KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Marktlücke Mutter

Frank Schirrmacher, FAZ-Herausgeber, hat vor einiger Zeit eine Diskussion losgetreten, die böse Ahnungen ins bundesdeutsche Volk streute: Es sei nur mehr eine Frage der Zeit, wann der gesellschaftliche Zusammenbruch aufgrund des Geburtenrückgangs kommt.

Von Bärbel Danneberg-Mende

Keine Kinder, keine Zukunft – Frank Schirrmacher hat mit seinen Büchern "Das Methusalem-Komplott" und dem jüngst erschienenen "Minimum" seinen intellektuellen Fingen auf eine Volkswunde gelegt, die jetzt auch von der deutschen Koalitionsregierung aufgegriffen wurde: zu viele Alte, zu wenig Kinder. Die CDU-SPD-Regierung hat nun, um der Überalterung der Gesellschaft und der Gebärmüdigkeit zu begegnen, eine "gesetzliche Anreizsituation" für künftigen Kindersegen geschaffen – ein "Elterngeld" in Höhe von 67 Prozent des letzten Nettogehaltes des zu Hause bleibenden Partners, mindestens 300 und maximal 1.800 Euro monatlich. Voraussetzung ist, dass zwei von 14 Monaten Karenz auch vom weiterhin berufstätigen Partner (meist der Vater) konsumiert werden. Finanziert werden soll das ganze über eine sog. "Reichensteuer".

Vor der jüngsten "Elterngeld"-Einigung waren auch schon mal andere Vorschläge zu hören: Strafsteuer für Kinderlose oder Pensionskürzungen bei Kinderlosigkeit von bis zu 50 Prozent, wie es CDU/CSU-Abgeordnete forderten. Oder Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, wie es die erstarkende Front radikaler Abtreibungsgegner verlangt. Oder Pflichtdienst nach der Menopause.

Oder das künstliche Gebiss, die künstliche Hüfte müssen künftig selbst bezahlt werden, wenn Überalterung und Kinderlosigkeit das Pensions- und Gesundheitssystem kollabieren lassen.

Auch in Österreich wurde mit dem VP-BZÖ-Kinderbetreuungsgeld oder Haiders Mütterpension für Mehrkindergeburten die Ideologiemaschinerie angeworfen. Über Egoismus und Hedonismus wurde geklagt, in Erinnerung ist der Appell von Unterrichtsministerin Gehrer an die Jugend, statt an Partys doch lieber an Kinder zu denken. Die FPÖ sieht in einem geforderten Geburten- und Heiratsgeld für "inländische Wiener" das "Heil für die Zukunft heraufdämmern", "integrationsunwillige Ausländer" sollten hingegen abgeschoben werden.

Eines steht fest: Die Panik vor dem Aussterben scheint ungeahnte Lösungsvorschläge mit links- bis rechtslastigem ideologischen Gehalt zu provozieren. Und wieder einmal ist politischer Eingriff ins Gebärverhalten angesagt bzw. werden die staatlichen Fangnetze für Mutterschaftsanreize ausgelegt.

Lassen wir die Unlogik einmal dahingestellt, dass es angesichts wachsender Weltbevölkerung und dem täglichen Hungertod unzähliger Kinder wirklich zu wenig Kinder auf dieser Erde geben soll – hier geht es wohl eher um das angstmachende Aussterben der abendländischen Kulturgemeinschaft und um die gefürchtete Bedrohung durch Vermischung mit anderen Völkern. Bei den Demografie-Diskussionen wird nicht mit Schuldzuweisungen an den weiblichen Bevölkerungsteil gespart und Kinder gegen Karriere ausgespielt. Wenig berücksichtigt wird, weshalb es denn heute für viele Frauen so unmöglich scheint, Nachwuchs in die Welt zu setzen.

Gerade die Parteien, die jetzt über den Geburtenrückgang klagen, haben alles dazu getan, dass ein Leben mit Kindern mit Hürden und Nachteilen verbunden ist. Viele, vor allem Alleinerzieherinnen, sind dadurch in die Armut entlassen. Wer seinem Kind heute eine gesicherte Existenz bieten möchte, muss selbst eine haben. Und was haben wir stattdessen? – Zu wenige abgesicherte Erwerbsarbeitsplätze, dafür prekäre, schlecht bezahlte Jobs, die eine familiäre Abwesenheit rund um die Uhr oft auch an den Wochenenden einfordern und die eine partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungs- und Haushaltsarbeit verunmöglichen. Keine oder unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten einerseits - aber andererseits die moralische Drohgebärde, du sollst dein Kind umfassend fördern. Vielen Müttern hängt die Zunge heraus vor lauter Zusatzangeboten in der Freizeit und Nachhilfeorganisieren, die sie kaum bezahlen können. Beruflicher Aufstieg? Mit Kind kaum möglich, auch wenn uns Uschi Fellner regelmäßig diverse Fernseh- oder Politdamen mit ihrem Kindersegen vorführt. Dass die in einer andere gesellschaftlichen Liga Mutter spielen und sich finanziell eine gute Kinderbetreuung organisieren können, ist eine andere Sache.

Doch Armut und finanzielle Not allein sind keine hinreichende Erklärung für Kinderlosigkeit. Ein ganzes Ensemble an gesellschaftlichen Verhältnissen verunmöglicht vielen die Entscheidung zum Kind: Sich für ein Kind zu entschließen, ist letztlich auch ein Lebensgefühl. Und das ist im neoliberalen Alltag ziemlich angekratzt. Es ist heute nicht chic, mit Kindern zu leben, denn die drücken den Lebensstandard. Die erstrebenswerten Freiheiten heute heißen Konsum, Mobilität, Genuss, Lifestyle, Wellness - und da stören Kinder nur.

Es ist die Angst vor Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, das Unbehagen, die geweckten Bedürfnisse nicht unmittelbar befriedigen zu können – die Marktlücke Mutter muss erst wieder ideologisch neu belebt werden, denn Kinder sind ein Wettbewerbsnachteil in einer Konkurrenzgesellschaft, in der Geiz geil ist.

Wie Umfragen zeigen, blicken die meisten Menschen in unseren Breiten angst- und sorgenvoll in ihre Zukunft. Die Angstmache ist neoliberales Programm: Das Durchlöchern erworbener Sozialrechte, die Abschaffung solidarischer Sicherungssysteme und das Damoklesschwert eines zusammenbrechenden Pensionssystems lassen sich durch private Vorsorge nicht auffangen, für die immer mehr Menschen immer weniger Geld haben. Die Angst vor der Zukunft macht kindermüde. Fehlende Solidarität und mangelnde soziale Anteilnahme wird kompensiert durch ein propagiertes Wir-Gefühl einer bedrohten Volksgemeinschaft. In Katastrophenfällen sehen wir Politiker beim Hochwassereinsatz, Soldaten beim Deicheflicken, Grenzschützer beim Flüchtlingsvertreiben ...

Die Abwehr von "Überfremdung" und die Anrufung weiblicher Uraufgaben sind zwei Seiten einer Medaille. Die biologische Programmierung von Mutterschaft wird wieder hochgehalten, womit wir wieder beim eingangs erwähnten Herrn Schirrmacher wären. Der bemüht die Familie als Überlebensfabrik. Sein gern zitiertes Beispiel lautet: Die Schicksalsgemeinschaft eines amerikanischen Siedlertrecks hat 1846 auf dem verschneiten Donner-Pass nur im großen Familienverband überleben können, während allein reisende starke Männer die Strapazen nicht überlebten. Schirrmacher interpretiert dies als ein biologisches Gesetz: Familien erzeugen jene "moralischen Ökonomie", die das Überleben der Gesellschaft ermöglichen. Überlebensnetzwerke zu knüpfen, sind weibliche Eigenschaften. Frauen seien "Beziehungsarbeiterinnen", wie im Tierreich würde sich soziale Intelligenz von den Müttern auf die Töchter übertragen – "die Natur setzt aufs ewig Weibliche".

In einer Welt, die bereits ihre Zukunft verloren zu haben glaubt, klingen derartige Botschaften wie Schalmaienklänge. "Familienstrukturen sind aber auch Urgewalten an Solidarität", meint Schirrmacher. "Familien sind ja die verlässlichsten Sozialisationsmaschinen." Hier würde das Bewusstsein geschärft, "etwas für andere zu tun, ohne dafür bezahlt zu werden". Und darum geht es ja wohl letztendlich auch bei derartigen Botschaften: Um das Ehrenamt Mutterschaft zum gesellschaftlichen Nulltarif.

Der Moralknüppel wird an der Entscheidung, kinderlos zu bleiben, nichts ändern, meint hingegen Elfriede Hammerl in einem "profil"-Kommentar (3.4.2006), solange sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht ändern. "Den Forbestand des sozialen Netzes sichern nicht viele Nachkommen, sondern das gemeinsam Erwirtschaftete und wie es verteilt wird. Warum debattieren wir nicht über die Möglichkeiten des Erwirtschafteten und über Verteilungsgerechtigkeit, statt von der Wunderwirkung der Blutsbande zu fantasieren?"

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