Von: Josef Stingl (2.11.2015)
70 Jahre ÖGB, 70 Jahre 2. Republik, 70 Jahre Ende des 2. Weltkrieges, 60 Jahre Staatsvertrag: All diese Ereignisse wurden gebührend gefeiert. Heuer jährte sich auch die größte Streikbewegung der 2. Republik zum 65. Mal.
500.000 Arbeiterinnen und Arbeiter streikten 1950 gegen den vom ÖGB und
AK akzeptierten 4. Lohn-Preis-Pakt der Regierung. Er sah die drastische
Erhöhung für Grundnahrungsmittel, Strom und öffentlichen Verkehr vor, der
eine nur weit geringere Erhöhung der Löhne entgegenstand.
Dieser Meilenstein wurde heuer nicht gefeiert, ja sogar medial weitgehend
totgeschwiegen. Ebenso, dass die 1950er-Streikbewegung der Scheidepunkt
„kämpferische Organisation oder staatstragender, sozialpartnerschaftlicher
Verhandlungsverein“ des jungen ÖGB war: Der ÖGB-Historiker Fritz Klenner
meinte 30 Jahre später, dass ein Gelingen des Generalstreikversuches eine
radikal ausgerichtete Gewerkschaftspolitik zur Folge gehabt hätte.
Zumindest die kommunistischen Gewerkschafter*innen entschieden sich für die
kämpferische Variante und unterstützten die Streiks.
Einen Kampf der anderen Art lieferte SPÖ-Gewerkschafter Franz Olah: Er ließ
Schlägertrupps gegen die Streikenden vorgehen. Gestraft wurde er dafür
nie – vielmehr belohnt und später zum ÖGB-Präsidenten gekürt. Dafür
wurden die kommunistischen Gewerkschafter*innen für ihre Streikunterstützung
mit Funktionsenthebungen, Ausschlüssen und fristlosen Kündigungen
abgestraft. Die Devise der Säuberungsaktion: Die Oktoberstreiks waren ein
kommunistischer Putschversuch – prominentestes Opfer, das
ÖGB-Gründungsmitglied Gottlieb Fiala.
Erst 65 Jahre später hat sich, auf Initiative des GLB, endlich der ÖGB
offiziell von der Putschlüge verabschiedet und die ausgeschlossenen Kolleginnen
und Kollegen rehabilitiert. Eine „tolle Leistung“, da gleiches die
universitäre Zeitgeschichtsforschung „erst“ vierzig Jahre vorher tat.
Und, es wäre nicht der ÖGB, wenn diese Entscheidung klar und deutlich
ausgefallen wäre: Die Ausschlüsse wurden weder für nichtig erklärt noch
zurückgenommen, sondern festgehalten, dass die ausgeschlossenen
Gewerkschaftsmitglieder nach heutigem Wissensstand nicht auszuschließen
gewesen wären.
Übrigens, der einstimmige Beschluss des ÖGB-Bundesvorstandes war der
Gewerkschaftsführung weder eine Pressemitteilung, noch einer Veröffentlichung
auf der ÖGB-Homepage wert. Aber im Archiv, da wird er zu finden sein!
Josef Stingl ist Verkaufsfahrer in Tirol, Mitglied des ÖGB-Bundesvorstandes und Bundesvorsitzender des GLB