KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Widersprüchliches und radikales Menschenbild

(27.2.2008)

Anläßlich des 60.Geburtstags Alfred Hrdlickas würdigte Ernst Wimmer namens der KPÖ im Rahmen einer kleinen Feier den großen Künstler.

Lieber Alfred, lieber Genosse Hrdlicka!

Du verstehst, diese zweite feierliche Anrede ist kein Versuch, Dich zu reklamieren, mit Dir zu renommieren. Ihr Sinn ist es einfach, eine umfassendere Gemeinschaft zu konstatieren: eine, die, sich daraus ergibt, dass man Vergleichbares schätzt und liebt oder verabscheut und verachtet, dass man von vergleichbaren Wünschen und Hoffnungen beflügelt wird, vor allem aber daraus, dass man sich den großen Auseinanderset­zungen der Zeit stellt und dabei auf der gleichen Seite findet. Eine solche Gemeinschaft war unentbehrlich, um dem Faschismus zu widerstehen. Und jede künftige nennenswerte Verbesserung der Gesellschaft kann nur Ergebnis solcher, über Parteigrenzen hinausreichender, Gemeinschaften sein …

In der langen Vorgeschichte und der kurzen Geschichte unserer Nation hat es nicht wenige Grössen der Kultur gegeben. Aber nur wenige haben es – meist auch vor allem aus historischen Gründen – zur so ungemein wichtigen Grösse in Zivilcourage gebracht, in der Bürgertugend, die freilich mit dem Bürgertum von heute nichts mehr zu tun hat. So manche steile Karriere ist, schaut man auf sie zurück, gesäumt von Charakter- und Gesinnungsbes­tandteilen, die unterwegs als hinderlich für ein Arrivieren zurückgelassen wurden oder die man sich ohne Protest amputieren liess. An Dir schätzen wir nicht zuletzt, dass Du ein ganz anderes Beispiel gibst, dass Du einen immer wieder nötigen, bei Dir kaum noch anfechtbaren Gegenbeweis lieferst zur Behauptung der Gesinnungslosig­keit, dass gute Kunst sich nicht mit Gesinnung vertrage.

In Deinem Werk sehen wir einen Beweis dafür, dass Gesinnung der Kunst umso mehr helfen kann, je besser sie und der Künstler ist. Du hast Dich nie jemanden zu Gefallen klein, bequem oder anders gemacht, als Du bist. Du hast nie eine grundsätzlich erforderliche Auseinandersetzung gescheut. Du hast sie gesucht und Dich trotz mächtiger und nicht selten infamer Gegner durchgesetzt. Du hast mit Deiner proletarischen Herkunft als Sohn eines linken, schliesslich kommunistischen Gewerkschafters nie geprahlt, nie kokettiert und Dich schon gar nicht ihrer geschämt. Entnommen hast Du daraus manches von dem, was das Beste dieser Klasse ausmacht: Kritischen Verstand gegenüber dem Bestehenden, Dynamik, Selbstbewusstsein, Unehrbietigkeit gegenüber Obrigkeiten, Aufsässigkeit, wo Untertanen gewünscht werden, und jene Besessenheit, die ein Name für besondere Folgerichtigkeit ist, den ihr Schwankende, Schwache verleihen. Manche finden Deinen Freimut rücksichtslos. Aber ist das nicht in einer Welt von Verlogenheit, der Rücksichtnahme auf Verkommenheit, auch ein herzerfrischen­der Zug?

Lieber Alfred, ich möchte es Dir nicht antun, anlässlich Deines Geburtstages Deine Persönlichkeit und Dein Werk marxistisch zu deuten. Natürlich drängt sich da manches auf: Dein Hass für die Abstraktion, für die Flucht ins Unverbindliche, in Beliebigkeit, in ein geeordnetes Weltbild ohne Menschenbild und ohne menschenwürdige Ordnung. Deine leidenschaftliche Verteidigung der Sinnlichkeit, der Körperlichkeit, Deine Insistenz auf unsere materielle Seite enthält nicht wenig von einem vitalen Materialismus.

Doch eines möchte ich hervorheben, weil dies, wie mir scheint, zu wenig beachtet wird: Deine Liebe zur Dialektik, Dein Bekenntnis, dass sie das ist, was Du an Männern am meisten schätzt, obgleich ich sicher bin, dass bei Dir Frauen davon nicht ausgeschlossen sind, auch wenn Du dort die Prioritäten etwas anders setzen magst. Die tiefsten Widersprüche zu erkennen, sie packend zu gestalten, erlebbar, handhabbar zu machen, das gehört zu den grössten realistischen Künstlern. Diese Widersprüche zu erkennen, sie den Massen bewusst und überprüfbar zu machen, sie organisiert, strategisch koordiniert auszutragen, das bestimmt über Rang und Folgen von Politikern.

Dein Menschenbild ist widerspruchsvoll und wegen seiner Radikalität, seiner manchmal drastisch-dramatischen Brüche ein ständiger Vorwurf an jene, die es mit irgendeiner Art von Einseitigkeit oder Idylle halten. Das ist bei Dir das Kolossale, das Grossartige ebenso wie das Zwerghafte, das Pygmäische, die Möglichkeit der Universalität, der militanten Humanität, der ungebrochenen Ansprüche, der Unverwüstlichkeit, neben Versehrtheit, Gebrochenheit und Perversität.

Viele Generationen von Bourgeois haben sich mit vielen Generationen von Künstlern mehr oder weniger leicht abgefunden, die es bloss darauf angelegt hatten, den Bourgeois zu schockieren. Die Reaktionäre von heute können Dir am wenigsten verzeihen, dass Du auf immer neue Arten vorrechnest, auf welche Leiden, Gewalt, Terror, Erniedrigungen schon ihre Alltäglichkeit, ihr verlogener Pluralismus, ihr Markt und ihre innerlich längst zerfallene Biedermeierlichkeit hin angelegt sind.

Nichts hätten sie an Deiner Betonung der Sexualität auszusetzen, wäre sie marktkonforme Pornographie. Anstoss nehmen sie daran, dass noch in Deiner Darstellung privatester Beziehungen irgenwie zu ahnen ist, was Widersinn in allgemein-menschlichen Beziehungen verzerren, verderben, pervertieren kann. Eine Kunst, die Geschundene zu einem bevorzugten Gegenstand macht, könnte da oder dort Herrschenden gefallen. Aber nicht, wenn sie Indizien dafür enthält, wo die Schinder zu finden sind. Nicht einmal mit Deinen sogenannten positiven Eigenschaften kannst Du diesen Leuten gefallen: etwa mit Deiner Vehemenz beim Geltendmachen der Genussfähigkit des Menschen.

Lieber Alfred, in seinem Vorwort zum „Kapital“ hat Marx die Dialektik als das grösste Greuel für den Bürger, den Spiesser charakterisiert. Wir müssen heute ergänzen: ausnahmslos aller Schattierungen, Färbungen und Nuancen, einschliesslich der Romantiker. Sie kennt nichts Endgültiges, sie verlangt Zweifel. Wer kennt den besser als Du im Verhältnis zum eigenen Werk: bis zu dem Punkt, wo man mühselig, ohne Gehilfen aus dem Stein gehauene Arbeit durch Zerstörung verwirft. Weil Bildhauerei es nicht wie die Graphik erlaubt, vrschiedene Varianten zum Vergleich zu erhalten. Fruchtbarkeit des Zweifels, Biss und Witz, sie ergeben sich aus dem Wissen um Widersprüche, um verschiedene Möglichkeiten und dem Mut zu ihnen. Unbeirrbarkeit, die Dich auszeichnet, besteht nicht im Fehlen von Zweifeln, sondern in der Gewissheit, im letztlich Entscheidenden nicht zu irren.

Wenig charakterisiert Dich so gut wie Dein Bedauern, dass Du kein Herkules bist. Auch wir als Partei empfinden es schmerzlich, keine herkulischen Kräfte und Dimensionen zu besitzen, zumal wir von vergleichbaren Motiven beflügelt sind: vom Wunsch, es Herkules gleichzumachen, von Plagen, vom Mist aller Art, auch von bedrückenden und betrügenden Herrschenden zu befreien, das Leben lebenswerter zu

machen, im Materiellen, im Sinnlichen wie im Ideellen. Als Geistesverwandte wünschen wir Dir aus vollem Herzen Gesundheit, Erfolg und Schaffenskraft für Deine starke Linke – sowie Stärke der Linken im allgemein.

Aktuelles:


KPÖ Oberösterreich: Jetzt Unterstützungserklärung unterschreiben!
(14.7.2021)

...mehr


Die Europäische Linke fordert einmal mehr das Ende der Blockade gegen Kuba
(13.7.2021)

...mehr


Die neue Juli Volksstimme 2021 ist da!
(13.7.2021)

...mehr


KPÖ Graz: Unsere Kandidatinnen und Kandidaten für Graz
(10.7.2021)

...mehr


38. Parteitag der KPÖ: In der ältesten Partei Österreichs übernehmen Junge das Ruder
(21.6.2021)

...mehr

Volksstimme - Politik & Kultur - Zwischenrufe links