KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Gepflegte Realitätsverweigerung

Bundeskanzler Schüssel sprach von einer "überzogenen Debatte". Seinem Empfinden nach gebe keinen "Pflegenotstand". Auch sollte illegale Pflege nicht strafrechtlich verfolgt werden - kein Wunder, hat doch Schüssels Familie auch von slowakischem Pflegepersonal profitiert.

Aktuelle Zahlen der Statistik Austria sprechen von etwa 450.000 pflege- und hilfsbedürftigen Menschen in Österreich. Eine Zahl, die bis 2050 auf das Doppelte ansteigen dürfte. Doch schon bald, in zehn Jahren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre in Pension gehen, wird es ganz einfach zu wenig Menschen geben, die Pflegetätigkeiten übernehmen können, befürchtet die Ökonomin Gudrun Biffl vom Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO. "Die Pflege stößt an die Grenze ihrer Tragfähigkeit."

Vor dieser Tatsache die Augen zu verschließen, wie es Bundeskanzler Schüssel allem Anschein nach tut, ist Realitätsverweigerung. Dem Kanzler müsste doch auffallen, dass der Pflegenotstand, von dem er nichts wissen will, zum Großteil von ehrenamtlichen, also unentlohnten Familienmitgliedern gemanagt wird: Über 80 Prozent der Pflegeleistungen werden im unsichtbaren privaten Bereich mehrheitlich von Frauen erbracht - und hier in erster Linie von Verwandten, in zweiter Linie von Hilfsdiensten und zu einem kleinen Teil eben auch von den diskutierten illegalen Pflegekräften aus den neuen benachbarten EU-Ländern.

Bislang wurde von allen Seiten vor dieser illegalen Beschäftigungsart ohne Arbeitserlaubnis die Augen zugedrückt, denn sowohl den Familien, die sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen sorgen, war damit geholfen als auch den Ländern, die sich geschätzte 300 Millionen Euro jährlich einsparten. Das Hilfswerk schätzt den Schwarzmarkt für Altenbetreuung auf 486 Millionen Euro, allerdings werden nur ca. fünf Prozent der Pflegebedürftigen in Österreich auf diese Weise betreut, was einen Aufschluss über die ökonomische Größe des "Pflegenotstands" insgesamt gibt.

Wenn Kanzler Schüssel dieses Problem als "überzogene Debatte" wertet, ist das aus seiner persönlichen Betroffenheit heraus nicht nur heuchlerisch, sondern es verbirgt sich dahinter das Kosten-Nutzen-Kalkül. Denn privat geleistete Pflege ist - wie er aus der mit zwei Euro Stundenlohn bezahlten Pflege seiner mittlerweile verstorbenen Schwiegermutter weiß - billig und gesellschaftlich unsichtbar (und erst jetzt im Wahlkampf ein Thema). Und das soll wohl auch weiterhin möglichst so bleiben. Nicht anders kann der ÖVP-Vorschlag von Arbeits- und Wirtschaftsminister Bartenstein gewertet werden, die Einkommensgrenze für legale ausländische Pflegekräfte als Schlüsselarbeitskräfte von 1.500 auf 1.200 Euro zu senken. So wird aus einem angeblich nicht vorhandenen Pflegenotstand ein Lohndumping. Ebenso Kosten sparend ist der Vorschlag von Salzburgs SPÖ-Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, Frauen analog zum Zivildienst für ein freiwilliges Sozialjahr zu ködern. Nachdem Frauen ohnehin ein Drittel weniger verdienen und den Großteil der gesellschaftlich notwendigen (Sozial-)Arbeit leisten, sollen sie nun auch noch herhalten für ein weiteres Billiglohnsegment am Arbeitsmarkt?

In wieweit eine Gesellschaft für die menschenwürdige Betreuung ihrer alten MitbürgerInnen Verantwortung übernimmt und dafür eben auch finanzielle Ressourcen bereitstellt, gibt Aufschluss über den Grad ihrer demokratischen Ausformung. Die politischen Vorschläge dieser Tage bewegen sich allesamt um die Frage der Kostenbewältigung - "doppelt so viele Pflegebedürftige, doppelt so hohe Ausgaben für das Pflegegeld, diese Rechnung wird nicht aufgehen", warnt Biffl. Ihre Vorschläge zur Problemlösung bewegen sich allerdings auch nur in ausgelatschten Rollenvorstellungen. Ein Angehöriger, in der Regel eine Frau, würde sich um einen pflegebedürftigen Verwandten kümmern, so Biffls Rechnung, dadurch sei sie zwar mitversichert, habe aber kein Einkommen und die Pflege sei auch nicht pensionsbegründend.

Aus dieser Situation könne ein Job gebastelt werden, schlägt die Ökonomin vor: Eine Angehörige kümmert sich um mehrere Pflegebedürftige in einer Region und habe dadurch ein eigenes Einkommen und eine normale Versicherung. Dieses Modell habe schon bei den Tagesmüttern funktioniert - die Pflege wird effizienter, die Kosten steigen weniger stark an.

Soll heißen: Wieder einmal sollen Frauen aus der Pflegepatsche helfen. Dass hier ein neues, schlecht bezahltes Arbeitsfeld mit geringer fachlicher Qualifikation für Frauen entsteht, das unter dem ökonomischen Druck arbeitswilliger, billiger Pflegekräfte aus den neuen EU-Ländern steht, ist absehbar. In Deutschland etwa, wo eine Pflegeversicherung eingeführt wurde, sind nach Hartz IV zur Bereinigung der Arbeitslosenstatistik zusätzliche Kräfte aus dem Bereich der Ein-Euro-Jobber rekrutiert worden - sie verdienen sie sich für begrenzte Zeit mit oder ohne Vorkenntnisse in der Altenpflege etwas Geld und kümmern sich um Skatrunden oder Bingonachmittage in den Seniorenheimen. "Still, satt, sauber", schimpft Holger Knörr vom Deutschen Berufsverband für Altenpflege, "das bezahlen die Pflegekassen. Für die psychosoziale Betreuung, die rehabilitative Pflege - als eigentlicher Kernaufgabe der Altenpflege - ist in der Pflegeversicherung keine Bezahlung vorgesehen." Dabei erfordern gerade Alterserkrankungen wie Demenz besonders geschultes Personal.

Das hieße: Mehr öffentliche Mittel für eine leistbare Pflege zu budgetieren, statt Sozialpolitik der Einsparungs- und Privatisierungslogik zu unterwerfen. Auch hier zeigt sich angesichts des Arbeitslosenproblems und fehlender Pflegefachkräfte wieder einmal: Arbeit gibt es genug, nur sollte diese auch ordentlichen Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen unterliegen und ordentlich bezahlt werden, damit nicht auf illegale Beschäftigung zurückgegriffen werden muss. Nicht zuletzt würde ein Grundeinkommen viele Frauen vor der finanziellen Zwangslage von Betreuungsentscheidungen für Angehörige bewahren.

Mehr Geld für diesen Bereich zu budgetieren hieße aber auch, nach Alternativen nicht nur in der Art der Betreuung, etwa bei mobilen Angeboten, zu suchen, sondern vor allem aufzuspüren, wie die notwendigen Mittel dafür zu sichern sind. In einem "Standard-Kommentar wird vorgerechnet, dass ein-, zweihundert Millionen Euro im Jahr für eine zusätzliche Pflegeabsicherung etwa so viel sind, wie die Erbschaftssteuer im Jahr einbringt. Ad hoc fallen einem da noch ganz andere Finanzquellen ein: Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Besteuerung von in Stiftungen geparktem Geldvermögen, Besteuerung von Spekulationsgewinnen. Eine andere Welt auch in der Altenbetreuung ist eben möglich.

Bärbel Danneberg

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