“Das gute Alte” und das “schlechte Neue”
Vor zehn Jahren haben wir uns entschieden, trotz
der Resignation, die der realsozialistische Zusammenbruch bei vielen
ausgelöst hat, nicht die Segel zu streichen. Wir haben entschieden,
die KPÖ als eine in Grundsatzopposition zum Kapitalismus stehende
Partei zu erneuern. Dazu war und ist nötig, uns nicht nur mit Auflösungstendenzen
in der Partei auseinanderzusetzen, sondern auch mit dogmatischen
Haltungen, die, hätten sie sich durchgesetzt, zu keinem anderen
Ergebnis geführt hätten als zur Auflösung. Wären wir etwa den Vorschlägen
mancher Dogmatiker gefolgt, dann hätte die KPÖ seit einem Jahrzehnt
auf das Antreten bei allgemein-politischen Wahlen verzichtet. Eine
solche Kapitulation wurde und wird mit der Begründung vorgeschlagen,
man wolle die KPÖ vor “Liquidation” und “Revisionismus” bewahren.
Ist das nicht ein bezeichnender Widerspruch?
Wir können heute zumindest eine Konsolidierung
der KPÖ feststellen. Sie kommt auch darin zum Ausdruck, daß wir
in der Summe genommen bei Wahlen eine bescheidene nach oben weisende
Kurve verzeichnen. Das ist gewiß nicht wenig auf dem Hintergrund
des Weges den wir seit 1990 zurückgelegt haben … Aber das kann nicht
rechtfertigen, mit dem Erreichten zufrieden zu sein. Gerade heute,
wo sich die österreichische Gesellschaft in einem rasanten wirtschaftlichen,
sozialen, politischen und kulturellen Umbruch befindet.
Der neoliberale Umbau des Kapitalismus erhöht
den sozialen Druck auf viele Menschen und verschlechtert ihre Lage.
Aber zu wenige Menschen erkennen in der Kommunistischen Partei und
ihren Vorschlägen eine Alternative zum Bestehenden. Anders gesagt,
es mangelt nicht an sozialem Sprengstoff in unserer Gesellschaft,
woran es aber mangelt, ist die erkennbare Alternative.
Bei aller Spezifik hierzulande ist das das Problem,
vor dem sich die gesamte europäische Linke findet. Die Ungerechtigkeiten,
die der neoliberale Umbau auslöst, stoßen deshalb nicht auf die
breite Opposition, die man erwarten könnte, weil sie als alternativloser
Sachzwang wahr- und hingenommen werden. Die weit verbreitete Auffassung,
daß es keine gesellschaftspolitische Alternative zu “Standortkonkurrenz”,
“Flexibilisierung” und Deregulierung gäbe, bildet den Kern der neoliberalen
Hegemonie in der Gesellschaft. Den Kampf gegen diese Hegemonie aufzunehmen,
ist daher die Hauptaufgabe, der wir uns als Partei stellen müssen.
Wir haben diese Frage schon vor drei Jahren auf
dem 30. Parteitag aufgeworfen. Im Beschluß zur Programmdebatte heißt
es wörtlich: “Die Frage, warum von der Hauptströmung des kritischen
Protestpotentials eine sozialistische Systemalternative abgelehnt
wird, birgt den Kern und den Schlüssel all unserer strategischen
Überlegungen”.
Der damalige Beschluß zur Programmdiskussion
ist in mehrerer Hinsicht interessant. Erstens skizziert er die strategische
Orientierung, die wir heute konkretisieren: “Aus Kämpfen und Bewegungen”,
heißt es wörtlich, “gegen Massenarbeitslosigkeit, Sozialabbau, Umweltzerstörung,
Diskriminierung und Rassismus erwächst allmählich das Verständnis,
daß der Kampf um radikal demokratische Reformen über die gegenwärtige
Gesellschaft hinaus führen muß.” Der Kampf um “radikal demokratische
Reformen”, der über den Kapitalismus “hinausführen muß (…)”.
Wenn wir nun in einer politisch-programmatischen
Erklärung für den bevorstehenden 31. Parteitag neuerlich die Frage
der Demokratie ins Zentrum stellen, liegt also das auf der Linie
die wir vor drei Jahren eingenommen haben. Noch ein anderer – interner
– Aspekt verdient im Zusammenhang mit dem Beschluß des 30. Parteitags
Beachtung: Die Forderung nach einer programmatischen Debatte wurde
schon damals aus zwei entgegengesetzten Motivlagen erhoben. Die
eine, die Mehrheitsmeinung auf dem Parteitag, will den Prozeß der
Erneuerung unserer Partei in dieser programmatischer Debatten weitertreiben.
Die andere – entgegengesetzte – Motivlage ergibt sich aus der Hoffnung,
über eine programmatische Debatte die Positionen, die wir seit dem
28. Parteitag mit dem Wort “Erneuerung” bezeichnen, zurück zu nehmen.
Das betrifft vor allem die Abgrenzung von dogmatisch-autoritären
Sozialismus-Vorstellungen. Das ist aber nicht durch den Parteitagsbeschluß
gedeckt, in dem es heißt: “Ein Zurück zu überwundenen dogmatischen
Positionen gibt es für uns nicht.”
1. Zum “politischen Subjekt”
Und damit zur Sache selbst: Die Frage, die am
meisten diskutiert wird, ist die nach dem “sozialen und politischen
Subjekt”. Gemeint ist: Wer kann die grundsätzliche gesellschaftspolitische
Veränderung, für die wir kämpfen, bewirken. Der spezielle marxistische
Zugang zu dieser Frage ergibt sich daraus, daß wir die Möglichkeit
einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft mit den objektiven
und materiellen Interessen der in der kapitalistischen Gesellschaft
benachteiligten und ausgebeuteten Menschen in Zusammenhang bringen.
Diese materiellen Interessen sind allerdings
vielfältig und komplex. Damit sie wirksam werden, müssen sie ideologisch
verallgemeinert und politisch organisiert werden. Erst aus Politisierung
und Ideologisierung entsteht ein “politisches Subjekt”.
Das ist ein widersprüchlicher Prozeß: Daher entsprechen
politische Subjekte (Parteien, Bewegungen, politische Allianzen)
auch niemals eins zu eins den sozialen Interessen, die sie repräsentieren.
Ein und das selbe soziale Interesse kann auch unterschiedlich ideologisch
und politisch ausgedrückt werden. Das heißt, es wird auf einer gegebenen
sozialen Basis immer ein Kampf um Meinungsführerschaft geführt.
Nur in einem Meinungsstreit kann sozialistische Hegemonie entstehen.
Von einem “politischen Subjekt” zu reden zielt aber noch auf einen
anderen grundlegenden Aspekt. “Subjektivität” bedeutet, daß wir
von aktiven Menschen reden, die selbst bestimmen und entscheiden
können, was sie mit welchen Mitteln anstreben wollen. Das ist das
Gegenteil von einem parternalistischen Politikverständnis oder der
Vorstellung einer Geschichtsautomatik, die das gute Ende der heutigen
und zukünftigen Kämpfe vorab garantiert. Bildung eines “politischen
Subjekts” meint, sich in einen politischen Prozeß einzulassen, in
Bündnisse und in einen Meinungsstreit mit einem vorab nicht entschiedenen
Ergebnis. Damit schließt die Orientierung auf die Herausbildung
eines politischen Subjekts auf einer bestimmten sozialen Basis sowohl
einen eigenen Standpunkt ein als auch die Bereitschaft, ihn in der
Auseinandersetzung weiter zu entwickeln, eine Offenheit für Lernprozesse.
Man sieht schon, daß hinter sehr abstrakten,
geschichtsphilosophischen Formulierungen sehr praktische Fragen
unserer Politik, des Politikverständnisses, der Formen der Organisation,
unserer politischen Kultur etc. stehen. Auch diese Frage haben wir
auf dem 30. Parteitag gestellt: “Erneuerte Sozialismusvorstellungen
schaffen ideologische Voraussetzungen, daß die Bildung eines alternativen
Subjekts befördert wird, das von der Notwendigkeit des revolutionären
Übergangs überzeugt werden kann.”
Aber warum überhaupt von einem “alternativen”,
einem “neuen revolutionären Subjekt” reden? Genügt es nicht, daß
wir uns des “alten”, der “Arbeiterklasse” besinnen und im übrigen
so weiter machen wie immer, nur etwas besser? Das Problem dabei
ist, daß es uns zwar freisteht, an einem “alten Begriff” von Arbeiterklasse
festzuhalten, nur haben wir es trotzdem heute mit einer anderen
Arbeiterklasse zu tun als zu Marx’ Zeiten, das heißt die Klasse
formiert sich neu. Darüber müssen wir nachdenken. Dabei gehen wir
von den Veränderungen in der Produktion und ihren Konsequenzen für
die Lebensweise der Gesellschaft aus. Wir müssen uns fragen: Welche
Tätigkeiten üben die Menschen heute aus, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft
abhängig sind, in welche Arbeitsorganisation sind sie eingebunden
und wie verändert sich ihre Lebensweise und ihr Bewußtsein. Das
bedeutet auch mitzudenken, daß “Arbeiterklasse” nicht allein ein
ökonomischer Begriff ist. Die Eigentümlichkeit gesellschaftlicher
Entwicklungen besteht darin, daß sie durch den Kopf gehen, also
subjektiv wahrgenommen werden, und damit sind sie durch Bewußtsein,
Kultur und Ideologie geformt.
Zur objektiven Seite: Von den 3,6 Millionen Beschäftigten
in Österreich arbeiten 1,1 Millionen in der Güter- und Sachproduktion
aber 2,3 Millionen Menschen im Dienstleistungssektor. Diese Zahlen
zeigen, daß die “Arbeiterklasse” wächst und immer neue Schichten
erfaßt. Würde man aber “Kernschichten der Arbeiterklasse” im Sinne
des Parteiprogramms der KPÖ aus dem Jahr 1982 definieren, ergäbe
das eine abnehmende Minderheit.
Ein weiterer Aspekt: in der Güterproduktion sind
nur 25 Prozent der Beschäftigten weiblich, im Dienstleistungssektor
sind es aber mehr als die Hälfte, und dieser Sektor wächst immer
noch. Das heißt, wenn man von heutiger und mehr noch von zukünftiger
“Arbeiterklasse” redet, so ergibt sich: es handelt sich mehrheitlich
um Menschen, die in der “immateriellen Produktion” tätig und die
mehrheitlich weiblich sind. Insoweit müssen wir bisherige Bilder
korrigieren: für heutige “Arbeiterklasse” ist etwa die Krankenschwester
im Großkrankenhaus so typisch, wie es für die 60er Jahre der Stahlwerker
war.
Und daraus ergeben sich nicht zuletzt die subjektiven,
politisch-kulturellen Fragestellungen. Zu fragen ist, wie ist die
Vision einer neuen Gesellschaft zu bestimmen, wie die Kultur, in
der sich unserer Partei entwickeln soll, wie die Organisationsformen,
die Verkehrsformen in der Partei, die dieser neuen Arbeiterklasse
angemessen sind. All das muß entwickelt und diskutiert werden, und
zwar nicht nur in unseren eigenen Reihen, sondern in der Auseinandersetzung
mit den Menschen, mit denen wir gemeineinsam Kämpfe führen.
2. Warum Feminismus?
Das ist auch ein Grund dafür, daß wir den Begriff
“Feminismus” verwenden. Denn zum ersten betrifft der Sexismus, als
System von Benachteiligungen und Mißachtungen, alle Frauen und damit
auch die abhängig Beschäftigten – und auch quer zu ihren Qualifikationen.
(Die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen machen auch
bei den AbsolventInnen der Berufsbildenden Höheren Schulen noch
immer 31 Prozent aus und selbst bei den AkademikerInnen 18 Prozent).
Es waren zum zweiten die Feministinnen, die in der Benachteiligung
der Frau in der Reproduktion schon früh ein wichtiges Thema erkannten.
Das war gemeint mit: Das Private ist politisch. Selbstverständlich
ist auch die nicht-erwerbsarbeitende Frau, die in Partnerschaft
mit zu einem zur Arbeiterklasse gehörenden Mann lebt, Teil der Klasse.
Daher muß auch der Kampf gegen ihre Unterdrückung – auch wenn aus
dieser ein männlicher Arbeiter persönlichen Nutzen zieht – zu einem
Bestandteil proletarischer Politik werden. Und drittens müssen wir
selbstkritisch anmerken, daß für diese Fragestellungen die größte
Sensibilität – vornehmlich – nicht innerhalb der traditionellen
Arbeiterbewegung, sondern außerhalb ihrer Organisationen entstanden
ist, eben in feministischen Bewegungen, in der sich autonom definierenden
Frauenbewegung.
Aus diesen Gründen spricht alles für die Auffassung,
daß eine autonome Frauenbewegung die wichtigste Partnerin einer
sich erneuernden Arbeiterbewegung und einer sich erneuerenden Linken
sein kann. Dem wollen wir durch die Erweiterung unserer Programmatik
um den entsprechenden Begriff Rechnung tragen, und deshalb sprechen
wir von “Feminismus”.
Man kann einwenden: Auch im Feminismus gibt es
unterschiedliche weltanschauliche Tendenzen, Differenzierungen,
die man nicht mit einem einzigen Begriff zudecken soll. Das ist
zwar richtig, nur wollte man das zum Kriterium machen, dann müßte
es auch für die Linke oder die Arbeiterbewegung gelten, in der ja
auch unterschiedliche Tendenzen wirken, wie man überhaupt in jeder
sozialen und politischen Bewegung gegensätzliche ideologische und
kulturelle Orientierungen auffinden wird. Wäre also das ein Argument,
wäre es eine gegen jede Idee, daß sich die KommunistInnen als Teil
breiter Bewegungen sehen und daher gegen Bündnispolitik ganz generell.
3. Prekarisierung als soziales Verhältnis
Zum dritten – objektiven – Aspekt der sozialstrukturellen
Veränderungen in der Klasse: In einem längeren Beitrag in der Volksstimme
wurde der größte Teil der 30.000 “Neuen Selbständigen” als Teil
der “neuen Arbeiterklasse” beschrieben.
Tatsächlich unternimmt ungefähr die Hälfte dieser
neuen Unternehmer nichts anderes als sich selbst, sprich sie verkaufen
ihre Arbeitskraft und das nicht immer, aber oft zu denkbar schlechten
Bedingungen. Tatsache ist weiters: die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse
steigt von Jahr zu Jahr an. 340.000 Menschen arbeiten in Teilzeit.
(56 Prozent der Teilzeit Beschäftigten erklären, daß sie auf die
Gestaltung der Arbeitszeit nicht individuell Einfluß nehmen können.)
Wenn man von “Prekarisierung” redet, muß man im Auge haben, daß
es in Österreich 800.000 Frauen gibt die in einem informellen Erwerbsarbeitssektor
beschäftigt sind. Prekäre Lebensumstände charakterisieren wohl auch
die Lage der meisten der 250.000 Arbeitslosen. Alles zusammengerechnet
geht man nicht fehl, wenn man annimmt, daß 1,5 Millionen Menschen
in einem Zustand der längerfristigen Prekarisierung leben. Deshalb
ist die Prekarisierung nicht gleichzusetzen mit “atypischer Beschäftigung”
, sie ist nicht nur besondere Beschäftigungsform, sondern wird immer
mehr zum sozialen Verhältnis, das auch die in normaler Beschäftigung
stehenden Menschen betrifft. 1998 wurden zwar 1,5 Millionen Arbeitsverhältnisse
neu begründet und gleichzeitig 1,5 Millionen Arbeitsverhältnisse
aufgelöst. Das heißt: ein Drittel der Beschäftigten verfügte über
keinen Dauerarbeitsplatz. Das erweist die Prekarisierung als Kernstück
des neoliberalen Umbaus des Kapitalismus, als eine charakteristische
Form, in der sich die heutige Arbeiterklasse neu formiert.
Das prägt auch das Lebensgefühl der Menschen.
55 Prozent der ÖsterreicherInnen fühlen sich von möglicher Arbeitslosigkeit
bedroht; und 90 Prozent der Menschen befürchten, daß sie Arbeitslosigkeit
in eine existentielle Krise stürzen würde. Auch daher ist es meines
Erachtens verfehlt, die sich aus der Prekarisierung ergebenden Probleme
als “Randgruppenprobleme”, als “Probleme von Scharnier- oder Problemgruppen”
zu beschreiben.
Das bedeutet zweierlei: Es ist neben und bei
gewerkschaftlicher und politischer Interessensvertretung der Beschäftigten
in Betrieben und Dienststellen als unverzichtbarer Teil moderner
Arbeiterklassenpolitik die Situationen derjenigen mitzudenken, die
prekär arbeiten und leben: Arbeitslose, viele teilzeitbeschäftigten
Frauen, Studierende etc. Das gilt für uns gleichermaßen wie für
die Gewerkschaften. Dabei geht es um Mindestlöhne, soziale Grundsicherung,
soziale Absicherung aller Beschäftigungsverhältnisse, entsprechende
Mitbestimmungs- und Vertretungsrechte. Wie hängen die objektiven
Veränderungen mit dem Problem der “Bildung eines politischen Subjekts”
zusammen?
Wichtig ist auch die Veränderungen in der Lebensweise
der Menschen zu berücksichtigen. Perioden relativ hohen Konsumniveaus
wechseln ab mit Phasen freiwilliger und gehen über in solche erzwungener
Arbeitslosigkeit. Beschäftigungsphasen wechseln ab mit Qualifikationsphasen.
Es ist diese existentielle Unsicherheit, die Auflösungstendenzen
der bisherigen Lebensweisen, an denen Desolidarisierung, sozialer
Darwinismus und Rassismus ansetzen. Aber es sind diese Prozesse
auch, in denen sich die Klasse neu formiert, und daher muß die Linke,
sei es die “traditionelle Linke” oder sei es eine “neue Linke”,
anknüpfen.
Die materielle Grundlage dieser Veränderungen
bildet die Veränderung der Produktivkräfte. Die davon ausgehende
Umwälzung in der Lebensweise, der wirtschaftlichen, politischen
und ideologischen Regulierungsweise des kapitalistischen Systems,
verändern auch die Formen, in denen sich Menschen politisch ausdrücken
und mobilisieren.
4. Linke Bündnisse
Deshalb wäre es ein Fehler die Veränderungen
ausschließlich negativ zu werten. Abgesehen davon, daß sie auch
Widerstand hervorrufen, und sich in ihm auch Elemente einer neuen
oppositionellen und subversiven Kultur bilden. Zu den positiven
Elementen zählen ein höheres Bildungsniveau, die Vertrautheit mit
neuen Technologien, eine höhere soziale Kompetenz, erhöhtes Selbstbewußtsein
von Frauen, das zunehmende Wissen um die internationale Vernetztheit
von wirtschaftlichen, politischen und sozialen Prozessen etc.
Wir leben in einem Zeitalter eines erbitterten
kulturellen Kampfes, nämlich darum, welche Interpretationen und
Orientierungen sich hinsichtlich der technologischen und sozialen
Umbrüche des heutigen Kapitalismus durchsetzen. Auf der einen Seite
steht der soziale Darwinismus, der Rassismus der Schönen, Tüchtigen
und Anständigen, die vorherrschende Tendenz des Neoliberalismus.
Ein interessantes Beispiel für die andere Tendenz
sind die antirassistischen Jugendbewegungen. Fast jeder fünfte in
Österreich Beschäftigte ist ein Einwanderer bzw. eine Einwanderin.
Die größte Gruppe unter ihnen verfügt nicht einmal über Wahlrechte.
Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit und rassistische Gesetze,
für gleiche Rechte und gegen geteilte Arbeits- und Wohnungsmärkte
ist nicht nur Ausdruck eines allgemeinen Humanismus sondern wird
immer mehr zu einem notwendigen Bestandteil eines heutigen Klassenbewußtseins.
Natürlich gibt es auch einen bürgerlich-liberalen
Antirassismus. Aber der soll uns nicht die Aussicht darauf verstellen,
daß der Antirassismus die wichtigste demokratische Tendenz unter
der Jugend, das verbindende Element aller progressiven Jugendkulturen
darstellt und einen Zugang zu einem neuen Klassenbewußtsein öffnen
kann.
Weil uns vieles in den Ausdrucksformen der neuen
Jugendkulturen fremd ist, ist erforderlich, daß wir uns Neuem stellen,
ganz im Sinne eines Gedankens, den Brecht gegenüber konservativen
Kunstauffassungen in der Linken geltend gemacht hat: “Was gestern
volkstümlich war, ist es heute nicht. Denn wie das Volk gestern
war, so ist es heute nicht.” Was gestern wichtigster Ausdruck von
Klassenbewußtein war, ist es heute nicht mehr, denn so wie die Klasse
gestern war, so ist sie heute nicht mehr.
Damit ist Erneuerung kein KPÖ-spezifisches Problem.
Sie betrifft die gesamte Arbeiterbewegung, die viele als die “traditionelle
Linke” erleben. Sie sollte aber- zumindest was unsere Partei betrifft
– keine traditionalistische Linke sein.
Zur Zeit demonstrieren Zehntausende Menschen
gegen Schwarzblau. Unter denen, die sich von der etablierten Politik
abwenden, bilden die eine verschwindende Minderheit, die uns als
Alternative in Erwägung ziehen. Dabei sind wir die einzigen, die
die Forderungen der verschiedenen außerparlamentarischen Bewegungen
aufgreifen und sich mit ihnen solidarisieren.
Heißt das, daß wir uns wahlpolitisch zurückziehen
sollen, namentlich in einer Zeit der Rechtsentwicklung. Was würde
es bedeuten, wenn die KPÖ, als der nach wie vor einzige in ganz
Österreich wirksame Teil der Linken, sich auf die kommunalpolitische
Interessenvertretung beschränken würde? Die strittige Frage ist
nicht, ob der Kampf um kommunalpolitische Verankerung für die KPÖ
außerordentlich wichtig ist. Die Frage ist vielmehr, wie wir aus
den verschiedenen Ansätzen eine gesellschaftspolitische Strategie
entwickeln.
Daher müssen wir uns auch mit der Frage auseinander
setzen, wie auf längere Sicht eine politische Alternative für jene
geschaffen werden kann, die nicht nur gegen Schwarzblau, sondern
gegen den neoliberalen Umbau kämpfen wollen. Tatsache ist ja auch,
daß die etablierten Oppositionsparteien – SPÖ und Grüne – immer
weiter nach rechts rutschen und das risikolos können, weil sie von
links nicht herausgefordert werden.
Daher können wir – auch bei aller Vorrangigkeit
des außerparlamentarischen Kampfes – der Frage nicht ausweichen,
wie eine mittelfristige Strategie ausschauen könnte, einen linken
Pol zu bilden, der auch wahlpolitisch zu einem Faktor wird. Um diese
Option offenzuhalten, hat sich die KPÖ bei allen allgemeinpolitischen
Wahlen der letzten zehn Jahren gestellt, und in ihrem bescheiden
Rahmen auch Stimmen gewonnen.
Seit den 70er Jahren, damals unter ganz anderen
Voraussetzungen, bis heute haben wir immer wieder eingeschätzt,
daß durch das Entstehen breiter außerparlamentarischer Bewegungen
neue Voraussetzungen dafür entstehen können, uns wahlpolitisch zu
verbreitern. Möglicherweise stehen wir jetzt am Beginn einer Periode
breiter gewerkschaftlicher und politischer Proteste. Die Frage,
die sich dabei aber nicht nur uns stellt, lautet: Wie kann aus Widerstand
Politik werden?
Schon seit einiger Zeit wird in diesem Zusammenhang
die Frage linker Bündnisse diskutiert, die aber, um eine ernst zu
nehmende Option darzustellen, mehr sein müßte als ein Zusammengehen
der KPÖ mit den verschiedenen linken Kleingruppen. Dabei geht es
nicht um den Aufbau einer neuen Partei, oder darum, die KPÖ aufzulösen.
Worum es geht, ist die Funktion der KPÖ als einer
selbstständigen Partei neu zu bestimmen. Die Idee des vorliegenden
Entwurfs ist es, die KPÖ als einen Katalysator des Widerstandes
gegen die Rechtsregierung und den neoliberalen Umbau des Kapitalismus
zu entwickeln. Katalysator sein heißt, Prozesse auszulösen, die
nicht nur die eigene Organisation, sondern auch andere erfassen.
So führt die Frage, wie aus Widerstand Politik werden kann, an die
Frage heran, ob wir mit anderen politischen Kräften – Feministinnen,
linken GewerkschafterInnen, Intellektuellen, unorganisierte Menschen,
StudentInnen etc. nicht nur gemeinsame Einzelkämpfe führen, sondern
an der Herausbildung linker, feministischer, pluralistischer Bündnisse
arbeiten können, inklusive solcher, die sich auch Wahlen stellen.
Das wird seit einiger Zeit unter Linken diskutiert.
Die KPÖ sollte sich dazu verstehen, an diesen Diskussionen konstruktiv
mitzuwirken.
Dazu ist aber auch notwendig klarzustellen, was
wir selbst politisch wollen und an wen wir uns wenden: Was das Verhältnis
zu anderen Linken betrifft, existieren in unserer Partei sektiererische
Haltungen. Es ist paradox, daß manche empfehlen, mit jedem obskuren
Verein zusammenzugehen, wenn sich seine Vorstellungen auch nur an
den Rändern mit unseren berühren (zuletzt mit dem Anti-EU-Volksbegehren),
zugleich aber ein sehr großes Bedürfnis besteht, sich von Linken
abzugrenzen, wenn sie nicht in allen Aspekten mit uns übereinstimmen.
Dabei wäre ein solidarischer Umgang mit anderen
Linken längst auch eine Frage des Realismus, müssen wir doch davon
ausgehen, daß die meisten linken Intellektuellen, die meisten linken
Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen, die meisten linken Feministinnen
nicht innerhalb, sondern außerhalb der KPÖ sind. Auch das hat seine
Gründe und sie liegen nicht ausschließlich im Antikommunismus, den
es auch in der Linken gibt.
5. Die “Machtfrage” richtig stellen
Wir haben bekanntlich eine weitergehende Perspektive,
als die den Neoliberalismus zu bekämpfen, nämlich den Kapitalismus
insgesamt. Auch dabei machen wir die Erfahrung, daß viele, die diese
Perspektive mit uns teilen, und die sich bei den Sozialdemokraten
und den Grünen nicht daheim fühlen, auch mit der KPÖ wenig anfangen
können.
Nicht zuletzt geht es dabei um die Vorstellungen,
die man von einer neuen Gesellschaft, von einer sozialistischen
Gesellschaft hat. Das ist einer der Gründe, weshalb wir auch im
vorliegenden Entwurf eine klare Abgrenzung von Stalinismus und Poststalinismus
vornehmen. Auch auf dem 30. Parteitag war das schon klar. Dort hieß
es nämlich im Programm-Beschluß: “Hauptursache für die Ablehnung
des Sozialismus ist die negative Einschätzung der gescheiterten
Systemalternative, die unisono auf die Kommunistischen Parteien
übertragen wird”.
Deutlich müssen wir unsere heutigen Vorstellungen
von Despotie oder autoritären Politikmustern abgrenzen. Das hat
nichts mit der Unterschätzung des Gewaltpotentials reaktionärer
Kräfte zu tun. Trotzdem wäre falsch, die Debatte über eine künftige
Gesellschaft ausgerechnet mit dem Begriff “Diktatur des Proletariats”
zu verknüpfen. Diese ist neben vielem anderen in den Stalinschen
Arbeitslagern zu Schanden gegangen. Die reale Entwicklung hat leider
Rosa Luxemburgs Recht gegeben: Das Ein-Parteien-System hat die “Diktatur
des Proletariats” in der Tat in eine “Diktatur über das Proletariat”,
verwandelt, die “die politische Initiative der Massen und das politische
Leben der Räte durch Bürokratisierung erdrückt hat”.
Es hilft dabei nichts, sich auf den Standpunkt
zu stellen, die These, die Marx 1871 mit der Diktatur des Proletariats
aufgestellt hat, sei zwar gut gemeint gewesen, nur leider sei sie
schlecht realisiert worden. Gerade in der Politik heißt das Gegenteil
von “gut” “gut gemeint”. Die “normalen” Menschen sind MaterialistInnen
und fragen nicht, wie habt ihr euch die Diktatur des Proletariats
in der Theorie gedacht, sondern sie fragen, welche Politik habt
ihr in der Praxis gemacht bzw. gerechtfertigt.
Zur Frage, ob im Entwurf die “Machtfrage” richtig
gestellt sei: Man irrt sich, wenn man glaubt, Marx habe mit der
“Diktatur des Proletariats” die Macht einer einzigen Partei gemeint.
Worum es ihm ging war eine neue Qualität der Macht und zwar im Sinne
der Verwirklichung einer qualitativ neuen Demokratie für die arbeitende
Bevölkerung. In dem Sinn heißt es im Diskussionsentwurf: “Wir haben
uns von einem Politikmodell getrennt, das die Aufgabe der Kommunistischen
Partei darin sah, mittels der Ergreifung der Staatsmacht die Gesellschaft
ausschließlich von oben umzugestalten. Heutige KommunistInnen wollen
nicht die Macht ergreifen, sondern sie den Menschen überantworten.”
Das ist gewiß keine Ausklammerung der Frage der
politischen Macht, sondern eine präzise Formulierung, und zwar in
genau der Art, wie sie MarxistInnen seit je stellen. Es ist nämlich
zuwenig, sich Sozialismus so vorzustellen, daß die politische Macht
von der Hand einer Partei in die Hand einer anderen übergeht. Sozialismus
bedeutet bezogen auf die politische Macht eine neue Qualität von
Macht. Der entscheidende qualitative Unterschied ergibt sich daraus,
daß die neue Macht eine tatsächliche Demokratie für die Mehrheit
der Bevölkerung herstellt, auch aber keineswegs ausschließlich durch
neue – eben sozialistische – Eigentumsverhältnisse.
Dazu gehört auch, daß wir die Gesellschaft nicht
in erster Linie von oben her umgestalten wollen, sondern, daß wir
uns auf die Initiative und die Aktivität der Menschen stützen wollen.
Das muß die neuen Eigentums- und Machtverhältnisse auszeichnen.
Woraus folgt, daß eine einfache Verstaatlichung nicht ausreicht,
sondern, daß neue sozialistische Eigentumsverhältnisse immer auch
die Demokratisierung der Verfügung über das Eigentum erfordern.
Dazu gehört aber auch, daß neben den neuen sozialen Rechten, Sozialismus
auch politische und Freiheitsrechte der Menschen bedeutet. Alles
das wird im Diskussionsentwurf angesprochen, und es ist unverzichtbar,
wenn sozialistische/kommunistische Ideale die Menschen überzeugen
sollen, also wenn ein revolutionäres “politisches Subjekt” gebildet
werden soll.
6. “Neuer” und/oder “alter” Kommunismus
Wir schauen differenzierter auf die Vergangenheit,
berücksichtigen Positives und Negatives. Notwendig ist vor allem,
daß wir unsere Ideen auf die Zukunft bezogen formulieren. Manche
sagen, daß in den Schriften von Marx und Engels das Kommunistische
Ideal fertig niedergelegt sei. Man zitiert die einschlägigen Formulierungen
“Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen”,
“Die Freiheit des Einzelnen ist die Voraussetzung für die Freiheit
aller und umgekehrt”. Oder man verweist auf das Emanzipationsideal
der Frühschriften von Marx: “Alle Verhältnisse (seien) umzuwerfen
in denen der Mensch ein verlassenes, unterdrücktes, geknechtetes
Wesen ist.” Das Argument lautet dann: Das ist so gut gesagt, daß
dem nichts hinzuzufügen ist. Von einem anderen, einem “neuen Kommunismus”
zu reden, wäre überflüssig.
Aber kann man sich das Endziel der klassenlosen
Gesellschaft, einem Kommunismus des 21. Jahrhunderts, als ein für
allemal vor hundert Jahren gleichsam für alle Ewigkeit festgelegt
vorstellen. Marx und Engels hätten einer solchen Sicht auf ihr Werk
nicht zugestimmt. In der Deutschen Ideologie heißt es: “Der Kommunismus
ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein
Ideal wonach die Wirklichkeit sich zu richten habe. Wir nennen Kommunismus
die wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt und die
Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden
Voraussetzung.”
Kommunismus als wirkliche Bewegung, deren Bedingungen
sich aus den heutigen Voraussetzungen ergeben. Anders gesagt: Man
kann den Kommunismus nicht jenseits und unabhängig von den jeweils
gegebenen sozialen Verhältnissen aus philosophischen Sätzen ableiten.
Das bedeutet, wenn man über einen Kommunismus
der Zukunft nachdenkt, muß man die Analyse der heutigen Gesellschaft
zum Ausgangspunkt nehmen. Das heißt, sich mit den heutigen Widersprüchen
der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das heißt: Jeder Kommunismus,
der mehr ist, als ein Glaubensbekenntnis, ist immer ein neuer Kommunismus.
Dabei ist aber auch wichtig, daß die kommunistische
Idee bedeutend älter ist als unsere Parteien, die ihren Namen tragen.
Daher ist nicht ohne Bedeutung, in Erinnerung zu rufen, daß ein
neuer Kommunismus gleichzeitig auch der alte sein wird, das heißt
die emanzipatorischen Ideale enthalten und gleichzeitig erneuern
wird, die durch Sozialdemokratie und Stalinismus verleugnet wurden.
Wer den Begriff “Kommunismus” verwendet, drückt
damit also aus, daß er/sie sich bewußt in die Tradition der radikalen
Kritik am Bestehenden und des Kampfes um Emanzipation stellt. Wir
wollen nicht geschichtslos werden. Das schließt ein kritisches Verhältnis
zur Tradition, zur Geschichte der Emanzipationsbewegungen in ihren
verschiedenen historischen Ausprägungen mit ein. Aus dieser differenzierenden
Sicht ergibt sich die Klarstellung, daß sich heutige und zukünftige
kommunistische Bestrebungen in wesentlichen Aspekten (“qualitativ”)
von dem unterscheiden werden, was bis 1989/90 in Osteuropa bestanden
hat. Somit ergibt sich das erneuerte kommunistische Ideal zum einen
aus den Widersprüchen der heutigen kapitalistischen Gesellschaft,
als “den bestehenden Voraussetzungen” und zum anderen aus Erfahrungen
der “wirklichen Bewegung”.
In der Tat macht also keinen Sinn, im Namen eines
zu bewahrenden “guten Alten”, Altes und Neues gegeneinander zu stellen.
Vielleicht drückt sich in mancher Befürchtung die Schwierigkeit
aus, anzuerkennen, daß jede Generation von KämpferInnen sich den
Kommunismus neu aneignen muß, und dabei, wie Brecht es im Hinblick
auf die Kunst ausdrückte, “eher vom schlechten Neuen und nicht vom
guten Alten” ausgehen muß.
In welche Richtung suchen wir also das Neue.
Wenn man das zusammenfassen will, so besteht es meiner Meinung nach
in der zentralen Bedeutung, die neue Arbeits- bzw. Lebensweisen,
die die Demokratie und der Feminismus für ein heutiges Kommunismus-Verständnis
haben. In dem Sinn mag noch vieles an den Überlegungen, die wir
heute zur Diskussion stellen unfertig sein. Dabei wird Erneuerung
nicht aus dem Kampf “zweier Linien” entstehen. Das ist stalinistisches
Freund-Feind-Denken. Im Beschluß des 30. Parteitages wurde dagegen
etwas sehr Kluges gesagt: “In diesem Sinn ist die bevorstehende
Programmarbeit auch Diskussionsanstoß von Gedanken und Ideen, auch
nicht ausgereiften, die der Diskussion zugeleitet werden und in
ihr bearbeitet und verändert werden können”.
So sollen wir uns dieser Programmarbeit unvoreingenommen
stellen.
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