KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Frauen verräumt

Ort: Das Atelier. Er kam herein, schaute sich um, und setzte sich nicht an einen der Tische, sondern auf einen Styroporwürfel, der mitten im großen Atelier steht. Bewusst, unbewusst? Von dort aus führte er die Diskussion mit drei Künstlerinnen über ihre Arbeitsweise. Die drei und andere BesucherInnen saßen in einem weiten Abstand um den Würfel herum auf den Sesseln, die im Raum verstreut stehen. Seine Ansagen bestimmten den Gesprächsverlauf. Er fragte, kommentierte, stritt ab und stimmte zu. Die anderen antworteten und hörten zu. Er hatte sich Raum genommen.

Schnitt

Ort. Der Park. Im Käfig ballern zwei Gruppen von Burschen mit Bällen herum. Nach einer Zeit formieren sie sich zu einem Team. Ein Fußballmatch beginnt. Außen am Gitter stehen vier Mädchen und schauen zu. Nach einer Zeit setzen sie sich auf eine Bank vor dem eingezäunten Kleinkinderspielplatz - was anderes gibt's in diesem kleinen Park nicht. Sie reden und lachen, schauen dabei immer wieder zu den Burschen hinüber. Die haben keinen anderen Raum gekriegt.


Mit dem Raum ist es ja nicht so, dass er einfach da ist. Wenn du nicht Landvermesserin oder Develloper bist, Professionen, die den Raum als Entfernung zwischen Punkten oder als Investitionsstandort betrachten und nicht nach der Wechselbeziehung von Menschen und Räumen fragen, kannst du den Raum als etwas Statisches ansehen. Wenn du dich aber fragst, was tun Räume mit Menschen und Menschen mit Räumen, ist Raum ein immer wieder neu hergestelltes bzw. herzustellendes "action setting". Du nimmst ihn dir, du kriegst ihn, oder auch nicht. Entscheidend ist aber, was in ihm passiert. Wie groß oder klein, wie nah oder weit weg, wie benutzbar oder unbenutzbar, wie emotionsgeladen oder öd er ist, kommt auf die Menschen an, die ihn schaffen - auf jede einzelne und auf die Bedingungen, die es erlauben, dass du ihn dir nehmen und ihn benützen kannst.

Der Raum ist eigentlich ein ständiger Prozess der Raumbildung. Auf Soziologendeutsch ist der Raum - besser ist es, von Räumen zu sprechen - die relationale Anordnung von Menschen und Dingen an Orten, wobei die Menschen durch Plazierung und Verknüpfung unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen Räume immer wieder neu herstellen.

Raumbildung ist eine individuelle und eine gesellschaftspolitische Geschichte. Es ist ja nicht so, dass alle Menschen die gleichen Möglichkeiten haben, sich Raum zu schaffen. Wie bei anderen Ressourcen auch, haben die einen mehr und die anderen weniger Möglichkeiten und Verfügungsrechte. Entweder weil sie nicht gelernt haben, sich Raum zu nehmen oder weil die gesellschaftlichen Verhältnisse es ihnen verwehren. Verfügung über Raum ist eine Machtfrage. Da sind wir schon bei Rahmenbedingungen sozialer Ungleichheit, die meist vernachlässigt werden: Die Frage nach den räumlichen Bedingungen geschlechtsspezifischer Ungleichheit ist: Können sich Männer und Frauen ihren Bedürfnissen und Lebensumständen entsprechend Raum nehmen und kriegen sie ihn auch. Unter den bestehenden sozialen und räumlichen Bedingungen gesellt sich zur Ungleichheitsursache Armut die Ungleichheitsursache Ausschluss von der Raumbildung und -aneignung, von der Möglichkeit, sich im Raum zu bewegen, Verweigerung von Gestaltungs- und Definitionsmacht.

Frauen handeln anders - Frauen müssen anders handeln

Ein paar Beispiele:

Peripherisierte Regionen, die keine Arbeits- und Versorgungsmöglichkeiten mehr bieten, erzwingen Mobilität und fördern die weitere Entleerung von Regionen. Die Konzentration von Einkaufserlebniswelten in den suburbanen Gebieten erzeugt Individualverkehr, zerstört die ökonomische Basis der Nahversorger in den Innenstädten und zerreißt Kommunikationsnetze. Sich im Stadtumland ausbreitende Einfamilienhaus-Siedlungen verursachen enorme, von der Gesellschaft zu tragende Infrastrukturkosten, "fressen" öffentlichen Raum und privatisieren die Gesellschaft. Diese Art gesellschaftlich hergestellter "action settings" schließt viele soziale Gruppen von der Raumaneignung aus. Frauen, die von der Gesellschaft für Erziehung und die Versorgung der Familien verantwortlich gemacht werden und unter dem Vereinbarkeitsgebot stehen, brauchen bestimmte Räume. Für ihre komplexen Wegeketten, die vielen Begleitwege und notwendigen sozialen Vernetzungen bräuchten sie einen engmaschigen öffentlichen Verkehr, ein dichtes Netz von Versorgungseinrichtungen (nicht nur Kindergärten), leicht erreichbare Arbeitsplätze und viel öffentlichen Raum. Kriegen sie aber nicht.

Aus Untersuchungen ist bekannt, dass sich Mädchen Räume durch Sprache, durch Miteinander-in-Kontakt-Ttreten schaffen. Ihr Streifraum ist halb so groß wie der von Buben. Sie nutzen kleinere Räume, aber diese intensiv. Das eine Problem dieser empirischen Wahrnehmung ist seine Interpretation. Das extensive, raumgreifende Verhalten von Buben gilt als Norm, das der Mädchen als abweichendes Verhalten, als defizitär. Das andere Problem ist, dass den Bedürfnissen, den unterschiedlichen Formen der Raumbildung von Mädchen in einem viel geringerem Ausmaß durch Raumangebote entsprochen wird, was ein bestimmtes Raumverhalten verfestigt.

Auf die Gründe für das unterschiedliche Raumverhalten von Mädchen kann ich jetzt nicht eingehen. Nur so viel: Das Raumverhalten spiegelt die gesellschaftlichen Positionen, Verantwortlichkeiten und Verinnerlichung von Rollenstereotypen wider.

Was heißt das für eine emanzipatorische Raumbildung? Der Ressource Raum und den vielen Barrieren und Hindernissen für die Möglichkeit zur Raumaneignung mehr Aufmerksamkeit schenken. Den Lebensverhältnissen und Bedürfnissen von Frauen entsprechende flexible, offene, benützbare Räume fordern, sich Raum nehmen und sich nicht verräumen zu lassen.

Elisabeth Holzinger

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