Disziplin ist feminin
Oder: die neue Riege der Verhinderinnen scharrt schon in den Startlöchern
Noch vor ein paar Monaten hegten so manche die Hoffnung, dass im Zuge der Auseinandersetzung
mit der ÖGB-Krise auch klare personelle Veränderungen verbunden sein
müssen: mehr Frauen in Führungspositionen, ein deutliches Votum für
MigrantInnen, Prekarisierte, Erwerbsarbeitslose etc.
Mittlerweilen glauben nur noch diejenigen daran, die ein Mandat in einem der vielen
Gewerkschaftsgremien anstreben. Zum Zuge kommen bei der großen Mehrheitsfraktion
FSG offensichtlich weiterhin nur diejenigen, die sich „brav hochgedient“
haben, die „Fraktionsdisziplin und Sitzungstreue“ bewiesen haben –
kurz: auf die Mann sich verlassen kann. Und wenn jetzt die Frage auftaucht, „tun
sie das nur, weil sie es noch immer nicht begriffen haben?“, so lautet meine
Antwort: Nein, sie tun es weiterhin, weil es sich aus ihrer Sicht bewährt
hat.
Wenn ein sog. ÖGB-Reformprozess von denjenigen geleitet und gelenkt wird,
die den ÖGB dorthin gebracht haben, wo er heute steht, dann können wir
nicht erwarten, dass diese Leute vorschlagen, man möge sie zum Teufel jagen.
GPA-Frauenpräsidium auf alter ÖGB-Linie
Eine Kernfrage für Gewerkschafterinnen ist die Frage der Einkommensverteilung
und damit verbunden auch die Arbeitszeitfrage. Wenn wir davon ausgehen, dass auch
die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn ein Instrument zur Umverteilung
ist, so stehen für Frauen die Forderungen nach Mindestgrundgehältern
bzw. -löhnen und die sofortige Einführung der 35-Stundenwoche an oberster
Stelle des Forderungskatalogs.
Beim Bundesfrauenforum der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) wurde letzte
Woche ein Antrag vorgelegt, der von der jetzigen und der zukünftigen Regierung
zwar die 35-Stundenwoche fordert – jedoch die Einführung von Mindestgehältern
in der Höhe von gerade mal € 1.200,-- nur von den KollektivvertragspartnerInnen
verlangt.
Die Forderung nach gesetzlichen Mindestgehältern sorgte sofort bei den –
durchwegs finanziell gut abgesicherten – KollegInnen des neu zu wählenden
GPA-Frauenpräsidiums für Aufregung: meinten diese doch, dass die Höhe
der Gehälter auf jeden Fall auch in Zukunft von den Gewerkschaften auszuhandeln
sei, weil ein ausgehandelter Vertrag besser halte, als ein im Parlament beschlossenes
Gesetz!
Tatsache ist, dass es immer noch Kollektivverträge gibt, die für 40
Stunden (überwiegend weiblicher) Wochenarbeitszeit nicht einmal € 800,--
brutto vorsehen. Hier haben die Gewerkschaften in den letzten Jahren und Jahrzehnten
nichts weiter gebracht – und trotzdem argumentieren sog. Spitzenfunktionärinnen
gegen einen gesetzlichen Mindestlohn, weil Verträge angeblich besser halten
als Gesetze.
Vielleicht sollten wir, dieser krausen Logik folgend, auch das Arbeitszeitgesetz,
das Arbeitsverfassungsgesetz usw. durch Verträge ersetzen?
Die Suppe selbst auslöffeln, die man anderen einbrocken will
Und selbst, wenn es stimmen sollte, dass durch Gewerkschaften ausgehandelte Löhne
besser abgesichert sind, so brauchen wir dennoch gesetzliche Mindestlöhne,
weil sich manche KV-„PartnerInnen“ ganz einfach erdreisten, die Verhandlung
von jährlichen Gehaltsanpassungen zu verweigern. Dies ist kein Horrorszenario,
sondern geübte Praxis z.B. der Ärztekammern, die die ohnehin besonders
niedrigen Gehälter der (Zahn)Arzthelferinnen (und hier genügt das kleine
i) in den meisten Bundesländern seit mehreren Jahren nicht mehr neu verhandelt
haben. Was nützt den betroffenen Frauen eine Gewerkschaft, die auf ihr Verhandlungsprivileg
pocht und die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestgehalt verweigert?
Wie wäre es mit einem neuen Antrag: Alle ÖGB-FunktionärInnen, die
gegen einen gesetzlichen Mindestlohn von € 1.300,-- sind, sollen so lange
vom niedrigsten KV-Lohn leben müssen, bis die Einkommensschere geschlossen
ist.
Karin Antlanger