Es geht um Umverteilung
Von Michael Graber (23.5.2011)
Griechen betteln um 60 Milliarden, Griechen sollen Tafelsilber verkaufen, Pleite-Griechen zahlt uns den Urlaub, Jetzt streiken die Athener Bankrotteure auch noch, diese kleine Auswahl von Schlagzeilen der letzten Tage lehrt uns das Gruseln.
Kaum ein anderes Ereignis der letzten Wochen seit dem Höhepunkt der Finanz-
und Wirtschaftkrise wird gründlicher dazu genutzt um Ursachen und Folgen dieser
Krise zu vernebeln. Ja, als die Banken krachten war das kapitalistische System
am Pranger, jetzt sind es nur mehr die Faulenzer in Portugal und
Griechenland. Daher noch einmal ein kurzes ABC der Eurokrise:
- Am Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden viele Milliarden
öffentlicher Gelder zur Stützung der Liquidität der Banken und der
eingebrochenen Konjunktur aufgebracht. Aus privaten Bank- und Konzernschulden
wurden öffentliche Schulden gemacht. Klar, dass hoch verschuldete und
wirtschaftlich schwächere Staaten an die Grenze ihrer Zahlungsfähigkeit
gelangt sind.
- Die Einführung des Euro hat nicht, wie versprochen zur Angleichung der
wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus beigetragen, sondern die neoliberale
Wirtschaftpolitik in allen EU-Ländern durchzusetzen geholfen. Im Ergebnis sind
die starken Industrieländer in Europa stärker und die schwachen relativ
schwächer geworden. Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat das nur noch
deutlicher hervortreten lassen.
- Kern der neoliberalen Wirtschaftsstrategie ist die einseitige und extreme
Exportorientierung, die unter dem Titel Standortpolitik zusammengefasst
wird. Das heißt im einzelnen Löhne und Sozialleistungen hinunter, Arbeitszeit
und Arbeitsbelastungen hinauf. Die so zusätzlich erzielten Profite können
nicht mehr in gleicher Weise rentabel produktiv investiert werden und landen
deshalb im weltweiten Finanzkasino. Derzeit etwa zur Hälfte.
- Die Exportweltmeister machen unerhörte Handels- und
Leistungsbilanzüberschüsse. Deutschland z.B. allein im ersten Quartal dieses
Jahres 40 Mrd. Euro. Die Überschüsse der einen sind aber die Defizite der
anderen, die sich um die Importe finanzieren zu können verschulden müssen. Der
EU-Binnenmarkt und der Euro unter neoliberalen Vorzeichen haben nicht nur die
Industrien der schwachen Länder eliminiert, sondern auch die Finanzkraft der
schwächeren Staaten untergraben.
- Profitiert haben allerdings auch die Reichen und Superreichen in
Griechenland et.al. Sie haben mit billigen Eurokrediten ihre Luxusjachten
erworben, ihre Swimmingpools und Immobilienvermögen auf- und ausgebaut und dank
ihrer Machtstellung in der Politik auch keine Steuern gezahlt (wie auch bei
uns). Deshalb hat sich auch dort (wie bei uns) die Polarisierung zwischen Arm
und Reich unerhört zugespitzt. Eine Volksregierung, die wie in Griechenland
derart finanziell unter Druck geraten würde, hätte als erstes sofort alle
Luxusjachten in Piräus und anderswo und die Vermögen der Großreder
beschlagnahmt.
- Die arbeitenden Griechen (und Portugiesen) leben nicht über sondern unter
teils unzumutbaren Verhältnissen. Der Durchschnittslohn in Griechenland
beträgt nicht viel mehr als 800 Euro, bei ähnlichem Preisniveau wie bei uns.
In Portugal sind es 600 Euro. Das mittlere Nettoeinkommen in Österreich
beträgt etwa 1400 Euro (d.h. 50 Prozent verdienen weniger) und sinkt real ab
(für ArbeiterInnen in den letzten 10 Jahren um 9 Prozent). Das
Arbeitseinkommen aller Arbeitenden gleicht sich (dank neoliberaler
Standortpolitik) in der Tendenz nach unten an. Und gleiches geschieht mit den
Pensionen, geht es nach den Beschlüssen der Regierungen unter dem Titel Pakt
für den Euro.
- Die Arbeitenden in Österreich zahlen für die Kosten der Krise, die die
Rettung der Profite der Banken, Versicherungen und sonstigen (Finanz)Konzerne
verursacht haben. Die Arbeitenden in Griechenland zahlen für die Kosten der
Rettung der Profite der Banken, Versicherungen und sonstigen (Finanz)Konzerne
verursacht haben. Da wie dort steckt ein Großteil von ihnen in mehr oder
weniger spekulativen Wertpapieren, darunter auch in Staatsanleihen, deren
Rating dramatisch abgewertet wurden. Wir zahlen also nicht für die
Griechen sondern für die Rettung der Profite, da wie dort.
- Die Eroberung der Märkte weniger entwickelter Industrieländer durch die
starken Industrieländer hat eine gigantische Umverteilung gesellschaftlichen
Reichtums in Form von Profiten zugunsten der starken und auf Kosten der
schwachen Länder in der EU herbeigeführt. Es gibt keinen adäquaten
Ausgleichsmechanismus in der EU. Das EU-Budget mit einem Prozent des BIP ist,
selbst wenn es zugunsten schwächerer wirken würde, im Vergleich zu dieser
Umverteilungsmaschine eine Marginalie.
- In den Wirtschafts- und Exportstarken Ländern, insbesondere in Deutschland
kämpfen zwei Richtungen unter den Wortführern des Kapitals. Die einen wollen
ihre wirtschaftliche Vorherrschaft dadurch bewahren und ausbauen, indem sie
einen starken Euro befürworten, der sich natürlich auf Deutschland und
einige Juniorpartner wie die Niederlande und Österreich stützt, weil sie die
notwendigen Kosten eines wirtschaftlichen und finanziellen Ausgleichs in Europa
mehr fürchten als einen, wie sie hoffen, vorübergehenden Exportrückgang in
den Ländern, die mit einem schwachen und abgewerteten Resteuro übrig
bleiben.
Die andere Fraktion will nicht auf die langfristigen Vorteile verzichten, die
ihnen das bisherige Konstrukt Binnenmarkt und Euro beschert haben und sind
dafür bereit, Mittel zur Aufrechterhaltung der Liquidität der Länder der
südlichen Peripherie bereit zu stellen (der Rettungsschirm, natürlich mit
öffentlichen Mitteln auf Kosten der Steuerzahler und sozialer Leistungen), weil
sie den Ausfall der betroffenen Wert(Staats)papiere für ihre Profite mehr
fürchten als den möglichen Widerstand der auszuplündernden eigenen
Bevölkerungen. Diese kann man ja zur Not auch zeitweilig nationalistischen
Rechtspopulisten überlassen.
10. All das hat mit Solidarität natürlich nichts zu tun. Es geht um
langfristige strategische Überlegungen. Die einen mit ihrem starken Euro
würden eine Verdopplung der Schulden Griechenlands oder Portugals bei der
Abwertung von deren Währung und damit den sicheren Bankrott in Kauf nehmen. Die
anderen probieren gerade aus, wie weit sie die sogenannte innere Abwertung,
d.h. die Senkung aller Arbeits- und Sozialeinkommen treiben können.
11. Linke Parteien, vor allem in der Europäischen Linkspartei,
Gewerkschaften, soziale Bewegungen und linke ÖkonomInnen haben Wege aus dieser
Krise aufgezeigt. An erster Stelle ist aus diesen Vorschlägen eine radikale
Änderung der Wirtschaftspolitik in der EU zu nennen. Es sind dringend
Maßnahmen zu treffen, die ein nachhaltiges Wirtschaften, d.h. ein rasches
Wachstum der Wertschöpfung in den Ländern der südlichen Peripherie erlauben.
Das erfordert große Investitionen in Industrie, Infrastruktur, in Bildung und
Gesundheitswesen mit finanziellen Mitteln, die durch gemeinsame Anleihen der
EU-Länder und einer Finanztransaktionssteuer aufgebracht werden könnten.
Ohne eine neue Wirtschaftspolitik sind alle anderen notwendigen Maßnahmen
ohne dauerhafte Wirkung. Dazu zählen eine zumindest teilweise Entschuldung, und
Umschuldung, wobei, weil es nicht der Staat tut, die griechische und
portugiesische Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit ein wichtiges Wort darüber
einzuräumen ist, um welche Schulden es sich dabei handeln soll.
Und drittens müssen wir in allen Ländern um eine Umverteilung von oben nach
unten kämpfen. Löhne rauf. Profite runter. Profit-, Kapital- und
Vermögensteuer rauf, Lohnsteuern runter. Dadurch wird in Verbindung mit
Kapitalverkehrskontrollen der Spielraum für den Krisenfaktor Spekulation
eingeschränkt.