Von: KPÖ-Bundesvorstand (2.5.2021)
KPÖ-Positionspapier zur Corona-Krise
Noch ist kein Ende der Pandemie abzusehen. Dennoch können und müssen schon
jetzt Schlussfolgerungen gezogen werden, sowohl für unmittelbare Lösungen
heute als auch unter dem Gesichtspunkt der allseitigen Prävention. Denn nach
der Pandemie ist vor der Pandemie.
Auf globaler und EU-Ebene werden Bemühungen und Ansätze zur internationalen
Kooperation durch die finanzmarktgetriebene Pharmaindustrie und Nationalismen
hintertrieben. In Österreich sind wir Zeugen und Betroffene einer konfusen
Stop&Go-Politik, die nicht in der Lage war, rechtzeitig einen
gesellschaftlichen Konsens für gründliche und flächendeckende Maßnahmen zur
Eindämmung der Epidemie herzustellen. Das hat diversen Landesfürsten und
parteipolitischem Hick-Hack viel Raum verschafft, der auch von rechtsextremen
Demagogen genutzt wird. Vor allem aber werden dadurch die soziale Existenz und
psychische Stabilität vieler Menschen bedroht.
Mit diesem Positionspapier soll zugleich ein breiter Diskussionsprozess in der
KPÖ zu den Krisenfolgen der COVID-Pandemie angestoßen werden. Neben den hier
enthaltenen konkreten Vorschlägen für einen solidarischen Umgang in der Krise
sollen damit insbesondere zwei Fragen aufgeworfen werden: Welche Rolle kann und
soll die KPÖ in den absehbaren gesellschaftlichen Konflikten um die Verteilung
der Folgekosten und um gesellschaftliche Prävention spielen? Und weiters:
Welche solidarischen Projekte und Bündnisse gilt es in den kommenden Monaten zu
entwickeln und auch in der Praxis anzustoßen?
Die Corona-Pandemie ist eine gesundheitliche, eine ökonomische und eine soziale Krise. Sie trifft eine Gesellschaft, deren soziale Systeme bereits durch jahrzehntelange neoliberale Sparpolitik an ihre Grenzen gebracht wurden. Die Hauptlasten der Krise tragen jene, die sich bereits vor Corona in größter Unsicherheit befanden und unter größtem Druck standen. Eine solidarische Bewältigung der Krise kann also nicht in einem Zurück zu alter Normalität liegen, sondern muss auf Wegen nach vorne, in Richtung einer solidarischen Gesellschaft erkämpft werden.
Das Regierungs-Krisenmanagement hat quer durch Europa und in Österreich selbst viel Skepsis und Unzufriedenheit ausgelöst. Nach dem verspäteten Lockdown und der verfrühten Lockerung vor dem Jahreswechsel auf 2021 sind im Frühjahr auch nach erneutem wochenlangem Lockdown die Zahlen viel zu hoch. Eine Krisenbewältigung ohne die zu Beginn unsichere Hoffnung auf wirksame Impfstoffe ist nicht mehr vorstellbar. Viele Unternehmen im Bereich Gastronomie, Kunst und Kultur sind am Ende. Eine halbe Million Menschen in Österreich sind arbeitslos.
Ein personenbezogenes bedingungsloses Grundeinkommen, wie es auch die KPÖ fordert, kann ein hilfreicher Beitrag zur Existenzsicherung auch und vor allem in einer andauernden gesundheitlichen Krise sein. Das Bewusstsein dafür hat sich in der Öffentlichkeit geschärft. Ernsthafte Bemühungen der dominierenden politischen Kräfte in diese Richtung sind noch nicht wahrnehmbar. Darum ist gerade jetzt und sofort eine wirksame solidarische Absicherung notwendig, die existenziell real erlebte Zustände beseitigt, Sorgen und Nöte abmildert sowie Chancen und Teilhabe sichert. Eine bedingungslose Existenzsicherung für alle Daseinsbereiche ist unser Ziel, das weit über eine Sicherheit durch Geld hinausreicht.
Die Belastungen durch die Corona-Krise sind ungleich verteilt. Frauen und
Männer haben während der Pandemie das gesellschaftliche Leben in
unterschiedlichen – für das Funktionieren unserer Gesellschaft
notwendigen – Berufen aufrechterhalten. Insbesondere die oft schlecht
bezahlte Arbeit von Frauen bringt uns durch die Krise. Den Ausfall von Schulen
und Kindergärten müssen meistens Frauen durch zusätzliche unbezahlte
Betreuungsarbeit ausgleichen. Für viele Frauen heißt das weniger Zeit für
bezahlte Arbeit, Vielfachbelastungen, die sie an ihre Grenzen bringen und
langfristige Einbußen bei sozialer Absicherung und Pensionen zur Folge
haben.
Frauen sind in höherem Ausmaß aufgrund der Corona-Krise in die
Arbeitslosigkeit gedrängt worden. Wir fordern:
Die Haltung der KPÖ zu den Maßnahmen gegen COVID war und ist klar. Wir
nehmen das Virus ernst und kritisieren nicht die Maßnahmen an sich, wenn sie
dem Leben, dem Schutz und der Gesundheit der Menschen dienen. Wir kritisieren in
erster Linie die sozialen und gesellschaftlichen Wirkungen des schlechten
Krisenmanagement der Regierenden, mit dem wir nicht einverstanden sind. Wenn der
Mensch im Mittelpunkt steht, dann sind in erster Linie Maßnahmen zu treffen,
die allen Menschen bei der Bewältigung des Alltags und der Krise helfen.
Die Corona-Politik von Türkis-Grün wird dagegen immer chaotischer, mit
drastischen Konsequenzen: Trotz mehrfacher Warnung wurden Pflegeheime viel zu
spät geschützt, wodurch es dort besonders viele Sterbefälle gab. Im Herbst
waren die Spitäler kurz vor dem Zusammenbruch, da die Regierung auf die
absehbare zweite Corona-Welle nicht vorbereitet war. Besonders Kinder und
Jugendliche leiden an den psychischen Folgen von Schulschließungen und
Lockdown.
Statt langfristiger Perspektiven findet ein „Fahren auf Sicht“ mit
Stop&Go aus Lockdown und Lockerung statt. Das Agieren der Regierung sorgt in
breiten Teilen der Bevölkerung für wachsende Unsicherheit und
Unverständnis.
Selbstdarstellung, widersprüchliches, von Macht- und Parteiinteressen
geleitetes Vorgehen und Angstpolitik waren der Regierung wichtiger als
professionelle Problemlösung. Es ist Zeit für sachliche, konstruktive
Kommunikationspolitik. Für Aufklärung statt Strafen, Überzeugung für
notwendige Maßnahmen und ein klares Ziel: Ein deutliches Absinken der
Ansteckungen auf einen niedrigen Wert.
Dass der Handel mit nicht-lebensnotwendigen Gütern vor den Schulen öffnet,
dass Kunst, Kultur und Sport als Erste schließen und als Letzte öffnen,
während das Arbeits- und Berufsleben für viele unverändert weitergeht, ist
nicht nachvollziehbar. Während Beschränkungen vor allem das Privatleben
betreffen, bleibt der Infektionsschutz am Arbeitsplatz vor allem auch in der
Produktion unverbindlich. Dabei ist mittlerweile klar, dass sich viele Menschen
gerade hier anstecken.
Doch Arbeitsplatz ist nicht gleich Arbeitsplatz. Eine britische Studie zeigt,
dass Beschäftigte im Niedriglohnsektor dreimal häufiger an Corona gestorben
sind. Bestimmte Berufsgruppen – u. a. Taxifahrer_innen, Pfleger_innen,
Busfahrer_innen – haben ein deutlich höheres Risiko, an Corona zu sterben.
Auch Arbeitsplätze in Schlachthöfen oder Postverteilzentren sind besonders
anfällig für die Verbreitung des Virus. Um die Zahl der Neuinfektionen
langfristig zu senken, müsste die Regierung hier also endlich eingreifen und
Unternehmen verbindliche Vorgaben zum Arbeitsschutz machen.
Wir fordern dementsprechend:
Der möglichst sichere Nachweis der erfolgten Infektion und die sofortige
Isolation der nachgewiesenen Virusträger sind ein bewährtes Vorgehen in der
Seuchenbekämpfung. Mangelhaft sind bislang aussagekräftige Datenerhebungen in
definierten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wie Gastronomie, Handel und
speziell definierten Bereichen der Arbeitswelt wie Großproduktionsbetriebe,
Großraumbüros, öffentliche Verwaltungsabteilungen und dergleichen.
Der Mangel an Daten erklärt sich auch dadurch, dass ab Anfang Mai 2020 diese
Daten nicht oder nicht aussagekräftig erhoben wurden und spätestens Anfang
Oktober 2020 die Systeme des Contact-Tracings entgleist sind. Erst ab einer
Siebentage-Inzidenz von unter 50 kann demnach ein wirksames Contact-Tracing
erfolgen.
Eine Kontakte-Nachverfolgung erfordert:
In Österreich arbeitet die neue, türkise ÖVP unter Sebastian Kurz an
autoritären Verhältnissen. Die Regierungsbeteiligung der Grünen hat dieses
Projekt nicht stoppen können. Im Gegenteil, arbeiten die Grünen doch eifrig am
autoritäten Umbau der Gesellschaft mit. Die Corona Krise dient hier vielfach
als Legitimation entsprechender Maßnahmen.
Unsere Demokratie lebt jedoch von ihren Freiheitsrechten. Für diese haben in
den dunkelsten Zeiten der österreichischen Geschichte allen voran
Kommunist_innen gekämpft. Eine solidarische Bewältigung der Krise, ein
solidarischer Lockdown darf nicht zum Lockdown für die Demokratie werden. Die
Parlamente müssen bei allen zentralen Entscheidungen, wie z. B. bei der
Festlegung der Impfstrategie, einbezogen werden. Das grundgesetzlich verankerte
Versammlungs- und Demonstrationsrecht darf gerade in der Krise nicht
eingeschränkt werden – auch wenn außerparlamentarischer Protest in dieser
besonderen Situation die Verantwortlichkeit zeigen muss, nicht das
gesundheitliche Gemeinwohl zu gefährden.
Die Diskussion um einen Impfpass mit Einsetzen einer »dritten Welle« soll vom Regierungsversagen der letzten Monate ablenken. Gesellschaftliche Verwerfungen werden dabei bewusst in Kauf genommen, um wirtschaftliche Interessen – vor allem in ÖVP-nahen Wirtschaftssektoren – durchzusetzen. Mit der Diskussion um “Impfprivilegien” wird auf eine weitere Spaltung der Gesellschaft gesetzt, gibt es doch noch lange nicht genug Impfstoff für alle.
Auch Datenschützer_innen haben Bedenken gegen den “grünen Impfpass”.
Statt auf eine dezentrale Datenspeicherung zu setzen, sollen in den vorgelegten
Konzepten der EU wie auch der österreichischen Bundesregierung alle Daten
zentral gespeichert werden. So sind so besonders anfällig für Missbrauch.
Auf globaler Ebene werden durch einen “grünen Impfpass” Ungleichheiten
ebenfalls vertieft. Ein Großteil der Bevölkerung in den ärmeren Ländern der
Welt hat bisher gar keinen Zugang zu Corona-Impfungen.
Ein Impfpass wird von Regierungen darüber hinaus dazu genutzt werden, um das im
Art. 13 der Menschenrechtskonvention festgeschriebene Recht der Menschen auf
Mobilität zu attackieren und restriktive Migrationspolitiken weiter zu
legitimieren. Die Antwort auf schlechte Arbeitsbedingungen, zu geringe
Entlohnung und schleichende Privatisierung lautet: mehr Personal und eine
bessere Finanzierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Sinne aller.
Der “grüne Impfpass” – in seiner bisher vorgestellten Form – ist ein
Schritt in die andere Richtung und dient dazu, Druck und Verantwortung auf die
Einzelnen zu verlagern.
Die Situation im Bildungs- und Gesundheitsbereich ist unübersichtlich bis
prekär. Die chronische Unterversorgung und Unterfinanzierung in der
öffentlichen Daseinsversorgung wird uns allen vor Augen geführt.
Wir fordern:
Der beste Schutz gegen Überlastung des pflegerischen und medizinischen
Personals ist die Senkung der covid-bedingten Hospitalisierungszahlen.
Deswegen müssen weitere Öffnungen auf Zurufe der profitorientierten Wirtschaft
und entgegen dem Anraten von verschiedenen Beiräten abgelehnt werden. Jeder neu
auftretende Anstieg der Infektionszahlen mündet in neuerliche kritische
Belastung des Personals.
In Europa wurden in den vergangenen Jahren Spitäler und Spitals-Abteilungen
geschlossen und Betten abgebaut. Das heißt aber nicht, dass diese nicht
gebraucht würden. Die entsprechenden EU-Vorgaben sagen ja auch “nur”, dass
sie nicht öffentlich finanziert werden sollen. Private, so das neoliberale
Mantra, sollen am Gesundheitsmarkt mitmischen und Geld verdienen.
Es braucht daher ein grundsätzliches Umdenken im Gesundheitssystem. Das
Profitstreben und Effizienzstreben im Gesundheits- und Pflegebereich gefährdet
die kollektive Gesundheit. Es braucht dagegen eine Rücknahme der
Privatisierungen und eine weitgehende Eingliederung in die öffentliche
Daseinsvorsorge:
Die Kluft zwischen Armut und Reichtum geht weiter auf. Trotz der schwersten
Wirtschaftskrise seit 1945 sind die Vermögen der Reichen um nahezu 30 Prozent
gestiegen. Nach der Überwindung der gesundheitlichen Krise werden soziale und
wirtschaftliche Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung weiter bestehen
bleiben.
Derzeit führen die Hilfsprogramme in erster Linie dazu, dass der Staat von
wirtschaftlichen Interessensgruppen geplündert wird. Eine
geschlechterneutrale Verteilung der sogenannten Hilfsgelder erfolgt
nachweislich nicht. Die Bewältigung der Staatsschulden darf nicht – wie nach
der Finanzkrise 2008 – zu weiteren Sparprogrammen in den Bereichen der
Daseinsversorgung führen.
Dazu gibt es Alternativen:
Es ist praktisch unbestritten, dass es sich bei Covid-19 um eine Krankheit
handelt, die durch die Übertragung von Viren in Tieren auf den Menschen –
eine Zoonose – entstanden ist. Sie ist Folge des menschlichen Raubbaus an der
Natur. Denn es ist die Zerstörung ihrer Lebensräume, neben dem Anstieg der
Temperaturen durch den Klimawandel, der die Wildtiere anfälliger für
Krankheiten macht.
Gleichzeitig bringt das Tiere näher an den Menschen, etwa auf der Suche nach
Nahrung. Rund 30 Prozent der Infektionskrankheiten gehen auf
Landnutzungsänderungen wie die Abholzung des Regenwaldes zurück. Daran ist
auch die EU direkt beteiligt: 16 Prozent der Zerstörung des Regenwalds im
globalen Maßstab sind notwendig, um europäische Konsumansprüche zu
befriedigen; Österreich ist alleine für Abholzungen in Größenordnung des
Neusiedlersees verantwortlich.
Ändert sich an der weltweiten Zerstörung der Lebensgrundlagen nichts, werden
Zoonosen zunehmen. Auch aus dieser Perspektive ist es also unerlässlich,
Umweltschutz sowie den Erhalt der Artenvielfalt und Klimapolitik in den
Mittelpunkt unserer politischen Anstrengungen zu rücken.
Die Corona-Pandemie hat wie in einem Brennglas aufgezeigt, dass unsere
Gesellschaft in vielen Bereichen auch ohne Krisen an Belastungsgrenzen gerät.
Es gibt in vielen sozialen Bereichen keine Reserven mehr, die in akuten Notlagen
herangezogen werden können. Seien es die Krankenhausbetten, die jahrzehntelang
eingespart wurden, sei es der Wohnungsmarkt, seien es tragfähige Ressourcen zur
breiten, psychosozialen Versorgung generell oder auch der psychischen Belastung
der Menschen im Lohnarbeitsleben.
In der öffentlichen Diskussion wird das oft als fehlende Resilienz bezeichnet.
Alle Erkenntnisse aus der Pandemie-Bekämpfung müssen genutzt werden, um eine
krisenfestere Gesellschaft zu erstreiten. Dazu gehört auch eine andere Form des
Zusammenlebens, des Wirtschaftens und der Verteilung von Arbeitsbelastungen.
Grundsätzlich darf es nach den Erfahrungen der Corona-Pandemie nicht mehr
geschehen, dass die Menschheit unvorbereitet in eine Epidemie gerät. Nach
wissenschaftlichen Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass mit neuartigen
Infektionskrankheiten auch in Zukunft in kürzeren Abfolgen zu rechnen ist.
Deswegen müssen wir entsprechende Präventionsmaßnahmen durchsetzen –
auch im Zusammenhang mit einem radikalen Umdenken in der Klimapolitik und einer
Abkehr vom Raubbau an der Umwelt, der Tier- und Pflanzenvielfalt. Österreich
muss sich diesbezüglich vom Bremser zum positiven Gestalter wandeln.
Es braucht daher eine demokratische Diskussion über den neuen Epidemieplan und
wirksame Vorsorgemaßnahmen, damit die erfolgreiche Bewältigung einer kommenden
Infektionskrankheit sozial gerecht und mit möglichst geringen Verlusten an
menschlichem Leben gelingen kann.
Es ist nicht einzusehen, dass etwa für das Militär Waffen und Personal sinnlos
gehortet werden, aber im Gesundheitsbereich unter dem Gesichtspunkt
fragwürdiger “Effizienz” in Spitälern und anderen
Gesundheitseinrichtungen insbesondere die Personalausstattung bis auf den
Anschlag heruntergefahren wird, statt entsprechende Reserven für den
Epidemiefall vorzuhalten. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen für die
Bevorratung der Mineralöle könnten diesbezüglich beispielgebend sein.
Die KPÖ fordert daher:
KPÖ-Bundesvorstand, 17.4.2021
www.kpoe.at