(17.3.2020)
Das Verständnis und die Disziplin der Bevölkerung bei der Befolgung der verordneten Maßnahmen ist in den meisten österreichischen Regionen vorbildlich. Die regierungsamtlichen Maßnahmen verbleiben allerdings im Rahmen einer unmittelbar von der Pandemie herausgeforderten Reaktion und lassen auch ihre nachhaltigen sozialen Folgen außer Acht.
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Einerseits: Noch hat die Ausbreitung des Virus in Österreich die Kapazitäten
unseres Gesundheitssystem nicht gesprengt. Andererseits: das Gesundheitspersonal
ist in unserem Land schon im Normalbetrieb in den meisten Einrichtungen
überlastet und arbeitet an der Grenze des Machbaren. Diese Situation ist
unhaltbar, und kann unter dem Druck der Pandemie verhängnisvolle Dimensionen
annehmen – für Personal, Patientinnen und Patienten, für Pflegende und
Pflegebedürftige.
Die Sparpolitik und die zunehmende Unterwerfung des Gesundheitswesens unter
marktwirtschaftliche Kriterien, wie sie von den Regierungen auf EU-Ebene
beschlossen wurde, war schon vor der Pandemie ein Ausdruck einer unsozialen
gesellschaftlichen Haltung und vielfach inkompetenter Einmischung seitens
betriebswirtschaftlicher Zyniker. Sie ist heute untragbar und gefährlich.
Eine sofortige Aufstockung des Personals in den öffentlichen Krankenhäusern,
eine sofortige Erhöhung der Entlohnung für das dort beschäftigte Personal ist
dringend. Ebenso eine Erhöhung der Bettenanzahl nicht nur durch Nutzung von
Zimmerkapazitäten außerhalb des Gesundheitssektors, sondern auch durch die
Organisierung dezentraler regionaler, von der öffentlichen Hand in
Zusammenarbeit mit den Krankenkassen errichteten Gesundheitszentren; diese
müssen nicht nur pandemiefest sein, sondern sollen auch psychosoziale Betreuung
in den Regionen sicherstellen und den Druck sowohl auf Krankenhäuser als auch
auf niedergelassene Ärztinnen und Ärzte verringern. Neben dem individuellen
Schutz des Krankenhauspersonals müssen massive zusätzliche Mittel in die
Reinigung und Hygiene der Anstalten investiert werden, verbunden mit einer
Qualifizierung und Reorganisierung der Reinigungstätigkeiten nach
holländischem Muster sowie wesentlich besserer Entlohnung des
Reinigungspersonals.
Öffentliche und private Pflegeeinrichtungen für alte Menschen müssen
staatlicherseits vorzugebenden Richtlinien gegen die Ausbreitung von Epedemien
entsprechend überprüft und nötigenfalls umorganisiert werden. Mobile
Pflegedienste Leistende müssen den derzeitigen Möglichkeiten entsprechend vor
Infizierungen geschützt werden, dafür sowie für eine spürbare Erhöhung
ihres Lohnniveaus und die Verkürzung der Arbeitszeit im Pflegebereich sind die
Mittel lockerzumachen. Nachdem nicht mehr mit den – von der österreichischen
Regierung missachteten – zehntausenden personenbetreuenden Frauen aus unseren
östlichen Nachbarländern gerechnet werden kann, sind Mittel für zusätzliche
Personenbetreuende auf kommunaler und regionaler Ebene durch die öffentliche
Hand bereitzustellen, auch für die Betreuung von jenen isoliert Lebenden, die
keine Nachbarschaftshilfe erwarten können.
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Wir fordern die umgehende Vorlage eines Konzepts bzw. Maßnahmen zum Schutz
der nach wie vor Lohnarbeitenden in Produktionsbetrieben, Supermärkten
und in allen Bereichen, wo Lohnarbeitende kollektiv arbeiten und kein
räumlicher Abstand voneinander eingehalten werden kann. Diese Maßnahmen haben
regelmäßige Test bzw. Schnelltests einzubeziehen, sobald die entsprechende
Qualität und Ausrüstung dafür zur Verfügung stehen.
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Wir fordern ein monatliches Grundeinkommen für die Dauer der Krise in
existenzsichernder Höhe für alle, die jetzt besonders betroffen sind: Für
Scheinselbständige und als Einzelunternehmen Tätige. Als Ersatz für durch die
Unterbindung von geplanten Veranstaltungen und Events entstandenen
existenzbedrohenden Einnahmen-Entgang, für Kunst- und Kulturschaffende, deren
Überleben von Veranstaltungen abhängt. Für Alleinerziehende. Für abhängig
Beschäftigte, die von Arbeitslosigkeit gefährdet sind. Für Erwerbslose, die
jetzt noch weniger Chancen auf einen Arbeitsplatz haben. Sowie für alle prekär
Lebenden, deren Alltag jetzt noch prekärer wird. Es muss verhindert werden,
dass große Teile der Bevölkerung verarmen, weil ihnen die Hauptlast der Krise
aufgebürdet wird. Klein- und Mittelbetrieben, die jetzt mit existenziellen
Problemen kämpfen, muss unbürokratisch finanziell geholfen werden – und
hier sowohl den Beschäftigten wie den UnternehmerInnen.
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Bei aller Notwendigkeit die Geschwindigkeit der Krankheits-Ausbreitung
abzuschwächen ist beunruhigend wie rasch die Freiheits- und Grundrechte in den
europäischen Staaten widerspruchslos eingeschränkt wurden. Österreich war
nach Italien gleich das zweite Land das für westliche Demokratien historisch
beispiellose Maßnahmen setzte. Um Grenzschließungen, das Verbot aller
Versammlungen und die Ausgangsbeschränkungen zu überprüfen, soll auch das
Militär herangezogen werden können. Über die Verordnungen der Regierung
hinaus stellt der Telekomanbieter A1 der Regierung ohne Rechtsgrundlage die
Bewegungsprofile aller Handynutzer österreichweit zur Verfügung. Die
Einschränkungen von wesentlichen Grundrechten müssen mit Bedacht
angewendet, sorgsam abgewogen und zielgerichtet sein. Vor allem dürfen sie nur
einen temporären Status haben. Die Corona-Krise darf auf keinem Fall dazu
genutzt werden, grundlegende Menschenrechte längerfristig weiter
einzuschränken.
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Wir fordern von der österreichischen Bundesregierung, dass sie mit der – im
Einvernehmen mit Rechtsextremen konstruierten – unhumanen Migrations- und
Asylpolitik bricht und sich auf EU-Ebene für die Auflösung der
Flüchtlingslager, in denen die Menschen dicht an dicht unter erbärmlichen
Bedingungen vegetieren müssen, sowie für sichere Fluchtwege in die Staaten der
EU einsetzt. Die Flüchtenden müssen in den Staaten der EU aufgenommen und
nötigenfalls medizinisch betreut werden. Das ist nicht nur ein Gebot der
Humanität und Solidarität, sondern auch des Selbstschutzes.
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Das alles umzusetzen kostet ein Mehrfaches der in Aussicht gestellten vier
Milliarden aus dem Budget. Darum müssen diese Mittel aus einer massiven
Besteuerung der großen Vermögen, der großen Erbschaften, der Transaktionen,
der Unterbindung von legaler und illegaler Steuerhinterziehung aufgebracht
werden. Das Geld für die Finanzierung der Ausgaben zur Bewältigung der
Krise ist vorhanden. Ob der dafür nötige politische Wille vorhanden ist,
hängt auch vom Druck ab, den die neunzig Prozent der Bevölkerung auszuüben
bereit und imstande sind. Die KPÖ wird ihren Beitrag dazu leisten.
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Umwelt-, Klima- und Migrationskrise klopfen seit Jahren an die Tür auch der
europäischen Staaten. Jugendliche haben das wahrgenommen, doch das politische
Personal, ganze Regierungen stellen sich taub. Die Corona-Krise hat sie zum
Handeln gezwungen, weil sie alle Menschen betrifft, nicht nur die Armen im
globalen Süden, sondern auch jene an den Schalthebeln der ökonomischen und
politischen Macht in den Zentren. Niemand kann heute sagen, wie schnell die
Pandemie um sich greift, wann sie wieder abklingt, und ob die Maßnahmen für
ihre Eindämmung die allgemeine gesellschaftliche Krise in bisher ungekanntem
Ausmaß verstärken werden.
Eine Lehre kann allerdings bereits gezogen werden: die Notwendigkeit einer
radikalen, ökosozialen Transformation unserer Produktions- und Lebensweise ist
unumgänglich, ebenso der Schutz, die Bewahrung und Erweiterung unseres von den
Neoliberalen bereits angegriffenen Sozialsystems. Ein »weiter so« nach der
Krise darf es nicht geben.
Bundesausschuss der KPÖ, 17. März 2020