(12.1.2015)
Letztes Update: 14.1.2015
Ulrich Brand (Professor für internationale Politik an der Uni Wien):
"Der Wahlkampf in Griechenland sowie der Urnengang selbst haben eine europäische Dimension. Zum ersten Mal seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise wird die europäische Politik zu etwas gezwungen, was Politik eigentlich auszeichnet: nämlich in Alternativen zu denken, solche zu skizzieren, zu begründen und sich dann zu entscheiden. Das hat viel mit Macht und Interessen zu tun – genau das wird in diesen Tagen deutlich. Die Macht der Troika, Banken und Vermögensbesitzer wird möglicherweise infrage gestellt, sie müssen ihre Politik künftig stärker begründen. Die lähmende Alternativlosigkeit der neoliberalen Austeritätspolitik könnte aufgebrochen werden.
Unter Syriza wird Griechenland zum Experimentierfeld, um anders mit der Krise umzugehen. Staat und Wirtschaft werden erfolgreich restrukturiert, den Menschen werden stabile Arbeits- und Lebensverhältnisse ermöglicht, das Steuersystem wird reformiert, sodass die Vermögenden einen angemessenen Teil der Gemeinlasten tragen. Es gäbe effiziente öffentliche Investitionsprogramme – horribile dictu für neoliberales Denken -, mittels deren die humanitäre Krise in den Bereichen Ernährung und Wohnen, Gesundheit und Bildung überwunden wird."
(Der Standard, 12.1.15)
Jörg Flecker (Professor für Soziologie an der Uni Wien):
"Denn was braucht die Demokratie heute dringender als den Nachweis, dass Wahlen einen Unterschied machen können? Die Demokratie gewinnt, wenn ein offensichtlich falscher wirtschafts- und sozialpolitischer Kurs durch ein demokratisches Votum korrigiert wird, wenn eine neue Partei, die eben nicht am Gängelband der ökonomischen und sozialen Eliten des Landes hängt, existenzielle Anliegen der Bevölkerung auch gegen äußeren Druck vertritt und wenn die Schwächsten der Gesellschaft nicht weiterhin die Suppe auslöffeln müssen, die sie dem Land beileibe nicht eingebrockt haben.
Für die wirtschaftliche wie auch demokratische Zukunft Europas ist entscheidend, dass der ‚Triumph gescheiterter Ideen‘, wie es der Nobelpreisträger für Ökonomie, Paul Krugmann, formulierte, ein Ende findet. Syriza und ihr Vorsitzender Tsipras können mit einem Wahlsieg einen wichtigen Beitrag dazu leisten, wie viel immer ihnen im Fall des Falles dann tatsächlich gelingt "
(Der Standard, 7.1.15)
Karl Markus Gauß (Schriftsteller in Salzburg, Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik“):
"Alexis Tsipras ist kein Heilsbringer, weder für Griechenland noch für Europa. Warum aber wird er in den europäischen Medien in eine Reihe mit Finsterlingen wie Erdogan oder Putin gestellt? Hat er angedroht, bei einem Wahlsieg missliebige Journalisten und Anwälte ins Gefängnis zu werfen? Hat er den griechischen Nationalisten versprochen, Izmir, das heilige Smyrna, mit einem militärischen Coup zurückzuerobern? Nein, er hat nur angekündigt, dass Griechenland nicht in alle Ewigkeit von einer demokratisch nicht legitimierten Troika regiert werden und die Operation Schuldentilgung ihren Ausgang nicht im Tod des Patienten finden dürfe
Die Europäische Union ist eine großartige Erfindung; es ist fatal, wenn wir sie denen überlassen, für die die Europäer selbst nur als Zubehör der Ökonomie zählen und die ganz Europa auf ihr fundamentalistisches Dogma einschwören wollen, das da lautet: Neoliberalismus oder Untergang!"
(Der Standard, 3./4.1.15)
Kurt Bayer (Research Associate am Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, ehem. Mitarbeiter im WIFO, und österr. Vertreter in der Europ.Entwicklungsbank):
"Diese ‚gemäßigten‘ Kräfte sind es die Europa und die Eurozone in die jahrelange Rezession mit zunehmender Verarmung und Hoffnungslosigkeit getrieben haben, die aus ihrer verfehlten Krisenbewältigung nichts gelernt haben und am Austeritätskurs als Hauptstrategie festhalten, obwohl dieser für Rezession, Deflationsgefahr und steigende Schuldenquoten verantwortlich ist
Griechenland hat seit Krisenbeginn mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren, die für die vorige Mißwirtschaft verantwortlichen Parteien (laut Rauscher offenbar „gemäßigt und verantwortungsvoll“) bilden die jetzige Regierung. Ist es da nicht verständlich, und auch wünschenswert, wenn angesichts dieses vollkomenen Vertrauensverlustes der verarmten Bevölkerung konstruktive Alternativen von Syriza angeboten werden? "
(Der Standard, 2.1.15)
M.Konecny (Politikwissenschafter in Wien) und L.Mittendrein (Vorstandsmitglied von Attac Österreich):
"Seit fünf Jahren setzt die griechische Regierung unter Aufsicht von
EU-Kommission und EU-Regierungen ein brutales Kürzungsprogramm um: Abbau von
Arbeitsrechten, Massenentlastungen in Schulen, Universitäten und
Krankenhäusern. Massive Einschnitte bei Pensionen und Sozialleistungen haben
Griechenland in die tiefste Rezession eines europäischen Landes seit
1945 gestürzt. Davon hat die Bevölkerung offensichtlich genug. Entscheidet
sie sich für einen anderen Weg, steht das politische Programm der europäischen
Eliten infrage
Junckers Aussagen waren nicht der erste Angriff auf die Entscheidungsfreiheit der Griechen. Schon bei der Wahl 2012 hatte ein Trommelfeuer neoliberaler Politiker, Ökonomen und Banker so viel Angst und Unsicherheit in Griechenland verbreitet, dass die Altparteien und ihre Kürzungspolitik knapp gewinnen konnten. Dieser Bruch der Demokratie darf sich nicht wiederholen. Man muß mit Syriza politsch nicht übereinstimmen, um das Recht der Griechen zu vertreidigen, ihr Parlament selbst und ohne Nötigung von außen zu wählen…"
(Der Standard, 19.12.14)