KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Resolution der Sozialkonferenz der KPÖ am 15. Februar 1997 in Sankt Pölten

Jetzt reden wir: "Arbeitslosigkeit und Armut"

"Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit." Aus der "Charta der Menschenrechte" der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948

Geht uns die Arbeit aus?

Wir leben in der perversesten aller Zeiten. Niemals waren die Gesellschaften (zumindest im entwickelten kapitalistischen Westen bzw. Norden) reicher. Noch nie konnte durch den Einsatz moderner Technik mit so geringem Arbeitsaufwand so viel produziert werden. Heute böte sich die Chance, Wohlstand und Sicherheit vor Armut und Elend für die gesamte Gesellschaft und weltweit zu verwirklichen, und die Wirtschaft nach ökologischen Kriterien umzubauen.

Erstmals in der Geschichte könnten die Menschen durch eine radikale Reduzierung der notwendigen Arbeitszeit ihre bisherige Lebensweise revolutionieren und sich aus dem Reich der Notwendigkeiten in eines der freien Lebensgestaltung emanzipieren. Tatsächlich verläuft die Entwicklung in eine entgegengesetzte Richtung, kennzeichnen Massenarbeitslosigkeit, materielle und kulturelle Verelendung und die Marginalisierung immer zahlreicherer Gesellschaftsgruppen die Lage.

Der von den Menschen geschaffene Reichtum richtet sich immer dramatischer gegen sie selbst und droht zum Zerfall der Gesellschaft zu führen. Anhaltende und steigende Massenarbeitslosigkeit, Entsolidarisierung und Brutalisierung des Alltags sind die erkennbaren Symptome dieses Zerfalls. Immer deutlicher wird, daß der gesellschaftliche Reichtum ungleich verteilt ist.

Doch nicht nur seine Verteilung, sondern auch die Art und Weise seines Entstehens - der gesamte heutige Produktions- und Arbeitsprozeß - stellen die Existenzmöglichkeiten wachsender Teile der Gesellschaft in Frage.

"Arbeit" wird im Kapitalismus nur als solche anerkannt und bezahlt, wenn sie einen immer größer werdenden Profit auf das privat eingesetzte Kapital ergibt. "Ohne Profit keine Arbeit, ohne Arbeit kein Einkommen", gilt für die Masse der Bevölkerung.

Von Frauen geleistete, gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit in der Reproduktion, wird so weder wahrgenommen noch abgegolten. Trotz ständig steigender Belastung wird ihnen ein eigenes Einkommen und damit die materielle Basis einer selbstbestimmten Lebensführung vorenthalten. Im Sektor der Erwerbsarbeit bilden Frauen die größte Gruppe von Arbeitskräften auf Reserve, werden durch prekäre Arbeitsverhältnisse in besonderer Abhängigkeit gehalten und entsprechend der wirtschaftlichen Lage als erste abgebaut. Selbst ihre "wertbildende" Arbeit wird systematisch unterbewertet.

Wo die menschliche Arbeitskraft eine Ware ist, wird der Mensch selbst zur Ware. Kapitalismus war daher zu allen Zeiten Raubbau an der menschlichen Arbeitskraft.

Heute soll ein neuer Typ des Kapitalismus, ein ultraliberaler, digitalisierter Manchester-Kapitalismus durchgesetzt werden. Die Gesellschaften sollen an steigende Massen- und Dauerarbeitslosigkeit gewöhnt, der Sozialstaat abgebaut und die Arbeitsbedingungen restlos an die Bedürfnisse einer immer rasanteren Kapitalverwertung angepaßt werden.

Selbst unter kapitalistischen Bedingungen sind diese sozialen Grausamkeiten nicht hinzunehmen. Wir wollen dem ultraliberalen Zeitgeist des heutigen Kapitalismus entgegentreten, indem wir solidarische humanistische Denkweisen und Wertvorstellungen geltend machen.

Uns geht es daher bei allen Sozialreformen um ein Menschen- und Gesellschaftsbild, in dem wir keine Ware sind, sondern zunehmend die bewußten Gestalter/innen unserer Beziehungen zu sozialer und natürlicher Umwelt werden.

Wir fordern daher im Interesse aller Menschen:

Recht auf Arbeit, Lohn und gesellschaftliche Anerkennung

  • Im Sinn unserer Bewußtseins als Mitgestalter/innen zu einer natürlichen und sozialen Umwelt wird die österreichische Bundesregierung hiermit aufgefordert, die - von ihr im Dezember 1948 mitunterzeichnete - Charta der Menschenrechte in die Tat umzusetzen und alle diesbezüglichen erforderlichen Maßnahmen zu treffen!
  • Weiters sind von den dafür zuständigen Stellen sofortige Verhandlungen über eine radikale Verkürzung der Wochen-, Monats-, Jahres- und Lebensarbeitszeit mit vollem Lohn- oder Gehaltsausgleich aufzunehmen und diese Verhandlungen - unter Ausnützen aller dafür vorgesehenen legalen Maßnahmen - positiv abzuschließen.
  • Zur Schaffung neuer Arbeitsplätze fordern wir die Abschöpfung der Zinserträge des Finanzkapitals und diese Mittel für arbeitsplatzschaffende Maßnahmen (Verbesserung der kommunalen Infrastrukturen, Ausbau der sozialen Dienste und der Kinderbetreuungsplätze, Umweltschutz etc.) zu verwenden und so eine gesellschaftspolitische Umverteilung zu erzielen. Auf Grund der bestehenden Diskriminierung von Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen ist die Förderung von selbstbestimmenden Frauenprojekten und -initiativen um ein Vielfaches zu erhöhen.
  • Weiters fordern wir eine humane Arbeitswelt, deren Hauptkriterien die Sicherung vor Kündigung und sozialem Abstieg und die Gewährleistung eines sozialen Überganges - im Fall von Krankheit - in die Pension sein sollen.

Recht auf Mitbestimmung

  • Das Recht und die Notwendigkeit der Arbeitslosen und sozial Schwachen, sich in Kooperation mit den Arbeitenden zu organisieren, muß sofort anerkannt werden. Derartige Organisationsformen, in die sich auch die Gewerkschaften einzubringen haben, müssen gesetzlich und in der Praxis berechtigt sein, die Arbeitslosen überall dort zu vertreten, wo Entscheidungen getroffen werden, die deren Interessen betreffen.

Recht auf Bildung, Betreuung und Berufsschutz

  • Die angewandte Praxis, daß NotstandshilfebezieherInnen - ungeachtet ihrer vorhandenen Qualifikationen - jede vom AMS oder seinen Rechtsnachfolgern zugewiesene Tätigkeit ausüben müssen, stellt nicht nur einen unmenschlichen Zwang dar, sondern ist eine Verschwendung wertvoller menschlicher Ressourcen.
  • Bezüglich der Feststellung der individuellen Zumutbarkeit soll daher in jedem AMS oder seinen Rechtsnachfolgern eine "Zumutbarkeitskommission" - besetzt mit einem Vertreter des AMS oder seinen Rechtsnachfolgern und unter Einbindung von - von Betroffenen frei gewählten Arbeitslosenvertreter/innen - eingerichtet werden. Die Feststellung der "Arbeitswilligkeit, -bereitschaft und -fähigkeit", die behördlicher Willkür Tür und Tor öffnet, muß ausschließlich durch diese Kommission erfolgen.
  • Wir fordern die sofortige Abänderung der Zumutbarkeitsbestimmungen in dem Sinn, daß sie künftig nur im Rahmen des jeweiligen, individuellen Berufsbildes anzuwenden sind. Jede Art von "gemeinnütziger Pflichtarbeit" oder von "oben" verordneter "Zwangsarbeit" lehnen wir ab. Betreuungspflichten sind gesondert zu berücksichtigen.
  • Wir fordern die gesetzliche Verpflichtung zur kostenlosen, weiteren Ausbildung arbeitsloser Schulabgänger/innen und verstärkte Maßnahmen zur Integration von Jugendlichen in das Erwerbsleben und in das soziale Versicherungssystem bei ausreichender Deckung der entstehenden Kosten.
  • Zugang zu qualitativ gleich hoher Ausbildung und Umschulung für Erwerbstätige und Arbeitslose. Die Inhalte von Ausbildungs- und Umschulungskursen müssen an den Bedürfnissen der Auszubildenden/Umzuschulenden orientiert sein und müssen spätere Erwerbsarbeit garantieren. Inhalt und Zugang zu Ausbildung/Umschulung müssen auf die Bedürfnisse unterschiedlicher Gruppen und Altersgruppen Rücksicht nehmen und hierbei insbesondere auf die Bedürfnisse von Frauen, die in den Arbeitsprozeß zurückkehren wollen.
  • Ausbildung/Umschulung müssen zu echtem, anerkannten Abschluß/Zertifikat führen. Niemand darf durch Androhung von Einkommenskürzungen zur Teilnahme an Ausbildung/Umschulung gezwungen werden.
  • Schulung/Umschulung muß neben der beruflichen (Fach)-Ausbildung auch die Möglichkeiten für die persönliche Entwicklung beinhalten. Ausbildung/Umschulung für Erwerbstätige und Arbeitslose müssen in das allgemeine Bildungssystem integriert werden.
  • Weiters soll eine eigene "Objektivierungskommission" - unter Einbindung von Betroffenen frei gewählten Arbeitslosenvertreter/innen - beim AMS oder seinen Rechtsnachfolgern eingereichte, arbeitsplatzschaffende, berufsverändernde und innovative Projekte von privaten Vereinigungen und/oder Personen - unter Beibehaltung der Gesamtverantwortung der/des Einreicher(s) - ihrer Sinnhaftigkeit nach überprüfen, beurteilen, fördern und deren Fortgang überwachen.

"Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit. Er/sie hat Anspruch darauf in den Genuß der für seine/ihre Würde und die freie Entwicklung seiner/ihrer Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen." Artikel 22 der Charta d. Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948.

Schutz der menschlichen Würde bei Arbeitslosigkeit und Armut

  • Wir fordern zur Gewährleistung dieses Artikels die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes von öS 16.000 brutto (Basis: Dezember 1996) für alle arbeitenden Menschen.
  • Weiters fordern wir die österreichische Bundesregierung auf, die soziale Sicherheit und menschenwürdige Existenz in der Form zu garantieren, daß jeder in Österreich lebenden Person ein jährliches Grund- bzw. Mindesteinkommen in Höhe von etwa 65% dieses gesetzlichen Bruttomindestlohnes garantiert wird. Das Recht auf soziale und existentielle Sicherheit darf künftig nicht mehr nur von durch Lohnarbeit erworbenen Versicherungszeiten abhängig gemacht werden. Um Härtefälle zu vermeiden ist Arbeitswilligkeit als Anspruchsbedingung für soziale Grundsicherung ersatzlos zu streichen. Mindestgehälter, -löhne und -pensionen, Mindestbezüge beim Arbeitslosengeld, bei der Notstandshilfe und alle rechtmäßigen Zulagen sind dem Lebenskostenindex (unter Berücksichtigung der jeweiligen Wohnkosten) jährlich anzupassen. Die steuerpflichtigen Untergrenzen sind entsprechend anzupassen bzw. zu novellieren.
  • Jugendliche sind von der Anwartschaft zu befreien.
  • Für Eltern, die Karenzzeiten in Anspruch nehmen muß die Einbeziehung früherer Versicherungszeiten möglich sein. Ebenso müssen Leistungen für Zeiten, in denen die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren, auch rückwirkend und auch in komplizierten Fällen gewährt werden.
  • Die Notstandshilfe muß unabhängig vom Lohneinkommen eines Partners individuell garantiert werden. Weiters fordern wir den Rechtsanspruch auf volle Krankenversicherungsleistungen für Dauerunterstützte im Rahmen der Sozialhilfe und die Anrechnung der Pensionsanwartschaftszeiten. Die eigene Sozialversicherung soll weiter bestehen bleiben.
  • Wir fordern den Zugang zu einer gerichtlichen Entschuldung für alle Überschuldeten, d. h. auch für Schuldner/innen, die auf Grund ihrer finanziellen Lage bis jetzt von Gerichtsverfahren ausgeschlossen waren (z.B. Arbeitslose etc.).
  • Bis zum Inkrafttreten einer entsprechenden Lösung fordern wir für die durch Arbeitsplatzverlust oder ähnliche Umstände in die finanzielle Krise gekommen Mitbürger/innen einen sofortigen Zinsenstopp zu Lasten des Verleihers und Rückzahlungsfreiheit für laufende Kredite und Verpflichtungen. Weiters soll Abtretung oder Pfändung von künftigen Arbeitseinkommen als sittenwidrig unzulässig sein und die tatsächlichen Wohnungskosten bei gerichtlichen durchgeführten Zwangsmaßnahmen voll berücksichtigt werden.
  • Wir fordern weiters unter Berufung auf den verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz die Erweiterung der Reise- und Aufenthaltsfreiheit - ohne Leistungsverlust - zum Zweck der Arbeitsuche im Rahmen der EU auch für Notstandshilfebezieher/innen.

Wien, im Jänner 1997

  • Mag. Walter Baier, Bundesvorsitzender der KPÖ
  • Heidi Ambrosch, Frauenreferentin der KPÖ
  • Manfred Groß, Vorsitzender des GLB
  • Josef Hahn, Bundessprecher der V.A.L.I.

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