Der 2. Kongress der Partei der Europäischen Linken findet zu einem Zeitpunkt
statt, da die Bürger Europas in ihrem sozialen, wirtschaftlichen und
politischen Leben vor einer entschei-denden Herausforderung stehen –
für die Zukunft der Europäischen Union, des Kontinents und der Welt
neue, konkrete Antworten zu geben. In unseren Ländern und in der Europäischen
Union sind wir Tag für Tag mit einer Politik konfrontiert, die keinen
überzeugenden alternativen Ausweg aus der Sackgasse zu weisen vermag,
in die der Neoliberalismus die Menschheit geführt hat.
Jeder Mensch möchte in Würde leben und über sein/ihr Schicksal
selbst bestimmen. Die herrschende Politik verweigert jedoch den Bürgern
Europas das Recht, über die Zukunft des Kontinents zu entscheiden. Eine
Kursänderung der Politik ist unser strategisches Ziel. Die Europawahlen
von 2009 bieten der Europäischen Linken eine wichtige Gelegenheit, diese
Kursänderung in Europa einzuleiten.
Wieder einmal steht auf der Tagesordnung die Alternative „Sozialismus
oder Barbarei“. Über uns schweben Gefahren wie Umweltkatastrophen,
Aufrüstung, permanenter Krieg, die Privatisierung aller Lebensbereiche
und der Widerspruch zwischen Kapitalismus und Emanzipation des Menschen.
Die Strategie des Präventivkrieges war ein Fehlschlag und hat eine Krise
ausgelöst. Aber Europa und seine Regierungen sind nicht in der Lage,
mit dieser Logik zu brechen. Ein multilateraler Prozess, der den Schwerpunkt
auf eine Politik der Regelung internationaler Streitfragen legt, ist noch
nicht in Sicht, wie das tragische Szenario im Nahen Osten, besonders in Palästina,
zeigt. Solche Unfähigkeit kann die Situation nur weiter eskalieren und
die Spirale von Krieg und Terrorismus weiter drehen. Diese Logik führt
zu Wettrüsten und der Militarisierung der europäischen Politik
unter der Hegemonie der USA.
Zugleich dominiert inmitten von Chaos und turbulentem Übergang eine neue
Form von „neoliberalem Organizismus“, der die Politik unterminiert.
Die fundamentalistische Basis dieses neuen Kapitalismus ist die Vorstellung,
das Unternehmen biete ein Paradigma, ein Modell für alles – nicht
nur für die Organisation der Produktion, als wirtschaftliches Akteur,
sondern für die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes.
Mit der Behauptung, das Paradigma sei „neutral“, soll die Politik
ersetzt oder den Zielen der Wirtschaft untergeordnet werden. Sie wäre
dann zur Sinnlosigkeit verurteilt.
Es wird immer deutlicher, dass die Versuche zum Abbau des öffentlichen
Sektors, dass die brutalen Angriffe gegen die Gewerkschaften, die wir gegenwärtig
in Westeuropa erleben, der Vorstellung dienen, alle Sektoren, die nicht mehr
als „produktiv“ angesehen werden oder die direkte Machtausübung
dieser neuen politischen Akteure stören könnten, ein für allemal
zu beseitigen.
Die wirtschaftlichen Fragen sollen also der Großbourgeoisie, den Banken
und Finanzinstitutionen überlassen werden, während sich die Politik
um die Armen und Ausgegrenzten kümmert, das heißt um Probleme,
die die Wirtschaft ihr übrig lässt.
Die von Maastricht ausgehenden neoliberalen Weichenstellungen haben eine Erosion
der materiellen Lebensbedingungen weiter Teile der Bevölkerung verursacht
und zu einer Krise der Ablehnung der europäischen Integration geführt.
Diese Krise ist darauf zurückzuführen, dass es dem wirtschaftlichen
und sozialen Modell an Nachhaltigkeit fehlt, weshalb es unerträgliche
Ungleichheit, Umweltkatastrophen sowie prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen
hervorbringt. Damit können die politischen Probleme nicht gelöst
werden, die dem Versagen des sozialen und politischen Zusammenhalts auf dem
alten Kontinent zugrunde liegen.
Dieses Vakuum und fehlende Aussichten auf Veränderung können zum
Erfolg neopopulistischer Projekte führen, die auf einer Mischung von
fremdenfeindlichen, rassistischen Elementen und neoliberalen Prinzipien beruhen.
Deren Verfechter benutzen Angst und Unsicherheit als Hebel für einen
reaktionären Massenpopulismus, für nationalistische Tendenzen, die
eine tödliche Bedrohung für Bürgerrechte, demokratische Gleichheit,
die Verteidigung sozialer Errungenschaften, ja des Sozialstaates selbst darstellen.
Um diesen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen wir gemeinsam mit
dem Volk soziale und kulturelle Aktionen entfalten, den Kampf um soziale Transformation
unter den gegenwärtigen Bedingungen führen, um so dem politischem
Handeln wieder einen Sinn zu geben.
Wie unterschiedlich die Bedingungen in den einzelnen Ländern auch sein
mögen, so ist die Krise, die die gesamte Gesellschaft erfasst hat, eine
Krise des sozialen Zusammenhalts, wie Europa ihn bisher kannte. Sie löst
Konflikte, Spaltungen und Spannungen aus. Sie spitzt den Klassenkampf zu.
Gemessen an traditionellen politischen Kategorien, ob nun rechter oder linker
Natur, nehmen diese Konflikte neue Formen an, weisen andere Eigenschaften
auf.
Die Krise der Politik ist eine der gefährlichsten und am wenigsten untersuchten
Auswirkungen des neoliberalen Modells, das unserem Kontinent nun schon seit
zwanzig Jahren aufgezwungen wird.
Die Krise des Verhältnisses zwischen Politik, Institutionen und Gesellschaft
hat ein Vakuum geschaffen, das wegen des Fehlens einer Perspektive den Eindruck
erweckt, die Politik sei nicht in der Lage, sich den großen Fragen unserer
Zeit zu stellen.
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, ausgehend von diesen Realitäten eine
neue Perspektive zu weisen.
Diese Aufgabe muss unser Kongress bewältigen. Er muss die EL angesichts
dieser Herausforderungen weiter profilieren.
Die Partei der Europäischen Linken ist von politischen Parteien gegründet
worden, die soziale und demokratische Transformation sowie Alternativen zur
neoliberalen Politik durch aktives Engagement in den Institutionen und in
den verschiedenen alternativen Bewegungen erreichen wollen. Wir möchten
zum Aufbau von Bündnissen beitragen, die etwas ändern, so dass reale
Alternativen entstehen.
Die Volkskämpfe, die sozialen und Bürgerbewegungen im globalen
Maßstab haben die Forderung auf die Tagesordnung gesetzt: „Eine
andere Welt ist möglich!“ Die globale Bewegung hat nicht nur die
großen internationalen und transnationalen Institutionen herausgefordert,
sondern auch die wirtschaftliche Macht. Wenn sie sich auch ungleichmäßig
entwickelt, ist diese Bewegung dennoch eine wertvolle Quelle der Erneuerung
linker Politik.
Das Nein zum Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden hat sich
in allen Ländern der Europäischen Union ausgewirkt und die tiefe
Vertrauenskrise gegenüber der neoliberalen Orientierung der europäischen
Politik offenbar gemacht. Europa erlebt weiterhin bedeutende Konflikte sozialer,
bürgerrechtlicher und kultureller Natur. Die Gewerkschaftsbewegung steht
vor neuen Herausforderungen. Der „alte“ Widerspruch zwischen Kapital
und Arbeit wird von neuen Zielen und Widersprüchen zwischen den Geschlechtern,
Generationen, Kulturen und ethnischen Gruppen überrollt, vor allem aber
von dem Bewusstsein, dass das Verhältnis von Mensch und Umwelt sie alle
überlagert.
Aber die meisten dieser Kämpfe fließen nicht von selbst zusammen
oder treten in Kontakt mit Formen der politischen Vertretung. Viele Forderungen
der neuen Generationen, die das Arbeitsleben, das Leben insgesamt, die von
der Gender-Frage beeinflussten zwischenmenschlichen Beziehungen betreffen,
führen nicht automatisch zu einer vorherrschenden Kultur, wie Antonio
Gramci sie genannt hat. Alle diese Forderungen werden nur dann zu einem Gesellschaftsprojekt,
wenn sie mit einer Kultur der Transformation und einer entsprechenden politischen
Struktur zusammenwirken, die in der Lage ist, die Kräfte des Protests
und die
Verfechter sozialer Veränderungen zusammenzuführen.
Das ist die Aufgabe der EL.
Dieser Forderung können wir nur durch eine tiefgreifende Transformation
der politischen Kultur gerecht werden. Das erfordert große Anstrengungen
bei der theoretischen und praktischen Erneuerung.
Wenn wir dazu nicht in der Lage sind, wird die Arbeit zu einem rein ökonomischen
Faktor herabsinken, statt ein Paradigma für Emanzipation, für individuelle
und kollektive Freiheit zu sein. Die Krise der Linken und der Demokratie würde
sich weiter verschärfen.
Wir sprechen von einer Gesellschaft, in der zahlreiche Bewegungen für
Veränderungen wirken, die von Spaltung, Gewalt, besonders gegen Frauen,
von Individualismus und „tribalem“ Egoismus zerrissen ist. Angesichts
dessen müssen wir im Lager des Kampfes für Veränderungen ein
einheitliches soziales und kulturelles System aufbauen, müssen wir einen
Prozess der Vereinigung, der Sozialisierung und gemeinsamer Politisierung
befördern.
Wir müssen die Transformation der gesamten Gesellschaft als integrierenden
Bestandteil einer großen kulturellen Transformation, der Einführung
neuer Formen des Zusammenlebens begreifen.
Die Legitimitätskrise der Politik gefährdet den Prozess der europäischen
Integration. Das Vertrauen in die europäischen Institutionen war noch
nie so gering wie heute.
Die jüngste Ratspräsidentschaft hat sich erneut selbst Schranken
auferlegt, indem sie die EU auf den globalen Wettbewerb in Bereichen wie Arbeitsmarkt,
Energiepolitik, Naturressourcen und andere orientierte. In der Berliner Erklärung
vom 25. März 2007 und beim EU-Gipfel vom Juni 2007 hat man auf der Logik
des Binnenmarktes und dem von Maastricht geschaffenen Rahmen bestanden. Damit
wurde der neoliberale Kurs der europäischen Integration bewahrt und mit
ihm die politische Orientierung des neuen Vertrages. Wieder sollen die Entscheidungen
von einer Regierungskonferenz und vom Europäischen Rat getroffen werden,
ohne dass eine demokratische Debatte oder die Abstimmung in einem Referendum
zugelassen werden. Das kann die Kluft zwischen den Bürgern Europas und
dem europäischen Projekt nur weiter vertiefen.
Statt die schwierigen politischen Probleme zu lösen, die die Krise der
EU ausgelöst haben, versuchen die europäischen Regierungen sie zu
umgehen. Heute stehen nicht nur die sozialen Errungenschaften der Arbeiter-,
Frauen-, Friedens- und Umweltbewegungen auf dem Spiel, wie sie der Sieg über
den Nazifaschismus in den Ländern Ost- und Westeuropas hervorgebracht
hat, sondern viel mehr das Recht auf Organisation schlechthin.
Wenn man das politische System den Interessen des Marktes und der Wirtschaft
unterwirft, die Macht weiter konzentriert und die Politik mehr und mehr personalisiert,
stellt man damit die traditionelle Organisation der Zivilgesellschaft in Frage.
Der wachsende Druck auf den Zentralstaat und die Lokalverwaltungen, mehr Sicherheit
zu gewährleisten, ist die andere Seite der fortschreitenden Aushöhlung
der Demokratie. Wenn die Ausnahme zur Regel, wenn der Ausnahmezustand zum
Dauerzustand wird, wenn die Freiräume immer mehr eingeengt werden, dann
wird es zur wichtigsten, wenn nicht gar alleinigen Aufgabe der res publica,
Repression auszuüben, für „law and order“ zu sorgen.
Die Partei der Europäischen Linken muss in ihrem politischen Handeln
einen Qualitätssprung erreichen. Das hängt von ihrer Fähigkeit
ab, sich dem angeblich schicksalhaften neoliberalen Gesellschaftskonzept
entgegenzustellen, die Überzeugung auszustrahlen, dass die Dinge verändert
werden können.
Das macht eine konsequente Auseinandersetzung mit der Ideologie des Neoliberalismus
erforderlich. Es geht um Lösungen für die Probleme, die aus den
täglichen Erfahrungen der verschiedenen Bewegungen erwachsen. Diese Kämpfe
können den Einstieg in eine sozioökologische Transformation Europas
bewirken. Hier weist die Politik der EL große Schnittmengen mit Positionen
der Arbeiterbewegung, der Gewerkschaften, der alterglobalistischen Bewegungen,
dem Europäischen Sozialforum, mit Positionen feministischer, ökologischer
und sozialer Bewegungen, mit der Welt von Wissenschaft und Kunst auf.
Dieses Projekt erfordert eine engere Vernetzung unserer Parteien auf europäischer
Ebene, die Entwicklung neuer Formen von Kommunikation und Kooperation. Es
erfordert ein schärferes politisches Profil unserer parlamentarischen
und außerparlamentarischen Kämpfe auf europäischer Ebene.
Wir haben das Ziel, die große Koalition von Populisten, Konservativen
und Sozialdemokraten aufzubrechen, die das Projekt Europa bisher geprägt
hat. Wir wollen das Angebot einer linken Alternative ins Gespräch bringen.
Die soziale Verwüstung, die die Reformen auf dem Arbeitsmarkt und das
rasche Wachstum dessen bewirkt haben, was wir Prekariat nennen – stellt
den Bereich dar, gegen den wir unsere Sozialpolitik entwickeln müssen.
Deshalb müssen wir die europäische Politik des Grünbuchs bekämpfen,
jenen erneuten Versuch, die Tarifautonomie auszuhebeln und ein individualistisches
Beschäftigungsmodell einzuführen. Prekarität ist nicht etwas,
mit dem nur junge Menschen am Arbeitsplatz konfrontiert sind. Es ist die Beschreibung
eines sozialen und kulturellen Zustandes.
Das ist nicht nur ein ökonomisches Problem. Es ist eine Frage, die die
Zivilisation als Ganzes betrifft. Es ist eine Krise der menschlichen Existenz,
vergleichbar den offenen Fragen des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern,
den Generationen und Gemeinschaften, zwischen Individuum und Klasse, Individuum
und Gesellschaft. Dem Wesen nach handelt es sich um eine echte Zivilisationskrise.
Und das enorme Anwachsen der Ungleichheit ist ihr wichtigster Charakterzug.
Die Partei der Europäischen Linken ist das einzige politische Subjekt
auf dem europäischen Kontinent, das eine einheitliche Position zum Europäischen
Verfassungsvertrag einnimmt. Ausgangspunkt unserer Gegenposition ist die Kritik
am undemokratischen, neoliberalen und militaristischen Modell der europäischen
Integration (das von dem Vertrag institutionalisiert wird).
Wir haben es bisher gesagt und wir sagen es erneut: Nach der Ablehnung durch
die Referenda in Frankreich und den Niederlanden ist der Vertrag tot. Alle,
die ihn mit alchimistischem Zauber der Institutionen wiederbeleben wollen
und dabei die Gründe für seine Ablehnung umgehen, wie es die europäischen
Regierungen versuchen, führen Europa in eine neue Sackgasse. Das Projekt
eines „modifizierten Vertrages“, das in Wirklichkeit die Substanz
des abgelehnten Vertrages wieder aufnimmt, wird die gegenwärtige Zustimmungskrise
nicht lösen. Mehr noch, jeder Schachzug, der die Völker von der
Ratifizierung des Vertrages auszuschließen versucht, ist nicht nur unannehmbar,
sondern auch gefährlich für die Zukunft der Europäischen Union.
Gegenwärtig ist die Gefahr größer denn je, dass das „Hindernis“,
dass der ausdrückliche Wille der Völker bisher dargestellt hat,
beiseite geräumt werden soll. Deshalb fordern wir eine wirkliche Debatte
über den Inhalt des neuen Vertrages mit Beteiligung der Völker,
bevor eine Entscheidung gefasst wird, und die Ratifizierung per Referendum
in allen Ländern der Europäischen Union.
Mit den vom Europäischen Rat im Juni 2007 beschlossenen Orientierungen
ist eine Etappe der Verhandlungen über die Ausarbeitung eines neuen Vertrages
eröffnet worden, der bis zur französischen Präsidentschaft
von 2008 und den Europawahlen von 2009 ratifiziert werden soll. Für die
EL und die Kräfte, die sich für ein anderes Europa einsetzen, steht
viel auf dem Spiel.
Die Partei der Europäischen Linken ist gegen diesen Vertragsentwurf,
der darauf abzielt, die neoliberalen Grundlagen der gegenwärtig gültigen
Verträge und des Europäischen Verfassungsvertrages zu erhalten
– das Fundament einer Gesellschaft, die vom „freien, ungehinderten
Wettbewerb“ reguliert wird, was in einem Zusatzprotokoll festgehalten
werden soll. Wir sehen es als erforderlich an, eine neue Debatte über
den künftigen Weg des Integrationsprozesses im Sinne einer „Neugründung
Europas“ zu führen. Mit der neoliberalen Logik zu brechen und die
europäische Integration grundsätzlich neu zu orientieren ist der
einzige Weg, um zu dauerhaftem Frieden, zu friedlicher Koexistenz und Zusammenarbeit
der Völker und Staaten Europas, zu einer demokratischen, politischen
und sozialen Perspektive des europäischen Kontinentes beizutragen. Diese
Debatte soll zu einem neuen Gesellschaftsvertrag auf europäischer Ebene
führen, der von allen Bürgern und Menschen anerkannt wird, die in
Europa leben und leben wollen.
Diese öffentliche europäische Debatte muss gestartet, organisiert
und vorangetrieben werden. Das so oft beschriebene und anerkannte Demokratiedefizit,
das seit der Gründung der EU besteht, muss überwunden werden. Der
Raub der Souveränität, den die europäischen Institutionen in
den letzten Jahren begangen haben, ist zu korrigieren. Wir fordern eine reale
Beteiligung der Völker an der Ausarbeitung der Politik und am europäischen
Projekt. Das ist der einzige Ausweg aus der tiefen Krise, in die die europäische
Integration geraten ist. Unter diesen Umständen stellen die Europawahlen
von 2009 eine politische Gelegenheit des Eingreifens zusammen mit allen Kräften
dar, die sich für eine neue Perspektive Europas engagieren, der EL in
erster Linie. Dabei geht es darum, ein neues Konzept von Europa entsprechend
den sozialen und politischen Kämpfen der Bürger durchzusetzen. Wir
wollen, dass das Europäische Parlament, das einzige Subjekt, das im gegenwärtigen
institutionellen Aufbau der Union die Volkssouveränität repräsentiert,
und die nationalen Parlamente tatsächlich die Akteure bei den Entscheidungen
sind, die die institutionelle und politische Zukunft Europas betreffen.
Die Neugründung der Europäischen Union muss bei ihren Grundlagen
beginnen. Ihr Herzstück muss ein neues soziales, ökologisches und
demokratisches Modell sein, das mit der neoliberalen Politik bricht und die
Teilhabe der Völker in allen Etappen seiner Entstehung sichert.
Die kapitalistische Globalisierung offenbart all ihre Mängel, ihre Grenzen
und ihr nicht nachhaltiges Wesen. Beträchtliche Macht konzentriert sich
mehr und mehr in wenigen Händen – den internationalen Finanzfonds,
den transnationalen Konzernen und den supranationalen Organisationen des globalen
Kapitalismus – der Welthandelsorganisation, dem Internationalen Währungsfonds,
der Weltbank u.a. Sie entziehen sich jeglicher demokratischer Kontrolle. Diese
Aushebelung der Demokratie ist möglich, weil die Regierungen der mächtigsten
Staaten im Dienste der herrschenden Kräfte des Finanzkapitals Beschlüsse
fassen, mit denen sie angeblich das Schicksal der Menschheit gestalten wollen.
Zu diesem Monopol im Bereich des Materiellen gesellt sich das im Bereich des
Immateriellen. Wissen wird zu einer Handelsware, die hohen Mehrwert verspricht.
Die Instrumente zum Erkennen der Wirklichkeit und zur Produktion notwendiger
Güter sind heute in der Hand weniger Menschen. Das Schlüsselelement
der aktuellen Phase des Kapitalismus ist es, mehr und mehr Profit aus der
Akkumulation von Kapital in der Produktion nichtmaterieller Güter (Wissen,
Information, Kommunikation, Bildung, Unterhaltung, Kultur) zu ziehen.
Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied im Wesen nichtmaterieller und
materieller Güter. Die Haupteigenschaft immaterieller Güter besteht
darin, dass sie von einem „Konsumenten“ und zugleich auch von
anderen Personen genutzt werden können.
Ein grundsätzliches Ziel der Linken muss heute sein, das Wesen des Wissens
als öffentliches Gut zu bekräftigen und für die Durchsetzung
dieses Prinzips zu kämpfen. Und das nicht nur durch effektive Maßnahmen
für den freien Zugang zu Wissen, sondern vor allem dadurch, dass die
Produktion von Wissen der immer stärkeren Unterordnung unter die Gesetze
des Marktes entzogen wird.
Die neoliberale Politik muss das Wesen der Demokratie beschneiden, das heißt
die Entscheidungsbefugnisse der Vertretungsorgane der Völker (Parlamente,
Räte usw.) abbauen. Der europäische Kapitalismus versucht, auf die
Expansion des kapitalistischen Marktes und den globalen Wettbewerb durch Produktionskostensenkung,
durch Produktionsverlagerung, Lohnkontrolle, den Abbau von Rechten und die
Reduzierung der Eingriffe des Staates in die Wirtschaft zu reagieren. Nach
wie vor sind wir Zeugen von Privatisierung, Profitmaximierung und finanzieller
Spekulation, von Vermögenskonzentration und wachsender Ungleichheit,
ohne dass sich eine gesellschaftliche und politische Kritik erhebt, die diese
Prozesse umkehren könnte. Die Kriterien von Maastricht, bis heute die
Grundlage der Wirtschaftspolitik, wirken weiterhin als Zwangsjacke für
die politischen und sozialen Errungenschaften. Demselben Zweck dienen auch
der Stabilitätspakt und die rigiden monetaristischen Kriterien der Europäischen
Zentralbank.
Unser sozioökonomisches Angebot für Europa basiert auf fünf
Grundprinzipien.
Dies sind:
1) die Notwendigkeit, Vollbeschäftigung bei gesicherten Arbeitsverhältnissen
zu erreichen,
2) der Vorrang staatlichen Eingreifens im Finanzbereich,
3) die Notwendigkeit, das aktuelle Umwelt schädigende Modell zu überwinden,
4) die Schaffung eines öffentlichen Sektors und öffentlicher Dienstleistungen
auf europäischer Ebene,
5) das dringende Erfordernis, allen Menschen ein Minimaleinkommen und eine
Rente in Würde zu garantieren.
Um diese Ziele zu erreichen, gehen wir von Folgendem aus:
1) Der EUHaushalt soll von gegenwärtig 1 Prozent des europäischen
Bruttoprodukts auf 3 Prozent aufgestockt werden.
2) Aufgabe der Europäischen Zentralbank soll nicht nur die Kontrolle
der Inflation, sondern auch die Erhöhung des Beschäftigungsniveaus
sein.
3) Die Europäische Zentralbank muss demokratischer Kontrolle unterstellt
werden.
Das bedeutet, dass wir für Folgendes eintreten:
A) Auf europäischer Ebene ist eine aktive Industriepolitik zu betreiben,
wobei ein europäischer öffentlicher Sektor im Zusammenwirken mit
dem privaten Sektor Synergieeffekte erzeugt.
B) Alle Maßnahmen müssen mit Achtung vor der Umwelt erfolgen, und
das nicht nur im direkten Sinne, sondern auch durch eine Rationalisierung
von Bedarf und Nutzung der Energiequellen.
C) Es sind soziale Sicherheit und würdige Lebensbedingungen zu garantieren,
was bedeutet, dass die Menschenrechte aller geschützt werden, die in
Europa leben und arbeiten.
Die Partei der Europäischen Linken will das Steuersystem der EU verändern,
vom gegenwärtigen System der Mehrwertsteuer, einer nationalen, indirekten
und regressiven Steuer, die auf dem individuellen Verbrauch beruht, zu einem
europäischen progressiven System, das auf dem individuellen Einkommen
beruht und einen Umverteilungseffekt aufweist. Das heißt, vom gegenwärtigen
System, das die Besteuerung der Kapitalrenditen minimiert und die Hauptlast
den Arbeitskommen auferlegt, zu einem progressiven System, das eine Umverteilung
des geschaffenen Reichtums ermöglicht. Wir treten für eine Besteuerung
von finanziellen Einkünften und Finanzspekulationen (Tobin-Steuer) ein.
Wir sollten über die Einführung eines umfassenden sozialen Schutzes
in der EU nachdenken, der universelle, unveräußerliche Rechte
garantiert und ein anderes Zivilisationsmodell begründet.
Angesichts der Hegemonialziele der Großmächte und der internationalen
Finanzinstitutionen sowie der Krise des Unilateralismus der USA sollten wir
unsere Forderung nach einer Neubewertung der Rolle und der Befugnisse einer
reformierten, demokratisierten Organisation der Vereinten Nationen bekräftigen.
Das ist einer der Gründe, weshalb die Partei der Europäischen Linken
die gegenwärtige Initiative für ein Wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen
(EPA) ablehnt, weil hierbei die kommerziellen Beziehungen mit den Ländern
Afrikas und des Mittelmeerraumes nach Methoden des Neokolonialismus und der
Ungleichheit sowie nach den Direktiven des IWF und der Weltbank gestaltet
werden sollen. Die Europäische Nachbarschaftspolitik (PEN) folgt derselben
Logik. Sie ist nicht geeignet, Beziehungen gemeinsamer Entwicklung herzustellen,
und birgt das Risiko, Ungleichheit und Wachstumsrückstand in gefährlicher
Weise zu vergrößern. Wenn wir den Herausforderungen der Entwicklung
gerecht werden wollen, dann muss Europa ein neues Modell der Zusammenarbeit
realisieren, das frei von den Kriterien des Neoliberalismus ist. Diese Umorientierung
wird um so notwendiger angesichts der neuen Aufgaben der EU-Erweiterung.
Die internationale Lage ist weiterhin von Krieg geprägt. Der Unilateralismus,
den die neokonservative US-Administration seit dem 11. September verfolgt,
steckt in einer Sackgasse. Diese Strategie ist gescheitert und erhält
keine Zustimmung mehr, nicht nur international, sondern auch im Lande selbst,
wie die kürzlichen Midterm-Wahlen zum amerikanischen Kongress gezeigt
haben. Der Unilateralismus musste Rückschläge hinnehmen, ist aber
noch nicht besiegt. Das wirkliche Problem, mit dem wir konfrontiert sind,
ist das Fehlen einer alternativen Politik, die den Unilateralismus zu isolieren
und einen Friedensprozess zu eröffnen vermag, der zu einer Wende in der
gegenwärtigen Situation führt.
Die Strategie des Präventivkrieges stellt das Werkzeug dar, um der Welt
den Willen der USA aufzuzwingen. Sie ist weit entfernt vom deklarierten Ziel
des Krieges gegen den Terrorismus (der durch diese Strategie nur weiter angeheizt
wird). Das wird in dem Projekt eines „Neuen amerikanischen Jahrhunderts“
ganz offen erklärt. Ebenso in dem Plan eines „Neuen“ oder
„Großen“ Nahen Ostens, welcher der Kontrolle über diese
Schlüsselregion strategischer Ressourcen dienen soll. Die Neokonservativen
streben eine neue Weltordnung an, in der das Völkerrecht beseitigt ist
und die Vorherrschaft der USA mit brutaler militärischer Gewalt durchgesetzt
wird. Das hat bereits zu einem Wettrüsten globalen Ausmaßes geführt,
das heute für jeden sichtbar ist. Aber es zeigt sich keine politische
und diplomatische Alternative zu dieser veritablen Krise imperialer Politik.
Europa könnte bei der Schaffung dieser Alternative eine Schlüsselrolle
spielen, aber wieder einmal ist es nicht auf der Höhe seiner Aufgaben.
Die Kluft zwischen dem Willen der Völker sowie der Politik und dem Handeln
der Regierungen wird immer deutlicher. Es hat sich ein Vakuum der Politik
gebildet, da Europa als politischer Akteur ausfällt, der in der Lage
wäre, eine politische und diplomatische Alternative anzubieten, mit den
Mittelmeerländern und über den Mittelmeerraum als unsere natürliche
und wichtige Zukunftsregion zu sprechen. In dieser Hinsicht ist die Politik
unfähig, auf die Erwartungen zu reagieren, die die Friedensbewegung auf
unserem Kontinent und weltweit in ihren großen Aktionen zum Ausdruck
gebracht hat. Denken wir nur daran, was aus der Affäre um die geheimen
Flüge der CIA geworden ist.
Der Kampf um den Frieden bleibt ein entscheidendes Element für jede Alternative
zu dem von der neoliberalen Politik beeinflussten Zivilisationsmodell als
Reaktion auf die globalen Herausforderungen. Europa und die EU können
und müssen eine andere Rolle spielen, um eine Weltordnung zu erreichen,
die auf der grundsätzlichen Anerkennung des Völkerrechts und der
Charta der Vereinten Nationen beruht, die bei ihrer demokratischen Umgestaltung
die Erfahrungen der vergangenen 60 Jahre berücksichtigt. Das bedeutet:
Die Partei der Europäischen Linken steht für eine internationale
Politik und eine Weltordnung, die auf dem Vorrang des Völkerrechts gegenüber
dem Recht des Stärkeren beruht. Sie wendet sich gegen militärische
Gewalt, die das katastrophale Ergebnis von fünf Jahren präventivem
und permanentem Krieg der USA ist.
Die Partei der Europäischen Linken bekräftigt, dass sie für
ein Europa des Friedens eintritt, das von den USA unabhängig ist. In
diesem Zusammenhang muss das strategische Verhältnis zur NATO in Frage
gestellt und überwunden werden. Die gegenwärtigen Versuche, Europa
zu spalten und zu militarisieren, wie z.B. die Errichtung der Raketenabwehranlagen,
sind klar zurückzuweisen. Zum einen untergraben sie die Selbständigkeit
Europas, zum anderen sind sie integraler Bestandteil einer Strategie weltweiter
Aufrüstung und militärischer Kontrolle der internationalen Beziehungen.
Wir wollen ein Europa, das ein Ort des Dialogs der Zivilisationen ist. Ein
Europa ohne Militärbasen und unabhängig von den USA. Ein Europa
als vollwertiger und einflussreicher Akteur auf der internationalen Bühne.
Diese Rolle sollte nicht durch Rüstungs- oder Machtpolitik bestimmt
werden, sondern durch aktives Handeln in der Welt, um Frieden und vollständige
Abrüstung voranzubringen.
Die Partei der Europäischen Linken wendet sich gegen die Stationierung
eines neuen Raketenabwehrschildes auf dem Gebiet der EU, weil dies ein weiterer
Schritt zur Militarisierung und Unterordnung unter die NATO bei Absage an
jede Perspektive politischer Unabhängigkeit wäre.
Zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU, so wie
sie heute als an die NATO gekoppelte Integration konzipiert und umgesetzt
wird, schlagen wir eine Alternative vor.
Die Partei der Europäischen Linken lehnt Gewalt zur Regelung von Konflikten
ab. Gemeinsam mit den Friedensbewegungen wird sie dafür arbeiten, alle
Kräfte zusammenzuschließen, die sich der militaristischen und
neoimperialistischen Politik widersetzen. Es ist notwendiger denn je, dass
Europa zu einem Akteur des Friedens, der Sicherheit, der gleichberechtigten
Zusammenarbeit und der Stabilität zum Nutzen der ganzen Welt wird. Diese
Rolle darf und wird nicht durch militärische Macht realisiert werden,
sondern durch eine GASP, die auf einem Konzept nichtmilitärischer Sicherheit
in ihren vielen Facetten beruht. Ebenso notwendig ist ein gesamteuropäisches
Sicherheitssystem, das ein neues Verhältnis zwischen der EU und Russland
erfordert. Das wiederum macht eine Bewegung für Abrüstung, insbesondere
auf nuklearem Gebiet, in Europa und der Welt dringend notwendig.
In all diesen Jahren ist der israelisch-palästinensische Konflikt und
die Okkupation palästinensischen Territoriums durch Israel die Ursache
von Kriegen und Konflikten gewesen, die die jüngste Geschichte des Nahen
Ostens und des Mittelmeerraumes geprägt haben, ein permanenter Destabilisierungsfaktor
für die ganze Welt. Eine gerechte Lösung dieses Konflikts scheint
von immer größerer Dringlichkeit für die gesamte internationale
Gemeinschaft zu werden. Die Voraussetzung für eine wirkliche politische
Wende in dieser Region ist die Aufnahme neuer Verhandlungen, beginnend mit
der Einstellung der Militäraktionen und der Sanktionen gegen die demokratisch
gewählte palästinensische Regierung sowie der Freigabe der widerrechtlich
konfiszierten palästinensischen Guthaben. Wir können uns keine Regelung
vorstellen, die nicht die Hauptprobleme klärt, an denen die Palästinenser
vor allem leiden: Israels Rückzug von den seit 1967 besetzten Territorien,
das Schicksal der Flüchtlinge, der Status von Jerusalem und die Gründung
eines lebensfähigen palästinensischen Staates.
Das Scheitern der Gewaltpolitik Israels im Libanon sollte als Gelegenheit
betrachtet werden, eine konkrete und wirksame Dynamik des Friedens in Gang
zu setzen, Verhandlungen auf der Basis des Völkerrechts aufzunehmen und
die Grundlagen für einen neuen Friedensprozess zu legen. In der letzten
Zeit sind dafür verschiedene Initiativen gestartet worden. Diese können
allerdings nicht realisiert werden ohne das aktive Mitwirken von Staaten,
die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern als Vermittler
befördern können. Zu lange schon beweist Europa strategische Schwäche
und die Unfähigkeit, auf der Grundlage des Völkerrechts eine aktive
Rolle zu spielen, um Aussichten für einen dauerhaften Frieden in der
Region zu schaffen.
Die Partei der Europäischen Linken engagiert sich für eine Regelung
nach der Losung „Zwei Staaten für zwei Völker“ auf der
Basis der UNO-Resolutionen.
In diesem Rahmen steht die Linke vor der dringenden Notwendigkeit, einen neuen
Dialog zu eröffnen, der die Bestimmung eines gemeinsamen Standpunktes,
einer gemeinsamen Strategie und eines gemeinsamen Engagements zum Ziel hat.
Deshalb schlagen wir vor, dass die Partei der Europäischen Linken eine
internationale Beratung durchführt, die als wichtige Subjekte die israelische
und die palästinensische Linke einbeziehen sollte. So könnte ein
wirksamer Beitrag zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten geleistet werden.
Das Europa, das wir wollen und für das wir kämpfen, ist ein soziales
Europa, ein Europa der Arbeit und der Rechte. Es ist eine Alternative zum
Europa der Deregulierung und der Einschränkung von Rechten, des Sozialdumpings
auf ausländischen Märkten und der horizontalen Konflikte zwischen
Arbeitern und Immigranten, zwischen Ost und West.
Die Partei der Europäischen Linken kämpft für die Beseitigung
der Arbeitslosigkeit, für Vollbeschäftigung mit gesicherten Arbeitsverhältnissen,
für ein Europa ohne Prekarität. Man will uns soziale Verhältnisse
aufzwingen, die dem Markt vollständig untergeordnet sind, wo es im Namen
von Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität keinerlei Rechte gibt.
Die Partei der Europäischen Linken, die das Grünbuch der Europäischen
Kommission ablehnt, schlägt Gesetze vor, die auf gleichen Rechten für
allen, der umfassenden Achtung der Gewerkschaftsrechte und der Tarifautonomie
beruhen.
In ganz Europa gibt es ernste Probleme bei den Löhnen. Die Kluft zwischen
Arm und Reich wächst überall, wenn auch in den einzelnen Ländern
unterschiedlich. Diejenigen, die den Reichtum schaffen, haben ein Recht auf
adäquate Bezahlung, die zumindest mit der wachsenden Produktivität
Schritt halten muss.
Für die Linke ist die Lohnfrage nicht nur ein ökonomisches Problem,
sondern ein Thema ihrer politischen Strategie.
Die enorme Steigerung der Produktivität muss an die Werktätigen
weitergegeben werden, besonders an jene, deren Löhne an Kaufkraft eingebüßt
haben. Als Minimum an gemeinsamen Rechten schlägt die Partei der Europäischen
Linken vor, einen europäischen Mindestlohn als Instrument anzusehen,
um die Löhne in Europa nicht nach unten, sondern nach oben anzugleichen.
In ganz Europa werden Aufgaben wie Pflege oder Kindererziehung den Frauen
überlassen, was den Regierungen die Möglichkeit gibt, sich aus der
Verantwortung zu stehlen und die bestehenden öffentlichen Dienstleistungen
in Frage zu stellen. Frauen erhalten weniger Lohn als Männer für
die gleiche Arbeit, sie sind häufig unterbeschäftigt und arbeiten
in Teilzeit. Die Arbeitslosenrate unter Frauen ist höher. Frauen werden
bei den sozialen Sicherungssystemen – bei Renten und anderen Sozialleistungen
– quantitativ und qualitativ benachteiligt.
Wir fordern reale Gleichheit von Männern und Frauen bei Beschäftigung,
beruflicher Entwicklung und Löhnen. Wir fordern das Recht auf Arbeit,
Sicherheit am Arbeitsplatz, wirkliche Weiterbildungsmöglichkeiten für
alle und Maßnahmen, die es ermöglichen, Arbeit sowie Privat- und
Familienleben in Einklang zu bringen.
Für die Partei der Europäischen Linken haben die Verteidigung der
öffentlichen Dienstleistungen und des öffentlichen Sektors Priorität.
Der globalisierte Kapitalismus verschärft die Krise der Umwelt. Seine
Wirtschaft ist auf kurzfristige Aktiengeschäfte an den Börsen orientiert.
Das steht in tiefem Widerspruch zu den natürlichen langfristigen Kreisläufen.
Die Umwelttechnologien sind hochentwickelt, aber nirgendwo werden Handel und
Lebensweise mit Respekt vor der Umwelt gestaltet. Das ist um so ernster, als
in den nächsten Jahren die Entscheidung ansteht, ob es noch möglich
ist, eine globale Klimakatastrophe zu verhindern. Einschneidende Veränderungen
unserer Lebensweise sind unumgänglich.
Die gefährlichen Folgen des kapitalistischen Entwicklungsmodells treten
im Umweltbereich immer deutlicher hervor. Die neuen Generationen werden mit
Klimaveränderungen konfrontiert sein, die aus der direkten Einwirkung
des Menschen auf die Biosphäre resultieren. Ein Modell, das ausschließlich
auf das schnellste Erreichen von Maximalprofit zu den niedrigsten sozialen
und ökologischen Kosten gerichtet ist, kann nur zur Zerstörung unseres
Planeten führen. Im Jahre 2020 werden drei Milliarden Frauen und Männer
keinen Zugang zu Wasser mehr haben, einer Ressource, die immer knapper wird
und die viele zu privatisieren versuchen.
Wir brauchen nicht nur eine Politik der Senkung des CO2-Ausstoßes und
der Kontrolle seines gegenwärtigen Niveaus, sondern eine Energiepolitik,
die bereit ist, radikale Veränderungen beim Energieverbrauch herbeizuführen.
Das ist nur möglich durch eine Programmierung der wirtschaftlichen Entwicklung,
durch Investitionen in erneuerbare Ressourcen, durch die Verringerung und
Vermeidung von Abfall.
Wasser, Energie, Gesundheit, Bildung, Verkehr und Kommunikation – alles,
was wir als Gemeinschaftsgüter definieren, muss gemeinschaftlich bleiben
und vor Privatisierung geschützt werden. Wir stimmen mit den Beschlüssen
der Weltwasserversammlung für Bürger und Abgeordnete (WWACE) überein,
die im vergangenen März in Brüssel stattgefunden hat. Wir unterstützen
vollständig deren Forderungen.
[Die Partei der Europäischen Linken kämpft für ein Europa,
das in der Lage ist, die Gemeinschaftsgüter (vor allem Wasser und Energie)
vor Vermarktung und Privatisierung zu schützen. Die öffentlichen
Dienstleistungen zu verteidigen und zu entwickeln, die Voraussetzungen für
eine soziale und demokratische Kontrolle der für das Zusammenleben der
Menschen unabdingbaren großen Wirtschaftsbereiche und der Schutz der
Umwelt – das sind die wichtigsten Ziele des politischen Handelns der
Linken zur Veränderung Europas.]
Die Grundmerkmale unserer alternativen Strategie sind eine Wirtschaft des
Friedens, der sozialen und demokratischen Rechte sowie der Achtung vor der
Umwelt.
Für das Europa, das wir wollen, müssen wir eine wirkliche Strategie
erarbeiten, die einer Harmonisierung nach oben, einer Dynamik der Moral Raum
gibt, um für den gesellschaftlichen Fortschritt und das Zusammenleben
eine völlig neue Perspektive zu eröffnen.
Wir wollen für die Grundrechte eine neue Ära eröffnen.
Die Partei der Europäischen Linken engagiert sich voll für den Schutz
der Bürgerrechte, der Freiheit der Meinungen und des Protestes, der politischen
und gewerkschaftlichen Organisationen für Jedermann und in allen Formen,
gegen die Ausnahmegesetze, die nach dem 11. September in fast allen europäischen
Ländern eingeführt worden sind.
Der „Krieg gegen den Terrorismus“ wird benutzt, um massive Einschränkungen
der Grundrechte und Freiheiten zu rechtfertigen. Brutale Herrschaftsmethoden
werden mit immer weniger Bedenken angewandt. Guantanamo, die Rückkehr
der Folter oder – was Europa betrifft – die CIA-Flüge sind
dafür eindeutige Beispiele.
Wir fordern die Aufhebung aller Ausnahmegesetze, die nach dem 11. September
in den verschiedenen europäischen Ländern eingeführt wurden.
Wir kämpfen gegen die soziale Segregation der Migrantenbevölkerung
und schlagen ein Programm vor, das auf der Anerkennung der Gleichheit der
politischen und sozialen Rechte beruht. Auch das Asylrecht soll auf europäischer
Ebene geregelt und garantiert werden, ebenso das Staatsbürgerschaftsrecht.
Obwohl die Europäische Union gegenwärtig eines der wichtigsten Zielgebiete
für einen beträchtlichen Teil der Migrationströme ist, fehlt
ihr nach wie vor eine gemeinsame Politik, die gleiche Rechte und Freiheiten
garantiert. Im Gegenteil, die gemeinsame Immigrationspolitik der Mitgliedstaaten
ist gekennzeichnet durch die Aufhebung der inneren Grenzen einerseits sowie
die stärkere Befestigung und gemeinsame Kontrolle der Außengrenzen
andererseits.
Alle Entscheidungen und Vereinbarungen zwischen den Regierungen sind auf dieses
Ziel gerichtet. Es ist die Ausgrenzungsfunktion, die alle drei Hauptdokumente
der Immigrationspolitik der EU charakterisiert – das Schengener-Abkommen
und die Vereinbarungen zu seiner Anwendung (Schengen-Acquis), die Dubliner-Konvention
zur „Harmonisierung“ der Einschränkung des Asylrechts und
die gemeinsamen Bestimmungen für die Visaerteilung. Das läuft darauf
hinaus, dass eine ständig wachsende Liste von Staaten erstellt wird,
deren Bürger Einreise-Visa der Europäischen Union vorlegen müssen.
Die Verstärkung solcher Behörden wie Frontex, die Unterstützung
von Maßnahmen wie der Behandlung von Abschiebezentren für Migranten
und Minderjährige als exterritorial oder die Benutzung von „Vertragsnehmern“
zur Sperrung der Wege nach Europa führen alle zu dem gleichen Ergebnis.
Aus diesem Grunde wollen wir das Frontex-System in Frage stellen und dafür
sorgen, dass die Rechte der Flüchtlinge garantiert und auf die großzügigsten
Regelungen in europäischen Staaten ausgerichtet werden.
Ebenso betrachten wir das Recht auf Gesundheit als ein Grundrecht in einem
Europa, das demokratisch und hochentwickelt sein will. Der fortschreitende
Abbau des öffentlichen Gesundheitswesens zeugt dagegen von einer neoliberalen
Politik, die das Recht auf Gesundheit nur jenen zubilligt, die bezahlen können.
Es muss aber für Jedermann garantiert werden. Um das zu erreichen, kämpft
die Partei der Europäischen Linken dafür, in ganz Europa eine gerechte
Finanzierung der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen, den Zugang zu
wichtigen Medikamenten, das Recht auf körperliche und geistige Gesundheit
durchzusetzen.
Das Recht auf Arbeit muss durch die Aufhebung aller Diskriminierungen –
seien es solche aus Gründen der Religion, des Geschlechts, der sexuellen
Orientierung, der Meinung oder des Herkunftslandes – garantiert werden.
Jeder Mensch hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen. Die Senkung
der Arbeitszeit ist eines unserer Ziele in ganz Europa. Wir setzen uns für
Vollbeschäftigung und zeitlich unbefristete Arbeitsverhältnisse
ein. Wir kämpfen gegen jede Form der Prekarisierung, um würdige
Renten für Jede und Jeden. Jeder und jede Beschäftigte muss vor
Entlassung geschützt werden. Willkürliche Entlassungen sind zu bestrafen.
Das Recht auf Tarifverhandlungen, auf Streik und auf freie gewerkschaftliche
Organisation muss in Europa wieder garantiert werden.
Die totale Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, besonders für
die junge Generation, das Prinzip der Anerkennung eines individuellen Rechts,
das es ermöglichen soll, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und
so „die Bande der Abhängigkeit als soziales Schicksal abzuwerfen“,
drängt die Linke förmlich dazu, eine große Debatte darüber
zu eröffnen, wie die Bürger Europas vor dem Zwang zu zweitrangiger,
entwürdigender oder miserabel bezahlter Arbeit geschützt werden
können. Die ständige Erweiterung der Europäischen Union hat
zu einer beschleunigten Ausbreitung dieses Phänomens geführt. In
diesem Sinne könnte ein existenzsicherndes Einkommen die richtige Formel
für die Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz und
zum Schutz der Jugend und der Bedürftigen vor Erpressung durch den Markt
sein. Es gibt keine vollwertige Staatsbürgerschaft, wenn die soziale
Herkunft eines Mensch die Grenzen seiner künftigen Chancen absteckt.
Die Verteidigung der öffentlichen Dienstleistungen muss im Zentrum unserer
Vorschläge für ein neues Europa stehen.
Die öffentlichen Dienstleistungen, so unterschiedlich organisiert sie
in den europäischen Ländern auch sein mögen, dürfen nicht
den Regeln des Wettbewerbs und dem Streben nach Profit ausgesetzt werden.
Sie haben, im Gegenteil, die Befriedigung von Grundbedürfnissen zu gewährleisten.
Sie müssen demokratisch und öffentlich verwaltet werden. Das betrifft
Gesundheit, Wohnung, Verkehr, moderne Kommunikation und Bildung. Der Vermarktung
und Verarmung von Wissen, Ausbildung und Forschung muss Einhalt geboten werden.
Ausbildung muss wieder zu einem Grundrecht für alle werden und die kulturelle
Entwicklung jedes Menschen begleiten. Die vollständige Unabhängigkeit
von Lehre und Forschung für Studenten, Hochschullehrer und Forscher ist
zu garantieren. Sie müssen der Logik des schnellen Profits entzogen werden.
Für die Forschung sind ausreichend öffentliche Mittel bereitzustellen.
Das Europa, das wir wollen, muss die notwendige öffentliche Finanzierung
von der Schule bis zur Universität sicherstellen. Forschung ist ein Kernstück
der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung aller Länder
Europas, sie ist die Zukunft der kommenden Generationen.
Ein neues Konzept der wirtschaftlichen Entwicklung ist notwendig, insbesondere
im Bereich der Ausbeutung der Naturressourcen. Ein Wirtschaftsmodell, das
die Umwelt mit Respekt behandelt und auf die Entwicklung der Fähigkeiten
des Menschen gerichtet ist. Die natürlichen Ressourcen sind als Gemeinschaftsgut
der Menschheit zu betrachten, für die das Recht auf geistiges Eigentum
und Patente nicht gelten dürfen. Sie müssen außerhalb von
Privatisierung und Markt bleiben und von der öffentlichen Politik mit
Beteiligung der Bürger verwaltet werden.
Wasser ist ein solches Gemeinschaftsgut. Der Zugang zu Trinkwasser ist ein
Grundrecht jedes Menschen. Er muss von öffentlichen Einrichtungen garantiert
werden.
Auch Grund und Boden ist vor den multinationalen Konzernen zu schützen.
Staatliche Regeln gegen deren Praktiken sind einzuführen, denn wir wollen
umweltschädigende Landwirtschaft verhindern.
Unser Europa muss den Grundsatz der Gleichheit der Bürger bei Achtung
ihrer Unterschiede und ihrer Vielfalt achten und garantieren. Aus diesem Grunde
erkennen wir das Recht auf Gleichheit der Geschlechter in der Partnerschaft
und auf eine freie sexuelle Orientierung als Grundwert an. Es soll nicht nur
als in der Privatsphäre garantiertes Recht des Einzelnen sondern auch
als vom Staat garantierte und akzeptierte Entscheidung anerkannt werden.
Alle öffentlichen Einrichtungen haben die Freiheit der Frau zu gewährleisten
und gegen jegliche Form des Patriarchats einzuschreiten. Jede Frau in jedem
Land muss in die Lage versetzt werden, über ihren Körper frei zu
entscheiden, das Recht auf Abtreibung, auf Schwangerschaftsverhütung
und selbstbestimmte Mutterschaft sowie auf künstliche Befruchtung zu
genießen.
Ein demokratisches und offenes Europa ist ein Europa, das für den säkularen
Charakter seiner öffentlichen Einrichtungen sorgt, das allen Bürgern
Würde und Gewissensfreiheit, die Freiheit der individuellen und gemeinschaftlichen
Religionsausübung sowie die Freiheit der Organisation und der ungehinderten
Äußerung ihrer politischen Meinung garantiert.
In diesen Thesen sind die wichtigsten Charakteristika eines anderen Europas
dargelegt. Sie laufen auf eine andere Zivilisation hinaus.
Wir kämpfen für den Frieden, für Demokratie, für soziale
und politische Rechte. Sie sind keine einzelnen Parameter, sondern Elemente
einer alternativen Entwicklung in ihrer Totalität, einer nachhaltigen
Entwicklung.
Eine Friedenswirtschaft, soziale und demokratische Rechte, eine umweltgerechte
Wirtschaft – dies sind Charakterzüge unserer alternativen Strategie.
Eine tiefgreifende demokratische Neugestaltung der europäischen Institutionen
ist unverzichtbarer Bestandteil der Strategie, die wir verfolgen. Auf diesem
Gebiet übernehmen die Partei der Europäischen Linken und unser breites
Bündnis die historische Verantwortung, das politische Gleichgewicht und
die politische Orientierung Europas zu verändern.