KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS
Globalisierung/Buch (2)

Die Natur der Demokratie

"Die ‚hauptsächlichen Architekten‘ des neoliberalen 'Konsenses von Washington' sind die Herren und Meister der Privatwirtschaft." Noam Chomskys Buch "Profit over People" blickt hinter die Fassaden von Globalisierung, Demokratie und Freier Marktwirtschaft.

 

In der Einleitung zu Noam Chomskys Buch "Profit over People" meint Robert McChesney zum Thema Neoliberalismus: "Außerhalb der Universitäten und der Geschäftswelt ist der Begriff 'Neoliberalismus' vor allem in den USA der breiteren Öffentlichkeit kaum bekannt. Hier gelten neoliberale Initiativen vielmehr als Ausdruck einer Politik des freien Marktes, die das private Unternehmertum fördert, konsumentenorientiert handelt, persönliche Verantwortung und unternehmerische Tatkraft belohnt und sich gegen alle Übergriffe einer inkompetenten; bürokratischen und parasitären Regierung, von der nichts Gutes zu erwarten ist, zur Wehr setzt." Ferner sei in den USA, denn ihnen gilt der Großteil der Analyse, momentan ein "Kapitalismus ohne Maske" (=Neoliberalismus) am Werke, nicht zuletzt begünstigt durch das konsequente Zurückdrängen einer politisch engagierten, demokratischen, antikonsumistischen (Gegen-)Öffentlichkeit.

Gewinnstreben als demokratisches Merkmal

Gewinnstreben gehöre zum Wesen der Demokratie, würden die Apologeten des Neoliberalismus behaupten und entsprechend alles daran setzen die demokratischen Spielregeln in diesem Sinne auszunützen. Tatsächlich ist eine solche Behauptung zwölf Jahre nach dem Zusammenbruch eines politischen Gegengewichts — das Demokratie und Marktwirtschaft anders auszulegen versuchte — auf den ersten Blick kaum widerlegbar. Das Argument "Gewinnstreben läge in der Natur der Demokratie" — es stammt übrigens vom neoliberalistischen Guru Milton Friedman — entpuppt sich auch im europäischen politischen Diskurs zunehmend als Killerargument, dem nur schwer widersprochen werden kann, ohne sich den Zorn guter DemokratInnen von "Mitte-Links" bis "Rechtskonservativ" zu zuziehen. Doch Noam Chomsky ist bekannt für seine genauen politischen Analysen und für seine noch unbequemeren Fragen. Er stellt die berechtigte Frage: Cui bono? Wem nützt die gewinnsuchende Demokratie? Die Frage ist leichter zu beantworten als mensch denkt.

Doch zunächst greift Chomsky die Definitionen vom McChesney zum Thema Neoliberalismus aus dem Vorwort auf und verdeutlicht noch einmal die neoliberalen Grundsätze: Liberalisierung, sprich Deregulierung von Handel und Finanzen, Preisregulierung über den Markt; Beendigung von Inflation und Privatisierung.

Dass die eigentlichen Player in einer solchen Ordnung weder die Regierungen, noch die ArbeitnehmerInnenvertretungen sein können, werden wohl a priori die wenigsten bestreiten: "Die ‚hauptsächlichen Architekten‘ des neoliberalen ‚Konsenses von Washington‘ (= Niederschrift von neoliberalen Prinzipien, Anm. d. Verf.) sind die Herren und Meister der Privatwirtschaft, in der Hauptsache riesige Konzerne, die weite Bereiche der internationalen Wirtschaft kontrollieren und über Mittel zur Beherrschung der politischen Willensbildung wie zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung verfügen."

Marktdisziplin ist gut?

Chomsky geht es jedoch nicht nur um die Analyse der bestehenden neoliberalen und sogenannten demokratischen Verhältnisse, sondern um das Herausarbeiten eines doppelten Diskurses, innerhalb dessen die offiziellen Verlautbarungen und die tatsächlich gesetzten (Sprach-)Akte sehr stark von einander abweichen. Den Chef des außenpolitisches Planungsstabes der USA aus dem Jahre 1948, George Kennan, referierend, ginge es darum, dass "‚wir aufhören sollten, über verschwommene und unrealistische Ziele wie Demokratisierung zu reden‘, sondern ‚frei von idealistischen Phrasen‘ über ‚Altruismus und Weltbeglückung' mit ‚eindeutigen Machtkonzeptionen arbeiten‘ müssen — wobei die idealistischen Phrasen für den öffentlichen Diskurs natürlich schön, ja, faktisch sogar unerläßlich sind". Oder noch eindeutiger auf die so genannte freie Marktwirtschaft bezogen: "Die Doktrin der freien Marktwirtschaft tritt in zwei Varianten auf. Die erste ist die den Schutzlosen aufgezwungene offizielle Lehre. Die zweite könnten wir ‚real existierende Doktrin der freien Marktwirtschaft‘ nenne: Marktdisziplin ist gut für dich, nicht aber für mich". Und um noch eine weitere Stimme hinzuzufügen: "(John) Dewey, einer der großen Philosophen des 20. Jahrhunderts und ein führender Vertreter des nordamerikanischen Liberalismus, betonte, dass die Demokratie wenig Inhalt hat, wenn Großunternehmen das Land beherrschen, indem sie ‚Produktions,- Transport,- und Kommunikationsmittel ebenso kontrollieren wie den Tauschverkehr und die Werbung, was durch ihre Verfügungsgewalt über die Presse und ihre Vertreter sowie über andere Werbe- und Propagandamittel noch verstärkt wird‘."

Innere Stabilität: eine Argument

im Legitimationsdiskurs

Und die Regierungen spielen das Spiel mit. Ein weiterer diesbezüglich nicht uninteressanter Argumentationsstrang kann mit den Schlagwörtern "innere Stabilität" (in anderen Ländern nennt mensch das dann Nulldefizit) und "innere Sicherheit" beschriebent werden. Gekoppelt an eine äußerst selektive Wahrnehmung und Berichterstattung, die negative Auswirkungen, deren Leidtragenden immer die mehrheitliche Bevölkerung ist, bewusst verschweigen, erweist sich dieser Diskurs als äußerst effizient. Es geht laut Chomsky darum, einen "Konsens ohne Zustimmung" herzustellen, und zwar über die gerade beschriebenen diskursiven Strategien. So wird die "Zustimmung der Regierten" — conditio sine qua non einer mehr oder weniger repräsentativen Demokratie — in besagten allgemeinen "Konsens ohne Zustimmung" verwandelt. Dies wäre in einer partizipativen Demokratie mit weitgehenden Rechten (und Pflichten) für die so genannte Zivilgesellschaft, wohl schwieriger zu bewerkstelligen meint Chomsky, wenn er feststellt, dass wenn "ansonsten passive und apathische Bevölkerungsgruppen sich organisieren und ihre Interessen und Forderungen auf politischer Ebene durchsetzen wollen, (…) liberale Eliten gerne von einer Stabilität und Ordnung gefährdenden ‚Krise der Demokratie‘ (sprechen)".

Freier Markt, nichts als Ideologie

Noam Chomsky belegt in der Folge, dass der sogenannte Freie Markt in letzter Instanz pure Ideologie bleibt, ohne tiefgehenden realpolitischen Gehalt. Er illustriert an sehr konkreten Beispielen, wie Protektionismus nach innen, bei gleichzeitiger Zerstörung fremder Märkte, immer schon die eigentliche Realität der Marktwirtschaft darstellte und dies noch immer tut, wie ja auch die Heilsbotschaft von Demokratie und freier Marktwirtschaft in den USA ausschließlich einem Ziel untergeordnet ist: "Nach 150 Jahren Protektionismus und Gewalt waren die USA zum reichsten und mächtigsten Land der Erde geworden."

Ein Erfolg, den sie sich mit den Global Players oder TNCs teilen, sprich jenen Firmen, die weltweit operieren und quasi als Belohnung für diverse Verstöße gegen demokratische Regeln hoch subventioniert werden. (Beispielsweise die Rüstungsindustrie, aber auch die Flugzeughersteller Boeing oder Airbus).

Ketzerisch formuliert: Die demokratischen Rechte sind vor allem den Besitzenden vorbehalten. Chomsky zeichnet diesbezüglich aber auch eine Amerikanisierung der Werte auf der Ebene von Weltorganisationen wie UNO, WTO oder den Bretton Woods Institutionen nach. Er beschreibt, wie die USA es geschafft haben, diese Institutionen mit den eigenen Werten zu füllen und in letzter Instanz zu instrumentalisieren. Frei nach dem beliebten Motto: Der Zweck heiligt die Mittel. O-Ton Noam Chomsky: "Kurzum, die Welt, die die Vereinigten Staaten in internationalen Institutionen ‚nach ihrem Bild schaffen‘ wollten, beruht auf dem Prinzip der Gewaltherrschaft. Und die 'amerikanische Leidenschaft für den Freihandel' schließt die willkürliche Verletzung von Handelsabkommen durch die US-amerikanische Regierung ein. Wenn ausländische (zumeist US-amerikanische) Konzerne den Kommunikations,- Finanz,- und Lebensmittelmarkt beherrschen, ist das kein Problem. Die Sache sieht anders aus, wenn Handelsankommen und internationales Recht (immer höher stehend als nationales Recht, Anm. d. Verf.) mit den Plänen der Mächtigen in Konflikt geraten — eine aus der Geschichte wohl bekannte Lektion." Illustrierende Beispiele für diese Art der Politik sind für Chomsky das Handelsembargo gegen Cuba und die Nicaraguapolitik der USA.

Wobei Freihandel und internationales Recht von Chomsky nicht grundsätzlich als etwas Verwerfliches angesehen werden; sie seien jedoch nach ihrem Ergebnis zu beurteilen.

Locker geschrieben

Trotz allem Pessimismus in seinen Analysen versteht Chomsky das vorliegende Buch als Beitrag zu einer realistischen Einschätzung der makropolitischen und makroökonomischen globalen Problemlagen, wofür es ihm notwendig erscheint, die Realität hinter der Fassade von Demokratie und Freiem Markt zu enthüllen.

Durch die entsprechend faktenreiche Darstellung zahlreicher Beispiele U.S.-amerikanischer Außenpolitik (Haiti, Cuba, Nicaragua, Mexico etc.) gerät das Buch zudem zu einer Gegenrede zur offiziösen amerikanischen Zeitgeschichtsschreibung und gewährt Einblicke in die postkolonialen Bestrebungen der USA und US-amerikanischer Konzerne.

Auf einer breiten Quellenbasis aufbauend, verfasste Chomsky eine Art Schwarzbuch der amerikanischen Demokratie bzw. deren Wirtschaftsverständnisses. Ein kurzes Buch, locker geschrieben, ohne großen Fußnotenballast und mit einer pointierten These. Obwohl die Beispiele dann und wann etwas redundant wirken und teilweise tiefere Theoriebildung verhindern.

Thierry Elsen

Noam Chomsky: Profit over People — Neoliberalismus und globale Weltordnung, Wien 2000 (Europa Verlag )

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