KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS
Göteborg/EU-Gipfel

Scherben zur rechten Zeit

Von Wolfgang Pomrehn – entnommen der Wochenzeitung Volksstimme, Nr. 25/2001


Plastersteine und Gewalt beherrschten die Medienberichte vom Göteborger EU-Gipfel. Schuld an den
Ausschreitungen seien zugereiste Gewalttäter. Über die Eskalationsstrategie der Polizei schweigen die Agenturen.


Sonntag nachmittag. Der Gipfel-Zirkus ist weiter gezogen und eine schockierte Stadt leckt ihre Wunden. Scherben werden zusammengekehrt, Pflastersteine aufgesammelt, Scheiben provisorisch geflickt und Holzverkleidungen wieder abgebaut. Viele - fast alle scheint es - sind entsetzt über das Vorgefallene. So etwas hatte Göteborg noch nicht gesehen.

Bildjournalisten kamen auf ihre Kosten: Heroische Vermummte vor dem Hintergrund brennender Barrikaden, Polizisten im Steinhagel, eine junge Steinewerferin in Großaufnahme. Und die KollegInnen von den Agenturen konnten sich im warmen Konferenzzentrum, fern ab des Geschehens, an den Fernsehschirmen ein Bild von der Lage machen, während sie die Presseerklärungen der Polizei abschrieben. Ein Bild, eines von vielen möglichen, aber nur das eine wird um die Welt gehen, denn es passt so schön. Es passt denjenigen, die nun drum herum kommen, sich für ihre Politik öffentlich rechtfertigen zu müssen, und jenen, die es lieben an ihren Revolutionsmythen zu stricken – maskierte Machos aus Berlin zum Beispiel, die so gerne der Provinz und aller Welt zeigen, wo es lang geht.


Polizeioperation

Alles hatte am Donnerstag vormittag angefangen: Tausende waren bereits aus dem ganzen Land angereist, einige auch aus dem Ausland. Das ?Göteborg 2001?-Bündnis hatte von der Stadt einige Schulgebäude zur Verfügung gestellt bekommen. Überhaupt hatte man mit den städtischen Behörden und auch der Polizei gut kooperiert, wie es in Schweden eben üblich ist. In einer dieser Schulen, ganz in der Nähe des Konferenzzentrums, hatten gewaltfreie Gruppen ihr Hauptquartier aufgeschlagen. Darunter auch der schwedische Ableger von Ya Basta und Direkte Demokratie, eine junge schwedische Organisation, die nach neuen Wegen zu einem ?freiheitlichen Sozialismus? sucht, der auf lokaler Demokratie basieren soll.
Ausgerechnet dieses Zentrum der Gewaltfreien wurde zum ersten Ziel einer größeren Polizeioperation. Generalstabsmäßig wurde das Schulgelände umstellt. Später wurden sogar große Transportcontainer herangeschafft, um um das Gelände einen Wall zu bilden. Protestierende UnterstützerInnen außerhalb der Einschließung wurden unter anderem von einer Reiterstaffel abgedrängt. Hierbei kam es zur ersten Eskalation. Die ersten Steine flogen.
Unterdessen hatten die Eingeschlossenen versucht, gegen die Polizeiketten zu drücken, um ihre Freilassung zu erzwingen. Als sie dies bereits aufgegeben hatten und sich wieder auf dem Rückzug befanden, berichten verschiedene Augenzeugen unabhängig voneinander, seien sie von den Beamten unvermittelt angegriffen worden. Es sei auf alles wahllos eingeschlagen worden. Erst am nächsten Morgen kamen sie schließlich frei. Seitens der Polizei wurde als Grund angegeben, in der Schule seien Straftaten begangen worden. Die Größe der Operation lässt allerdings eher vermuten, dass man sie seit langem geplant hatte.
Auch am nächsten Vormittag, als ca. 1.500 bis 2.000 Menschen versuchten, in Richtung des Tagungsortes des EU-Gipfels zu marschieren, zeigt die Polizei wenig Interesse an Deeskalation. Anstatt die Menge abzudrängen, wird gleich der Knüppel gezogen und Hunde gezielt auf den so genannten schwarzen Block gehetzt. Wieder reitet eine Pferdestaffel in die Menge und schlägt nach Links und Rechts um sich. Die ersten Scheiben gehen zu Bruch, die Wut entlädt sich ziemlich ziellos an Wartehäuschen, Banken und Cafés.


?Not Welcome?


Am Freitagabend dann die zweite Großdemonstration. Die erste hatte es bereits am Donnerstagabend gegeben, als mehr als 10.000 Menschen Bush ein "Not Welcome" entboten. Diesmal sind es es schon 20.000 meist sehr junge Menschen, die gegen den Gipfel demonstrieren: gegen die EU, gegen die Euro-Armee, gegen die Festung Europa, gegen Neoliberalismus, gegen den Euro. Immer wieder erklingen Parolen, die internationale Solidarität und Klassenkampf fordern. Bürgerliche Parteien gehören zu den Aufrufern, doch junge SozialistInnen aller möglichen Schattierungen, von der Sozialdemokratie über diverse trotzkistische Gruppen bis zu den Anarcho-Syndikalisten, dominieren das Bild. Auch viele UmweltschützerInnen sind dabei. Weit und breit ist keine Polizei zu sehen. Ordner der VeranstalterInnen regeln den Verkehr. Einige Deutsche sind ganz begeistert und wollen sich mit ihren Bierdosen einreihen. Ein baumlanger Ordner weist sie daraufhin, dass das in Schweden gar nicht gern gesehen wird.
Leider scheinen das nicht alle mitbekommen zu haben: Zur gleichen Zeit braut sich an anderer Stelle Schlimmes zusammen. Auf Göteborgs Prachtstraße feiert eine friedliche Menge aus dem gewaltfreien "Hippie"-Spektrum eine Reclaim the Streets-Party. Doch anders als bei der Demonstration ist hier die Polizei zahlreich und in voller Montur aufgezogen. Hier eskaliert die Szene schnell. Offensichtlich versucht die Polizei die seit langem angekündigte Aktion zu unterbinden. In der Folge entwickelt sich eine mehrstündige Straßenschlacht mit Autonomen aus verschiedenen Ländern, die endlich auf ihre Kosten kommen. "Niña-Warriors" nennt sie ein slowenischer Augenzeuge gegenüber dieser Zeitung. Ein Beteiligter gesteht später ein, dass mancher der "Streetfighter" nicht mehr ganz nüchtern war.
Die Kämpfe erreichen ihren traurigen Höhepunkt, als ein Polizist seine Waffe zieht und auf Angreifer schießt. Er sah sich mit einer Gruppe von ca. fünf Kollegen einer Überzahl Schwarzgekleideter gegenüber, berichten später zwei unbeteiligte Augenzeugen. Die Schüsse vielen, als einer seiner Kollegen bereits bewusstlos am Boden lag und ein anderer im Steinhagel hinstürzte. Drei Personen wurden verletzt, eine davon lebensgefährlich.
Am Morgen danach sehen einige Straßen wüst aus. Überall liegen Pflastersteine, bei zahllosen Geschäften, ob Bank oder Tante-Emma-Laden, sind die Scheiben eingeschlagen. Auch ein Buchladen ist darunter.


Entschlossene Demonstration


Eine weitere Demonstration ist angekündigt. Die OrganisatorInnen überlegen zunächst, ob es überhaupt losgehen soll und legen die Route dann um: Möglichst weit weg vom Konferenzort, um jede weitere Konfrontation zu vermeiden.
Die Zusammensetzung ist fast die gleich wie am Vortag. Die Stimmung ist trotz der tragischen Vorfälle sehr entschlossen. Der Zug ist unüberschaubar lang. 20.000 TeilnehmerInnen berichtet die ?Göteborg Posten? später. Es könnten aber auch noch mehr gewesen sein. Allein der Block der Anarcho-Syndikalisten, die in einem Meer schwarz-roter Fahnen demonstrieren, umfasst rund 2.000 Menschen. Auch hier immer wieder Parolen und Transparente, die den Internationalismus betonen. Die EU-Gegnerschaft lässt sich in Skandinavien offensichtlich nicht in die nationalistische Ecke stellen.
Nachdem die Demonstration sich längst aufgelöst hat, werden am Samstagabend verschiedene Gruppen in der Stadt von Polizeibeamten eingekesselt. Angeblich ist man auf der Suche nach einem Deutschen, der mit einer Pistole gesehen wurde. Eine Schule wird von einer Spezialeinheit überfallen, ganz in Schwarz gekleidet, die Gesichter hinter einem verdunkelten Visier verborgen. Die Truppe sei mit halbautomatischen Gewehren bewaffnet gewesen, berichten Augenzeugen auf der Internetseite des unabhängigen Medienzentrums (www.se.indymedia.org). Alle Anwesenden wurden aus dem Gebäude getrieben und mussten sich über eine Stunde mit dem Gesicht nach unten auf den regennasse Asphalt legen. Darunter auch eine stillende Mutter. Nach Leibesvisitationen und ID-Behandlung ließ man sie schließlich gehen. Nur die AusländerInnen wurden in Gewahrsam genommen.


Arbeitsgruppe gegen Widerstand

Unterdessen haben die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel beschlossen, eine Arbeitsgruppe aus PolitikerInnen und Polizeioffizieren einzurichten, die künftig den Widerstand gegen ihre Gipfeltreffen in den Griff bekommen soll. Man wird wohl davon ausgehen dürfen, dass das keine spontane Entscheidung war. Von dieser Seite gesehen, erscheint die Eskalationsstrategie der schwedischen Polizei in einem besonders interessanten Licht.

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