KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Helmut Fellner,
GLB-Arbeiterkammerrat in Wien
Mail helmut.fellner@chello.at 

Gesellschaftskritik und Internet


Beginnen wir mit einer Binsenweisheit: Das Internet ist ein elektronisches Medium, es dient der Kommunikation, Unterhaltung, Bildung, Fortbildung und unendlicher Werbung (wofür auch immer). Der Binsenweisheit folgt ein altes Zitat des konservativen Marshall McLuhans, auf jedes Medium passend, aber am trefflichsten auf jenes elektronische Ungeheuer, das sich hinter dem Buchstaben-Triple WWW versteckt: "Das Medium ist Massage." Massage, nicht message, wohlgemerkt. Und weiter führt McLuhan aus: "Medien massieren uns gründlich durch, mit persönlichen, politischen, ästhetischen, psychologischen, ethischen, moralischen und sozialen Auswirkungen [...]" Wo er recht hat, hat er recht, der Reaktionär. Und genau deswegen müssen sich eben auch politische Köpfe, müssen sich eben gerade gesellschaftsverändernde Kräfte mit den - sagen wir es so - Risken, Gefahren und Chancen des Internets auseinandersetzen, und zwar möglichst gründlich.
Das Internet ist heute konstitutioneller Bestandteil zahlloser Arbeitsprozesse, wird zur Geschäftsanbahnung und -abwicklung genutzt. Es überschreitet damit den Umfang, die Bandbreite und die Möglichkeiten ökonomischer Nutzung herkömmlicher Medien nicht nur in Bezug auf Geschwindigkeit und Vielfältigkeit, sondern auch als Multiplikator sich endlos ausweitender und schwer bis nicht kontrollierbarer Prozesse. Und nicht zuletzt deswegen wird es völlig glorifiziert und der finstersten höllischen Verdammnis anheim gestellt.
Allein wer täglich den Internetdienst E-Mail nutzt, weiß ein Lied über Spamming zu singen, ein sehr trauriges oder tragikomisches Lied, ein Lied vom Müll. Was einem da an sagenhaftem Reichtum, Penisverlängerung, unendlichem Glück und Kreissägen-"Witzen" (an)geboten wird, lässt einen schnell zu Gegenmaßnahmen greifen. Die unerwünschten Mails sind aber nur der Ausschnitt einer Auslage jenes sagenhaften Müllbergs, auf den man/frau beim willkürlichen oder meinetwegen auch unwillkürlichen Surfen stößt: Auf ungeheuer hohe Prozentsätze schätzen Medienforscher die Anzahl jener Homepages, die sich in den Händen der Rotlichtmafia und der Betreiber des Pornogeschäfts befinden. In stetem Wachsen sind auch die Internetbereiche in Händen dubioser sonstiger Geschäftemacher, die mit "Billig"-Angeboten eine gigantische Überschuldungswelle bei Gutmeinenden und -glaubenden auslösen, begriffen.
Aber wenden wir uns den restlichen, vielleicht interessantesten Anteilen der Portale und Homepages zu. Man/frau erreicht heute von jedem Punkt der Erde - kommunikationsmäßig, wie es so schön heißt - ziemlich jeden anderen Punkt der Erde. Man/frau kann sich über den Bestand der Universitätsbibliothek von Ulan Bator informieren, mit den verzwicktesten Behörden in Kontakt treten, sogar Formulare downloaden, in Echtzeit mit Freunden kommunizieren, eine Demo organisieren, gute Musik klauen, Politik machen, seine Möglichkeiten als Götz von Berlichingen unendlich vervielfältigen ... sofern der Provider es zulässt, die eigene Hardware keinen Absturz produziert, gewünschte Portale und Homepages nicht gerade "under construction" oder "reconstruction" sind.
Ein hervorragendes, fortschrittliches Beispiel für politische Vernetzung ist die Protestbewegung gegen die kapitalistische Globalisierung. "Das Volk von Seattle", wie die Antiglobalisierungsbewegung seit ihren Anfängen in Seattle auch genannt wird, hat dort - hauptsächlich über Internet - eine Protestdemonstration aus Umweltschützern, Gewerkschaftern, NGOs (Non-governmental organizations) und so weiter organisiert, Hunderttausende folgten und erreichten den Abbruch eines Weltwirtschaftsgipfels. Seither hat sich diese Bewegung vervielfacht und die ganze Welt überzogen. Ohne diese Vernetzung gesellschaftskritischer und revolutionärer Initiativen wäre heute wohl kaum wirksamer Protest gegen Umweltskandale, extreme Ausbeutung der Entwicklungsländer etc. zu organisieren. Auch die generalstabsmäßige Planung der Polizei- und Ordnungshüter nutzt die elektronischen Möglichkeiten sowohl für die Planung eigener Einsätze als auch für die Überwachung der Protestbewegungen. Dergestalt eskalierten manche friedlich geplanten Proteste (etwa jene in Stockholm 2000 und in Genua 2001) nicht zuletzt wegen generalsstabsmäßiger Vorbereitung durch die „Ordnungshüter“ durch unnötige martialische Aufrüstung zu regelrechten Schlachten (mit echten Toten, wohlgemerkt).
Allerdings ist im Organisieren von Protesten eine nach vorne, in die Zukunft gewandte Bewegung nie allein. Ein anderes, reaktionäres Beispiel für politische Nutzung des Internets liefert die ziemlich geschmiert laufende elektronische Kommunikation von Rechtsradikalen und Neonazis. Gerade die als rückständigst Verschrienen haben die politischen Chancen, die das WWW bietet, oftmals am schnellsten geschnallt. Dutzende rechte Homepages hetzen Menschen rund um den Erdball gegen andere Rassen, Gesinnungsgemeinschaften, Religionen und so weiter auf. Jungen, politisch unerfahrenen Menschen werden auf und über diverse rechtsradikale Homepages technisch durchaus versierte Spielen, tendenziöse Musik, Spots und Videos als „Einstiegsdroge“ in den Rechtsradikalismus direkt übermittelt oder zumindest angeboten.
Und trotzdem überwiegen die Vorteile der neuen Medien. Für jede Art von Protestbewegung gilt, dass sie das früher zeitraubende Sammeln von Unterschriften, das Verschicken von Protestbriefen und -resolutionen heute einfacher, zeit- und kostensparender über das Internet bewerkstelligen kann. Auch die Abwicklung von politischen Sitzungen, Treffen und dergleichen lassen sich durch das Verschicken von Materialien und schriftlichen Grundlagen verkürzen, verbessern, effektiver gestalten. Man/frau kann weltweit über Internetforen und Chats in diverse politische Diskussionen eingreifen und diese mitgestalten, manchmal auch unterbinden, wenn wegen dieses Eingreifens Foren und dergleichen geschlossen werden. Alles ist offen. Das Internet ist anarchisch - und daher kaum zu kontrollieren.
Als MarxistIn kann man/frau aber auch in der herkömmlichen Nutzung eines Mediums, selbst wenn es um das Internet geht, zunächst getrost vom berühmten Wladimir Iljitsch Uljanow, besser bekannt als Lenin, ausgehen, man/frau muss nur den Begriff "Zeitung" durch den Begriff "politisches Medium" ersetzen: "Die Rolle der Zeitung beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Verbreitung von Ideen, nicht allein auf die politische Erziehung und die Gewinnung politischer Bundesgenossen."
In diesem ersten Satz steckt schon trotz des "nicht allein" viel "aber eben auch": Verbreitung von Ideen setzt deren Existenz voraus, sowohl in der Organisation, welche ein Medium finanziert und gestaltet, als auch unter den GestalterInnen: Bei einer linken revolutionären Homepage können das nur Ideen des Widerstands, der Solidarität mit den Schwachen, nicht zuletzt der sozialistischen Perspektive sein, in diesem Sinne versteht Lenin natürlich auch die Erziehungsaufgabe eines linken Mediums. Voraussetzung für beides ist natürlich eine UserInnen-Analyse: Für wen schreibe ich? Aus welchem Grund? Was will ich erreichen? Damit verknüpft sich auch die Frage der Schreibweise, der verwendeten Begriffe, der Deutlichkeit der Sprache genauso wie die Verwendung von Bildern, Videos und Grafiken. Wie meinte der große Aufklärer Denis Diderot: "Wer einen komplizierten Sachverhalt nicht vereinfachend darstellen kann, ist kein Aufklärer, sondern ein Verwirrer." Und damit wären wir beim dritten von Lenin erwähnten Punkt, der Gewinnung von BundesgenossInnen. Dieser setzt politisches Selbstverständnis voraus: Wo stehe ich selbst politisch? Wen will ich wofür gewinnen? Für ein marxistisches Medium heißt das, dass es sich klar deklarieren und keinen Etikettenschwindel betreiben soll. Die UserInnen sollen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wer sie in welchem Sinn aufklären und beeinflussen will und zu welchem Zwecke. Nur so sind BundesgenossInnen zu gewinnen: Durch ehrlich und aufrichtige Darstellung des eigenen Wollens, der eigenen Ziele und politischen Vorstellungen sollen denkenden, mündigen Menschen ein linkes Angebot unterbreitet werden. Alles andere ist Manipulation, und davon sollte eine linke, marxistische Website Abstand nehmen. Das sollte den Gegnern überlassen werden.
Doch kehren wir noch einmal zu Lenin zurück: "Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator." In Zeiten allgemeiner Manipulation klingt die berühmte Vokabel "Agitprop" manchen als allzu abgestanden, ja geradezu anrüchig. Aber auch hier kann man/frau dem alten Uljanow folgen, der meinte, in Zeiten größter Verwirrung müsse der Gegner betrachtet werden, um wieder sicher zu wissen, was selbst gewollt wird. Niemand beherrscht derzeit die Propaganda und Agitation besser als die kapitalistischen Medien in allen Schattierungen ihrer Fraktionen. Soll man/frau es ihnen nachmachen, sollen Linke bessere Manipulateure werden? Ehrlich gesagt, ich schließe das nicht völlig aus, bleibe aber beim Leninschen Satz. Er spricht von "kollektive[n] Propagandist[en]" - das Informationsmedium muss also nicht einfach die Sache von MedienspezialistInnen sein, so wichtig Fachleute dabei auch sind, sondern eine kollektive Angelegenheit der BetreiberInnen, der jeweiligen linken Partei oder Gruppierung, deren kollektive Ziele propagiert, veranschaulicht und wofür geworben wird. Eine linke, marxistische Homepage muss genau diese Symbiose zu Wege bringen: Möglichst viele GenossInnen müssen qualifiziert werden, um ihre Ansichten, ihre Arbeit, ihre Kritik elektronisch produktiv zu machen. Die Hilfestellung dabei ist die Aufgabe linker, marxistischer GestalterInnen - mit großer Professionalität, aber ohne Besserwisserei. Und die Aufgabe jedes Users und jeder Userin ist die Politisierung der Zeitung/des Mediums durch Politisierung der die Website betreibenden JournalistInnen. Gelingt diese nicht, so findet auch das modernste Medium keine oder geringe Akzeptanz bei politisch revolutionären Köpfen, fällt damit als kollektiver Organisator flach.
Zum Schluss noch einmal Lenin, der alte Fuchs, der eine kommunistische Zeitung (denken wir uns den allgemeinen Begriff "Medium") mit einem Gerüst verglich, "das um ein im Bau befindliches Gebäude errichtet wird; es zeigt die Umrisse des Gebäudes an, erleichtert den Verkehr zwischen einzelnen Bauarbeitern, hilft ihnen, die Arbeit zu verteilen und die durch die organisierte Arbeit erzielten gemeinsamen Resultate zu überblicken. Mit Hilfe der Zeitung und in Verbindung mit ihr wird sich ganz von selbst eine beständige Organisation herausbilden, die sich nicht nur mit örtlicher, sondern auch mit regelmäßiger allgemeiner Arbeit befasst, die ihre Mitglieder daran gewöhnt, die politischen Ereignisse aufmerksam zu verfolgen, deren Bedeutung und Einfluss auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten richtig zu bewerten und zweckmäßige Methoden herauszuarbeiten, durch die die revolutionäre Partei auf diese Ereignisse einwirken kann."

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