POSITIONEN & THEMEN
Von Hans Gmundner (28.4.2008)
Der Standard sieht in dem tragischen Inzestfall in Amstetten ein grundsätzliches Versagen. Gleichzeitig wird in Frage gestellt, dass es dem Tatverdächtigen gelungen sein kann, weitschichtige Verwandte, Bekannte und BehördenvertreterInnen über Jahre hinweg zu täuschen. Die Menschheitsgeschichte lehrt jedoch, dass es tatsächlich immer wieder unfassbare, traurige Einzelschicksale gibt, die nicht auf gesellschaftliches Fehlverhalten zurückgeführt werden können.
Die Medien stürzen sich nun auf die bedauernswerten Opfer dieses ziemlich einzigartigen Scheusals in erster Linie, um den Voyeurismus des Publikums zu befriedigen und damit die Auflagenzahlen und Einschaltquoten zu steigern. Gleichzeitig wird von einer Tragödie abgelenkt, die tatsächlich die gesamte Menschheit empören sollte und gegen die rasch etwas getan werden müsste. Die Rede ist von der massiven Ausdehnung der notorischen Hungerkatastrophe in den Entwicklungsländern, die durch die exorbitante Steigerungen der Lebensmittelpreise ausgelöst wurde.
Über die Ursache der Preissteigerungen wird von den ansonsten meist allwissenden KommentatorInnen der Weltpresse ziemlich amateurhaft herumgerätselt. Das ist insofern kein Wunder, als bei der Erhellung des Hintergrunds das herrschende Finanzsystem an den Pranger gestellt werden muss. Ausschlaggebend für die Teuerung sind weniger Missernten oder die Agrarsprit-Produktion, sondern der Wechsel des Anlage suchenden Kapitals von der Immobilien-Spekulation zu Warentermin-Geschäften.
Die Gier, mit vorübergehend auf der hohen Kante liegendem Geld der Konzerne, zusätzliche Profite zu machen, hat die Brot- und Reispreise in die Höhe getrieben. Es sind die spekulativen Tendenzen der Finanzmärkte, denen rasch Einhalt geboten werden sollte. Ob daneben über traurige Einzelschicksale Krokodilstränen vergossen werden, ist hingegen Geschmacksache.