KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Eine Bringschuld



Bei der Präsentation des Buches “Stalin und wir”*) am 22. Juni im Kulturzentrum 7*Stern hielt der Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Dr. Wolfgang Neugebauer, folgendes Einleitungsstatement.

Gestern Abend habe ich an einer Diskussionsveranstaltung im BSA über die “braunen Flecken” der SPÖ teilgenommen und dabei wieder einmal die Erfahrung gemacht, dass die Auseinandersetzung mit unangenehmen Seiten der eigenen Vergangenheit stets ein sehr mühsamer, schmerzlicher Prozess ist, insbesondere solange Beteiligte noch mitwirken. Für die Wirksamkeit und den Erfolg einer solchen Vergangenheitsbewältigung ist es sehr wichtig, dass sie nicht von außen aufgedrängt oder erzwungen wird, sondern von den Betroffenen selbst – sei es nun eine Partei, eine Bewegung oder ein ganzes Volk – ausgeht und getragen wird. Daher halte ich die heutige Veranstaltung und das Erscheinen dieses Buches für ein für die Entwicklung der KPÖ bedeutsames Ereignis. Ich nehme es gleich vorweg: Meines Erachtens ist dieses Buch mit den Beiträgen von Walter Baier und Franz Muhri ein Meilenstein, ein Durchbruch in der Aufarbeitung des Stalinismus in der Sowjetunion und in der kommunistischen Weltbewegung seitens der KPÖ.

Vielleicht erhebt sich die Frage, was ich als Leiter des DÖW mit dieser Thematik zu tun habe. Nun, bekanntlich sind viele 1934 bzw. zuvor oder danach in die Sowjetunion ge?üchtete österreichische AntifaschistInnen, Schutzbündler, WiderstandskämpferInnen und Juden samt ihren Familien in den Strudel der Stalinschen Repressionen geraten. Wir haben diese Verfolgung in unserem 1999 erschienenen Buch “Österreicher im Exil – Sowjetunion” dokumentiert – im übrigen auch die politischen Bestrebungen und den militärischen Einsatz der in die Sowjetunion ge?üchteten ÖsterreicherInnen zur Befreiung ihres Landes. Gerade am heutigen Tag – dem 60. Jahrestag des hitlerdeutschen Überfalls auf die Sowjetunion – soll nicht vergessen werden, dass es in dieser schrecklichen Zeit des Terrors auch eine unverrückbar positive Leistung – nicht Stalins, aber der Völker und Streitkräfte der Sowjetunion – gegeben hat, nämlich den entscheidenden Beitrag zur Niederringung des Nazifaschismus.

Wenn wir uns mit dem Stalinismus und seinen Verbrechen beschäftigen, so ist damit weder eine Gleichsetzung unterschiedlicher politischer Systeme noch eine Relativierung der NS-Verbrechen intendiert. Ich bin durchaus ein Verfechter der – sinnvoll verstandenen – Auffassung von der Singularität der NS-Verbrechen, im Besonderen des Holocaust; damit kann jedoch die Negierung, Ausblendung oder Verharmlosung anderer massenhafter Verbrechen oder Menschenrechtsverletzungen nicht gerechtfertigt werden. Die Aufarbeitung des Stalinismus ist aus mehreren Gründen notwendig:
* menschlich, weil mit den Verbrechen auch die Opfer des Stalinismus mit Terror, Fälschung und Lüge jahre- und jahrzehntelang verdrängt wurden. Besonders tragisch war dies für die KommunistInnen; denn sie wurden von den eigenen Genossen verfolgt, verschmäht und vergessen;
* wissenschaftlich, weil zum Verständnis des Zusammenbruchs der Sowjetunion und anderer kommunistischer Staaten ebenso wie des Niedergangs der kommunistischen Bewegung die Kenntnis der stalinistischen Fehlentwicklung unentbehrlich ist;
* politisch, um der Kritik zu begegnen, dass AntifaschistInnen und Linke auf einem Auge blind seien und die Verbrechen und Opfer des stalinistischen Kommunismus aus Gründen ideologischer Nähe nicht wahrhaben wollten. Dass auf diesem Gebiet zumindest partielle De?zite bestehen, ist nicht zu übersehen. Die bloße verbale Distanzierung von stalinistischen Verbrechen ist meines Erachtens zu wenig. Um glaubwürdig zu sein, ist eine rückhaltlose Aufarbeitung, auch von politischer Mitschuld und persönlicher Verstrickung, erforderlich.

Anfang der neunziger Jahre habe ich mich gemeinsam mit anderen SozialdemokratInnen und Linken, darunter auch Personen aus der KPÖ, im Verein “Memorial Österreich” um die Aufarbeitung des Stalinismus und seiner Opfer bemüht; im Vorwort zu dem 1994 erschienenen Buch “Von der Utopie zum Terror. Stalinismus-Analysen” habe ich geschrieben, “dass Stalinismus nicht auf die Person Stalin bezogen oder auf ‚Personenkult‘ oder ‚Verletzung sozialistischer Gesetzlichkeit‘ reduziert, auch nicht mit den Kategorien Verbrechen und Schuld allein erfasst werden kann, sondern sich als ein alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche erfassendes Phänomen darstellt bzw. die Grundstruktur der gesamten kommunistischen Bewegung betrifft. Die Problematik Stalinismus berührt entscheidende Fragen der Entwicklung der Sowjetunion und der kommunistischen Weltbewegung, der Transformation einer ursprünglich zutiefst humanen Utopie zu einem der grauenhaftesten Terrorregime der Weltgeschichte; sie ist der Schlüssel zum Verständnis des Scheiterns des ‚realen Sozialismus‘. Für jeden, der mit der Politik und dem Gedankengut der Arbeiterbewegung, des Marxismus bzw. dessen verschiedenen Strömungen verbunden war (oder ist), müsste diese fundamentale Fehlentwicklung grundlegende Fragen aufwerfen, deren Klärung nicht ohne Selbstkritik und Revidierung von ideologischen Positionen einhergehen kann.”

Diese Aufarbeitung ist in dem heute präsentierten Buch von Walter Baier und Franz Muhri in einem Maße geleistet worden, das ich – ehrlich gesagt – nicht erwartet hätte. Ich weiß, dass es schon früher solche Versuche gegeben hat: verschiedene Publikationen und Artikel, das Denkmal am Höchstädtplatz, doch sind diese kaum auf das Wesen dieses Herrschaftssystems eingegangen. Walter Baier liefert eine wissenschaftlich fundierte Analyse, in der die Herausbildung, die Struktur und die negativen Konsequenzen des Stalinismus für die Sowjetunion, die sozialistischen Staaten und die kommunistische Weltbewegung plausibel dargestellt werden. Darüber wird er selber sprechen.
Mein Lob für dieses Buch – ich hoffe, es schadet Walter Baier nicht – erstreckt sich auch auf die interessanten Beiträge von Franz Muhri, dessen langjährige Bemühungen um die Rehabilitierung der Opfer sehr gut dokumentiert werden. Es wird sichtbar gemacht, wie schwierig und mühsam der Weg in die russischen Archive ist, wo die Bürokratie die gleiche geblieben ist bzw. sich ma?ose Praktiken herausgebildet haben. Nicht zuletzt sind die Listen der rehabilitierten Stalinopfer wertvoll und auch für HistorikerInnen wichtig.

Mich hat auch beeindruckt, dass die bis in die Gegenwart reichende stalinistische Praktik, so genannte Abweichler von der Parteilinie zu Unpersonen, zu ewigen Parteifeinden zu machen, beendet wurde. Die positive Erwähnung der Namen und Werke von Trotzki oder Bucharin wäre früher undenkbar gewesen, hätte schwerste Konsequenzen zur Folge gehabt. Ich ?nde es auch fair, dass Personen wie Walter Silbermayer, Susanne Sohn, Barry Mc Loughlin und Walter Szevera, die sich schon früher um diese Aufarbeitung bemüht haben, nicht unter den Tisch fallen.

Lassen Sie mich zum Schluss noch folgende persönliche Bemerkung machen: Ich habe in meiner mehr als dreißgjährigen Tätigkeit im DÖW sehr viel mit Kommunistinnen und Kommunisten, Männer und Frauen aus Widerstand, Verfolgung und Exil zu tun gehabt. Ohne mit ihrer politischen Haltung übereinzustimmen, habe ich für diese Menschen Respekt, Wertschätzung und Sympathie gewonnen; Herbert Steiner ist hier an erster Stelle zu nennen. Nicht wenige aus diesem Milieu sind 1956, 1968/69/70 oder später aus der KPÖ ausgeschieden – ich denke etwa an meine Freunde Pepi Meisel, Poldi Spira, Franz West, Karl Flanner, Bertl Lauscher, Tilly Marek-Spiegel, Selma Steinmetz, Ludwig Soswinski u. v. a. Dieser existentielle Bruch mit der Partei, mit der eigenen Vergangenheit, mit dem Freundeskreis war meist schmerzlich, traumatisierend, und die Auseinandersetzung mit dem Stalinismus bewegte sie vielfach bis zu ihrem Tode. Mit diesem Buch wird diesen aus der KPÖ gedrängten Menschen – einem großen Segment der KPÖ – zumindest hinsichtlich ihrer Kritik am Stalinismus posthum Recht gegeben. Daher scheint es mir notwendig und sinnvoll, in einem weiteren Schritt auch diesen Abschnitt der Geschichte der KPÖ aufzurollen, neu zu bewerten und eine Rehabilitierung vorzunehmen. In diesem Sinn wünsche ich dem Buch von Walter Baier und Franz Muhri viel Erfolg.


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