KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Alles bleibt besser

Von Reinhart Sellner (19.11.2013)

Ein LehrerInnendienstrecht taugt weder als Ersatz für versäumte Bildungs- und Verwaltungsreformen noch zum Vehikel für partei- und standespolitische Besitzstandwahrung.

Den weiterhin unveränderten Ist-Stand des österreichischen Schulsystems beschreiben die Schlagzeilen der letzten Monate: PISA – hohe Kosten und mittelmäßiger Output – Herkunft bestimmt Bildung – Sparpolitik, neues Dienstrecht und Arbeitszeiterhöhung – ÖVP gegen Gesamtschule und EinheitslehrerInnen – Pröll und Faymann für Dienstrecht ohne Gewerkschaft – Spindelegger gegen Zwangstagsschule und für’s Bewahren des Gymnasiums (AHS-Langform) – JunglehrerInnen und StudentInnen demonstrieren vor dem BMUKK gegen Dienstrechtsentwurf – AK für Schmied-Entwurf und gegen Neugebauer – NEOs mit Flügeln, Grüne mit Schafen für Bildungsreform, SPÖ wie immer, KPÖ gegen soziale Ausleseschule1) … ÖVP und FPÖ für das differenzierte Schulsystem, Kurz und Gudenus …

Soziale Selektion

Eine in der Monarchie etablierte ständische Schulorganisation, neudeutsch: ein »differenziertes Schulsystem«, bedeutet soziale Selektion und Diskriminierung, Auseinanderdi­vidieren von neunjährigen Kindern in AHS und den Rest, die Neue Mittelschule=Hau­ptschule ist keine Gesamtschule, statt Ganztagsschulen für alle boomen private Nachhilfe und private Bildungsangebote am Nachmittag für die, die sich’s leisten können. 25 Prozent der Jugendlichen können nicht sinnerfassend lesen, darunter sind viele ohne Pflichtschulab­schluss und ohne Chance auf eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz. Bis auf weiteres bleibt es bei der Zweiklassenschule und den dazugehörigen zwei Klassen von LehrerInnen, die einen mit und die anderen ohne Universitätsau­sbildung; rund 40.000 Bundes­lehrerInnen an AHS und BMHS stehen unter parteipolitisch besetzten Bundes-Schulleitungen und 80.000 Pflichtschul- und Berufsschulleh­rerInnen unter der Fuchtel der Landeshauptleute und der Landesparteipo­litik.

Die SPÖ hat sich immer auf Otto Glöckels Schulreformen im »roten Wien« der 20er-Jahre berufen, hat Alfred Dallingers »Bildungspolitik ist Sozialpolitik« zitiert und den politischen Kampf für eine gemeinsame ganztägige Pflichtschule bis heute nicht geführt. In der nostalgisch verklärten Kreisky-Ära hat die SPÖ lieber »Mehr Arbeiterkinder an die AHS« propagiert, war auf »wortidente Lehrpläne« an Hauptschule und AHS-Unterstufe stolz und hat zur Beruhigung der Kinderfreunde folgenlose »integrierte« Gesamtschulversuche an Hauptschulen veranstaltet. Alles aus Rücksicht auf die ÖVP und weil die SPÖ zwar »Bildung« auf Wahlplakate schreiben lässt, aber keine Bildungs-Bewegung ist. Die Neue Mittelschule von 2012 als neueste neue Hauptschule hat also Tradition.

LehrerInnen-Dienstrecht als Wahlkampfmittel der Regierungsparteien

Auch die neue PädagogInnenbildung von 2012 schaut recht alt aus, weil sie am Nebeneinander der Ausbildung an Pädagogischen Hochschulen für Volks-, Haupt- und Berufsschule (APS) und Universitäten für AHS, in der ÖVP-Diktion »Gymnasium«, und BMHS festhält. Und der als Wahlkampfkarte von Pröll und Faymann ausgespielte Dienstrechtsen­twurf, mit dem großkoalitionäre Regierungsstärke demonstriert werden sollte, ist ein arbeitnehmerIn­nenfeindliches Sparpaket, das von betroffenen Studierenden, Jung- und Alt-LehrerInnen und auch vom ÖGB zurückgewiesen wird2) und das die fünf (5) LehrerInnenge­werkschaften der GÖD aus guten gewerkschaftlichen Gründen ablehnen. Die von der ÖVP und der GÖD-Spitze gegen jede Veränderung verteidigte sozial selektive Schulorganisation und die Landeshauptman­nsherrlichkeit werden zwar nicht angetastet, aber das rechtfertigt keine Zustimmung zu Arbeitszeiterhöhung und Gehaltsverlusten, schon gar nicht ein Jahr vor den Personalvertre­tungswahlen 2014. Gegen das SPÖ-ÖVP-Sparpaket sind alle GÖD-Fraktionen. Für ein arbeitnehmerIn­nenfreundliches gemeinsames Dienstrecht aller LehrerInnen als notwendiger Teil einer sozialen und demokratischen Schulreform aktiv sind allerdings nur die Unabhängigen GewerkschafterInnen in der GÖD3) und die Unabhängige Bildungsgewer­kschaft in Vorarlberg4).

Die neoliberale Budget- und Steuerpolitik und der von Sozialabbaumaßnah­men begleitete Einsparungs- und Privatisierungskurs im öffentlichen Dienst hat die strukturelle Ungleichheit im Bildungsbereich verschärft: Stundenkürzungen für SchülerInnen, Arbeitsverdichtung »all inclusive« und »Reformen, die nichts kosten« haben die Unterrichts- und Lernbedingungen für LehrerInnen und SchülerInnen verschärft, die Nachhilfe-Industrie boomt, die immer noch vorhandene Freude an der Schul-Arbeit wird von Burn-out und abgebrochenen Schul- und Bildungskarrieren überlagert. Die Folge von Bildungssackgassen: arbeitslose Jugendliche ohne Perspektive.

Während ÖGB und AK vermögensbezogene Steuern zur Finanzierung von Sozial- und Bildungswesen fordern und die SPÖ daraus wenigstens ein Wahlversprechen macht, lehnt die FCG-dominierte GÖD im Schulterschluss mit der ÖVP, Wirtschaftskammern und Industriellen­vereinigung vermögensbezogene Steuern ab. Dass ohne diese Steuern Personalabbau, Aufnahmestopp, Arbeitsverdichtung, Flexibilisierung, Arbeitszeiter­höhungen, prekäre Arbeitsverhältnisse und Ausgliederungen fortgesetzt werden, ist den FCG-Vorsitzenden in der GÖD anscheinend egal – Parteipolitik statt ArbeitnehmerIn­nenpolitik.

Wer wenn nicht wir?

Die Welt wie sie ist resignierend oder wütend beschreiben war nie genug. Widerspruch und Widerstand waren und sind angesagt: gemeinsames Nachdenken und Protestieren von ArbeitnehmerInnen und Arbeitslosen, von Jungen und Alten, Protest gegen herrschendes Unrecht, Eintreten für demokratische Veränderungen, die über die unmittelbare Betroffenheit von der individuellen Schul-Erfahrung hinausreichen, die ganze Gesellschaft verändern, ganz im Sinn von Rosa Luxemburg: »Die Revolution ist großartig, alles andere ist Quark«.

Im Hier und Jetzt das Eingreifen, das beharrliche Einmischen versuchen, Schritte in die Richtung einer solidarischen Gesellschaft sind notwendig, auch und weil keine Revolution angesagt ist, weil theoretisches Besserwissen und praktische Resignation keine Alternative für uns Betroffene sind. Die andere, bessere Welt ist möglich. LehrerInnen, die den Kampf für eine bessere Welt, eine bessere Schule, ein besseres Dienstrecht aufgeben, haben den Kampf gegen ihre SchülerInnen schon aufgenommen.

Die vom Begutachtungsen­twurf zum LehrerInnendi­enstrecht ausgelösten Proteste von engagierten Jung- und AltlehrerInnen haben mit der rituellen Schulreformver­weigerung schwarzer GÖD-Funktionäre nichts zu tun. Sie sind ein Symptom der Bildungskrise, das auf die jahrzehntelang von der SPÖ verdrängte und von ÖVP und schwarzen Gewerkschaftern verschleppte Schulreformen hinweist. Ein neues kostensenkendes Dienstrecht für die alte Zweiklassenschule hilft den künftigen LehrerInnen nicht und ebenso wenig ihren SchülerInnen und den Eltern. Grundlegende.

Veränderungen im System sind notwendig:

  • Schulverwaltun­gsreform mit einer Bundeskompetenz für den gesamten Schulbereich und der Umsetzungskompetenz (eigenverantwor­tliche Unterrichts- und Schulgestaltung, Personaleinsatz, Schulbudgets für den Sachaufwand) für autonome Schulen mit demokratisch gewählten Schulleitungen, Personalvertre­terInnen-Betriebsräte an jeder Schule.
  • Sozial-integrative, individuell fördernde Schulorganisa­tionsreform, eine gemeinsame ganztägige Schule der Primarstufe und Sekundarstufe I, Pflichtschulab­schluss für alle als Grundlage für Berufs- und Bildungsweg der Sekundarstufe II (neue gymnasiale Oberstufe, BMHS, BS).
  • Ende des Aufnahmestopps im öffentlichen Dienst, Arbeitsplätze für fehlende SonderpädagogInnen, Sozialarbeite­rInnen, PsychologInnen, Verwaltungsper­sonal.
  • Bereitstellen der erforderlichen Bildungs-Budgetmittel für Schule und Schulreformen, für PädagogInnenbil­dung, -weiterbildung und Dienstrecht NEU.
  • Sicherung und Ausbau des öffentlichen Sozial-,Gesundheits- und Bildungswesens durch soziale Steuerpolitik und Umverteilung gesellschaftlich geschaffenen Reichtums.

Ein LehrerInnendi­enstrecht taugt weder als Ersatz für versäumte Bildungs- und Verwaltungsreformen noch zum Vehikel für partei- und standespolitische Besitzstandwahrung. Es geht um die Zukunft aller in Österreich heranwachsenden Kinder. Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht, kein Kind darf zurückgelassen, keines darf beschämt werden. Bildung kostet. Österreich ist ein reiches Land und Teil einer neoliberal ausgerichteten EU, in der Gegenentwürfe zu dem angesagt sind, was die Troika Griechenland und anderen marktwirtschaftlich ruinierten Ländern aufherrscht. Dazu und als offenes Ende dieses Volksstimme-Beitrags eine APA-Meldung über die Proteste griechischer LehrerInnen gegen das bereits weit fortgeschrittene Zugrunderichten von Schule und Gesellschaft:

6.000 Lehrernnen demonstrierten

Insgesamt versammelten sich am Dienstag nach Polizeiangaben rund 6.000 Lehrer und Mitglieder der Bewegung Pame, die den Kommunisten nahesteht. Lehrergewerkschaf­ten geißelten die Pläne der Regierung als »gewaltigen Schlag« gegen den Gymnasialunterricht in Griechenland, zumal die verbleibenden Lehrer durch Versetzungen ihrer Kollegen zwei zusätzliche Arbeitsstunden pro Woche leisten müssten.

Wenige Stunden zuvor hatte die Universität von Athen verkündet, ihren Betrieb für eine Woche einzustellen, da ihr Personal ebenfalls von Zwangsversetzungen betroffen sei. Nach eigenen Angaben stellt die Hochschule schon jetzt Verwaltungspersonal an 66 Krankenhäusern ab – eine Personalhilfe, die einem jährlichen Gegenwert von 30 Millionen Euro entspricht, wie Universitätsdi­rektor Theodosis Pelegrinis betonte.

Griechenlands Regierung hatte sich im Zuge der Verhandlungen mit ihren internationalen Gläubigern verpflichtet, bis Ende September 12.500 Angestellte im öffentlichen Dienst in eine sogenannte Mobilitätsreserve und damit nötigenfalls in andere Positionen zu versetzen. Ende Juli wurden bereits 4.000 Staatsbe­dienstete aus ihren bisherigen in neue Stellen versetzt, darunter größtenteils Lehrer.

(APA, 11. 09. 2013)

Reinhart Sellner, Jg. 1947, Lehrer & Liedermacher, ist Vertreter der Unabhängigen Gewerkschafterinnen in ARGE Lehrerinnen und Bundeskonferenz (Zentralvorstand) der GÖD.

1) Nachlese: Mirko Messner im KURIER-Chat: Robert B. fragt: Wie würde eine Bildungsreform der KPÖ aussehen? Messner: Einheitliches Dienst- und Besoldungsrecht / Eine für alle Schulbereiche zuständige Bundes-Personalstelle / Ausbau der Schulautonomie und -demokratie / Weg von der obrigkeitssta­atlichen Weisungshierachie / Schluss mit der sozialen Auslese (»Herkunft bestimmt Zukunft«), Gesamt- und Ganztagsschule mit individueller Förderung aller Kinder und Jugendlichen / Schluss mit neoliberaler Bildungs-Budgetpolitik / Ausreichendes Studiengeld für ALLE Studierenden …

2) Dienstrechts-Novelle 2013 – Pädagogischer Dienst: über 15.000 Stellun­gnahmen, u.a.: 09.09.2013 – Stellungnahme (16/SN-542/ME) von Österreichische LehrerInnenini­tiative-Unabhängige GewerkschafterInnen in der GÖD und im ÖGB (ÖLI-UG), 25.09.2013 – Stellungnahme (1306/SN-542/ME) von Österreichischer Gewerkschaftsbund 25.09.2013 – Stellungnahme (1435/SN-542/ME) von Österreichische HochschülerIn­nenschaft

3) ÖLI-UG: Die Österreichische Lehrer/innen Initiative – Unabhängige Gewerkschafter/in­nen für mehr Demokratie

4) Unabhängige Bildungsgewer­kschaft

Abdruck aus Volksstimme November 2013

orf-online: Regierung ebnet Weg für neues Dienstrecht orf-online: Dienstrecht passierte Ministerrat