KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Über den Extremismus der Mitte

Von Leo Furtlehner (6.1.2015)

Je weiter Ereignisse zurück in der Vergangenheit liegen, umso mehr werden sie in der Gegenwart verklärt. Nostalgie ist zwar ein schlechter historischer Ratgeber. Umso heftiger klammern sich Menschen in Unkenntnis historischer Prozesse an eine Vergangenheit, die in der nachträglich mit entsprechendem Zeitabstand interpretierten Form so nie stattgefunden hat.

Das gilt für die Sicht auf die „gute alte Zeit“ der Monarchie, das Motto „es war nicht alles schlecht“ der Ewiggestrigen im Blick auf NS-Regime genauso wie für die nostalgische Erinnerung an den Realsozialismus in Osteuropa. Und auch zum 20. Jahrestag des Beitritts Österreichs zur EU 1995 wird von manchen ein Idealbild des „alten“ Österreich beschworen, das in dieser Form nie existiert hat. Denn so sozial, so demokratisch und so unabhängig war Österreich nie, wie es von manchen heute nachträglich interpretiert wird.

Erleichtert wird eine solche Nostalgie allerdings durch die ignoranten Jubeltöne der „glühenden Europäer“, also jener Propagandist_innen, die heute ebenso Schönfärberei betreiben wie vor der Volksabstimmung 1994. Vergleicht man freilich, dass 1994 zwei Drittel der Österreicher_innen den Beitritt befürwortet haben und 2015 laut Umfragen ebenso zwei Drittel die Mitgliedschaft nicht in Frage stellen, so hat sich eigentlich wenig geändert. Fakt bleibt, dass etwa ein Drittel als EU-kritisch in welcher Variante auch immer eingestellt ist.

Im „Standard“ jubelt der Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, Paul Schmidt, über „viel Licht, wenig Schatten“ und schwärmt davon, dass die Zugehörigkeit zur EU „mehrheitlich Vorteile“ gebracht habe. Er muss aber dann einräumen, dass nur „Großunternehmen und Jugend“ wirklich profitiert, hingegen „Arbeitnehmer und Ältere“ schon weniger profitieren und für „kleine und mittlere Unternehmen oder Landwirte“ die Nachteile sogar überwiegen.

Abgesehen davon, ob die Jugend abgesehen von Reisefreiheit und einheitlicher Währung generell wirklich solche Vorteile hat – man denke nur an die auch in Österreich steigende Jugendarbeitslo­sigkeit, dass zunehmend prekäre Jobs Standard für Akademiker_innen werden und die Defizite bei der Berufsausbildung – bleibt laut Schmidts Rechnung quer durch die Gesellschaft gesehen nur die winzige Minderheit der Großunternehmen als Nutznießer, also eigentlich umgekehrt „wenig Licht, viel Schatten“.

Die Erkenntnis „alles fließt“ von Heraklit und Platon gilt insbesondere für die Geschichte. Seit 1995 hat sich vieles verändert und „die EU ist zum Normalzustand geworden“, wie Schmidt schreibt. Es hilft also wenig, sich in Träumen an eine Vergangenheit zu ergehen, die keineswegs so ideal war wie sie heute manche empfinden möchten, sondern es gilt sich mit der Gegenwart und Zukunft auseinanderzu­setzen.

Die EU wird von manchen als Quelle des Neoliberalismus interpretiert, was freilich ein ziemlicher Holler ist. Die neoliberale Variante des Kapitalismus begann nämlich schon in den 1970er Jahren. Es darf daran erinnert werden, dass die Chicago-Boys ihr erstes großes neoliberales Experiment nach dem Pinochet-Putsch in Chile starteten und in den 1980er Jahren Margaret Thatcher mit ihrem Dogma „There ist no Alternative“ in Großbritannien den Neoliberalismus durchsetzte.

So richtig geöffnet wurden die Schleusen dafür nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus in den Jahren 1989/91, als sich der jahrzehntelang zur Zurückhaltung gezwungene Kapitalismus so richtig die Sau raus lassen konnte. Auch in Österreich zeugen eine seit Ende der 1970er Jahre sinkende Lohnquote und die nach 1986 gestartete Zerschlagung und Privatisierung der Verstaatlichten vom einsetzenden Neoliberalismus. Übrigens unter sozialdemokra­tischer Regie.

Die Europäische Union muss somit zwar als eine konzentrierte Form des Neoliberalismus, nämlich der Bündelung der politischen Willensbildung des Kapitals der 28 Mitgliedsländer im Rahmen der kapitalistischen Globalisierung gesehen werden, nicht aber als Ausgangspunkt. Gegenteilige Erklärungen sind nichts anderes als ein Persilschein für den heimischen Kapitalismus.

Als politischer Wiederkäuer betätigt sich zum Jahrestag der SPÖ-Europaabgeordnete Weidenholzer mit der Behauptung „Europa ist das größte Friedensprojekt aller Zeiten“. Wer das „Friedensprojekt“ darauf reduziert, dass sich die „Erzfeinde“ Deutschland und Frankreich versöhnt haben, hat freilich einen kurzen Blick. Nicht einmal die Behauptung, in Europa habe es nach 1945 keine Kriege gegeben stimmt angesichts der Kriege der 1990er Jahre am Balkan, der Intervention von 1999 gegen Jugoslawien und den aktuellen militärischen Auseinanderset­zungen in der Ukraine.

Vor allem aber ist wesentlich, dass die EU den Anspruch erhebt als globaler Faktor aufzutreten und „ihre“ Interessen, sprich jene der Konzerne, auch mit militärischen Mitteln abzusichern. Dazu dienen die im Aufbau befindliche Euro-Armee ebenso wie diverse Interventionen und vor allem auch eine große Rüstungsindustrie die völlig gegen alle friedenspolitischen Interpretationen Despoten aller Art mit Waffen beliefert. Wenn im Ergebnis zigtausende Flüchtlinge aus Krisengebieten nach Europa drängen darf dies nicht verwundern. Ebenso wenig, dass in der weiteren Folge damit auch den rechtsextremen Hetzern Marke FPÖ Munition geliefert wird, den Unmut gegen Asylwerber_innen und Migrant_innen zu kanalisieren.

Bislang völlig versagt hat die EU mit dem Anspruch eines „sozialen Europa“. Wer dies, wie Weidenholzer, nur auf die „irrgeleitete Politik der Neoliberalen und Konservativen“ reduziert sollte Nachhilfestunden in Geschichte nehmen. Denn „Gesundheits-, und Sozialsysteme kaputtsparen, Massenarbeitslo­sigkeit verursachen und wichtige Systeme der Daseinsvorsorge zu privatisieren“ war und ist auch sozialdemokratische Politik, man denke nur an Hartz IV in Deutschland. Vor allem aber orientiert die auch von der Sozialdemokratie nicht in Frage gestellte Grundkonstruktion der EU darauf eine solche Politik per Sachzwang – Stichwort Maastricht-Kriterien, Fiskalpakt etc. – durchzusetzen. Wer ein soziales Europa will muss daher für einen Umbau des Fundaments eintreten, alles andere ist daher politisch wertloses Geschwätz.

Es ist ein Markenzeichen der etablierten Politik wie auch der Mainstream-Medien vor der Gefahr des Extremismus zu warnen, der die EU zerstören würde. Dass dabei Rechtsextremismus und Linke in einen Topf geworfen und die gravierenden Unterschiede der Kritik von rechts und links ignoriert werden ist natürlich Methode. Doch der springende Punkt ist, dass damit die Politik des neoliberalen Kartells von Konservativen, Sozialdemokratie, Liberalen und Grünen legitimiert werden soll.

Wenn aber die EU scheitern sollte – und dies auszuschließen wäre unhistorisch – dann scheitert sie weniger am Populismus der Rechten oder am Antikapitalismus der Linken, sondern vor allem an der Arroganz und Ignoranz neoliberaler Politik. Es ist also nicht der Extremismus von rechts oder von links, sondern der Extremismus der Mitte, der das in den Sonntagsreden glorifizierte Gebäude des „vereinten Europa“ zum Einsturz bringt. Nämlich durch eine Politik als deren Ergebnis Konzerne und Millionär_innen immer reicher und mächtiger werden und auf der Kehrseite ein immer größerer Teil in die Armutsfalle rutscht und keine Perspektive mehr sieht.

Wer also wirklich eine Sozialunion will muss mit aller Konsequenz für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums europaweit eintreten und damit, ausgesprochen oder nicht, die Frage nach den Klassengegensätzen stellen. Nur durch eine wirksame Umverteilung kann den Menschen soziale Sicherheit und eine Perspektive gegeben werden, kann ihnen die Angst vor der Zukunft genommen werden, die verbunden mit der gezielten Instrumentali­sierung von Fremdenfeindlichke­it den Rechten die Wähler_innen zutreibt.

Es ist daher auch völlig unernst, wenn Kanzler Faymann für „ein sozial gerechtes Europa, in dem junge Menschen eine Perspektive haben, Armut und Arbeitslosigkeit verhindert werden, in dem es ‘Schutzschirme’ für die Menschen gibt“ plädiert, gleichzeitig aber verantwortlich dafür ist, dass mit Milliarden Steuergeldern bankrotte Banken wie die Hypo gerettet werden und im Europäischen Rat in Brüssel jeden Scheiß absegnet, in Wien aber dann so tut, als hätte er damit nichts zu tun. Und wenn die oö Arbeiterkammer erst nach 20-jähriger Mitgliedschaft Österreichs „einen grundlegenden Kurswechsel der EU-Politik“ einfordert und dabei „höchste Eile“ als geboten sieht, muss man sich schon fragen, ob Präsident Kalliauer die letzten 20 Jahre in einem fernen außereuropäischen Exil verbracht hat.

Im Zusammenhang mit der Neuwahl in Griechenland ist eine heftige Grundsatzdebatte auch über die Zukunft der EU entfacht worden. So klagte der deutsche Ex-Außenminister Fischer darüber, dass die „konstruktiven Kräfte“ der EU in der Defensive sind und der Schriftsteller Karl-Markus Gauß stellte in einer sehr anschaulich dargestellten Gegenposition die Wahl in Griechenland als „keine Gefahr für die Union, sondern eine Chance“ dar und zeigt auf, worum es wirklich geht und dass die wirklichen Nationalisten, europäisch getarnt, in Berlin sitzen.

Einmal mehr tun sich bei dieser Debatte neoliberale Scharlatane wie Hans Rauscher im „Standard“ dadurch hervor, den griechischen Oppositionsführer Tsipras als „vollkommen skrupellos oder wirtschaftlich ahnungslos (oder beides)“ abzustempeln und mit Figuren wie Putin, Orban und Erdogan in einen Topf zu werfen, der linken SYRIZA ein „wirtschaftliches Selbstmordprogramm“ und die Zerstörung der EU zu unterstellen und über „linksreaktionäre Gewerkschaften“ die Interessen von Lohnabhängigen verteidigen zu schwadronieren. Dass Rauscher über die Zerstörung der Existenzen von Millionen Menschen durch die zutiefst asoziale Politik entsprechend den EU-Vorgaben schweigt verwundert nicht.

Was Rauscher und Konsorten aber vor allem stört ist, dass die griechische Linke nicht etwa aus dem Euro oder der EU austreten will, sondern ganz im Gegenteil eine „alternative Politik in Europa“ einfordert. Ginge es darum, das lästige Griechenland möglichst rasch loszuwerden, wie es der deutsche Finanzminister Schäuble, der Extrem-Neoliberale Wirtschaftspro­fessor Sinn und hierzulande die FPÖ schon vor einigen Jahren gefordert haben, käme es dem neoliberalen Establishment wohl gelegen.

Auch wenn der für seinen Unsinn bekannte Professor Sinn Griechenland als „nicht systemrelevant für den Euro“ bezeichnet wäre ein Rausschmiss Griechenlands letztlich trotzdem ein Dammbruch der bisherigen Argumentation. Was von den großspurig bejubelten Rettungsprogrammen für Griechenland zu halten ist hat Wolfgang Böhm treffend auf den Punkt gebracht: „Die angebliche Solidarität mit Griechenland war letztlich eine für das eigene Bankensystem von Ländern wie Deutschland.“ (Die Presse, 3.1.2015).

Weil Tsipras aber schon beim ersten Wahlerfolg von SYRIZA im Mai 2012 verkündete „Das Volk schickt heute eine Nachricht an Europa“ ist Alarmstimmung für das EU-Establishment angesagt. Denn was die EU-phoriker_innen fürchten ist nicht der Ausstieg oder Rausschmiss des einen oder anderen Mitgliedslandes, sondern umgekehrt dass europaweit eine reale Bewegung für ein anderes Europa Fahrt aufnimmt und massenhaft die verfehlte Grundkonstruktion der EU und ihre neoliberalen Werte in Frage stellt. Und das wäre bei einem Wahlerfolg der Linken in Griechenland und in Hinblick auf die politischen Umbrüche in Spanien und Italien keineswegs abwegig. Schließlich wäre es höchst an der Zeit dem zu Recht kritisierten europaweiten Trend zu rechtsextremen und populistischen Parteien eine Alternative von links entgegenzustellen.

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