KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Franz Koritschoner (1892-1941)

Von Manfred Mugrauer (16.6.2014)

Zentralfigur der linksradikalen Bewegung zur Zeit des Ersten Weltkriegs – kommunistischer Parteiführer – Opfer des Stalin-Terrors

„Der eigentliche Gründungstag der kommunistischen Bewegung ist der 5. August 1914, der Tag der ,Deutschen Nation‘. Als das sozialdemokratische Führertum das Joch des imperialistischen Krieges auf sich nahm, ging eine kleine Gruppe revolutionärerer Vertrauensmänner in Opposition. Während die legalen Linken daran glaubten, die sozialdemokratische Partei reformieren zu können, organisierte sich allmählich die illegale Gruppe der Linksradikalen, welche die Parole Lenins: ,Spaltung von den Sozialimperialisten und Sozialpatrioten auf nationalem und internationalem Maßstabe‘ sich zu eigen machte.“ Der Mann, der 1928 – zum zehnten Jahrestag der Gründung der KPÖ – diese Zeilen in der Roten Fahne schrieb, war Franz Koritschoner, die führende Persönlichkeit im Entstehungsprozess der revolutionären Linken zur Zeit des Ersten Weltkriegs in Österreich.

Am von Koritschoner angesprochenen „Tag der Deutschen Nation“ hatte die Hurra-Stimmung der Arbeiter-Zeitung, des Zentralorgans der SDAPÖ, selbst bürgerliche Blätter übertroffen. Im gleichnamigen Leitartikel solidarisierte sich ihr Chefredakteur Friedrich Austerlitz überschwänglich mit der Politik der „Vaterlandsver­teidigung“. Koritschoner gehörte zu diesem Zeitpunkt einer Gruppe linksradikaler Jugendlicher an, die bald nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Opposition ging zur „Burgfriedenspo­litik“ der sozialdemokra­tischen Parteiführung und deren bedingungslose Unterstützung des imperialistischen Krieges bekämpfte.

„Erweckt große Hoffnungen“

Koritschoner wurde am 23. Februar 1892 in bürgerlichen Verhältnissen in Wien geboren. Nach dem Besuch der Handelsakademie war er als Bankangestellter tätig und avancierte bereits in jungen Jahren zum Direktor der Länderbank-Filiale am Johann-Nepomuk-Berger-Platz in Ottakring. Diese Stellung gab er später auf, um sich ganz seiner politischen Tätigkeit widmen zu können. In der Arbeiterbewegung war Koritschoner seit 1909 aktiv. Seit diesem Zeitpunkt war er gewerkschaftlich organisiert sowie Mitglied und Funktionär des Verbandes jugendlicher Arbeiter, der damaligen sozialdemokra­tischen Jugendorganisation. In dieser hatte das im Winter 1915/16 geheim gebildete Aktionskomitee der Linksradikalen wichtige Stützpunkte, u.a. in der Ottakringer Ortsgruppe, wo Koritschoner als Bildungsbeirat fungierte. In dieser Funktion hielt er Vorträge in den Versammlungen der Jugendlichen, „in denen er mit Vorliebe die Entwicklung und die Zukunft der Internationale, die Geschichte Russlands und der russischen Arbeiterbewegung, die österreichische Arbeiterbewegung […] behandelte“, wie in einem Polizeibericht zu lesen ist.

Das Aktionskomitee der Linksradikalen war maßgeblich inspiriert durch die im Schweizer Zimmerwald tagende Konferenz, die im September 1915 erstmals jene Kräfte der internationalen Arbeiterbewegung zusammenfasste, die in Opposition zur Kriegspolitik der sozialdemokra­tischen Parteien standen. Als die Linken in der Sozialdemokratie im März 1916 den Bildungsverein „Karl Marx“ reaktivierten, traten auch die Wiener „Linksradikalen“ – und mit ihnen Koritschoner – diesem Diskussionsklub bei, dem Friedrich Adler als Obmann vorstand. Adlers Gruppe bestand zwar aus Kriegsgegnern, diese wollten aber die Parteieinheit auf keinen Fall gefährden und enthielten sich jeder illegalen Agitation. Die „Linksradikalen“ wiederum nutzten den Verein als legales Forum, um hier die Auffassungen der „Zimmerwalder Linken“ zu propagieren. Sie verwandelten ihn aus einem „bloßen Studienzirkel einer kleinen Sekte“ in ein „Zentrum proletarischer Agitation“, wie Koritschoner später schrieb.

Ende April 1916 reiste Koritschoner als Delegierter des Aktionskomitees zur zweiten „Zimmerwalder“ Konferenz, die im Schweizer Dorf Kienthal stattfand. Er traf dort zwar verspätet ein, hatte aber eine gründliche Aussprache mit Lenin, in deren Verlauf dieser auf Koritschoner einwirkte, organisatorisch gesondert zu wirken und zur illegalen Arbeit überzugehen. Unter dem Einfluss Lenins und der revolutionären Antikriegspolitik der Bolschewiki lösten sich nun auch die österreichischen „Linksradikalen“ vom Zentrismus: „Systematisch begannen wir auf die Spaltung hinzuarbeiten, indem wir die Arbeiter zu revolutionieren suchten und dadurch von selbst zu ihren Führern in Gegensatz brachten. Streik und Demonstrationen hießen die Mittel, deren wir uns hierbei bedienten. […] Los von den Sozialverrätern, vorwärts zum Kampf gegen den imperialistischen Krieg, hieß unsere Parole. Flugblätter erschienen, wenige gedruckt, viele nur hektographiert oder maschingeschri­eben“, schrieb Koritschoner im Jahr 1920 über den Impuls, der von der Kienthaler Konferenz für die Entwicklung der revolutionären Linken in Österreich ausging. Im Oktober 1916 kam es zu einem weiteren Treffen Koritschoners mit Lenin in der Schweiz, in dessen Gefolge Lenin an Bucharin schrieb, dass dieser „große Hoffnungen“ erwecke. Mit ihm sei „offensichtlich im Sinne bolschewistischer Propaganda ernsthaft gearbeitet worden“, was wahrscheinlich das Verdienst Bucharins sei, den Koritschoner bereits 1911 in Wien kennengelernt hat­te.

„Aufforderung zur Revolution“

Ende 1916 konstituierte sich ein Aktionskomitee der linksradikalen Arbeiterjugend, dem es Frühjahr 1917 sogar vorübergehend gelang, die Mehrheit im Wiener Verband jugendlicher Arbeiter zu gewinnen und eine Resolution zur Bekämpfung des Krieges durchzusetzen. Als Gegenschlag der Verbandsbürokratie wurde Koritschoner als Bildungsbeirat abgewählt und Anfang Oktober 1917 – ebenso wie die gesamten Ortsgruppen von Leopoldstadt und Favoriten – aus dem VJA ausgeschlossen. In Konsequenz daraus wurde eine eigenständige Gruppe linksradikaler Jugendlicher gebildet, aus der Ende 1918 der Kommunistische Jugendverband hervorging.

Die russische Februarrevolution von 1917 gab der revolutionären Arbeit in Österreich einen neuen Aufschwung. Es gelang den „Linksradikalen“ in langwieriger Kleinarbeit, Verbindungen zu Betrieben in Wien und Niederösterreich herzustellen und die Agitation für den Generalstreik aufzunehmen. In spontanen Streikbewegungen trat immer mehr die Friedensparole in den Vordergrund, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der russischen Oktoberrevolution, die zu einem Symbol des revolutionären Kampfes für die Beendigung des Krieges wurde. Höhepunkt des Wirkens der „Linksradikalen“ war der Jännerstreik im Jahr 1918, an dessen Spitze linksradikale Vertrauensmänner standen. Die größte Streikaktion in der Geschichte der österreichischen Arbeiterklasse wurde jedoch auf Betreiben der sozialdemokra­tischen Parteiführung abgebrochen, was den Anstoß gab zur endgültigen Trennung der revolutionären Linken vom Reformismus. So wurde in einem Flugblatt der „Linksradikalen“ vom 22. Jänner 1918 erstmals davon gesprochen, die Sozialdemokratie zu erlassen und eine neue revolutionäre Organisation zu schaffen. Nach dem Streikabbruch wurde die linksradikale Bewegung durch die Verhaftung ihrer aktivsten Exponenten erheblich geschwächt. Im Februar wurde nach einer Versammlung in Ternitz auch Koritschoner festgenommen, da seine dortige Rede „den Eindruck einer Aufforderung zur Revolution“ gemacht habe, wie der Polizeibericht vermerkt. Andere Führer des Jännerstreiks wurden zum Militärdienst eingezogen und an die Front abkommandiert. So geriet die illegale Arbeit der „Linksradikalen“ bis zum Zusammenbruch der Monarchie Ende Oktober 1918 ins Stocken.

„Fahne der ultralinken Strömung“

Im Revolutionsjahr 1918 und in den Folgejahren entstanden nach dem Vorbild der russischen Bolschewiki in allen europäischen Staaten kommunistische Parteien. Dass Koritschoner, die Zentralgestalt der linksradikalen Bewegung zur Zeit des Ersten Weltkriegs, nicht an der Wiege der Kommunistischen Partei Österreichs stand, hat zum einen damit zu tun, dass er erst am 30. Oktober 1918 aus der Haft freikam, zum anderen hielt er zu diesem Zeitpunkt die Gründung der KPÖ für verfrüht. Im Rahmen der Vorbesprechungen trat er gemeinsam mit Anna Strömer an Friedrich Adler heran, damit dieser an die Spitze der neu zu gründenden kommunistischen Partei trete, was die Symbolfigur der Linken in der Sozialdemokratie aber ablehnte. Als schließlich Anfang November der Buchdrucker Karl Steinhardt und Elfriede Eisler-Friedländer, die bisher zu den „Linksradikalen“ wenig Kontakt hatten, die Initiative ergriffen, eine revolutionäre Partei ins Leben zu rufen, blieb Koritschoner zunächst abseits. Bei den tumultartigen Ereignissen vor dem Parlament, als am 12. November 1918 die Republik proklamiert wurde, wurde er durch einen Schuss schwer verletzt.

Trotz seiner Bedenken schloss sich Koritschoner unter dem Eindruck der politischen Entwicklung Anfang Dezember der KPÖ an. Am 7. Dezember 1918 wurde im Weckruf, dem Zentralorgan der Partei, eine dahingehende Erklärung des „Aktions-Komitees der Linksradikalen Sozialdemokraten“ veröffentlicht. In den folgenden Jahren prägte Koritschoner maßgeblich die Politik der KPÖ. Unmittelbar nach seinem Beitritt wurde er Mitglied des Sekretariats der Partei, am 1. Parteitag im Februar 1919 wurde er in den Parteivorstand gewählt. 1918/19 war er auch Herausgeber bzw. verantwortlicher Redakteur der Parteizeitung, die in Die Rote Fahne umbenannt wurde. Zugleich gehörte er dem Wiener Kreisarbeiterrat und der Exekutive des Reichsarbeiterrates als Vertreter der KPÖ an. 1919 war er am Höhepunkt der revolutionären Welle einer der Hauptstützen des Emissärs der ungarischen Räterepublik Ernst Bettelheim, der die KPÖ auf die unmittelbare Machtergreifung ausrichtete, dessen Putschtaktik aber scheiterte. Im November 1919 wurde Koritschoner in der Roten Fahne aufgrund seiner ultralinken Haltung gar als „Über-Bettelheim“ bezeichnet.

Im Juni/Juli 1921 reiste Koritschoner als einer der Delegierten der KPÖ zum 3. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. Welch hohes Ansehen er zu dieser Zeit in der kommunistischen Weltbewegung genoss, belegt eine hier vorgetragene Rede Willi Münzenbergs, der Koritschoner als Vorkämpfer gegen den imperialistischen Krieg an die Seite von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin stellte. Im Anschluss an den Kongress sollte er als Mitglied des Exekutivkomitees der Komintern bzw. als Parteivertreter der KPÖ in Moskau bleiben, wurde aber im September bereits wieder abberufen.

Koritschoner war in den 1920er Jahren einer der wichtigsten Exponenten jener fraktionellen Auseinanderset­zungen, die die KPÖ völlig aufrieben und ihren Abstieg in die weitgehende politische Bedeutungslosigkeit zur Folge hatten. Er repräsentierte dabei – wie bereits im ereignisreichen Jahr 1919 – den äußersten linken Parteiflügel, ging aber mitunter auch eigenwillige innerparteiliche Allianzen ein, wie insgesamt die Fraktionskämpfe nicht nur von politischen Meinungsverschi­edenheiten, sondern auch von persönlichen Differenzen bestimmt wurden. Infolge einer solchen Absprache fungierte Koritschoner 1923 (gemeinsam mit Karl Tomann) kurzfristig als Vorsitzender der Partei, eine Position, die in den Jahren der Ersten Republik nicht durchgängig besetzt wurde. Ende 1923 und (nach einem kurzen Zwischenspiel) erneut im Herbst 1925 musste er – gemeinsam mit den weiteren Hauptrepräsentanten der Fraktionskämpfe – auf Geheiß der Komintern aus dem Parteivorstand ausscheiden. Im April 1926 wurde er schließlich auf Beschluss des Zentralkomitees von allen Parteifunktionen enthoben, blieb aber auch nach seiner Ausschaltung aus dem aktiven Parteileben Korrespondent der KPÖ für die von der Komintern herausgegebene Internationale Presse-Korrespondenz. Sein wichtigstes Politikfeld war in diesen Jahren die Gewerkschaftsarbeit der Partei. Auch in den späten 1920er Jahren, bis zu seiner Berufung nach Moskau, blieb Koritschoner die „Fahne der ultralinken Strömung“, wie er von einem innerparteilichen Kontrahenten eingeschätzt wurde.

Unter falschen Anschuldigungen verhaftet

1929 ging Koritschoner in die Sowjetunion, um im Apparat der Roten Gewerkschaftsin­ternationale in Moskau zu arbeiten. Bis 1934 leitete er hier das Sekretariat des Internationalen Komitees der Angestellten des Fernmeldewesens, 1930 wurde er in die dortige Kommunistische Partei überführt. 1931/32 unterrichtete Koritschoner auch im deutschen Sektor der Internationalen Lenin-Schule. 1934 übersiedelte er nach Charkow, wo er im Auslandsbüro des Zentralrats der sowjetischen Gewerkschaften arbeitete, und 1935 nach Kiew, wo er in der Hauptverwaltung für Literatur des Volkskommissariats für Volksbildung beschäftigt war. In diesen Jahren hielt er sich immer wieder auf Urlaub in Österreich auf, im Mai 1933 – unmittelbar vor dem Verbot der KPÖ – ersuchte er gar um seine baldige Rücksendung: „Angesichts der gegenwärtigen Lage in Österreich glaube ich, dass es nützlicher ist, dass ich dort arbeite als hier“, schrieb er an die zuständigen Komintern-Stellen.

Am 27. März 1936, also zu einem sehr frühen Zeitpunkt des nun einsetzenden „Großen Terrors“, wurde Koritschoner verhaftet. Der antisowjetischen Agitation beschuldigt, wurde er Ende Mai 1937 zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt, wogegen er Berufung einlegte. Tatsächlich wurde das Urteil Anfang Oktober 1940 vom Obersten Gerichtshof der UdSSR aufgehoben, mit fatalen Konsequenzen: Indem das Urteil durch Landesverweisung ersetzt wurde, Österreich zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr existierte, wurde er bereits wenige Tage später bei Brest-Litowsk den deutschen Behörden übergeben. Für den jüdischen Kommunisten Koritschoner lief die Ausweisung auf ein Todesurteil hinaus: Über Lublin gelangte er im April 1941 zur Gestapo in Wien, von wo er nach einigen Wochen Haft am 3. Juni ins Konzentrationslager Auschwitz überführt wurde. Zwei Tage nach seiner Ankunft wurde er dort am 9. Juni 1941 ermordet. Ein ebenfalls im Wiener Polizeigefange­nenhaus inhaftierter Spanienkämpfer, der dort mit Koritschoner zusammentraf, berichtet, dass dieser im nördlichen Eismeer als Totengräber hatte arbeiten müssen und ihm infolge von Skorbut alle Zähne ausgefallen waren.

Franz Koritschoner ist eines der prominentesten österreichischen Opfer des Stalin-Terrors und zugleich eines der tragischsten Beispiele für die damaligen Repressalien gegenüber KommunistInnen in der Sowjetunion. In der KPÖ blieb sein Schicksal auch nach 1945 lange Jahre tabuisiert. Erst nach den Enthüllungen Chruschtschows am 20. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 und seiner damit verbundenen politischen Rehabilitierung konnte der Name Koritschoner in geschichtlichen Darstellungen wieder genannt werden. In den Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970er Jahre entstandenen Studien von Hans Hautmann über die Frühgeschichte der KPÖ wurde dem politischen Wirken Koritschoners breiter Raum gewidmet. Ähnlich bemüht um die Rückholung Koritschoners in das „kollektive Gedächtnis“ der Partei war der Gründer des Dokumentation­sarchivs des österreichischen Widerstandes Herbert Steiner. Im April 1991 erfolgte von sowjetischer Seite auch die juristische Rehabilitierung.

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