten Versuch, die Tarifautonomie auszuhebeln und ein individualistisches Beschäftigungsmo­dell einzuführen. Prekarität ist nicht etwas, mit dem nur junge Menschen am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Es ist die Beschreibung eines sozialen und kulturellen Zustandes. ??Das ist nicht nur ein ökonomisches Problem. Es ist eine Frage, die die Zivilisation als Ganzes betrifft. Es ist eine Krise der menschlichen Existenz, vergleichbar den offenen Fragen des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern, den Generationen und Gemeinschaften, zwischen Individuum und Klasse, Individuum und Gesellschaft. Dem Wesen nach handelt es sich um eine echte Zivilisationskrise. Und das enorme Anwachsen der Ungleichheit ist ihr wichtigster Charakterzug.

D. Für einen demokratischen Neuaufbau Europas

Die Partei der Europäischen Linken ist das einzige politische Subjekt auf dem europäischen Kontinent, das eine einheitliche Position zum Europäischen Verfassungsvertrag einnimmt. Ausgangspunkt unserer Gegenposition ist die Kritik am undemokratischen, neoliberalen und militaristischen Modell der europäischen Integration (das von dem Vertrag institutionalisiert wird). ??Wir haben es bisher gesagt und wir sagen es erneut: Nach der Ablehnung durch die Referenda in Frankreich und den Niederlanden ist der Vertrag tot. Alle, die ihn mit alchimistischem Zauber der Institutionen wiederbeleben wollen und dabei die Gründe für seine Ablehnung umgehen, wie es die europäischen Regierungen versuchen, führen Europa in eine neue Sackgasse. Das Projekt eines „modifizierten Vertrages“, das in Wirklichkeit die Substanz des abgelehnten Vertrages wieder aufnimmt, wird die gegenwärtige Zustimmungskrise nicht lösen. Mehr noch, jeder Schachzug, der die Völker von der Ratifizierung des Vertrages auszuschließen versucht, ist nicht nur unannehmbar, sondern auch gefährlich für die Zukunft der Europäischen Union.??Gegenwärtig ist die Gefahr größer denn je, dass das „Hindernis“, dass der ausdrückliche Wille der Völker bisher dargestellt hat, beiseite geräumt werden soll. Deshalb fordern wir eine wirkliche Debatte über den Inhalt des neuen Vertrages mit Beteiligung der Völker, bevor eine Entscheidung gefasst wird, und die Ratifizierung per Referendum in allen Ländern der Europäischen Union. ??Mit den vom Europäischen Rat im Juni 2007 beschlossenen Orientierungen ist eine Etappe der Verhandlungen über die Ausarbeitung eines neuen Vertrages eröffnet worden, der bis zur französischen Präsidentschaft von 2008 und den Europawahlen von 2009 ratifiziert werden soll. Für die EL und die Kräfte, die sich für ein anderes Europa einsetzen, steht viel auf dem Spiel. ??Die Partei der Europäischen Linken ist gegen diesen Vertragsentwurf, der darauf abzielt, die neoliberalen Grundlagen der gegenwärtig gültigen Verträge und des Europäischen Verfassungsver­trages zu erhalten – das Fundament einer Gesellschaft, die vom „freien, ungehinderten Wettbewerb“ reguliert wird, was in einem Zusatzprotokoll festgehalten werden soll. Wir sehen es als erforderlich an, eine neue Debatte über den künftigen Weg des Integrationspro­zesses im Sinne einer „Neugründung Europas“ zu führen. Mit der neoliberalen Logik zu brechen und die europäische Integration grundsätzlich neu zu orientieren ist der einzige Weg, um zu dauerhaftem Frieden, zu friedlicher Koexistenz und Zusammenarbeit der Völker und Staaten Europas, zu einer demokratischen, politischen und sozialen Perspektive des europäischen Kontinentes beizutragen. Diese Debatte soll zu einem neuen Gesellschaftsver­trag auf europäischer Ebene führen, der von allen Bürgern und Menschen anerkannt wird, die in Europa leben und leben wollen. ??Diese öffentliche europäische Debatte muss gestartet, organisiert und vorangetrieben werden. Das so oft beschriebene und anerkannte Demokratiedefizit, das seit der Gründung der EU besteht, muss überwunden werden. Der Raub der Souveränität, den die europäischen Institutionen in den letzten Jahren begangen haben, ist zu korrigieren. Wir fordern eine reale Beteiligung der Völker an der Ausarbeitung der Politik und am europäischen Projekt. Das ist der einzige Ausweg aus der tiefen Krise, in die die europäische Integration geraten ist. Unter diesen Umständen stellen die Europawahlen von 2009 eine politische Gelegenheit des Eingreifens zusammen mit allen Kräften dar, die sich für eine neue Perspektive Europas engagieren, der EL in erster Linie. Dabei geht es darum, ein neues Konzept von Europa entsprechend den sozialen und politischen Kämpfen der Bürger durchzusetzen. Wir wollen, dass das Europäische Parlament, das einzige Subjekt, das im gegenwärtigen institutionellen Aufbau der Union die Volkssouveränität repräsentiert, und die nationalen Parlamente tatsächlich die Akteure bei den Entscheidungen sind, die die institutionelle und politische Zukunft Europas betreffen.??Die Neugründung der Europäischen Union muss bei ihren Grundlagen beginnen. Ihr Herzstück muss ein neues soziales, ökologisches und demokratisches Modell sein, das mit der neoliberalen Politik bricht und die Teilhabe der Völker in allen Etappen seiner Entstehung sichert.

II. Partei der Europäischen Linken: Felder der Veränderung?A. Die kapitalistische Globalisierung und Europa

Die kapitalistische Globalisierung offenbart all ihre Mängel, ihre Grenzen und ihr nicht nachhaltiges Wesen. Beträchtliche Macht konzentriert sich mehr und mehr in wenigen Händen – den internationalen Finanzfonds, den transnationalen Konzernen und den supranationalen Organisationen des globalen Kapitalismus – der Welthandelsor­ganisation, dem Internationalen Währungsfonds, der Weltbank u.a. Sie entziehen sich jeglicher demokratischer Kontrolle. Diese Aushebelung der Demokratie ist möglich, weil die Regierungen der mächtigsten Staaten im Dienste der herrschenden Kräfte des Finanzkapitals Beschlüsse fassen, mit denen sie angeblich das Schicksal der Menschheit gestalten wollen.??Zu diesem Monopol im Bereich des Materiellen gesellt sich das im Bereich des Immateriellen. Wissen wird zu einer Handelsware, die hohen Mehrwert verspricht. Die Instrumente zum Erkennen der Wirklichkeit und zur Produktion notwendiger Güter sind heute in der Hand weniger Menschen. Das Schlüsselelement der aktuellen Phase des Kapitalismus ist es, mehr und mehr Profit aus der Akkumulation von Kapital in der Produktion nichtmaterieller Güter (Wissen, Information, Kommunikation, Bildung, Unterhaltung, Kultur) zu ziehen.??Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied im Wesen nichtmaterieller und materieller Güter. Die Haupteigenschaft immaterieller Güter besteht darin, dass sie von einem „Konsumenten“ und zugleich auch von anderen Personen genutzt werden können.??Ein grundsätzliches Ziel der Linken muss heute sein, das Wesen des Wissens als öffentliches Gut zu bekräftigen und für die Durchsetzung dieses Prinzips zu kämpfen. Und das nicht nur durch effektive Maßnahmen für den freien Zugang zu Wissen, sondern vor allem dadurch, dass die Produktion von Wissen der immer stärkeren Unterordnung unter die Gesetze des Marktes entzogen wird.??Die neoliberale Politik muss das Wesen der Demokratie beschneiden, das heißt die Entscheidungsbe­fugnisse der Vertretungsorgane der Völker (Parlamente, Räte usw.) abbauen. Der europäische Kapitalismus versucht, auf die Expansion des kapitalistischen Marktes und den globalen Wettbewerb durch Produktionskos­tensenkung, durch Produktionsver­lagerung, Lohnkontrolle, den Abbau von Rechten und die Reduzierung der Eingriffe des Staates in die Wirtschaft zu reagieren. Nach wie vor sind wir Zeugen von Privatisierung, Profitmaximierung und finanzieller Spekulation, von Vermögenskonzen­tration und wachsender Ungleichheit, ohne dass sich eine gesellschaftliche und politische Kritik erhebt, die diese Prozesse umkehren könnte. Die Kriterien von Maastricht, bis heute die Grundlage der Wirtschaftspolitik, wirken weiterhin als Zwangsjacke für die politischen und sozialen Errungenschaften. Demselben Zweck dienen auch der Stabilitätspakt und die rigiden monetaristischen Kriterien der Europäischen Zentralbank.

Unser sozioökonomisches Angebot für Europa basiert auf fünf Grundprinzipi­en.?Dies sind:?1) die Notwendigkeit, Vollbeschäftigung bei gesicherten Arbeitsverhältnis­sen zu erreichen,?2) der Vorrang staatlichen Eingreifens im Finanzbereich,?3) die Notwendigkeit, das aktuelle Umwelt schädigende Modell zu überwinden,?4) die Schaffung eines öffentlichen Sektors und öffentlicher Dienstleistungen auf europäischer Ebene,?5) das dringende Erfordernis, allen Menschen ein Minimaleinkommen und eine Rente in Würde zu garantieren.

Um diese Ziele zu erreichen, gehen wir von Folgendem aus:?1) Der EUHaushalt soll von gegenwärtig 1 Prozent des europäischen Bruttoprodukts auf 3 Prozent aufgestockt werden.?2) Aufgabe der Europäischen Zentralbank soll nicht nur die Kontrolle der Inflation, sondern auch die Erhöhung des Beschäftigungsni­veaus sein.?3) Die Europäische Zentralbank muss demokratischer Kontrolle unterstellt werden.

Das bedeutet, dass wir für Folgendes eintreten:?A) Auf europäischer Ebene ist eine aktive Industriepolitik zu betreiben, wobei ein europäischer öffentlicher Sektor im Zusammenwirken mit dem privaten Sektor Synergieeffekte erzeugt.?B) Alle Maßnahmen müssen mit Achtung vor der Umwelt erfolgen, und das nicht nur im direkten Sinne, sondern auch durch eine Rationalisierung von Bedarf und Nutzung der Energiequellen.?C) Es sind soziale Sicherheit und würdige Lebensbedingungen zu garantieren, was bedeutet, dass die Menschenrechte aller geschützt werden, die in Europa leben und arbeiten.??Die Partei der Europäischen Linken will das Steuersystem der EU verändern, vom gegenwärtigen System der Mehrwertsteuer, einer nationalen, indirekten und regressiven Steuer, die auf dem individuellen Verbrauch beruht, zu einem europäischen progressiven System, das auf dem individuellen Einkommen beruht und einen Umverteilungseffekt aufweist. Das heißt, vom gegenwärtigen System, das die Besteuerung der Kapitalrenditen minimiert und die Hauptlast den Arbeitskommen auferlegt, zu einem progressiven System, das eine Umverteilung des geschaffenen Reichtums ermöglicht. Wir treten für eine Besteuerung von finanziellen Einkünften und Finanzspekulationen (Tobin-Steuer) ein. ??Wir sollten über die Einführung eines umfassenden sozialen Schutzes in der EU nachdenken, der universelle, unveräußerliche Rechte garantiert und ein anderes Zivilisationsmodell begründet.??An­gesichts der Hegemonialziele der Großmächte und der internationalen Finanzinstitutionen sowie der Krise des Unilateralismus der USA sollten wir unsere Forderung nach einer Neubewertung der Rolle und der Befugnisse einer reformierten, demokratisierten Organisation der Vereinten Nationen bekräftigen.?Das ist einer der Gründe, weshalb die Partei der Europäischen Linken die gegenwärtige Initiative für ein Wirtschaftliches Partnerschaftsab­kommen (EPA) ablehnt, weil hierbei die kommerziellen Beziehungen mit den Ländern Afrikas und des Mittelmeerraumes nach Methoden des Neokolonialismus und der Ungleichheit sowie nach den Direktiven des IWF und der Weltbank gestaltet werden sollen. Die Europäische Nachbarschaftspo­litik (PEN) folgt derselben Logik. Sie ist nicht geeignet, Beziehungen gemeinsamer Entwicklung herzustellen, und birgt das Risiko, Ungleichheit und Wachstumsrückstand in gefährlicher Weise zu vergrößern. Wenn wir den Herausforderungen der Entwicklung gerecht werden wollen, dann muss Europa ein neues Modell der Zusammenarbeit realisieren, das frei von den Kriterien des Neoliberalismus ist. Diese Umorientierung wird um so notwendiger angesichts der neuen Aufgaben der EU-Erweiterung.

B. Der permanente Krieg und die Friedensbewegung

Die internationale Lage ist weiterhin von Krieg geprägt. Der Unilateralismus, den die neokonservative US-Administration seit dem 11. September verfolgt, steckt in einer Sackgasse. Diese Strategie ist gescheitert und erhält keine Zustimmung mehr, nicht nur international, sondern auch im Lande selbst, wie die kürzlichen Midterm-Wahlen zum amerikanischen Kongress gezeigt haben. Der Unilateralismus musste Rückschläge hinnehmen, ist aber noch nicht besiegt. Das wirkliche Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ist das Fehlen einer alternativen Politik, die den Unilateralismus zu isolieren und einen Friedensprozess zu eröffnen vermag, der zu einer Wende in der gegenwärtigen Situation führt.??Die Strategie des Präventivkrieges stellt das Werkzeug dar, um der Welt den Willen der USA aufzuzwingen. Sie ist weit entfernt vom deklarierten Ziel des Krieges gegen den Terrorismus (der durch diese Strategie nur weiter angeheizt wird). Das wird in dem Projekt eines „Neuen amerikanischen Jahrhunderts“ ganz offen erklärt. Ebenso in dem Plan eines „Neuen“ oder „Großen“ Nahen Ostens, welcher der Kontrolle über diese Schlüsselregion strategischer Ressourcen dienen soll. Die Neokonservativen streben eine neue Weltordnung an, in der das Völkerrecht beseitigt ist und die Vorherrschaft der USA mit brutaler militärischer Gewalt durchgesetzt wird. Das hat bereits zu einem Wettrüsten globalen Ausmaßes geführt, das heute für jeden sichtbar ist. Aber es zeigt sich keine politische und diplomatische Alternative zu dieser veritablen Krise imperialer Politik. Europa könnte bei der Schaffung dieser Alternative eine Schlüsselrolle spielen, aber wieder einmal ist es nicht auf der Höhe seiner Aufgaben. Die Kluft zwischen dem Willen der Völker sowie der Politik und dem Handeln der Regierungen wird immer deutlicher. Es hat sich ein Vakuum der Politik gebildet, da Europa als politischer Akteur ausfällt, der in der Lage wäre, eine politische und diplomatische Alternative anzubieten, mit den Mittelmeerländern und über den Mittelmeerraum als unsere natürliche und wichtige Zukunftsregion zu sprechen. In dieser Hinsicht ist die Politik unfähig, auf die Erwartungen zu reagieren, die die Friedensbewegung auf unserem Kontinent und weltweit in ihren großen Aktionen zum Ausdruck gebracht hat. Denken wir nur daran, was aus der Affäre um die geheimen Flüge der CIA geworden ist.??Der Kampf um den Frieden bleibt ein entscheidendes Element für jede Alternative zu dem von der neoliberalen Politik beeinflussten Zivilisationsmodell als Reaktion auf die globalen Herausforderungen. Europa und die EU können und müssen eine andere Rolle spielen, um eine Weltordnung zu erreichen, die auf der grundsätzlichen Anerkennung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen beruht, die bei ihrer demokratischen Umgestaltung die Erfahrungen der vergangenen 60 Jahre berücksichtigt. Das bedeutet: Die Partei der Europäischen Linken steht für eine internationale Politik und eine Weltordnung, die auf dem Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Recht des Stärkeren beruht. Sie wendet sich gegen militärische Gewalt, die das katastrophale Ergebnis von fünf Jahren präventivem und permanentem Krieg der USA ist. ??Die Partei der Europäischen Linken bekräftigt, dass sie für ein Europa des Friedens eintritt, das von den USA unabhängig ist. In diesem Zusammenhang muss das strategische Verhältnis zur NATO in Frage gestellt und überwunden werden. Die gegenwärtigen Versuche, Europa zu spalten und zu militarisieren, wie z.B. die Errichtung der Raketenabwehran­lagen, sind klar zurückzuweisen. Zum einen untergraben sie die Selbständigkeit Europas, zum anderen sind sie integraler Bestandteil einer Strategie weltweiter Aufrüstung und militärischer Kontrolle der internationalen Beziehungen.??Wir wollen ein Europa, das ein Ort des Dialogs der Zivilisationen ist. Ein Europa ohne Militärbasen und unabhängig von den USA. Ein Europa als vollwertiger und einflussreicher Akteur auf der internationalen Bühne. Diese Rolle sollte nicht durch Rüstungs- oder Machtpolitik bestimmt werden, sondern durch aktives Handeln in der Welt, um Frieden und vollständige Abrüstung voranzubringen­.??Die Partei der Europäischen Linken wendet sich gegen die Stationierung eines neuen Raketenabwehrschil­des auf dem Gebiet der EU, weil dies ein weiterer Schritt zur Militarisierung und Unterordnung unter die NATO bei Absage an jede Perspektive politischer Unabhängigkeit wäre.??Zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU, so wie sie heute als an die NATO gekoppelte Integration konzipiert und umgesetzt wird, schlagen wir eine Alternative vor.??Die Partei der Europäischen Linken lehnt Gewalt zur Regelung von Konflikten ab. Gemeinsam mit den Friedensbewegungen wird sie dafür arbeiten, alle Kräfte zusammenzuschli­eßen, die sich der militaristischen und neoimperialis­tischen Politik widersetzen. Es ist notwendiger denn je, dass Europa zu einem Akteur des Friedens, der Sicherheit, der gleichberechtigten Zusammenarbeit und der Stabilität zum Nutzen der ganzen Welt wird. Diese Rolle darf und wird nicht durch militärische Macht realisiert werden, sondern durch eine GASP, die auf einem Konzept nichtmilitärischer Sicherheit in ihren vielen Facetten beruht. Ebenso notwendig ist ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem, das ein neues Verhältnis zwischen der EU und Russland erfordert. Das wiederum macht eine Bewegung für Abrüstung, insbesondere auf nuklearem Gebiet, in Europa und der Welt dringend notwendig. ??In all diesen Jahren ist der israelisch-palästinensische Konflikt und die Okkupation palästinensischen Territoriums durch Israel die Ursache von Kriegen und Konflikten gewesen, die die jüngste Geschichte des Nahen Ostens und des Mittelmeerraumes geprägt haben, ein permanenter Destabilisierun­gsfaktor für die ganze Welt. Eine gerechte Lösung dieses Konflikts scheint von immer größerer Dringlichkeit für die gesamte internationale Gemeinschaft zu werden. Die Voraussetzung für eine wirkliche politische Wende in dieser Region ist die Aufnahme neuer Verhandlungen, beginnend mit der Einstellung der Militäraktionen und der Sanktionen gegen die demokratisch gewählte palästinensische Regierung sowie der Freigabe der widerrechtlich konfiszierten palästinensischen Guthaben. Wir können uns keine Regelung vorstellen, die nicht die Hauptprobleme klärt, an denen die Palästinenser vor allem leiden: Israels Rückzug von den seit 1967 besetzten Territorien, das Schicksal der Flüchtlinge, der Status von Jerusalem und die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates.??Das Scheitern der Gewaltpolitik Israels im Libanon sollte als Gelegenheit betrachtet werden, eine konkrete und wirksame Dynamik des Friedens in Gang zu setzen, Verhandlungen auf der Basis des Völkerrechts aufzunehmen und die Grundlagen für einen neuen Friedensprozess zu legen. In der letzten Zeit sind dafür verschiedene Initiativen gestartet worden. Diese können allerdings nicht realisiert werden ohne das aktive Mitwirken von Staaten, die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern als Vermittler befördern können. Zu lange schon beweist Europa strategische Schwäche und die Unfähigkeit, auf der Grundlage des Völkerrechts eine aktive Rolle zu spielen, um Aussichten für einen dauerhaften Frieden in der Region zu schaffen.??Die Partei der Europäischen Linken engagiert sich für eine Regelung nach der Losung „Zwei Staaten für zwei Völker“ auf der Basis der UNO-Resolutionen.?In diesem Rahmen steht die Linke vor der dringenden Notwendigkeit, einen neuen Dialog zu eröffnen, der die Bestimmung eines gemeinsamen Standpunktes, einer gemeinsamen Strategie und eines gemeinsamen Engagements zum Ziel hat.??Deshalb schlagen wir vor, dass die Partei der Europäischen Linken eine internationale Beratung durchführt, die als wichtige Subjekte die israelische und die palästinensische Linke einbeziehen sollte. So könnte ein wirksamer Beitrag zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten geleistet werden.

III. Für ein neues soziales, demokratisches und ökologisches Modell?A. Ein soziales Europa

Das Europa, das wir wollen und für das wir kämpfen, ist ein soziales Europa, ein Europa der Arbeit und der Rechte. Es ist eine Alternative zum Europa der Deregulierung und der Einschränkung von Rechten, des Sozialdumpings auf ausländischen Märkten und der horizontalen Konflikte zwischen Arbeitern und Immigranten, zwischen Ost und West.??Die Partei der Europäischen Linken kämpft für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, für Vollbeschäftigung mit gesicherten Arbeitsverhältnis­sen, für ein Europa ohne Prekarität. Man will uns soziale Verhältnisse aufzwingen, die dem Markt vollständig untergeordnet sind, wo es im Namen von Wettbewerbsfähig­keit und Flexibilität keinerlei Rechte gibt. Die Partei der Europäischen Linken, die das Grünbuch der Europäischen Kommission ablehnt, schlägt Gesetze vor, die auf gleichen Rechten für allen, der umfassenden Achtung der Gewerkschaftsrechte und der Tarifautonomie beruhen. ??In ganz Europa gibt es ernste Probleme bei den Löhnen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst überall, wenn auch in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Diejenigen, die den Reichtum schaffen, haben ein Recht auf adäquate Bezahlung, die zumindest mit der wachsenden Produktivität Schritt halten muss. ?Für die Linke ist die Lohnfrage nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern ein Thema ihrer politischen Strategie. ??Die enorme Steigerung der Produktivität muss an die Werktätigen weitergegeben werden, besonders an jene, deren Löhne an Kaufkraft eingebüßt haben. Als Minimum an gemeinsamen Rechten schlägt die Partei der Europäischen Linken vor, einen europäischen Mindestlohn als Instrument anzusehen, um die Löhne in Europa nicht nach unten, sondern nach oben anzugleichen. ??In ganz Europa werden Aufgaben wie Pflege oder Kindererziehung den Frauen überlassen, was den Regierungen die Möglichkeit gibt, sich aus der Verantwortung zu stehlen und die bestehenden öffentlichen Dienstleistungen in Frage zu stellen. Frauen erhalten weniger Lohn als Männer für die gleiche Arbeit, sie sind häufig unterbeschäftigt und arbeiten in Teilzeit. Die Arbeitslosenrate unter Frauen ist höher. Frauen werden bei den sozialen Sicherungssystemen – bei Renten und anderen Sozialleistungen – quantitativ und qualitativ benachteiligt. ??Wir fordern reale Gleichheit von Männern und Frauen bei Beschäftigung, beruflicher Entwicklung und Löhnen. Wir fordern das Recht auf Arbeit, Sicherheit am Arbeitsplatz, wirkliche Weiterbildungsmöglichke­iten für alle und Maßnahmen, die es ermöglichen, Arbeit sowie Privat- und Familienleben in Einklang zu bringen. ?Für die Partei der Europäischen Linken haben die Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen und des öffentlichen Sektors Priorität.

B. Ein Europa der Umwelt und der Gemeinschaftsgüter

Der globalisierte Kapitalismus verschärft die Krise der Umwelt. Seine Wirtschaft ist auf kurzfristige Aktiengeschäfte an den Börsen orientiert. Das steht in tiefem Widerspruch zu den natürlichen langfristigen Kreisläufen. Die Umwelttechnologien sind hochentwickelt, aber nirgendwo werden Handel und Lebensweise mit Respekt vor der Umwelt gestaltet. Das ist um so ernster, als in den nächsten Jahren die Entscheidung ansteht, ob es noch möglich ist, eine globale Klimakatastrophe zu verhindern. Einschneidende Veränderungen unserer Lebensweise sind unumgänglich. ??Die gefährlichen Folgen des kapitalistischen Entwicklungsmodells treten im Umweltbereich immer deutlicher hervor. Die neuen Generationen werden mit Klimaveränderungen konfrontiert sein, die aus der direkten Einwirkung des Menschen auf die Biosphäre resultieren. Ein Modell, das ausschließlich auf das schnellste Erreichen von Maximalprofit zu den niedrigsten sozialen und ökologischen Kosten gerichtet ist, kann nur zur Zerstörung unseres Planeten führen. Im Jahre 2020 werden drei Milliarden Frauen und Männer keinen Zugang zu Wasser mehr haben, einer Ressource, die immer knapper wird und die viele zu privatisieren versuchen.??Wir brauchen nicht nur eine Politik der Senkung des CO2-Ausstoßes und der Kontrolle seines gegenwärtigen Niveaus, sondern eine Energiepolitik, die bereit ist, radikale Veränderungen beim Energieverbrauch herbeizuführen. Das ist nur möglich durch eine Programmierung der wirtschaftlichen Entwicklung, durch Investitionen in erneuerbare Ressourcen, durch die Verringerung und Vermeidung von Abfall. ??Wasser, Energie, Gesundheit, Bildung, Verkehr und Kommunikation – alles, was wir als Gemeinschaftsgüter definieren, muss gemeinschaftlich bleiben und vor Privatisierung geschützt werden. Wir stimmen mit den Beschlüssen der Weltwasserver­sammlung für Bürger und Abgeordnete (WWACE) überein, die im vergangenen März in Brüssel stattgefunden hat. Wir unterstützen vollständig deren Forderungen. ?[Die Partei der Europäischen Linken kämpft für ein Europa, das in der Lage ist, die Gemeinschaftsgüter (vor allem Wasser und Energie) vor Vermarktung und Privatisierung zu schützen. Die öffentlichen Dienstleistungen zu verteidigen und zu entwickeln, die Voraussetzungen für eine soziale und demokratische Kontrolle der für das Zusammenleben der Menschen unabdingbaren großen Wirtschaftsbereiche und der Schutz der Umwelt – das sind die wichtigsten Ziele des politischen Handelns der Linken zur Veränderung Europas.]?Die Grundmerkmale unserer alternativen Strategie sind eine Wirtschaft des Friedens, der sozialen und demokratischen Rechte sowie der Achtung vor der Umwelt.

C. Ein Europa der Rechte und Freiheiten

Für das Europa, das wir wollen, müssen wir eine wirkliche Strategie erarbeiten, die einer Harmonisierung nach oben, einer Dynamik der Moral Raum gibt, um für den gesellschaftlichen Fortschritt und das Zusammenleben eine völlig neue Perspektive zu eröffnen. ?Wir wollen für die Grundrechte eine neue Ära eröffnen. ??Die Partei der Europäischen Linken engagiert sich voll für den Schutz der Bürgerrechte, der Freiheit der Meinungen und des Protestes, der politischen und gewerkschaftlichen Organisationen für Jedermann und in allen Formen, gegen die Ausnahmegesetze, die nach dem 11. September in fast allen europäischen Ländern eingeführt worden sind. ??Der „Krieg gegen den Terrorismus“ wird benutzt, um massive Einschränkungen der Grundrechte und Freiheiten zu rechtfertigen. Brutale Herrschaftsmethoden werden mit immer weniger Bedenken angewandt. Guantanamo, die Rückkehr der Folter oder – was Europa betrifft – die CIA-Flüge sind dafür eindeutige Beispiele. ??Wir fordern die Aufhebung aller Ausnahmegesetze, die nach dem 11. September in den verschiedenen europäischen Ländern eingeführt wurden. ?Wir kämpfen gegen die soziale Segregation der Migrantenbevölke­rung und schlagen ein Programm vor, das auf der Anerkennung der Gleichheit der politischen und sozialen Rechte beruht. Auch das Asylrecht soll auf europäischer Ebene geregelt und garantiert werden, ebenso das Staatsbürgerschaf­tsrecht. Obwohl die Europäische Union gegenwärtig eines der wichtigsten Zielgebiete für einen beträchtlichen Teil der Migrationströme ist, fehlt ihr nach wie vor eine gemeinsame Politik, die gleiche Rechte und Freiheiten garantiert. Im Gegenteil, die gemeinsame Immigrationspolitik der Mitgliedstaaten ist gekennzeichnet durch die Aufhebung der inneren Grenzen einerseits sowie die stärkere Befestigung und gemeinsame Kontrolle der Außengrenzen andererseits. ??Alle Entscheidungen und Vereinbarungen zwischen den Regierungen sind auf dieses Ziel gerichtet. Es ist die Ausgrenzungsfun­ktion, die alle drei Hauptdokumente der Immigrationspolitik der EU charakterisiert – das Schengener-Abkommen und die Vereinbarungen zu seiner Anwendung (Schengen-Acquis), die Dubliner-Konvention zur „Harmonisierung“ der Einschränkung des Asylrechts und die gemeinsamen Bestimmungen für die Visaerteilung. Das läuft darauf hinaus, dass eine ständig wachsende Liste von Staaten erstellt wird, deren Bürger Einreise-Visa der Europäischen Union vorlegen müssen. Die Verstärkung solcher Behörden wie Frontex, die Unterstützung von Maßnahmen wie der Behandlung von Abschiebezentren für Migranten und Minderjährige als exterritorial oder die Benutzung von „Vertragsnehmern“ zur Sperrung der Wege nach Europa führen alle zu dem gleichen Ergebnis. ??Aus diesem Grunde wollen wir das Frontex-System in Frage stellen und dafür sorgen, dass die Rechte der Flüchtlinge garantiert und auf die großzügigsten Regelungen in europäischen Staaten ausgerichtet werden. ??Ebenso betrachten wir das Recht auf Gesundheit als ein Grundrecht in einem Europa, das demokratisch und hochentwickelt sein will. Der fortschreitende Abbau des öffentlichen Gesundheitswesens zeugt dagegen von einer neoliberalen Politik, die das Recht auf Gesundheit nur jenen zubilligt, die bezahlen können. Es muss aber für Jedermann garantiert werden. Um das zu erreichen, kämpft die Partei der Europäischen Linken dafür, in ganz Europa eine gerechte Finanzierung der öffentlichen Gesundheitsein­richtungen, den Zugang zu wichtigen Medikamenten, das Recht auf körperliche und geistige Gesundheit durchzusetzen. ??Das Recht auf Arbeit muss durch die Aufhebung aller Diskriminierungen – seien es solche aus Gründen der Religion, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Meinung oder des Herkunftslandes – garantiert werden. ??Jeder Mensch hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen. Die Senkung der Arbeitszeit ist eines unserer Ziele in ganz Europa. Wir setzen uns für Vollbeschäftigung und zeitlich unbefristete Arbeitsverhältnisse ein. Wir kämpfen gegen jede Form der Prekarisierung, um würdige Renten für Jede und Jeden. Jeder und jede Beschäftigte muss vor Entlassung geschützt werden. Willkürliche Entlassungen sind zu bestrafen.??Das Recht auf Tarifverhandlungen, auf Streik und auf freie gewerkschaftliche Organisation muss in Europa wieder garantiert werden. ??Die totale Prekarisierung der Arbeitsverhältnis­se, besonders für die junge Generation, das Prinzip der Anerkennung eines individuellen Rechts, das es ermöglichen soll, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und so „die Bande der Abhängigkeit als soziales Schicksal abzuwerfen“, drängt die Linke förmlich dazu, eine große Debatte darüber zu eröffnen, wie die Bürger Europas vor dem Zwang zu zweitrangiger, entwürdigender oder miserabel bezahlter Arbeit geschützt werden können. Die ständige Erweiterung der Europäischen Union hat zu einer beschleunigten Ausbreitung dieses Phänomens geführt. In diesem Sinne könnte ein existenzsicherndes Einkommen die richtige Formel für die Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz und zum Schutz der Jugend und der Bedürftigen vor Erpressung durch den Markt sein. Es gibt keine vollwertige Staatsbürgerschaft, wenn die soziale Herkunft eines Mensch die Grenzen seiner künftigen Chancen absteckt.??Die Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen muss im Zentrum unserer Vorschläge für ein neues Europa stehen. ??Die öffentlichen Dienstleistungen, so unterschiedlich organisiert sie in den europäischen Ländern auch sein mögen, dürfen nicht den Regeln des Wettbewerbs und dem Streben nach Profit ausgesetzt werden. Sie haben, im Gegenteil, die Befriedigung von Grundbedürfnissen zu gewährleisten. Sie müssen demokratisch und öffentlich verwaltet werden. Das betrifft Gesundheit, Wohnung, Verkehr, moderne Kommunikation und Bildung. Der Vermarktung und Verarmung von Wissen, Ausbildung und Forschung muss Einhalt geboten werden. Ausbildung muss wieder zu einem Grundrecht für alle werden und die kulturelle Entwicklung jedes Menschen begleiten. Die vollständige Unabhängigkeit von Lehre und Forschung für Studenten, Hochschullehrer und Forscher ist zu garantieren. Sie müssen der Logik des schnellen Profits entzogen werden. Für die Forschung sind ausreichend öffentliche Mittel bereitzustellen. Das Europa, das wir wollen, muss die notwendige öffentliche Finanzierung von der Schule bis zur Universität sicherstellen. Forschung ist ein Kernstück der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung aller Länder Europas, sie ist die Zukunft der kommenden Generationen. ??Ein neues Konzept der wirtschaftlichen Entwicklung ist notwendig, insbesondere im Bereich der Ausbeutung der Naturressourcen. Ein Wirtschaftsmodell, das die Umwelt mit Respekt behandelt und auf die Entwicklung der Fähigkeiten des Menschen gerichtet ist. Die natürlichen Ressourcen sind als Gemeinschaftsgut der Menschheit zu betrachten, für die das Recht auf geistiges Eigentum und Patente nicht gelten dürfen. Sie müssen außerhalb von Privatisierung und Markt bleiben und von der öffentlichen Politik mit Beteiligung der Bürger verwaltet werden.??Wasser ist ein solches Gemeinschaftsgut. Der Zugang zu Trinkwasser ist ein Grundrecht jedes Menschen. Er muss von öffentlichen Einrichtungen garantiert werden. ??Auch Grund und Boden ist vor den multinationalen Konzernen zu schützen. Staatliche Regeln gegen deren Praktiken sind einzuführen, denn wir wollen umweltschädigende Landwirtschaft verhindern. ??Unser Europa muss den Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei Achtung ihrer Unterschiede und ihrer Vielfalt achten und garantieren. Aus diesem Grunde erkennen wir das Recht auf Gleichheit der Geschlechter in der Partnerschaft und auf eine freie sexuelle Orientierung als Grundwert an. Es soll nicht nur als in der Privatsphäre garantiertes Recht des Einzelnen sondern auch als vom Staat garantierte und akzeptierte Entscheidung anerkannt werden. ??Alle öffentlichen Einrichtungen haben die Freiheit der Frau zu gewährleisten und gegen jegliche Form des Patriarchats einzuschreiten. Jede Frau in jedem Land muss in die Lage versetzt werden, über ihren Körper frei zu entscheiden, das Recht auf Abtreibung, auf Schwangerschaf­tsverhütung und selbstbestimmte Mutterschaft sowie auf künstliche Befruchtung zu genießen.??Ein demokratisches und offenes Europa ist ein Europa, das für den säkularen Charakter seiner öffentlichen Einrichtungen sorgt, das allen Bürgern Würde und Gewissensfreiheit, die Freiheit der individuellen und gemeinschaftlichen Religionsausübung sowie die Freiheit der Organisation und der ungehinderten Äußerung ihrer politischen Meinung garantiert. ??In diesen Thesen sind die wichtigsten Charakteristika eines anderen Europas dargelegt. Sie laufen auf eine andere Zivilisation hinaus.?Wir kämpfen für den Frieden, für Demokratie, für soziale und politische Rechte. Sie sind keine einzelnen Parameter, sondern Elemente einer alternativen Entwicklung in ihrer Totalität, einer nachhaltigen Entwicklung. ??Eine Friedenswirtschaft, soziale und demokratische Rechte, eine umweltgerechte Wirtschaft – dies sind Charakterzüge unserer alternativen Strategie. ?Eine tiefgreifende demokratische Neugestaltung der europäischen Institutionen ist unverzichtbarer Bestandteil der Strategie, die wir verfolgen. Auf diesem Gebiet übernehmen die Partei der Europäischen Linken und unser breites Bündnis die historische Verantwortung, das politische Gleichgewicht und die politische Orientierung Europas zu verändern.

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