KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Geschichte mit offenem Ende

Von Hilde Grammel (18.7.2009)

Am 24. November 2007 fand in Rom anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen eine Großdemonstration mit 150.000 Teilnehmerinnen statt – ein Ereignis, das auch von der internationalen frauenbewegten Szene kaum registriert wurde.

Es war dies nicht nur die größte autonome Frauendemonstration in der italienischen Geschichte seit den 1970er Jahren, sondern ein beeindruckender Versuch der Frauen, sich gegen die Instrumentali­sierung ihrer Anliegen durch den rechten Diskurs im Land zur Wehr zu setzen. Explizit von der Teilnahme ausgeschlossen waren Frauen aus rechten Parteien und Frauen, die der (damals noch Mitte-Links-) Regierung angehörten. Zur Vorgeschichte: Anfang November jenes Jahres hatte ein rumänischer Migrant eine italienische Frau brutal vergewaltigt und ermordet – ein Ereignis, das die Rechte zum Anlass für eine Intensivierung der Hetze gegen MigrantInnen und die Lancierung von Forderungen nach einem Polizeistaat nahm.

Die Frauen bedienten sich geschickt des entstandenen Medienhypes, um ihre Sicht der Dinge darzustellen: dass Gewalt gegen Frauen nicht in erster Linie durch fremde Männer ausgeübt wird, sondern ein häusliches Problem darstellt; dass die Frauen zumeist die Täter kennen, die überwiegend aus ihrem unmittelbaren familiären Umfeld stammen; dass Gewalt gegen Frauen keine Grenzen kennt und unabhängig von der Nationalität des Täters ist. So war es einerseits der mediale Mainstream, über den viel Öffentlichkeit erreicht werden konnte. Andererseits erfolgte die Mobilisierung zur Demo auch über Arbeit in den Stadtvierteln, wo Frauen mit Lautsprecherwagen und Flugblättern unterwegs waren, an Plätzen halt machten und mit Performances die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erweckten und wo sie mit zahlreichen Frauen vor Ort ins Gespräch kamen.

Nach dem – auch für die Organisatorinnen selbst – überraschenden Erfolg der Demonstration stellte sich die Frage nach dem „Wie weiter?“. Zunächst fand im Februar 2008 in Rom eine Frauenversammlung zum Thema „Männergewalt gegen Frauen“ statt, die sich zwei Tage lang mit Fragen wie: Gewalt an Frauen innerhalb der Familie, im Bildungssystem, in der Arbeitswelt, im öffentlichen Raum und mit Gewalt gegen lesbische Frauen befasste und über 300 Teilnehmerinnen zählte.

Am 8. März folgten Frauentagsdemos in allen italienischen Städten. Aber auch in der Zeit zwischen den Höhepunkten im feministischen Kalender haben die italienischen Frauen eine volle Agenda: Sie halten öffentliche Tribunale vor Gerichtsgebäuden ab, in denen Prozesse gegen Vergewaltiger stattfinden, demonstrieren vor dem Gesundheitsmi­nisterium und dem Regierungssitz gegen die landesübliche Praktik von ÄrztInnen, Frauen in öffentlichen Spitälern Abtreibungen zu verweigern, während sie in ihren Privatordinationen gut daran verdienen; veranstalten Sit-ins vor Krankenhäusern, die illegal in Italien lebende Frauen nicht zur Geburt aufnehmen. 1)

Sie erstellen eine Art Landkarte, aus der Frauen ablesen können, welches Spital welche Abtreibungspolitik betreibt; sie protestieren gegen lokale Regierungen, die Prostitution per Gesetz aus dem Stadtbild bannen wollen und damit vor allem migrantische Prostituierte der Polizeiwillkür ausliefern; sie bauen an Strukturen der Zusammenarbeit mit migrantischen Frauen, die nicht zur Polizei gehen können, wenn sie Opfer von Vergewaltigung werden, weil sie illegal im Land leben; sie thematisieren Prostitution als Gewalt italienischer Männer gegen migrantische Frauen etc.

Seit der Wiederwahl von Berlusconi im April 2008 fällt es jedoch zunehmend schwer, ihre Kräfte auf genuine Frauenanliegen zu fokussieren, da an vielen anderen Fronten der Kampf eröffnet wurde: Es gilt und galt, Widerstand zu entwickeln gegen Kürzungen im Bildungsbereich (die mittlerweile Gesetz sind 2) , die Einschränkung von Streikrecht und Demonstration­sfreiheit, das geplante rassistische Sicherheitspaket usw., sodass angesichts der Notwendigkeiten die Kräfte zu zersplittern drohen. Zeitweise ist es sogar fraglich, wie das regelmäßig stattfindende Frauenplenum aufrecht erhalten werden kann, da viele Frauen auch in den anderen, nicht explizit feministischen Kämpfen engagiert sind.

Sexismus als Staatskultur

Während die italienischen Feministinnen um ihre Würde kämpfen, etabliert sich in ihrem Land Schritt für Schritt der Faschismus. Die Methoden sind neue und alt bekannte: mit Sexismus gespicktes Polit-Entertainment und die Kriminalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen als Sicherheitsrisiko. Clownesker Hauptdarsteller und Alleinunterhalter in dieser Schmierenkomödie: Silvio Berlusconi, ein mit Viagra voll gepumpter Sexprotz, der seine ausgedienten Haremsdamen gerne mit politischen Ämtern ausstattet und dem nun selbst die katholische Kirche ihre Unterstützung zu entziehen droht, weil er seine Ehefrau allzu öffentlich demütigt und damit die Institution der Ehe in den Schmutz zieht. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis er selbst als Sicherheitsrisiko enttarnt wird, denn ab einem gewissen Zeitpunkt ist die zuverlässige Erledigung der Aufgabe des Machterhalts alles was zählt im faschistischen Management von Staat und Öffentlichkeit im Interesse des kapitalistischen Systems.

Rechtsextreme Politiker zeichnen sich im Allgemeinen durch eine Attitüde aus, die als uneingeschränkte und Konsequenzen nicht bedenkende Selbst-Inszenierung zu beschreiben wäre, da sie ja – ebenfalls im Allgemeinen – nichts zu verlieren haben. Jede Publizität nützt ihnen nur und verhilft ihnen zu gesteigerter Popularität bei bestimmten Schichten der WählerInnenschaft. Während sie die Demokratie und ihre Institutionen sukzessive und nachhaltig beschädigen, befördern sie die Wahrnehmung, dass Politik Sache einer einzigen, nämlich ihrer eigenen Person sei, die mit markigen Sprüchen Themen vorgibt und sagt, wo’s lang geht, wenn viele im gestifteten allgemeinen Chaos das Leben nicht mehr folgen können und zu repressiven Ideologien und Herrschaftsmustern Zuflucht suchen. En passant aktivieren sie dabei von Feministinnen Jahrzehnte lang bekämpfte Relikte eines männlichen Machismo und machen diesen wieder salonfähig, indem sie vorführen, was ein echter Mann ist – hoher Identifikation­sfaktor in der männlichen Volksmeinung garantiert (und auch nicht wenige Frauen sind für „gestandene Mannsbilder“ dieses Zuschnitts anfällig). Mit ihren Inszenierungen bedienen sie zudem die vorherrschende Infotainment-Kultur beinahe täglich aufs Neue, mit dem Resultat einer kompletten Erosion des Politischen.

Der italienische Ministerpräsident Berlusconi arbeitet seit Jahren erfolgreich mit einem Playboy-Image und gibt augenzwinkernd, quasi von Mann zu Mann, während offizieller Anlässe Frauen verachtende Sprüche von sich. Aus einer endlosen Liste solch überlieferter Äußerungen einige Gustostücke (bei denen das schallende Gelächter am Männerstammtisch förmlich zu hören ist): 2005 meinte er während einer Rede vor Wall Street-Tycoons, sie hätten allen Grund, ihr Geld in Italien zu investieren, gäbe es dort doch „die hübschesten Sekretärinnen der Welt“ – eine Äußerung, die einen parteienübergre­ifenden Protest der weiblichen Abgeordneten des italienischen Parlaments zur Folge hatte.

2007 – bei einem offiziellen Dinner – meinte er zu Mara Carfagna, einer Abgeordneten seiner Partei Forza Italia und ehemaligem Showgirl: „Wenn ich nicht schon verheiratet wäre, würde ich dich sofort heiraten“ und „Mit dir würde ich überallhin gehen.“ Carfagna ist mittlerweile die italienische Ministerin für Gleichbehandlung.

Im Wahlkampf 2008 tat er sich mit der Aussage hervor, dass, blicke er sich im Parlament um, er feststellen müsse, dass die Politikerinnen der Rechten allesamt viel besser aussähen als jene der Linken. Die Linke hätte eben keinen Geschmack, auch dann nicht, wenn es um Frauen ginge.

Und einer jungen Frau, die ihn 2008 – vor seiner Wiederwahl – in einer Fernsehdiskussion fragte, was er denn gegen die Jugendarbeitslo­sigkeit – die in Italien bei über 20% liegt – zu tun gedächte, antwortete er, sie solle versuchen, seinen Sohn zur Heirat zu überreden, mit einem Lächeln wie dem ihren hätte sie echte Chancen.

2008 kritisierte er öffentlich die Zusammensetzung der spanischen Regierung als zu „rosa“, weil sie aus gleich vielen Männern wie Frauen besteht. Eine solche Zusammensetzung wäre in Italien nicht möglich, dort sei die Politik eine Domäne der Männer.

Als er im Jänner 2009 ankündigte, die Anzahl der Soldaten, die die italienischen Straßen patrouillierten, von 3.000 auf 30.000 anheben zu wollen, um der Kriminalität wirksam zu begegnen und eine Journalistin ihn daraufhin fragte, ob dies ausreichen würde, um die italienischen Frauen vor Vergewaltigung zu schützen, meinte er, für diese Aufgabe Soldaten in ausreichender Menge zu finden wäre schlicht unmöglich, denn man brauche dafür so viele Soldaten wie es schöne Frauen gäbe – und dies seien eben zu viele.

Während Berlusconi als Ministerpräsident nicht müde wird, seine Landsmänninnen derart mit zweifelhaften Komplimenten des Kavaliers der alten Schule zu überhäufen, hat seine Partei – noch unter der früheren Regierung – einem mit 20 Millionen Euro angesetzten Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen die Zustimmung verweigert. Diese Mittel wären unter anderem den Frauenhäusern zugute gekommen. Über eine Million Italienerinnen werden pro Jahr Opfer physischer oder sexueller Gewalt, während sieben Millionen mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt erfahren haben, so die Daten von Istat, dem staatlichen italienischen Statistik-Institut. Dabei mache häusliche Gewalt bei weitem den größten Anteil aus: 70% aller Vergewaltigungen widerfahren Frauen vonseiten ihrer Partner. 96% der Frauen bringen die gegen sie gerichtete Gewalt nicht zur Anzeige.

Dieser hohe Prozentsatz an Männergewalt korreliert mit ökonomischen Abhängigkeitsver­hältnissen und einem durch den Katholizismus geprägten Frauenbild. Italien hat unter den OECD-Ländern mit 58% eine der niedrigsten Erwerbsquoten, was – neben der hohen Jugendarbeitslo­sigkeit – mit der geringen Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt zu erklären ist. Gleichzeitig gehören die Erwerbseinkommen in Italien zu den niedrigsten und liegen noch hinter jenen von Griechenland und Spanien (OECD-Schnitt aus dem Jahr 2006 3) : $ 24.660, Italien: $ 19.861).

Die nächste Dosis

Am 2. Juli 2009 – rechtzeitig vor dem G8-Gipfel, der die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die internationalen Reaktionen von den Entwicklungen in der italienischen Innenpolitik ablenken würde – passierte ein zuvor schon von der Abgeordnetenkammer angenommenes Gesetzespaket den italienischen Senat und trat somit in Kraft. Die neuen Gesetze – die übrigens nur einen Bruchteil dessen enthalten, was ursprünglich angedacht war und somit als ein „Work in progress“ gesehen werden müssen 4) – machen Italien, wie einst 1922, zu einem faschistischen Vorreiterstaat in Europa, in dem sukzessive die nach 1945 etablierten zivilisatorischen Errungenschaften vom Tisch gefegt werden. Das Gesetzespaket im Einzelnen: Illegale Einwanderung wird damit zur Straftat, die mit einer Geldstrafe zwischen 5.000 und 10.000 Euro und sofortiger Abschiebung geahndet wird. Illegal eingewanderte AusländerInnen können künftig bis zu sechs Monate statt bisher zwei Monate in Schubhaft genommen werden. Menschen, die EinwanderInnen ohne gültige Papiere Wohnungen vermieten, können nun mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Eine Obdachlosenkartei soll angelegt werden – eine Maßnahme, die sich speziell gegen die Roma-Bevölkerung richtet. Exekutiert wird dieses Gesetz mit Hilfe von Bürgerwehren – Menschen mit Law und Order-Gesinnung jeglichen Zuschnitts, deren Aufgabe die Denunziation von „Auffälligkeiten“, die sie bei Patrouillengängen durch ihre Wohnbezirke beobachten, bei der örtlichen Polizei ist. Es sind dies von der rechtsextremen Guardia Nazionale – deren Angehörige eine schwarze Armbinde tragen, einen eindeutigen Gruß verwenden und ein schwarzes Sonnensymbol auf ihren Flaggen tragen – unterwanderte selbsternannte Einheiten von Ordnungshütern, die an die Gestapo oder an die Revolutionswächter im Iran erinnern. Mit diesen Bürgerwehren wird nicht nur eine weitere Stufe der Mobilisierung und Organisierung der Bevölkerung erreicht, sondern auch ein System der Bespitzelung etabliert, das jederzeit – wenn es jemand für notwendig befindet – auch zu einem Apparat umfunktioniert werden kann, der zur Tat schreiten darf. Ob dann noch Frauendemonstra­tionen wie jene von 2007 oder auch nur die Mobilisierung dafür in den Stadtvierteln möglich sind, bleibt offen.

  1. Es war Teil des von der Berlusconi-Regierung geplanten Sicherheitsge­setzes, ÄrztInnen dazu zu verpflichten, Menschen ohne gültige Papiere die medizinische Unterstützung zu verweigern. Manche halten sich bereits an diese „Vorschrift“, bevor sie noch Gesetzeskraft erlangt.
  2. 130.000 LehrerInnen- und Verwaltungsposten sollen eingespart, der Nachmittagsun­terricht in der Grundschule abgeschafft, die Klassenschüle­rInnenhöchstzah­len auf 30 angehoben, die Hochschulen privatisiert werden.
  3. Durch die Wirtschaftskrise modifizierte aktuellere Zahlen sind nicht zugänglich. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Trend ein ähnlicher wie in den übrigen industrialisierten Ländern ist: die sozialdemokratisch geprägten wohlfahrtssta­atlichen Politiken greifen angesichts der neoliberalen Globalisierung mit ihrem Leitbild des rücksichtslos agierenden freien Unternehmertums nicht mehr, die damit verbundene humanistische Fassade des Kapitalismus bröckelt immer mehr ab und legt dessen rohen Kern frei, der neben materieller in geistiger und psychischer Verelendung und in einer Vernutzung menschlichen Potentials und natürlicher Ressourcen besteht.
  4. Was der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig zum Nationalsozialismus bemerkte, nämlich dass dieser sich „vorsichtig, in kleinen Dosen durchgesetzt (hat) – man hat immer ein bisschen gewartet, bis das Gewissen der Welt die nächste Dosis vertrug“ – gilt für jegliche Form des Faschismus.

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