KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

In Ägypten braut sich was zusammen …

Mamdouh Habashi bei seinem Gastbeitrag am Parteitag der KPÖ 2011

Von Mamdouh Habashi (27.6.2013)

Wir stehen seit dem Aufstand vom 25. Januar 2011 vor einem neuen Phänomen, kein Zweifel, es ist nicht selten, es ist konkurrenzlos in der Weltgeschichte der Revolutionen. Damals setzten vor allem Jugendliche Vanguards ein Datum fest um eine Volksbewegung zu starten bzw. ein ganzes Volk in Bewegung zu setzen. Sie wussten nicht, dass sich ihre Bewegung in einem massiven Volksaufstand entwickeln und soweit gehen wird, bis sie das Regime stürzt. Dies geschah vor dem 25. Januar 2011. Im Gegensatz dazu wetten die demokratischen Kräfte heute mit ihrem Rebel-Aufruf am 30. Juni eindeutig auf den Sturz des Regimes.

Die Muslimbrüder machten sich gleich daran, die ihnen verliehene Macht auszunutzen, nicht zum Wohle des Volkes, sondern zur Selbstbereicherung und zur Festigung ihrer Position.

Nun, knapp ein Jahr nach der Präsidentschaf­tswahl, haben die Menschen in Ägypten die Nase voll vom Niedergang der Wirtschaft, dem Verfall der Währung und des Außenhandels, von leeren Versprechungen und dem Ausverkauf von Staatseigentum. Die Zeit ist reif für eine dritte Revolutionwelle.

Der 30. Juni, der Tag der Ernennung Mursis zum Präsidenten, ist das Datum, an dem der Unmut des Volkes über die schlechte Regierung der Muslimbrüder auf vielfältige Weise zum Ausdruck gebracht werden soll. Seit Wochen schon sammeln landauf, landab, Ägypter aller Gesellschaftsklas­sen und religiöser Ausrichtung Unterschriftszet­tel, um den Rücktritt des Präsidenten und Neuwahlen zu verlangen. Die Menge an gesammelten Unterschriften beläuft sich mittlerweile auf über 17 Millionen, Tendenz weiter steigend. Dies ist die von jungen Menschen ins Leben gerufene Bewegung „TAMARROD“, zu Deutsch „Rebellion“.

Die Bestimmung des Zeitpunkts für den Sturz des Regimes hat Vorteile und Nachteile. Die Vorteile besteht darin, die Stärke der revolutionären Kräfte durch die Herausforderung zu demonstrieren, und Sensibilisierung der Öffentlichkeit dafür, dass alle Teillösungen bzw. irgendwelche „Last Minute“ Verhandlungen nicht im Sinne der Revolution sein können. Der Nachteil ist der Verzicht auf das Element der Überraschung (das ist ein wesentliches Element für den Erfolg einer jeden Taktik militärisch oder auch politisch). Die Regierung bereitet sich dementsprechend vor und hat eine Schutzmauer direkt um das Haupt-Regierungsgebäude gebaut. Dass diese allerdings das Volk davon abbringen kann, die Forderungen der Revolution noch einmal mit Nachdruck durchzusetzen, erscheint den Menschen hier lächerlich.

Es ist sicher, dass die Bruderschaft die wichtigste Institution in Ägypten, das Präsidentenamt erobert hat. Aber ihre überraschend schlechte Leistung und die Fernsteuerung des Präsidenten durch die Führung der Bruderschaft, hat diese Institution in ihre schlimmste Situation seit Jahrzehnten gebracht. In diesem Zusammenhang dürfen wir die elende glanzlose Leistung des Präsidenten selbst nicht übersehen. Denn hätte er etwas mehr charismatischen Stil, könnte er damit einige Schwächen der Politik der Bruderschaft kompensieren.

Das größte Problem der Bruderschaft in der Macht liegt eigentlich an der Schwierigkeit – wenn nicht gar Unmöglichkeit – der Realisierung von irgendwelchen Errungenschaften für die ärmeren Massen um ihre schnell schrumpfende soziale Basis ihrer Macht zu erweitern. Angesichts der Klasseneigenschaf­ten der Führungsriege aller islamistischen Parteien und Ströme aus Muslimbrüdern, Salafisten, Dgihadisten, … usw. (in erster Linie Finanz-, Handels-, Immobilien- und Dienstleitungsgroßka­pital interessenver­flochten mit dem Kapital der Erdölstaaten am Golf, der Türkei und dem internationalen Kapital) kann natürlich keine Wirtschaftspolitik im Interesse der ärmeren Massen betrieben um ihre Loyalität zu gewinnen oder eben sie zu täuschen. Die Kreise der zornigen, enttäuschten Massen umfassen heute fast das ganze Volk.

Vielleicht deshalb sind fast alle demokratischen Kräfte, die die Muslimbrüder von der Macht loszuwerden versuchen, davon überzeugt, dass sie eine lange, schweren und blutige Schlacht erwartet, bis die Muslimbrüder die Macht verlassen, weil die Muslimbrüder – als undemokratisch Kraft – jetzt sicher wissen, dass sie bereits im Juni 2012 die einzige Chance, das Land zu regieren bekommen haben. Und deshalb würden sie nie die Macht wieder erlangen, weder durch Wahlen noch mit Gewalt. Ein Jahr Herrschaft der Muslimbrüder hat die Ägypter immun gegen sie für immer gemacht.

Die Führung der Konterrevolution durch die Brüderschaft leidet an vielen Problemen. Das größte dieser Probleme ist die Tatsache, dass sie an die Macht mit Unterstützung der Vereinigten Staaten gekommen sind und durch dieselbe in der Macht bleiben können. Am 19.6.2013 hat die amerikanische Botschafterin in Kairo Anne Paterson eine Erklärung zur offensichtlichen Unterstützung der Machthaber gegenüber dem sich aufbauenden Zorn der Massen abgegeben. Sie begründete ihre Unterstützung damit, dass Mursi durch die Wahlurnen an die Macht gekommen ist. Jedoch seit Monaten wachsen die Meinungsdifferenzen im Weißen Haus über die Richtigkeit dieser Politik, vor allem deswegen, ob die Muslimbrüder fähig oder in der Lage sind, die gemachten Versprechungen auch einzuhalten, Versprechungen gegenüber den westlichen Interessen im Allgemeinen und dem Staat Israel ins Besondere aber auch die in Ägypten steigende Radikalisierung der Protestbewegungen in Schach zu halten …

Wenn die Abnahme der US-Unterstützung der Bruderschaft eines ihrer wichtigsten Probleme in der Machtausübung zurzeit ist, stellt – wenn die revolutionäre Bewegung der Massen nicht eskaliert – die Herausforderungen durch die Sorge einiger Führer der Militärs die eigentliche Gefahr für sie dar. Die Sorge um Sicherheitslage in Sinai (insbesondere durch die terroristischen Gruppen und kriminellen Banden und die Erweiterung des Einflusses der palästinensischen Islamisten) und nun die letzte Herausforderung durch Äthiopien durch den Bau des Staudamms an der wichtigsten Lebensader für die Ägypter, dem Nil, und die zunehmende Wahrscheinlichkeit des zivilen Ungehorsams in empfindlichen Bereichen und sogar Anzeichen von Bürgerkrieg und sektiererischen Unruhen und Rebellion der Slum-Bewohner.

Die Muslim-Brüder sind sich der Schwierigkeiten, denen sie zu begegnen haben, bewusst. Sie versuchen, in jeder Richtung bis zum absoluten Ende zu gehen, unter Beibehaltung der nötigen Flexibilität, die ihnen erlaubt, von bestimmten Schritten zurückzukehren, wenn festgestellt ist, dass der Weg ohne größere Probleme unmöglich wird. In der Tat ist die Bruderschaft immer bereit, bis an den Rand des Abgrunds zu gehen, um Gegner einzuschüchtern, ja zu terrorisieren. Sie stehen nicht tatenlos gegenüber ihren Hindernissen. Sie haben bereits unter Nutzung ihrer großen finanziellen und ideologischen Möglichkeiten und ihrer auswärtigen Beziehungen Wahlerfolge erzielt und den Widerstand einiger Institutionen im Staatsapparat neutralisiert. Es ist ihnen auch in vielerlei Hinsicht die Spaltung einiger Koalitionen und Jugendbewegungen gelungen. Sie kooptierten auch einige „gemäßigten“ Führer und Gruppen, die früher mit dem Mubarak-Regime verbündet waren. Die schwerste Aktion für die Machterhaltung um jeden Preis war aber die Vereinbarungen mit den Führern der Stämme in Oberägypten, die für beide Seiten vorteilhafte sind.

Auf der anderen Seite sieht das Lager der revolutionären Kräfte etwas besser aus. Unmittelbar nach dem Mursi-Dekret vom 22.11.2012, in dem er faktisch alle drei Gewalten in seine Hand konzentriert und gleichzeitig alle seine Entscheidungen, die frühere und die zukünftige, gegen jegliche Rechenschaft immun gemacht hat, formierte sich die sogenannte „Rettungsfront“. Diese Front besteht aus etwa 15 Parteien und Organisationen aus den drei nicht-islamistischen politischen Lagern; den Liberalen, den Nationalisten und den Linken. Ein solch heterogenes Gebilde konnte sich lediglich auf den Sturz der Herrschaft der Muslimbrüder einigen, sonst nichts. Die Liberalen Elemente dieser Front tendieren immer wieder zum „Kompromiss“ mit der verhassten Macht, was dazu geführt hat, dass die Rettungsfront von ihrer Anfangsposition als die Hoffnung der Nation und potenzieller Ersatz der lang ersehnten Führung der Revolution zu ihrer heutigen Position als eine weitere Enttäuschung der Massen in ihrer Führungsfähigkeit. Die Bewegung auf der Straße hat sie längst links überholt. Die linken Elemente dieser Front haben eine immens wichtige Rolle gespielt, in dem sie nur dafür gesorgt haben, dass alle ihrer Komponente bis heute zusammengeblieben sind und die Polarisation im Land „Islamisten gegenüber dem Rest des Volkes“ aufrecht erhalten. Jedoch bis die Linken die führende Rolle in dieser Front spielen können, fehlt noch eine ganze Menge. Diese Erkenntnis ist mittlerweile bei den Meisten angekommen, was sie zu erhöhter Form der Zusammenarbeit drängt, ja – aufgrund der enormen Gefahren – zur Einheit zwingt.

Man konnte sich unschwer auf die minimalen sofortigen Forderungen der Revolution bzw. des Aufstandes des 30. Juni 2013 wie folgt einigen:

  1. Die sofortige Erhöhung des Mindestlohns auf 1500 EGP/Monat und die Reduzierung des Höchstlohns auf maximal 15× des Mindestlohns und die Bindung der Lohnerhöhungen an der Preissteigerung oder Inflation.
  2. Die Umverteilung der Last der Wirtschaftskrise, damit die Reichen mehr tragen als die Armen, durch ein progressiven Steuersystem und Steuererleichterung bzw. –befreiung für die niedrigeren Einkommen in der Gesellschaft.
  3. Freiheit sofort; d.h. das sofortige Recht auf Gründung von politischen Parteien, lediglich per Anmeldung und ohne jegliche Hürdenbedingungen, die die Parteiengründungen nur auf die Reichen begrenzen. Die Auflösung aller Parteien, Gruppierungen oder Vereinigungen, die über bewaffneten Milizen verfügen und/oder religiöse Agitation und Anstiftung zur sektiererischen Gewalt und Blasphemie betreiben.
  4. Freiheit sofort; d.h. das sofortige Recht auf Gründung von Gewerkschaften, lediglich per Anmeldung, die sofortige Verabschiedung des Gesetzes für die gewerkschaftlichen Freiheiten und die Annahme aller bereits gebildeten unabhängigen Gewerkschaften.
  5. Freiheit sofort; d.h. das sofortige Recht auf Gründung von Zivilgesellschaften und Nicht-Regierungsorga­nisationen, lediglich per Anmeldung, diese Gesellschaften dürfen im Rahmen der Transparenz immer in Freiheit arbeiten, ihre eigenen Satzungen selbst festlegen.
  6. Reform des Bildungs-und Gesundheitswesen beginnend mit der sofortigen Verdoppelung ihrer Budgets, während die Rechte der Arbeitnehmer und die Verbesserung deren Arbeitsbedingungen eine erste Priorität bekommen soll.
  7. Die Ratifizierung des Streikrechts, des Versammlungs- und Demonstration­srechts und die Pressefreiheit.
  8. Das Landrecht der Bauern, sie dürfen nicht enteignet und aus ihrem Land vertrieben werden, die Verabschiedung eines gerechten Gesetzes für die landwirtschaf­tlichen Pachtverträge, Erlass der Schulden der kleinen und mittleren Bauern und die Rückkehr zur demokratischen System der Kooperativen bzw. Bauerngenossen­schaften um die Landwirte bei der Bereitstellung von Saatgut, Düngemitteln und Pestizide zu helfen aber auch bei der Kreditvergabe und dem Absatz ihrer Produktion zu unterstützen.
  9. Die sofortige Wiedereinführung der verkauften Betriebe zum Staatseigentum, über die Gerichtsurteile in diesem Sinne gefällt worden sind, sowie Ingangsetzung der Betriebe, deren Besitzer sie eingestellt haben.

Mamdouh Habashi 21.6.2013, Erstveröffentlichung in Junge Welt am 26.6.2013

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