PARTEI
Von Walter Baier (3.12.2008)
Auch in Frankreich steht die politische Landschaft auf der Linken vor einem Umbruch. Anfang November, als der SP-Parteitag noch in vollem Gange war, erklärten der populäre Senator, Jean Luc Melanchon und der Parlamentsabgeordnete Marc Dolez, die mit ihrer „Motion“ immerhin 19 Prozent der Delegierten überzeugen konnten, ihren Parteiaustritt. Eine prinzipielle Begründung dieses Schritts gibt J.L. Melenchon übrigens in der neuesten Nummer der Zeitschrift „transform!“, die demnächst auch in Deutsch erscheinen wird, in einem Artikel mit dem herausfordenden Titel „Socialdemocracy is Over. We need to Build the ‚Left That Comes After‘“.
Der Zeitpunkt für den Parteiaustritt und die Ankündigung, die neue „Partei
der Linken“ zu gründen, die vergangenes Wochenende unter Anwesenheit von
Oskar Lafontaine bei einem öffentlichen Meeting präsentiert wurde, waren
taktisch gut gewählt. Durch den erbittert ausgetragenen Kampf um
dieSpitzenposition der SP zwischen Segolene Royal und Martine Aubry, die mit
hauchdünner Mehrheit die Ursabstimmung um den Posten der Nummer Eins in der
Partei für sich entschied, wurde die tiefe Krise der SP für eine breite
Öffentlichkeit erkennbar.
Der von Melenchon angeführten neuen Partei wird daher zugetraut, das
Parteienspektrum tüchtig aufzumischen. Sein Vorschlag, bei den kommenden Wahlen
zum Europaparlament eine gemeinsame Kandidatur aller Kräfte links von der SP
zu versuchen, wurde von den der Kommunistischen Partei bereits positiv
aufgegriffen.
Eine verbindliche Antwort von seiten Oliviers Besancenots, dem Spitzenmann
der trotzkistischen LCR („Revolutionär-Kommunistische Liga“), die sich
unter beträchtlicher medialer Beachtung in „Neue Antikapitalistische
Partei“ umbenannt hat, steht noch aus. Die von Besancenot angeführte Mehrheit
der trotzkistischen Partei, deren strategische Priorität vor allem darin zu
bestehen scheint, der traditionsreichen Kommunistischen Partei den Rang
abzulaufen, sieht sich allerdings im Inneren mit der Opposition von gut einem
Drittel der Mitgliedschaft konfrontiert.
Diese „Minderheit“ in der LCR, und viele unabhängige Linke sehen die
bevorstehenden Europaparlamentswahlen eher als eine Möglichkeit, zu
verwirklichen, was vor dem Präsidentschaftswahlkampf im letzten Jahr
schmerzhaft scheiterte: ein breites, anti-neoliberales Bündnis, wie es sich bei
der Volksabstimmung über den EU-Vertrag herausgebildet und wesentlichen Anteil
am frasnzösischen Nein hatte.
Ein Schlüsselereignis für einen Neuformierungsprozess der französischen
Linken wird der für übernächstes Wochenende anberaumte Parteitag der
französischen KP sein, der sich ebenfalls einer Parteikrise zu stellen hat.
Jahrzehnte lang war die Strategie der Partei auf eine Zusammenarbeit mit der SP
ausgerichtet, was sich auch zwei mal in der Beteiligung an sozialistisch
geführten Regierungen ausdrückte.
In beiden Fällen führte dies aber zu einer Schwächung der Partei. Anders
verhält es sich auf regionaler und lokaler Ebene, wo die meisten der von der
KPF bis heute gehaltenen politischen Positionen auf dem Bündnis mit den
Sozialisten beruhen. Wie andernorts ebenfalls fällt es nicht leicht, nationale
Strategie und regional- bzw. lokalpolitische Erfordernisse zu vereinigen.
Aber auch dieses Schema, das mit der scharfen Rechts-Links-Teilung der
französischen politischen Szene zusammenhängt, ist durch die SP-Krise und die
Bildung der neuen Linkspartei in Frage gestellt.Welche Konsequenzen die
KommunistInnen aus der neuen Konstellation ziehen, ist Gegenstand der heftigen
Kontroversen vor dem Parteitag.
Wie immer die Entscheidungen in Frankreich während der kommenden Wochen
getroffen werden, sie werden von europaweiter Bedeutung für die Linke sein.
Nicht nur weil sie ein Kernland der EU betreffen, sondern weil sie Teil eines
kontinentweiten Umgruppierungsprozesses darstellen. Zeigen werden sie auch,
welchen politischen Platz eine sehr tradtionsreiche kommunistische Partei in dem
durch die kapitalistische Krise beschleunigten Umbau des politischen Systems
für sich definieren kann.