KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Das besondere "K"-Wort



Am 19. und 20. Mai veranstalteten das europäische Netzwerk "transform", die Linksfraktion im Europa-Parlament, Espaces Marx, die Rosa Luxemburg-Stiftung und eine Reihe linker französischer Zeitschriften ein internationales Symposium unter dem Titel "Sozialismus, Kommunismus und Emanzipation -- Herausforderung für das 21. Jahrhundert" (Materialien auf: http://www.espaces-marx.org/rubrique.php3?id_rubrique=10).
Das Pariser Symposium bildet den Auftakt eines mehrjährigen internationalen Forschungsprojekts über Fragen der gesellschaftspolitischen Alternativen. Im folgenden der Beitrag vonf Walter Baier beim Abschlussplenum der Veranstaltung.



Angesichts der zahllosen Grabgesänge auf den Kommunismus, aber auch angesichts der ständigen Gefahr, in alte Formeln zurückzufallen, was ich „regressive Versuchung“ nenne, ist nützlich daran sich daran zu erinnern, dass der Kommunismus, wie Marx und Engels ihn charakterisierten, ein offenes Projekt darstellt, „nicht ein Zustand“, „der hergestellt werden soll, kein „Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird), sondern die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“

Aber was bedeutet das? Um das Thema einzugrenzen, kann man sich ihm aus drei Richtungen nähern: Der Kommunismus als Resultat der Spaltung der Arbeiterbewegung, der Kommunismus als Partei- und Staatsform und der Kommunismus als theoretische Kultur.

1. Ausdrücklich begründete Lenin 1918 seinen Antrag, die Sozialdemokratische in Kommunistische Partei umzubennenen mit der „Verpflichtung ... eine scharfe entschiedene, scharfe, klare, unzweideutige Erklärung abzugeben, dass sie die Verbindung mit dem alten offiziellen Sozialismus zerreißt“ (W.I. Lenin, Referat über die Revision des Parteiprogramms und die Änderung des Namens der Partei. 8. März, in Lenin Werke,, Bd.27,:114 1972, Berlin).

Die Innovation der Lenin’schen Imperialismus-Theorie liegt insoweit weniger auf dem Gebiet der Ökonomie, als darin, dass er mit ihr der Eigenständigkeit einer revolutionären Tendenz in der Arbeiterbewegung eine geschichtliche Legitimität verlieh.

Im Grunde ist es gerade diese, die durch den Zusammenbruch des Realsozialismus in Europa Anfang der 90er-Jahre in Frage stellt wurde. Heute zeigt sich aber vor allem in Europa und Lateinamerika, dass der politische Raum für eine Linke mit System überschreitender Zielsetzung weiterhin besteht und sich sogar erweitert. Das schafft auch neue Probleme.

In diesem Raum bewegen sich heute anders als zu Zeiten des Kalten Krieges eine Vielzahl von sozialen AkteurInnen, Bewegungen, NGOen, Gewerkschaften und politischen Parteien. Wir finden offensichtlich einen Raum vor, in dem viele Räume Platz haben müssen. Die traditionellen Formeln von „Einheit“ oder von „Front“ greifen angesichts der augenscheinlichen Buntheit und Vielfalt der AkteurInnen nicht mehr. Mag also die Frage nach der historischen Legitimität einer transformatorischen Linken beantwortet sein, die einer angemessenen Form ihrer Vereinigung und Strategie ist es nicht!

2. Was uns zur Thematik, des Kommunismus Form, als Partei- und Staatsform führt. Plakativ lautet die Frage: Kann man nach Stalin, und wenn ja, in welchem Sinn, noch KommunistIn sein? Oder anders: Lassen sich die kommunistischen Ideale angesichts des historischen Scheiterns als theoretischer Orientierung realer Politik aufrecht erhalten?

Akzeptierte man den seinerzeitigen Anspruch der Komintern, den einzig authentischen Ausdruck der Revolution zu verkörpern, so würde sich eine weitere Differenzierung erübrigen. Das 20. Jahrhundert wäre eine Abfolge von Siegen und Niederlagen, Fortschritten und Rückschlägen --- aber und jedenfalls im Rahmen einer insgesamt linearen Entwicklung.

Seltsamer Weise sind sich heutige Apologeten des Stalinismus und Antikommunisten in diesem Punkt einig: Der Verlauf, den die russische Revolution und die kommunistische Bewegung unter Stalin genommen hat, sei der einzig mögliche, entspreche historischen Gesetzmäßigkeiten und folge überdies aus den Theorien von Lenin (möglicherweise schon von Marx).

Hier muss unser Einspruch einsetzen. Der Umstand, dass die Komintern ihren politischen Alleinvertretungsanspruch gegenüber allen anderen revolutionären Strömungen – teils mit brachialen Methoden – durchsetzen konnte, beweist nicht seine Richtigkeit, sondern stellt sich in der Retrospektive sogar als ein Pyrrhus-Sieg dar.

Was aber bleibt dann vom Kommunismus? Hätte er eine Flaschenpost an das 21.Jahrhundert zu richten, dann müsste die Botschaft im so häufig zitierten Emanzipationsideal bestehen, alle bedrückenden, entrechtenden Verhältnisse umzustürzen. Dieses Ideal zu rekonstruieren, ist ohne eine „Dekonstruktion“ vieler jener Vorstellungen, die den partei- und staatsförmigen Kommunismus im 20. Jahrhundert charakterisiert haben, nicht zu leisten.

Was zum dritten Aspekt, dem Kommunismus als Theorie und Kultur führt. Es werde sich zeigen, schrieb Marx in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“, „dass die Welt den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen“ (Marx, Karl, Briefe aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, in MEW, Bd.1: 346, 1969, Berlin, ).

So verstanden ist der Kommunismus vor allem Selbstversicherung über die Verwirklichbarkeit menschlicher Emanzipation. Durchdenkt man den Begriff “Emanzipation“, zeigt sich, dass es sich dabei um kein eindimensionales, d.h.aus einer einzigen Perspektive auf die Gesellschaft zu gewinnendes Ziel handeln kann. Marx selbst schreibt, dass es gelte, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Marx, Karl, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung ,in MEW, Bd.1: 385, 1969, Berlin ) .“Alle Verhältnisse...“,

So sollte man meinen, dass das Ideal der Emanzipation nur aus einer Vielzahl von Erfahrungen, Widerständen und Hoffnungen entstehen kann. Kommunismus im integralen Sinn wäre so vor allem die Idee einer freien Assoziation der Individuen.

Der Partei und Staat gewordene Kommunismus entschied sich – aus machtpolitischen Gründen -- aber auch der wesentlichen Tendenz des westlichen Denkens folgend -- für eine andere, totalitäre Logik und versuchte, die Gesellschaft aus einem einzigen Prinzip zu denken. Parteien und Staaten ließen sich – zeitweilig zumindest – nach dem Muster des fordistischen Großbetriebes hierarchisieren, auf dem Gebiet der Kultur und Theorie erzeugte diese Methode jedoch die für die gesamte Geschichte des Kommunismus typische Spannung zwischen Parteidoktrin und sich ständig erneuernden Dissidenzen.

Naheliegend wäre, diese Dissidenzen nun ihrerseits zu „totalisieren“, zur theoretischen Linie eines „alternativen“ oder „wahren“ Kommunismus zusammenzufassen, das heißt dem „verwirklichten Sozialismus einen „verhinderten“ gegenüber zu stellen, wie es in der trotzkistischen Legendenbildung geschieht. Doch genauso ist es nicht.

Schon ein kurzer Blick auf ReferenzautorInnen wie Rosa Luxemburg, Antonio Gramsci, György Lucacs oder Louis Althusser zeigt, in welch unterschiedliche Richtungen die jeweiligen Dissidenzen weisen. Trotzdem sind wir auf einer richtigen Fährte.

Der Beschäftigung mit den dissidenten Strömungen ist für die KommunistInnen erforderlich, um die Jahrzehnte lange intellektuelle Stagnation und selbst gewählte kulturelle Isolierung durchbrechen. „Bürgerliche oder sozialistische Ideologie. Ein Mittelding gibt es hier nicht“, lautet einer der folgenschweren und fatalen Sätze, die Lenin zu Papier gebracht hat. (Lenin, Was tun? Brennende Fragen der Bewegung: 57, 1941, Moskau).

Hundert Jahre später können wir wissen, um wieviel komplexer sich die soziale Wirklichkeit und das Wechselverhältnis materieller politischer und ideeller Faktoren in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften darstellt.

Das heißt keineswegs sich auf die Suche nach einem imaginären „Mittelding“ zu machen, sondern verlangt in erster Linie, anzuerkennen, wie viel zur kritischen Theorie der Gesellschaft an den Rändern und außerhalb der kommunistischen Bewegung geleistet wurde. Davon ausgehend meine ich, dass eine Erneuerung des Kommunismus von seinen Rändern aus erfolgen muss, dort nämlich, wo seine Überschneidung mit anderen theoretischen Kulturen, der Kritischen Theorie, dem Feminismus, dem Zapatismus, der Befreiungstheologie oder dem Dekonstruktivismus etc. die Identifikation der verschiedenen „-ismen“ selbst problematisch werden lässt.

Aber jede Erneuerung ist auch ein Kind der Zeit. Die Krise der Linken in Europa zu Ende des 20.Jahrhunderts ist nicht die einfache Folge der Implosion des osteuropäischen Gesellschaftsmodells; viel eher trifft zu, dass sie die selbe Ursache hat wie diese, nämlich das Scheitern der zaghaften Versuche, eine den revolutionären Entwicklungen der Produktivkräfte und den von ihnen ausgelösten sozialen Verwerfungen entsprechende neue Sicht auf ihre Aufgabe zu entwickeln. Die Kritik, die heute an Gewerkschaften, an sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien gleichermaßen geübt wird, knüpft vielfach an den soziokulturellen und politischen Aspekten dieses Scheiterns an. Und das zurecht!

Noch immer wird unterschätzt, welche einschneidenden theoretischen und praktischen Konsequenzen eine Auseinandersetzung mit dem Feminismus hätte. Die weibliche Arbeit in der Reproduktion verschwindet in der traditionellen Politischen Ökonomie des Kapitals – auch bei Karl Marx. Der Wert der Ware Arbeitskraft, der die entscheidende Größe bei der Feststellung der Ausbeutung im Kapitalismus ist, wird bekanntlich gebildet durch die zur Reproduktion notwendigen Arbeitsaufwände – jedoch unter Absehung der von den Frauen unentgeltlich geleisteten Reproduktionsarbeit, einer „Ausbeutung in der Ausbeutung“.

Dabei geht es nicht um die Korrektur eines rein quantitativen „Fehlers“ obwohl dieser, wenn er ernst genommen wird, beträchtliche Auswirkungen hat, weil er alle Bereiche der quantitativen Ökonomie (Input/Outpurechnung, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Wert- bzw. Preisbildung, Mehrwert- bzw. Profitrate) betrifft, sondern um ein qualitatives Problem, unter anderem die Bildung des für den Marxismus zentralen Begriffes „Arbeit“. Der blinde Fleck der Politischen Ökonomie an dieser Stelle betrifft das Ganze der Theorie.

Die vom Feminismus aufgeworfene Frage betrifft zu Ende gedacht, die Jahrtausende alte Unsichtbarmachen der Hälfte der Bevölkerungen, ihrer Widerstände, ihrer Hoffnungen und Ansprüche. Es wäre unvorstellbar, dass eine Befreiungstheorie von der Anerkenntnis dieser Tatsache unberührt bliebe..
Ähnlich ist es mit den Fragen der Ökologie, der Migration und dem Problem des Friedens, das sich in den aus dem Kalten Krieg ererbten Parametern eines simplifizierten „Antiimperialismus“ nicht denken lässt.

Alles das bedeutet -- zumindest aus meiner Sicht -- nicht, dass der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital nicht weiterhin die Gesellschaften durchziehen würde, aber es bedeutet, dass wir diesen selbst und seine Beziehungen zu anderen die Gesellschaft strukturierenden Konfliktlinien neu bestimmen müssen.

Das hätte meiner Ansicht nach einen Perspektivenwechsel in dreierlei Hinsicht zu Folge:

Erstens: Im Hinblick auf das revolutionäre Subjekt, das sich nicht homogen sondern nur plural – und zwar insbesondere in geschlechtlicher aber auch in allgemein sozialstruktureller sowie auch in politischer und kultureller Hinsicht denken lässt.

Zweitens hinsichtlich der politischen Macht: Das zapatistische „mandar obedeciendo“ will vor allem sagen, dass das das Subjekt der Macht nicht der Staat, sondern die Gesellschaft ist; das eine neue politische Macht sich nicht zuerst die Gesellschaft durch den Staat unterordnet, um sie danach umzugestalten, sondern, dass sich die Gesellschaft den Staat aneignen muss. Wir sollten daher nicht das Bild einer zu ergreifenden Macht pflegen, sondern vor allem deutlich machen, dass es darum geht, dass sich die Menschen ihre Macht "zurückholen".

Und drittens müssen wir anhand eines solchen Verständnisse von Subjekten und Objekten revolutionärer Veränderungen auch unsere politische Methodik, Kultur und die Strukturen der Organisierung erneuern. Wenn nämlich das Subjekt der Macht die Gesellschaft, sprich ihre ausgebeutete, unterdrückte und entfremdete Mehrheit, eine neue „Arbeiterklasse“, ein neues „Proletariat“ ist, dann wird die Fähigkeit, die „Multitude“ in ihrer Differenzierheit wahrzunehmen und zu vereinigen, das heißt „Pluralität“ zu organisieren, zum Kriterium revolutionärer Methode.

Zu zeigen ist, dass dieses nicht notwendiger Weise weniger Kommunismus bedeutet, was die dogmatische Kritik dieser Konzeption unterstellt, sondern mehr und neuen Kommunismus erfordert. – vorausgesetzt man redet über denselben Gegenstand – nämlich unserem Beitrag zu einem emanzipatorischen Projekt des 21. Jahrhunderts


Das von Walter Baier eingereichte paper ("Baustelle Kommunismus") ist auf folgender Adresse abrufbar: http://www.espaces-marx.org/article.php3?id_article=126

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