Räume verkörpern
Manchmal
komme ich mir schon vor wie meine eigene Grossmutter, die sich nicht genug darüber
aufregen konnte, wenn Frauen "halbert nackert" herumrennen. Für
sie war das schon ein Knie, das unter dem Rock hervorschaute. Für mich sind
es Ausschnitte bis zum Bauch oder die ganzen Schenkel und halberten Hintern, die
die kurzen Röcke und weit unter der Hüfte endenden Hosen frei legen.
Mich irritiert die zur Schau getragene Weiblichkeit, Frauen, die als personifizierte
Lustobjekte herumlaufen, angerichtet wie auf einem Präsentierteller zur gefälligen
Bedienung.
Ich lache gerne über die Frauen, die in engen Schuhen mit hohen Stöckeln
durch die Gegend stolpern, unfähig, einen energischen Schritt zu tun. Hämisch
betrachte ich Frauen, die der Herausforderung, die sie signalisieren sollen/wollen,
nicht gewachsen sind, wenn sie die zu kurzen Leiberln herunterziehen, mit aneinandergepressten
Schenkeln verhindern wollen, dass man ihre Unterhose sieht, und die Arme vorm
Körper verschränken, um die Brüste zu verdecken. Denn oft sind
ihnen ihre eigenen Bäuche zu groß, ihre Hüften zu breit, ihre
Schenkel zu prall.
Neidisch betrachte ich aber auch die Frauen, die selbstbewusst ihre Weiblichkeit
tragen, mit und ohne nach herrschendem Schönheitsideal perfekten Körpern,
mit und ohne Kleidung, die den weiblichen Körper betont. Ich kenne ja auch
das erhebende Gefühl, von high heels. Leider kann ich Stöckelschuhe
nur mehr ganz kurz tragen, weil mir rasch die Füsse weh tun.
Was meine Grossmutter und mich unterscheidet, sind - so nehme ich an - die Motive
unseres Unbehagens. Während es ihr - als Kind ihrer Zeit - um die Aufrechterhaltung
einer für Frauen erdachten Moral ging und sie nichts dabei fand, den weiblichen
Körper durch einengende Kleidung dem herrschenden Züchtigkeitsgebot
zu unterwerfen und Zuwiderhandeln verurteilte, geht es mir um das Aufbrechen gesellschaftlicher,
durch Modediktate vermittelter Normen, die die Körpersprache von Frauen beeinflussen.
Körpersprache ist keine zur Not entbehrliche Ergänzung des verbalen
Ausdrucks, sondern eine eigene, das Präsent-Sein im Raum bestimmende Form
der Kommunikation, die noch lange vor dem ersten Wort wirkt. Bevor du sagst "Hier
bin ich", "Hau ab", "Komm her", "Ich mag dich nicht",
"Ich fühl mich nicht sicher", hat es schon der Körper gesagt,
bewusst und unbewusst, spontan oder strategisch, mit Gestik, Mimik, Gang, Haltung,
mit Kopf, Armen. Beinen, Händen und Füssen. Bevor noch ein Wort gefallen
ist, grenzen wir uns ab, laden wir ein, beziehen wir Stellung. Mit dem Körper
nehmen wir Raum ein, und mit seiner Sprache nehmen wir uns Raum. Sie verschließt
oder eröffnet Räume, sowohl den sozialen Raum, der die Position in einer
Gruppe bezeichnet, als auch den realen Raum, der den Platz, den wir uns aneignen,
bestimmt.
Natürlich bewegen wir uns immer in vorstrukturierten Räumen, mehr oder
weniger eingeengt durch die Erreichbarkeit der für das Alltagsleben notwendigen
Infrastruktur, durch Mobiliätsbeschränkungen, durch die Grösse
des zur Verfügung stehenden Platzes für Arbeiten oder Wohnen. Dieser
vorstrukturierte Raum und die Möglichkeiten seiner Aneignung sind nur durch
politische Einflussnahme zu verändern. Andere Räume sind sofort zu gestalten
- ein Sesselkreis statt Sitzreihen schafft unmittelbar bessere Bedingungen für
den Meinungsaustausch. Raumschaffung passiert aber auch durch bewusstes Plazieren
im Raum und durch die Signale, die wir aussenden. Wie für den verbalen Ausdruck
gilt auch für die Körpersprache: Man kann mit seinem Körper nicht
nicht kommunizieren.
Die meisten Menschen sind entsetzt, wenn sie sich das erste Mal in einem Video
in Aktion sehen: Wie sie unsicher um sich blickend Räume betreten und sich
in die vorletzte Reihe fluchtbereit an den Rand setzen, wie sie mit den Händen
beim Sprechen herumfuchteln, wie sie den Blick senken, wenn sie angesprochen werden.
Hunderte Seminare beschäftigen sich mit der "Macht der wortlosen Sprache".
Das Beobachten und Verbessern der Körpersprache gehört zum Repertoire
von KommunikationstrainerInnen.
Grundmuster der Körpersprache entwickeln sich sehr früh. Sie werden
durch Nachahmung erlernt, durch Belohnung und Bestrafung anerzogen und durch soziale,
kulturelle und geschlechtsspezifische Zuschreibungen ausgeprägt und überformt.
Untersuchungen haben geschlechtsspezifische Formen der Körpersprache ausgemacht:
Typisch weiblich ist, an sich herumzufummeln, eine Mine des Einverständnisses
aufsetzen, geschlossene Beine, vor dem Körper verschränkte Arme, nur
kurzer Blickkontakt, wenig raumgreifendes Gehen. Was solche Beobachtungen zeigen,
ist die Verkörperung eines geschlechtlichen Habitus, einer bestimmten Art
des Frau-Seins.
Heute ist die Bandbreite der Verhaltensnormen und der Entscheidungsspielraum für
die körperliche Repräsentation der eigenen Persönlichkeit für
Frauen größer als zu meiner Grossmutters Zeiten. Das heisst aber auch,
dass wir für das, was wir mit unserer Körpersprache ausdrücken,
selbst verantwortlich sind. Wir können unser persönliches Repertoire
einengen (lassen), uns von Normen auf bestimmte Geschlechterrollen fixieren lassen
oder unserer persönliches Repertoire erweitern.
Elisabeth Holzinger