KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Wofür die EU dem Antony Blair danken sollte ......

Licht auf den Hintergrund der latenten Dauerkrise der EU
von Hans Kalt


Jetzt kämpft dort „Jeder gegen Jeden“, seufzte der österreichische Bundeskanzler Schüssel in einem Interview für die deutsche Bild-Zeitung. Anfang 2006 soll er für ein Halbjahr in seiner Funktion die Hauptverantwortung für die Weiterentwicklung dieses politischen Konstrukts übernehmen. Das führte ihn gerade jetzt zu dieser Erkenntnis. Aber nur die Erkenntnis ist neu. Die Tatsachen sind die gleichen wie schon bei der Gründung der EU.

Ein solches Superkartell der grössten Finanzkonzerne – wie Bruno Pittermann es einmal nannte – ist immer auch Boden für die Austragung der Widersprüche zwischen diesen Gruppen der Finanzoligarchie. Solange es eine mögliche Alternative gab, zwang diese – trotz ihrer eigenen inneren Schwächen – die führenden Gruppen der Finanzoligarchie, ihren Dauerkonflikt mit der arbeitenden Klasse ihrer eigenen Länder, aber auch die Gegensätze untereinander „zivilisiert“ auszutragen. Ergebnis war u.a. die EU.

Der Zusammenbruch des bürokratisch-administrativen Sozialismus-Modells in Europa war der grösste Sieg des Kapitalismus in diesem letzten Jahrhundert. Aber er brachte gleichzeitig alle vorher zugedeckten Widersprüche zu offener Virulenz. Vieles wurde dabei öffentlich und lautstark diskutiert: Etwa ob es sich die EU als europäische Staatengemeinschaft „christlich-abendländischer“ Tradition (und damit in deutlichem Unterschied zu islamischer oder anderen aussereuropäischen Traditionen stehend) verstehen wolle. Oder eine neue Form der Solidarität durch Verzichte der Arbeiterbewegung hochentwickelter Länder auf einige soziale Standards zugunsten eines „Nachziehens“ ärmerer Länder. Vorläufiger Gipfel war die Ablehnung einer in Jahre dauernden Verhandlungen formulierten ersten EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden durch Volksabstimmungen.

Dabei hatte die „politische Klasse“ wie in der ganzen EU auch in diesen Ländern alles für eine Annahme getan. Aber das Unbehagen an der Basis war so gross, dass selbst in diesen beiden Gründungsstaaten die Mehrheit der Menschen mit der Verfassung die ganze derzeitige Entwicklung in der EU abgelehnt hat.

Das darauf folgende Gipfeltreffen der EU-Regierungschefs versuchte „zu retten, was noch zu retten“ war und die Abstimmungen in den übrigen Ländern fortzusetzen, obwohl die Ablehnung auch nur durch ein Land die Verfassung zu Altpapier gemacht hat. Also ein Fortwursteln. Aber beim zweiten Punkt der Tagesordnung, dem mittelfristigen Budgetrahmen der EU,(2007 – 2013) ging das nicht mehr. Antony Blair, britischer Premierminister , legte sich quer. Er stimmte keinem Budget zu, das nicht den beim Übergang Grossbritanniens von der EFTA zur EU ausgehandelten „Briten“-Rabatt unvermindert beibehalte. Dem konnten die anderen grossen Zahler nicht zustimmen. Der Budgetrahmen wurde nicht beschlossen. Das führte erstmals zu einem totalen Scheitern eines EU-Gipfeltreffens.

Keine der beiden Seiten vertrat dabei kurzsichtige Interessenpolitik. Durch die Haltung Blairs wurde ein innerer Widerspruch der EU sichtbar,der mit derzeitigen Mechanismen der EU-Bürokratie nicht lösbar ist. Dafür müssten die anderen Blair eigentlich dankbar sein. Worin besteht dieser Widerspruch?

Der grösste Teil der EU-Mittel fliesst in die Landwirtschaft. Dort ist die Kapitalkonzentration weit geringer als in den anderen Volkswirtschaftszweigen. Um in der heutigen Welt der kapitalistischen Globalisierung bestehen zu können, braucht die Landwirtschaft mehr Geld.

Ihre Betriebe müssen genügend investieren können, um allmählich die Produktionskosten ihrer Erzeugnisse dem Weltmarktniveau zumindest anzunähern. Gleichzeitig dürfen die laufenden persönlichen Einkommen in bäuerlichen Betrieben nicht zu stark hinter dem Einkommensniveau der Beschäftigten in anderen Wirtschaftszweigen zurückbleiben. Das betrifft schon in der heutigen EU die Lebensgrundlage von Millionen Familien. Gerade diese sind aber wichtige soziale Basis des Kapitalismus – auch in seiner heutigen Form der Vorherrschaft der Finanzoligarchien und den Globalisierungstendenzen. Würde man die Landwirtschaft der EU-Staaten – ohne finanzielle Regulierungsmassnahmen – schlagartig dem offiziell so gepriesenen „freien Wettbewerb“ aussetzen, müssten die meisten noch bestehenden bäuerlichn Betriebe rasch aufgeben, die Migrationsströme würden in Millionendimensionen anschwellen.

Entgegen den immer wieder propagierten eigenen Grundsätzen musste die EU rasch den grössten Teil der von ihren Mitgliedern abgeführten Beiträge in Subventionszahlungen für „die Landwirtschaft“ leiten. Das aber bedeutet neue Bürokratie, Korruptionsmöglichkeiten, volkswirtschaftlich sinnlose Zahlungen (z.B. für die „Stillegung“ von Ackerflächen, weil die dort zu erzeugenden Produkte noch mehr Subventionssummen erfordern würden) usw. Im Brustton des Sittenrichters fordert die EU von Beitrittskandidaten als Bedingung die Überwindung der Korruption. Aber in welchen dieser Länder wurden Korruptionsskandale vom Ausmass des Parlamat-Skandals – innerhalb der EU – mit seinen Milliardenschäden bekannt? Schimäre von „blühenden Landschaften“ durch die EU lassen sich vielleicht noch in „hintersten Winkeln“ der Ukraine verkaufen – aber sicher bald auch dort nicht mehr.

Dabei ist trotz dieser riesigen Subventionssummen schon jetzt ein „Abströmen“ aus der Landwirtschaft selbst im Kernbereich der EU wirksam. Es ist mit eine der Ursachen, dass eine strukturelle Massenarbeitslosigkeit von etwa 20 Millionen nicht überwunden werden kann. (Sicher wird das auch bei einem Machtwechsel in Deutschland zu Merkel und Stoiber so weitergehen).

Gerade in dieser Hinsicht nimmt Grossbritannien eine Sonderstellung ein. Dort wurde der Üergang von bäuerlicher Bodenbewirtschaftung zu kapitalistischem Farm-Betrieb schon gleichzeitig mit dem Eindringen des Frühkapitalismus in Industrie, Handel, Verkehr usw. eingeleitet. Dementsprechen begann das massenhafte „Bauernlegen“ dort zu einer Zeit, als in Frankreich der Typ des „Parzellenbauern“ in Folge der Französischen Revolution erst entstand. Damals war das für die betroffenen Familien in England, Irland und Schottland eher noch schlimmer als heute für die Globalisierungsopfer in Europa. Millionen blieb nur die Auswanderung nach Übersee, wo sie allerdings auf dem vorher der autochtonen Bevölkerung gehörenden Boden grossflächige, leistungsfähige Farmwirtschaft aufbauen konnten.

Mit der Gründung der EU ergab sich zwar für die grossen, hochentwickelten Staaten wie Frankreich und Deutschland eine grosse Beitragsverpflichtung. Da gerade auch diese beiden Staaten noch eine stark bäuerliche Struktur der Landwirtschaft aufweisen, erhielten sie aber bedeutende Summen als Landwirtschaftssubvention wieder zurück. Auf Grund der Landwirtschaftsstruktur konnte schon vom Beitritt Grossbritanniens an kein vergleichbarer Rückfluss dorthin erreicht werden. Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher setzte daher einen „Rabatt“ für die jährlichen Beitragszahlungen durch, der England jedes Jahr einige Milliarden Euro erspart.

Mit den jüngsten Neuaufnahmen in die EU hat sich die Lage geändert. Die Wirtschaft der neuen EU-Mitglieder ist durch eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft geprägt. Deren Produktivität ist meist (z.B. in Polen) noch weit niedriger als in Mittel- und Westeuropa.- Unter den jetzigen Bedingungen werden die Finanzerfordernisse für die Landwirtschaftssubventionen daher sprunghaft anwachsen. Aus diesem Grund hat vor allem Frankreich für die kommenden EU-Budgets eine Streichung oder zumindest Senkung des „Britenrabatts“ gefordert. Blair musste ablehnen. Er hätte sonst sicher die nächsten Unterhaus-Wahlen verloren. Chirac und Schröder wieder mussten auf dem Zugriff zum Briten-Rabatt bestehen. Sogar als einige der „Neuen“ auf einen Teil ihrer erhofften Bezüge verzichtet hätten. Im Hintergrund warten ja mit Rumänien und Bulgarien schon ähnlich strukturierte Volkswirtschaften auf den Beitritt. Kommen dann gar noch die Türkei und die Ukraine daran, würden allein die Erfordernisse der Landwirtschaftssubventionen alle bisherigen Masstäbe sprengen. Die Ukraine z.B. ist ja längst nicht mehr die „Kornkammer“ Europas, obwohl dort immer noch 27 Prozent der Erwerbstätigkeit der 50-Millionen-Bevölkerung auf die Landwirtschaft kommen – gegenüber 3 bis 6 Prozent in Mitteleuropa und 2 (zwei) Prozent in England! Würde man die Menschen dort mit einer „Fata morgana“ blühender Landschaften in die EU locken, dort ihre Erwartungen aber nicht erfüllen können, dann würde das zu einer gesellschaftspolitischen Explosion führen. Kein anderes Land könnte die dann „überflüssig“ werdenden etwa 10 Millionen Ukrainer aufnehmern und beschäftigen.

Die Finanzsituation ist damit zu einer latenten Dauerkrise geworden. Nicht wegen „Sturheit“ und „Uneinsichtigkeit“ führender Politiker, sondern wegen der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Umweltbedingungen. Nur eine aus der Tiefe kommende, alle Gesellschaftsschichten aufwühlende Massenbewegung hätte dennoch zur Vereinigung Europas führen können. Aber diese hatte es ja nie gegeben. Antikommunismus und Antisowjetismus allein konnte das nicht ersetzen. Umso weniger als die Sowjetunion und das osteuropäiche Sozialismus-Modell insgesamt auch nicht durch eine Volksrevolution, sondern durch das Zusammenwirken wissenschaftlicher und ideologischer Inkompetenz der führenden Elite mit einer zeitweise fast tragikomischen neuen Form einer „Palastrevolution“ innerhalb der Sowjetführung abgelaufen ist.

In dieser Lage Rezepte für eine Weiterentwicklung der EU zu formulieren oder oder auch nur „Ratschläge“ zu geben, wäre vermessen. Alles Positive, das eine freiwillige, gleichberechtigte Vereinigung der europäischen Nationen diesen bringen kann, wird nur wirksam werden können, wenn Europa zum Ausgangspunkt zurückkehrt: Jede Nation muss sich auf die eigenen Kräfte stützen und loyal mit allen dazu bereiten Kräften in- wie ausserhalb Europas zusammenwirken. Das mag utopisch klingen. Aber es ist viel weniger utopisch als zu glauben, mit jetzt entstandenen maffiosen Oligarchien, Neureicher, einer die schon bisherigen nationalen Bürokratien überwuchender neuen EU-Bürokratie, alles vereinigt durch den Dirigismus noch mächtiger gewordener transnationaler Finanz- und Industrie-Konzerne – ein wirklich demokratisches Europa mit Erhalt und Ausbau des Sozialstandortes schaffen zu können.

Aktuelles:


KPÖ Oberösterreich: Jetzt Unterstützungserklärung unterschreiben!
(14.7.2021)

...mehr


Die Europäische Linke fordert einmal mehr das Ende der Blockade gegen Kuba
(13.7.2021)

...mehr


Die neue Juli Volksstimme 2021 ist da!
(13.7.2021)

...mehr


KPÖ Graz: Unsere Kandidatinnen und Kandidaten für Graz
(10.7.2021)

...mehr


38. Parteitag der KPÖ: In der ältesten Partei Österreichs übernehmen Junge das Ruder
(21.6.2021)

...mehr

Volksstimme - Politik & Kultur - Zwischenrufe links