KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

“Es geht um eine internationale Alternative zum Neoliberalismus”

KPÖ-Vorsitzender Walter Baier im Interview mit der Volksstimme (Volksstimme, Nr. 39/02).
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Am Wochenende entscheidet die KPÖ auf einer bundesweiten Parteikonferenz über ihr Antreten bei den vorgezogenen Neuwahlen im November. Der Bundesvorstand der Partei empfiehlt eine Kandidatur. KP-Vorsitzender Walter Baier im Gespräch.

Die eben abgetretene blauschwarze Koalition wird von links gerne als rückwärtsgewandtes reaktionäres Regime charakterisiert. Ist das tatsächlich schon die “ganze Wahrheit”?

Rückwärtsgewandt und reaktionär ist sicher richtig, aber unvollständig: Die FPÖ ist – und das hat sich in den letzten Monaten wieder bestätigt – eine Partei, in der der Deutschnationalismus, der rechte Extremismus, die Nazi-Nostalgie noch immer daheim sind. Wer das Präsidium auf der Knittelfelder-Delegierten-Zusammenrottung gesehen hat, dem wird aufgefallen sein, dass da fast ausschließlich Herren mit verletzten Backen herumgesessen sind. Und dass sich ein Teil der ÖVP um Wolfgang Schüssel darauf orientiert hat, eine solche Partei ins Boot zu holen, ist nicht weniger reaktionär und rückwärtsgewandt.

Aber das Problem ist leider um vieles komplizierter, weil das gesellschaftspolitische Projekt, für das diese schwarblaue Regierung angetreten ist, absolut in der Logik der Verträge von Maastricht, von Nizza, des Euro-Stabilitätspaktes gelegen ist, und weil neun Zehntel des Regierungsabkommens, das ÖVP und FPÖ unterzeichnet haben, nur den Koalitionsvertrag zitieren, den die Klima-SPÖ mit der ÖVP ja bereits unterschriftsreif ausverhandelt hatte.

Das heißt, diese Regierung lag und liegt im neoliberalen Mainstream, ihr gesellschaftspolitisches Projekt war der neoliberale Umbau des österreichischen Kapitalismus. In diesem Sinne war das durchaus eine moderne, neoliberale, kapitalistische Regierung und ich glaube auch, dass die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Versuch, neoliberale Sozial- und Wirtschaftspolitik mit rassistischen, nationalistischen, chauvinistischen Ideologien zu verknüpfen – auch wenn diese dann den Gespenstern der Vergangenheit sehr ähnlich sind – eine der auf die Zukunft gerichteten Varianten dieses Systems darstellt. Und für die gesamte weitere Entwicklung und auch für den bevorstehenden Wahlkampf halte ich es deshalb für entscheidend zu verstehen, dass es nicht nur um das Verhindern der Neuauflage dieser schwarzblauen Regierungskoalition geht, sondern darum, die Grundfragen der neoliberalen Entwicklung unserer Gesellschaft aufzuwerfen.

Trotz gegenteiliger Aussagen der beteiligten Parteien wird von Seiten der SPÖ und der Grünen in den kommenden Wochen gegenüber der Linken wohl ein Lagerwahlkampf suggeriert werden. Wer Schwarz-Blau verhindern will müsste demnach Rot-Grün wählen?

Van der Bellen hat explizit von seiner Koalitionsfähigkeit in Richtung ÖVP gesprochen. Damit haben drei Parteien – SPÖ, ÖVP und Grüne – erklärt, dass sie wechselseitig miteinander koalitionsfähig sind.

Österreich hat seit vielen Jahre, vor allem aber natürlich unter Schwarz-Blau, nicht nur ein, sondern zwei große Probleme: Das eine heißt Regierung – was sich vorderhand durch die Implosion der Koalition erledigt hat. Und das zweite ist die parlamentarische Opposition. In den zweieinhalb Jahren der schwarzblauen Regierung hätte die parlamentarische Opposition doch gestützt auf soziale Bewegungen und die Gewerkschaften brillieren können. Das hat aber nicht stattgefunden, und zwar deshalb, weil die Beteiligten das gar nicht wollten, weil in den grundlegenden Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung ja Konsens besteht. Alle vier im Parlament vertretenen Parteien akzeptieren die Privatisierung des öffentlichen Eigentums als Dogma, sie akzeptieren den Stabilitätspakt für den Euro mit der Vorgabe eines Nulldefizits, also den wachsenden Druck auf die Sozialleistungen und sie akzeptieren auch die Idee, dass die sozialen Lebensrisken privat abgesichert werden sollen. Da gibt es eine Übereinstimmung.

Und würde tatsächlich eine rotgrüne Parlamentsmehrheit dann auch eine rotgrüne Regierung hervorbringen – was ich für unwahrscheinlich halte –, dann würde sich herausstellen, dass diese sich exakt in diesen Fragen nicht wesentlich anders verhalten würde. Weder Gusenbauer noch Van der Bellen haben sich bisher etwa für die Rücknahme des UOG – eigentlich der Kern der Privatisierung der österreichischen Hochschulen – oder gegen das GATS ausgesprochen, was bedeuten würde, dass mittelfristig in wesentlichen Bereichen öffentlicher Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Gesundheitsvorsorge oder Bildung privates Kapital das Kommando übernehmen würde. Ich bin weit davon entfernt, die Unterschiede zwischen verschiedenen Regierungskoalitionen zu negieren, sie stellen aber jedenfalls keine Alternative in gesellschaftspolitischer Hinsicht dar.

Damit wären wir dann bei den Alternativen. Die KPÖ wird dieses Wochenende wohl ihre Kandidatur zu den Nationalratswahlen beschließen. Was sind die Beweggründe für eine Kandidatur und mit welcher Strategie geht die KPÖ in diese Wahlen?

Es gab im Vorfeld auch Einwände gegen die Kandidatur, die davon ausgingen, dass in einer Phase – scheinbarer – Polarisierung zwischen Schwarz-Blau und Rot-Grün sich eine linke, kommunistische Partei nicht positionieren kann. Offensichtlich sind aber die Gegebenheiten andere, weil Schwarz-Blau nicht abgewählt oder aufgrund massenhaften Widerstandes gestürzt wurde, sondern die Koalition ist, wie erwähnt, implodiert und deshalb – auch wenn das dem Dr. Wolfgang Schüssel noch niemand mitgeteilt hat – die maßgeblichen Kräfte in der ÖVP, die Landeshauptleute und der Wirtschaftsflügel, die Weichen schon längst in Richtung Rot-Schwarz gestellt haben.

Die Konstellation vor diesen Wahlen ist nun so, dass alle Parteien in die Regierung wollen und niemand die Funktion einer parlamentarischen Opposition wahrnehmen möchte, von der ich wiederum glaube, dass sie nur Sinn macht, wenn sie sich in Zusammenhang mit außerparlamentarischer Opposition stellen würde. Aber das will niemand – auch die Grünen wollen in die Regierung und nicht Widerstand sein

Die KPÖ sollte den Versuch unternehmen, in diesem Wahlkampf die aktuell wesentlichen Fragen gesellschaftlicher Entwicklung in die Debatte einzubringen. Das ist erstens die Frage des Privatisierungsstopps – was sofort einen Konflikt sowohl mit den Richtlinien der EU als auch mit dem vor der Fertigstellung stehenden GATS bedeutet.

Zweitens wollen wir in diesem Wahlkampf über die Verteidigung, den Ausbau und die Erneuerung des Sozialstaates reden – etwa die Durchsetzung einer sozialen Mindestsicherung durch einen bundesweit einheitlichen Sozialfonds, die Finanzierung durch eine Wertschöpfungsabgabe.

Darüberhinaus muss es in diesem Wahlkampf um die Frage “Krieg und Frieden” gehen. Das bedeutet, für die Rekonstruktion der österreichischen Neutralität und eine selbstbestimmte Sicherheits- und Friedenspolitik anstelle einer Europäischen Armee einzutreten, mit dem Ziel, weltweit soziale Gerechtigkeit und Entwicklung zu ermöglichen. Wir werden uns auch dem Krieg, den die USA derzeit planen, widersetzen, was auch bedeutet, von Regierung und Opposition ein Nein zu Überflugs- oder Durchfuhr-Genehmigungen für NATO oder US-Kriegsgerät zu verlangen.

Das sind auf der einen Seite Fragen, die auf progressive Reformen im Rahmen des bestehenden Systems zielen, die sich aber gleichzeitig mit den Grundlinien der Entwicklung des heutigen Kapitalismus, mit dem Neoliberalismus konfrontieren. Und das sind die Fragestellungen die etwa von globalisierungskritischen Bewegungen gestellt werden und für die sich be-zeichnenderweise keine der Parlamentsparteien zuständig fühlt. Die KPÖ fühlt sich dafür zuständig, die Forderungen und Ansprüche des außerparlamentarischen Widerstandes auszudrücken. Das wird man auch an der KandidatInnen-Liste für die Nationalratswahlen sehen, in der sich eine Kombination aus VertreterInnen der Gewerkschaftsbewegung und RepräsentantInnen der neuen sozialen Bewegungen – der Bewegung gegen Schwarz-Blau oder auch der globalisierungskritischen Bewegungen – finden werden.

Die Orientierung der KPÖ auf die von dir eben genannten Bewegungen wie auch auf die europäische Linke wäre eigentlich das Vorhaben eines für November geplanten Parteitages der KPÖ gewesen – der jetzt verschoben wird. Wie passt die aktuelle wahlpolitische Orientierung der Partei in dieses Konzept? Und wie stellt sich für dich das Verhältnis Parlamentarismus und soziale Bewegung dar?

Die Fragen, die mit einer linken Strategie in der Auseinandersetzung mit dem heutigen Kapitalismus zusammenhängen und die letztlich alle auf den Punkt zielen, wie eine gesellschaftspolitische Alternative im 21. Jahrhundert ausschauen kann, sind in der KPÖ kontrovers. Ich halte die sachlichen Kontroversen für natürlich und legitim, denn das spiegelt die sozialen und politischen Umbrüche unserer Zeit wider. Für mich verbindet sich in diesem Wahlkampf die programmatische Debatte der KPÖ auf eine sehr selbstverständliche Weise mit ihrem öffentlichen Auftreten.

Zum Beispiel: die europäische Linke. Wer die Wahlergebnisse der letzten zwei Jahre vor Augen hat, stellt fest: Es gibt einen Vormarsch der Konservativen und der extremen populistischen Rechten und es gibt gleichzeitig Rückschläge für linke Parteien, egal, ob es sich dabei um traditionelle oder erneuerte kommunistische Parteien, linkssozialistische Parteien oder demokratische Linksparteien handelt. Offensichtlich existiert ein gemeinsames strategisches Problem, und dieses gemeinsame Problem interpretiere ich so, dass es im Zeitalter der kapitalistischen Globalisierung nicht mehr möglich ist, alternative Politik ausschließlich aus der nationalstaatlichen Perspektive zu formulieren. Es geht um eine internationale Alternative zum Neoliberalismus, um die Einschränkung etwa der Macht der Finanzmärkte, um eine Kontrolle der transnationalen Konzerne etc. Daher ist eine internationale Vernetzung der sozialen Bewegungen und der linken Parteien eine Frage ihrer Wirksamkeit und der Glaubwürdigkeit der von den Bewegungen und den Parteien vertretenen Alternativen. Daraus ergibt sich auch die außerordentliche Bedeutung des Europäischen Sozialforums im November in Florenz.

Zum Verhältnis Parlametarismus und soziale Bewegungen meine ich, dass große soziale Entscheidungen durch gesellschaftliche Kräfteverhältnisse definiert werden, und diese sind breiter, umfassender und vielfältiger als die in Parlamenten vertretenen Kräfte. In Europa besteht ein Widerspruch darin, dass wir große Streikbewegungen erlebt haben – in Italien, Spanien, Griechenland – sowie das europaweite Wachstum der sozialen Bewegungen, die auch einen neuen linken Aufbruch ermöglichen würden. Auf der Ebene der Repräsentanz und der politischen Macht findet dies aber noch keine Entsprechung. Im Gegenteil, auf dieser Ebene gibt es eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses nach rechts. Und ich meine daher, dass es auch darum ginge, den politischen und sozialen Widerstand auf der parlamentarischen Ebene auszudrücken.

In meiner Sicht erfordert das auch eine Veränderung in den linken Parteien. Parlamentarische Arbeit, die sich nicht ständig rückkoppelt mit außerparlamentarischen Bewegungen verkümmert, das ist auch ein Aspekt der Wahlniederlage der PDS. Letztlich müssen die linken Parteien die sozialen Bewegungen davon überzeugen, dass sie nützlich sind für sie. Große politische Entscheidungen hängen mit Macht- und Kräfteverhältnissen zusammen. Deshalb kann die Linke nicht auf parlamentarische Repräsentanz verzichten. Dabei geht es um eine parlamentarische Präsenz, die eine enge Überein- und Abstimmung mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen zur Voraussetzung hat. n

Fragen: Günther Hopfgartner

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