Die Europäische Union feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag
– und wir feiern mit, indem wir sie kritisieren. In den fünfzig Jahren
ihres Bestehens hat es die EU nicht geschafft, Gleichheit von Männern und
Frauen zu verwirklichen. Wie lange sollen wir noch warten? Noch einmal fünfzig
Jahre? Oder gar hundert? Wir warten nicht auf bessere Zeiten, wir kämpfen
darum. Europa war zwar eine Frau, aber die konkrete Europäische Union ist
nicht weiblich. Sie ist vielmehr eine imperiale Macht, patriarchal und kriegerisch.
Wir Frauen der Europäischen Linken sind aktiv für ein anderes Europa.
Ein Europa des Friedens. Ein Europa, das Gewalt nach innen und außen ächtet;
das solidarisch ist gegenüber anderen Ländern und Kontinenten und
Flüchtlinge freundlich aufnimmt. Ein Europa, das im Einklang mit der Natur
und in Verantwortung für zukünftige Generationen handelt.
Unser Grundsatz als Europäische Linke ist halbe – halbe: In der Erwerbs-
und Familienarbeit, bei Erziehung und Pflege, in der gesellschaftlichen Arbeit,
in der Politik. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist wohl das Mindeste.
Wir sehen durchaus: Die Europäische Union hat Vorschläge gemacht und
Richtlinien erlassen, die im Interesse von Frauen in einigen westeuropäischen
Ländern waren. In manchen Ländern würden wir ohne die EU heute
nicht über Chancengleichheits- oder Antidiskriminierungsgesetze diskutieren.
Frauen in den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten allerdings erleben
die EU als dramatischen Rückschritt in ihrer beruflichen und gesellschaftlichen
Rolle.
Die Schwäche der EU ist, dass sie ihre geschlechterdemokratischen Vorgaben
nicht kraftvoll durchsetzt. Schlimmer noch: Mit ihrer neoliberalen Politik entzieht
die EU erkämpften Gleichstellungsrechten den Boden.
Der Neoliberalismus spaltet die Gesellschaft tief, er spaltet auch Frauen in
wenige Gewinnerinnen und viele Verliererinnen. Die erdrückende Mehrheit
von Frauen muss sich immer noch oder schon wieder entscheiden zwischen Kindern
und Beruf. Viele von ihnen bilden die Kerngruppe im „Prekariat“,
jener dauerhaften Schicht von Armen und Ausgegrenzten, sie sind ganz unten im
EU-Europa, sie sind ihr Bodensatz.
Politisch-ideologisch formiert sich in EU-Europa eine konservative bis extreme
Rechte gegen Frauenrechte. Die Protagonisten sind Herren, manchmal sekundiert
von Frauen, aus den Medien, Richter, Historiker, die nicht nur fürchten
müssen, dass ihresgleichen die brave Hausfrau abhanden kommt, sondern sie
müssen ernst zu nehmende weibliche Konkurrenz im Beruf fürchten.
Das konservativ-rechte Roll-Back trifft uns in allen Ländern der EU, unterschiedlich
nur in der Form und in den konkreten Kontroversen. Einige Beispiele: In Deutschland
formiert sich die nationalkonservative Rechte, in Italien macht der Vatikan
mobil, in Frankreich formiert sich eine klerikale Ultrarechte, Polen wird erdrückt
von einer Welle gegen Homosexualität und den Schwangerschaftsabbruch.
Das 50. Jahr ihres Bestehens hat die EU zum Jahr der Chancengleichheit
erklärt. Werden wir rückblickend einmal das Jahr 2007 als Wendepunkt
der europäischen Gleichstellungspolitik bezeichnen? Werden wir feststellen
müssen, dass es der Beginn eines gleichstellungspolitischen Roll Back eingeleitet
hat? Die Gefahr besteht.
Aufhalten können wir die Rolle rückwärts nur durch unsere Vereinigung
und unsere Aktion. Frauen und immer mehr Männer wollen nicht zurück
zu dumpfem Männlichkeitswahn und engen Rollenkorsetts. Wir wollen nicht
nur gleiche Rechte und Chancen für Frauen und Männer, Mädchen
und Jungen, sondern qualitativ mehr und andere Rechte. Dafür kämpfen
wir Frauen und Männer der Europäischen Linken gemeinsam am 8. März
2007.
Christiane Reymann
Mitglied im Parteivorstand der EL