KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Der Berg der sauberen Hände

Mirko Messner, Bundessprecher der KPÖ

Von Mirko Messner (13.9.2006)

Jedes Jahr im Oktober pilgern Vertreter und Angehörige diverser Heimkehrer-, Frontsoldaten- und Heimatverbände und andere ewig gestrige auf den Kärntner Ulrichsberg um den „heldenhaften Soldaten“ der Wehrmacht zu huldigen. Eine Einführung in und um das Geschehen auf den Ulrichsberg.

Der Ulrichsberg in Kärnten: Ein Hügel mit schönem Ausblick westlich des Kärntner Zollfeldes (slowenisch Gosposvetsko polje), 1.015 Meter über dem Meeresspiegel, und oben drauf ein 22 Meter hohes und acht Tonnen schweres Kreuz aus Stahlblech, eine adaptierte und mit Gedenktafeln drapierte Kirchenruine, mitsamt einem Bronzeabguss des Arno-Breker-Reliefs „Kameraden“ im „Ehrenhain“. Errichtet von der „Ulrichsbergge­meinschaft“ der Organisatorin der „Ulrichsbergfe­iern“.

Die Legende der „sauberen“ Wehrmacht

1,2 Millionen Österreicher waren an den Eroberungsfeldzügen der Nationalsozialisten beteiligt. Der Grad der Freiwilligkeit und Begeisterung, oder auch des Widerwillens, mit der sich die Einzelnen in den Kampf um „deutschen Lebensraum“ vor allem im Osten und im Süden Europas einbrachten bzw. in diesen einbezogen wurden, war unterschiedlich. Unabhängig davon waren sie als Angehörige der deutschen Wehrmacht, der Polizeibataillone, der SS usw. Teil einer Vernichtungsmas­chine, waren Planer, Exekutoren, Akteure und Mitwissende ungezählten Totschlags und millionenfacher Sklavenarbeit. Moralische Bedenken angesichts der Unmenschlichkeit bei der Umsetzung verbrecherischer Befehle wurden nicht nur mittels rassistischer und antisemitischer Entmenschlichung slawischer und jüdischer Bevölkerungen gemindert, sondern auch durch die ideologische Überhöhung der Figur des Soldaten, die zum übermenschlichen Leitbild des Daseins deutscher Volksgemeinschaft, einer in allen Lebensbereichen auf Krieg ausgerichteten Gesellschaft wurde. Plünderungen und organisierter Raubmord wurden zum Dienst an der Gemeinschaft stilisiert, und egal, ob die Plünderer und Raubmörder ihr Tun als solchen „Dienst“ begriffen oder nicht, das Rauben ging ihnen wohl leichter von der Hand, wenn es als solcher beschrieben wurde; und solche Dienstauffassung erleichterte nach dem „verlorenen“ Krieg die Bildung der Legende von der „sauberen“ Wehrmacht, die nicht an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen sei.

Weißgewaschen und rehabilitiert

Hunderttausende Überlebende der 1,2 Millionen kamen nach dem Ende des Deutschen Reiches in alliierte Kriegsgefangen­schaft. Unter ihnen bekennende Nationalsozia­listen, Mitläufer und auch solche, die dem Naziregime kritisch gegenüberstanden. Sie alle wurden als ehemalige Angehörige der deutschen Wehrmacht offiziell zu Opfern des Krieges erklärt, ihrer Mitverantwortung am Agressionskrieg der Nazis und den damit verbundenen Verbrechen enthoben – ohne Rücksicht darauf, welche Rolle sie im nationalsozia­listischen Vernichtungsfeldzug gespielt hatten; mehr noch: sie wurden von Sozialdemokraten und Bürgerlichen bzw. ihren Parteien sofort und massiv als Wähler beworben, das heißt, nicht nur von jedem Verdacht der Mittäterschaft freigesprochen, sondern regelrecht weißgewaschen: „13 Kärntner erstatteten die letzte Meldung“ – schrieb die sozialdemokratische „Neue Zeit“ am 5. Juni 1955, und ließ einen Heimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefange­nenschaft das Lied von der sauberen Wehrmacht singen: „Wir Heimkehrer legen vor unserem Kärntner Volk die letzte Meldung ab: Mit sauberen Händen und mit einer reinen Weste kehren wir zurück. Dies ist die schönste Meldung, die wir erstatten können.“ Seit 1958 werden diese sauberen Hände und die reinen Westen Jahr für Jahr auf dem Ulrichsberg hergezeigt.

„Heimkehrer“-Diskurs und Minderheitenpolitik

Der „Heimkehrer“-Diskurs verlief in Kärnten ähnlich wie anderswo in Österreich, hatte aber von Anbeginn seine Besonderheit: sehr früh schon wurde er mit dem minderheitenpo­litischen verschränkt; allein die Terminisierung der ersten „Heimkehrerkun­dgebung“ auf dem Kärntner Zollfeld – es handelt sich dabei um einen zentralen Ort der slowenischen nationalen Mythologie – war programmatisch: sie fand am 10. Oktober 1947 statt, also am Jahrestag des Kärntner Plebiszits von 1920. „An die 10.000 Kärntner“ sollen sich laut einschlägiger Festschrift dort versammelt haben, und laut Eigendarstellung handelte es sich um die erste derartige Kundgebung „im deutschen Raum“. Das große Wort führte die Kirche mittels „Feldgottesdienst“, und Fürstbischof Köstner würdigte den “Opfertod“ der Soldaten als „sinnvolles“ Sterben ähnlich dem des Jesus Christus. Als im Jahre 1953 die die Ulrichsbergge­meinschaft als „Gesellschaft zur Errichtung eines Ehrenmals in Kärnten“ gegründet wurde, knüpfte sie an die Kundgebung auf dem Zollfeld an und verstand ihre Mission als „europäische“. Die Wehrmachtssoldaten (und ihre Verbündeten), die, wie es im Aufruf zur Errichtung des „Ehrenmals für die Toten aller Kriege“ hieß, in „schlichter Pflichterfüllung fielen“, sollen sich nicht vergeblich, sondern für die „europäische Einigung geopfert“ haben (Hitlers „Neues Europa“ wird in diesem Text allerdings nicht genannt). Ein neues Präsidium ab 1954 unter Leitung des Grundstückeigen­tümers des Ulrichsberggipfels, Leopold Goëss, der Ex-Nazis Karl Fritz (eines Mitarbeiters des für seine führende Beteiligung an der Deportation von Kärntner SlowenInnen verurteilten Maier-Kaibitsch und Leitungsmitglieds des Kärntner Heimatdienstes) und Heribert Jordan (eines ÖVP-, dann leitenden FPÖ- sowie Heimatdienst-Funktionärs) und anderer verband seinen Europa-Bezug (Jordan: „Deutscher Boden wird immer deutsch bleiben, ob im Süden, Osten oder Norden Europas“) mit stärkerem Kärnten-Bezug – die Rede war von der „Ehrenpflicht für alle heimatbewussten Kärntner“, ein „Kärntner Ehrenmahl zu errichten“.

Rechts fest verankert

Im Jahre 1958 wurde der Grundstein für die Gedenkstätte gelegt. Nicht auf dem Zollfeld, wie ursprünglich gewollt, sondern auf dem Ulrichsberg. Dieser wurde gewählt, weil Bischof Köstner als Vertreter der Grundstückeigen­tümerin seine Zusage nach „scharfem Protest der slowenischen Mitglieder des Ordinariats zurückziehen“ mußte wie der Ulrichsberg-Redner Weißmann Jahre später wissen ließ. Die in den Grundstein eingemauerte Urkunde nennt als Begründer elf Vereine, darunter sieben Kameradschaftsver­bände, den Kärntner Kriegsopferverband, die Kärntner Landsmannschaft und den Kärntner Sängerbund. Seit diesem Zeitpunkt gibt es im Vorlauf der 10.-Oktober-Feiern jährliche Ulrichsbertreffen. Es gelang der Ulrichsbergge­meinschaft in kurzer Zeit, ihr Netzwerk sowohl international zu deutschen Wehrmachts-Kameradenkreise, Soldaten- und Heimatverbänden, „Europäische Freiwillige“, Quisling- und Kameradschaftsver­bänden aus Dänemark, den Niederlanden, aus Belgien, Liechtenstein und Südtirol, Holland, Norwegen, Großbritannien usw. auszudehnen, als auch im rechten Kärnten und Österreich zu erweitern und sich in der Mitte der Kärntner Gesellschaft zu verankern: SS-, Kameradschafts- und Kriegsopferver­bände, bundesheernahe Vereine wie z.B. die Offiziersgese­llschaft, bestimmte Arten von Kultur- und Freizeitvereinen (Goldhaubenfrauen, Automobil- und Touringclub etc.), volksdeutsche Verbände, Studenten- und Schülerkorpora­tionen, Jugendorganisa­tionen (Alpenverein, Landjugend), Ämter bzw. beamtete Personen, uniformierte Sicherheits- und Hilfsdienste, Teile bzw. Vertreter des Polizeiapparats, des Militärkommandos, der Kirchen usw. werden in diversen Listen als Teilnehmer, Vorstandsvertreter, Unterstützer und Mitgliedsvereine usw. genannt. Kärntner Abwehrkämpferbund und die Kärntner Landsmannschaft sind Mitbegründer der Gedenkstätte. Die Einbindung des Kärntner Heimatdienstes ist allerdings komplizierter: laut Eigendefinition selbst ein Dachverband einschlägiger Organisationen, ist er entweder am „Dachverband“ Ulrichsbergge­meinschaft beteiligt, oder es ist die Ulrichsbergge­meinschaft, die sich dem KHD angeschlossen hat; wie immer – die Beziehung selbst steht außer Frage. Ebenso wie die gute Beziehung zur Kärntner Landesregierung und den drei Landtagsparteien ÖVP, SPÖ (die nach temporärer, politisch begründeter Abwesenheit zur Zeit des Landesparteichefs Außerwinkler wieder mit im Boot sitzt) und den Freiheitlichen; alle drei stellen für die jährliche Feier Festredner, lassen Grüße ausrichten und geben Statements.

Modernisierung wegen Teilnahmeschwund?

Allerdings: die Veranstaltung leidet an Teilnahmeschwund. Tausende waren es zu Beginn, 2003 noch 1.500, letztes Jahr 1.200. Und je mehr Hakenkreuze mit der Zeit bei den Ulrichsbergtreffen zur Schau getragen wurden, je unverhohlener die Wehrmacht im Allgemeinen und die Waffen-SS im Speziellen als Inbegriff soldatischer Tugend gefeiert wurde (z.B. durch Jörg Haider beim berüchtigten Krumpendorfer Treffen im Umfeld der Ulrichsbergfeier), umso mehr Staub wurde in der österreichischen Medienlandschaft aufgewirbelt, umso stärker war die Polemik gegen den Ulrichsberg als Neonazi-Treff, umso drängender scheint auch der Wunsch mancher Ulrichsberg-Akteure zu werden, die Veranstaltung zu modernisieren. Sei es durch neue Präsentation (der Klagenfurter Altbürgermeister Guggenberger hatte als Obmann der Ulrichsbergge­meinschaft schon im Jahre 2000 die Idee, die Ulrichsbergfeier als „Versöhnungsfeier“ unter die Losung „Nie wieder Krieg“ zu stellen), sei es durch neue Rednerprofile (im Jahre 2003 sprach die leitende Funktionärin des Kärntner Geschichtsvereins, die Historikerin Fräss-Ehrfeld) oder durch neue Akzente in der Einladungspolitik (2004 wurde der nach der Verselbständigung Sloweniens gegründete Veteranenverband aus Slowenien eingeladen, was trotz dessen ablehnendem Bescheid zu Streit und Hader in der Kärntner rechten Szene führte; einige hatten gemeint, es handle sich um den Verband der ehemaligen PartisanInnen).

Der Widerspruch zwischen der faktischen Mittäterschaft in der nationalsozia­listischen Vernichtungsmas­chine, genannt Wehrmacht, und den Händen, die man gerne sauber hat, damit es einem nicht vor sich selbst graust, ist auf dem Ulrichsberg nicht auflösbar. Der Widerspruch ist auch nicht in Kärnten lösbar, weil sich hier das zentrale erinnerungskul­turelle Dilemma Österreichs zeigt, das vor allem im Gedenkjahr 2005 sichtbar wurde: das Wissen um die Bedeutung des eigenen Beitrag zur Befreiung vom Nationalsozialismus wurde nicht in die gesellschaftliche Mitte getragen, bzw. diese wollte nichts davon hören. Und so wird auch heuer wieder auf dem Ulrichsberg, sowohl vom Frieden gesprochen werden, als auch von Opfer und von Pflichterfüllung oder Treue, die den Krieg ermöglicht haben; wobei der letzte Halbsatz ausgelassen werden wird.

Mirko Messner

TIPP:

Infos zu Protesten gegen das Ulrichsbergtreffen finden sich unter www.u-berg.at

Weiterführende Literatur:

Walter Fanta, Valentin Sima: „Steht mitten drin im Land“. Das europäische Kameradentreffen auf dem Kärntner Ulrichsberg von den Anfängen bis heute. Klagenfurt/Celovec, Drava Verlag 2003.

Rettl, Lisa: „Der Ulrichsberg ruft. Oder: Alles was recht(s) ist“, in: Peter Gstettner/Grete Anzengruber/Peter Malina (Hrsg.): Die Mühen der Erinnerung. Zeitgeschichtliche Aufklärung gegen den Gedächtnisschwund Bd.1 (Schulheft 105/2002), Wien 2002, S. 108–12

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