Von Günther Hopfgartner (26.11.2008)
Die Piraten sind unter uns. Nicht bloß im Kino. Nein, praktisch überall auf den sieben Weltmeeren lauern sie, kapern unsere Supertanker und erpressen Lösegeld. Und werden dafür in ihren Heimatländern oftmals auch noch als Helden verehrt. Wie konnte es nur so weit kommen?
Beispiel Somalia, das aktuell als Heimathafen und Zuflucht für die ruchlosesten unter den Freibeutern gilt: Seit 1992 ohne Regierung, in einen andauernden Bürgerkrieg verstrickt, ist Somalia faktisch kein Staat mehr. Die staatliche Autorität hat abgedankt, es regiert weitgehend das Faustrecht.
Die Zahl der Somalis, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, ist zudem seit Jahresanfang um 77 Prozent gestiegen: von 1,8 auf 3,2 Millionen Menschen. So ermeldet es ein Bericht, den UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vor wenigen Tagen vorlegte.
Fürchterliche Zahlen, die keineswegs zu einem ähnlich heftigen Rascheln im europäischen Blätterwald führten wie die jüngsten Akte von Piraterie am Horn von Afrika. – Und schon gar nicht zu einer konzertierten humanitären Hilfsanstrengung.
Stattdessen ist das Seegebiet rund um den Golf von Aden, zum Aufmarschgebiet von Kriegsschiffen aus diversesten Häfen geworden. Einer Aufstellung der Nachrichtenagentur Reuters vom 21. November zufolge ist allein die NATO mit zwölf Kriegsschiffen vertreten.
Keines von ihnen wird die bittere Armut in Somalia bekämpfen, noch dem gebeutelten Staat Stabilität und Demokratie bringen. Stattdessen sichern sie Handelswege für die reichen Industriestaaten.
Ein weiterer Praxistext also für die im April 1999 auf dem Gipfel von Washington beschlossene neue NATO-Strategie. Dort wurden die „elementaren sicherheitspolitischen Herausforderungen“ des 21. Jahrhunderts katalogisiert, bei denen sich die westliche Allianz das Recht auf militärische Reaktionen zuerkennt. Es heißt da unter Punkt 24: „Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen.“
Ähnlichlautende Formulierungen finden sich auch im gescheiterten EU-Verfassungsvertrag und dem Vertrag von Lissabon. Dementsprechend überraschte es auch niemanden, als die EU sich am 9. November im Gleichschritt mit der NATO zur global agierenden Seemacht stilisierte: Ab Mitte Dezember wird vor der Küste Somalias ein Verband aus mindestens fünf, höchstens sieben EU-Schiffen auf Patrouille sein und Piraten jagen. Die Einheiten verfügen über ein robustes Mandat und ein eigenes Kommando, sie dürfen Kaperschiffe aufbringen, sprich: Die gefürchteten Speed-Boote der somalischen und jemenitischen See-Guerilla verfolgen, entern und ihre Besatzungen festsetzen.
Alles zum Wohle des freien Warenverkehrs!