KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS
Widerstand gegen neoliberale Globalisierung

Von der Defensive in die Offensive

Widerstand gegen globalisiertes Kapital verlangt auch eine Auseinandersetzung über gesellschaftliche Alternativen zum kapitalistischen System. Serie: Neoliberalismus/ Freihandel, Teil 3.

Von Gerhard Klas

Was ist also unter dem heutigen Gesellschaftszustand der Freihandel? Die Freiheit des Kapitals. (…) Das Schutzzollsystem ist nur ein Mittel, in einem Lande die Großindustrie aufzuziehen, das heißt, es vom Weltmarkt abhängig zu machen; und von dem Augenblick an, wo man vom Weltmarkt abhängt, hängt man schon mehr oder weniger vom Freihandel ab. Außerdem entwickelt das Schutzzollsystem die freie Konkurrenz im Innern eines Landes. (…) Aber im allgemeinen ist heutzutage das Schutzzollsystem konservativ, während das Freihandelssystem zerstörend wirkt. Es zersetzt die bisherigen Nationalitäten und treibt den Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf die Spitze. Mit einem Wort, das System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution. Und nur in diesem Sinne, meine Herren, stimme ich für den Freihandel." (Karl Marx: "Rede über die Frage des Freihandels", 9. Januar 1848.)

Innerhalb eines Jahres hat die Veröffentlichung des Vertragstextes zum Multilateralen Investitionsschutzabkommen MAI weltweit eine dynamische Protest- und Widerstandsbewegung ins Leben gerufen. Allein in Kanada sind mehr als 600 Gruppen in der Anti-MAI-Kampagne aktiv, mindestens ebensoviele sind es in den USA. Auch in Asien, Lateinamerika und Afrika sind Freihandel, WTO und MAI politischer Bezugspunkt für Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Bauern- und Landlosenbewegungen.

In Europa beschäftigen sich Nichtregierungsorganisationen, GewerkschafterInnen, Studierende und Umweltschutzorganisationen anläßlich des MAI-Protestes zunehmend mit den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung. Das "System der Handelsfreiheit" im Sinne von Karl Marx als Chance für eine "soziale Revolution" zu begreifen, davon sind sie jedoch weit entfernt. Zu sehr fixieren sie sich auf Symptome und verfolgen eine Defensivstrategie, die bisher nicht in der Lage ist, eine grundsätzliche Kapitalismuskritik zu verankern.

Der Anti-Mai-Kampagne gelingt es allerdings, über die Vermittlung des Widerspruchs zwischen den Interessen der Weltbevölkerung und den Deregulierungsbestrebungen der Transnationalen Konzerne (TNCs) bei vielen "Empörung und ein neues Interesse an Politik" zu wecken, meint Maria Mies, Initiatorin des Komitees "Widerstand gegen das MAI", das auch eine von 400 TeilnehmerInnen besuchte Konferenz in Bonn organisierte. "Viele beginnen zu verstehen, daß sie wieder Politik in der ersten Person machen müssen und daß sie sie nicht mehr irgendwelchen Delegierten überlassen können", führt Mies weiter aus.

Verschwörungstheorien

Bei so viel Fürsprache für ein voluntaristisches Prinzip, das Maria Mies als Fortschritt in den entfremdeten Gesellschaften der Industrienationen begreift, lassen die Kritiker nicht lange auf sich warten. "Unerklärliches in der Geschichte wird erklärt mit einer Verschwörung — die Juden, die Muslime, die Kommunisten oder Kapitalisten", schreibt Al Imfeld zur "MAI-Verschwörung" in "epd-Entwicklungspolitik". Damit schießt er weit übers Ziel hinaus. Es ist zwar richtig, daß Interessenskonflikte der "Global Players" untereinander in der Anti-MAI-Kampagne allenfalls am Rande zur Sprache kommen. Die zunächst geheim geführten Verhandlungen, die Vehemenz, mit der Wirtschaftskaptitäne und neoliberale Politiker nach der Veröffentlichung des Vertragsentwurfs versuchten, Kritiker zu beschwichtigen und letztendlich der Vertragstext selbst sind allerdings Beleg genug dafür, daß es sich bei MAI nicht um eine "Verschwörungstheorie" handelt. MAI ist als logische Schlußfolgerung der systemimmanenten Expansionsbestrebungen zu betrachten, als Versuch der Global Players, trotz divergierender Interessen einen gemeinsamen Vorstoß zur weiteren Liberalisierung des Weltmarktes zu unternehmen.

Nationalstaaten: Problem oder Lösung?

"Auf welcher Seite der Staat ist, wessen Interessen er vor welchen Gefahren schützt, ist nicht von vornherein ausgemacht", meint Saral Sakar, Aktivist des Komitees "Widerstand gegen das MAI". Damit begegnet er den Vorwürfen von Bruno Weil, der in der anarchistischen Zeitung "Graswurzelrevolution" bereits im November letzten Jahres den positiven Bezug der Kampagne auf den Nationalstaat kritisierte.

Auch wenn es richtig ist, daß der Sozialstaat auch als Errungenschaft historischer sozialer Kämpfe angesehen werden kann, weckt der Blick auf den Nationalstaat als Opfer des MAI Hoffnungen, die heute nicht mehr zu erfüllen sind. Um heute das nationalstaatliche Wohlfahrtsmodell wiederherzustellen, das in den 50er und 60er Jahren, der Ära der Systemkonkurrenz, aus vollen Staatskassen schöpfen konnte, müßte eine global koordinierte Steuerpolitik der Nationalstaaten etabliert werden. Haben die TNCs doch durch ihr verzweigtes Netzwerk die Möglichkeit, ihre Unternehmensprofite in Niedrigsteuerländer zu verlagern, ohne daß die Finanzämter etwas dagegen unternehmen können. Während BMW etwa 1988 noch 545 Millionen Mark an deutsche Finanzämter abführte, wies der Konzern fünf Jahre später trotz insgesamt steigender Gewinne und unveränderter Dividende im Inland Verluste aus und ließ sich 32 Millionen Mark vom Finanzamt zurückerstatten.

Der erste Versuch der Eindämmung solcher Praktiken, die Initiative für eine sog. Tobin-Steuer auf kurzfristige, grenzüberschreitende Kapitalanlagen scheint bisher und in absehbarer Zeit allerdings nicht realisierbar zu sein. Damit sind aber auch die Aussichten auf eine global koordinierte Steuerpolitik, deren Vorraussetzung zudem ein Interessensgegensatz zwischen Regierungsvertretern und TNCs ist, äußerst gering.

Rolle der Gewerkschaften

In gewohnt korporatistischer Manier setzt die Funktionärsebene der Gewerkschaften auch im Zusammenhang mit MAI auf den sozialpartnerschaftlichen Kompromiß. Eine besonders unrühmliche Rolle spielt dabei der internationale Gewerkschaftsbeirat (TUAC), der bei den MAI-Verhandlungen in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) seit 1995 dabei war. Die TUAC-Vertreter fühlten sich offenbar mehr den Interessen der TNCs als denen der Beschäftigten verpflichtet — so hielten sie sich etwa lange Zeit an die Geheimhaltungsauflage, anstatt die Gewerkschaftsmitglieder über ein solch weitreichendes Abkommen zu informieren.

Darüber hinaus wurde TUAC mit seinen Forderungen nach verbindlichen sozialen und ökologischen Standards von den Verhandlungspartnern in der OECD nie wirklich ernstgenommen.

Trefflich beschreibt Maria Mies die Rolle der TUAC und einiger NGOs, die der Einladung zu Gesprächen mit der OECD gefolgt sind. Die Protagonisten des MAI "können dann behaupten, die relevanten Gruppen der Gesellschaft wären informiert gewesen und hätten Gelegenheit gehabt, ihre Stellungnahme vorzulegen".

Entsprechend spielt etwa der Vorstand der einflußreichsten deutschen Einzelgewerkschaft, der IG-Metall, in einer Mitteilung vom 5. März die "Aufregung" einiger MAI-GegnerInnen herunter. Er lobt das geplante Abkommen sogar, denn im Gegensatz zu bilateralen Verträgen "enthalte das MAI (…) Klauseln, die sich mit den Umwelt- und Sozialaspekten von Investitionen befassen". Die IG-Metall resümiert, daß es insgesamt "im MAI durchaus auch für Gewerkschaften positive inhaltliche Anknüpfungspunkte" gäbe, an denen die gewerkschaftlichen Forderungen ansetzen könnten.

An der Basis gibt es jedoch in vielen Ländern kritische GewerkschafterInnen, die eine klare Konfrontationshaltung gegenüber MAI vertreten und auch durchaus einen Handlungsspielraum sehen. Als Rezept gegen den Druck der Globalisierung auf das Lohnnivau schlägt etwa der deutsche hbv-Gewerkschaftssekretär Hubert Thiermeyer vor, einen weltweiten "Kampf für Arbeitszeitverkürzung zu führen", gleichzeitig die globale Verteilungsfrage zu stellen und "soziale Standards durch internationale Koordination zu verteidigen". Dazu sei allerdings ein Umdenken in den Industriestaaten nötig und "die Spaltung von Belegschaften in stark reduzierten Stammbelegschaften und zahlenmäßig steigende Randbelegschaften" müsse von den Gewerkschaften überwunden werden.

Vom Freihandel zur Revolution

Es läßt sich darüber streiten, ob die Entscheidung über MAI Ende April wegen des Widerstandes der Gegner oder der Widersprüche zwischen den Verhandlungspartnern verschoben worden ist. Für eine langfristige Perspektive ist es jedoch unumgänglich, von einer Defensiv- zu einer Offensivstrategie zu kommen.

Mit der Anti-MAI-Kampagne "versuchen wir nur, eine große Gefahr abzuwenden", schreibt Saral Sakar, und gegen Projekte wie MAI "müssen wir auch mit denen zusammen arbeiten, die den Kapitalismus nicht überwinden, sondern ihn nur etwas humanisieren wollen". Wenn jedoch keine Sisyphus-Arbeit daraus werden soll, ist nicht nur eine Zusammenarbeit, sondern auch eine Auseinandersetzung über gesellschaftliche Alternativen nötig. MAI ist nur ein weiterer Beweis für die Unmöglichkeit, dem Kapitalismus ein humanes Antlitz zu verpassen. Dagegen ist es an der Zeit, wieder offensiv das Privateigentum an Produktionsmitteln in Frage zu stellen und die internationalen Perspektiven einer "sozialen Revolution" zu diskutieren, die im Marxschen Sinne vom "Freihandel" befördert wird.?

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