KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Wahlprogramm der KPÖ für die Europaparlamentswahl 2009

(10.3.2009)

Europa verändern! Das wirksamste Mittel gegen die Krise – den Kapitalismus bekämpfen.

Zunehmend Kurzarbeit, Forderungen nach Lohnverzicht, Massenentlassungen: Die Auswirkungen der kapitalistischen Krise und die Auseinanderset­zungen um die Verteilung der wirtschaftlichen Erträge werden spürbar härter. Der Crash am Finanzmarkt hat die größte Krise seit Jahrzehnten ausgelöst.

Was ist passiert? Die Produktivität der Wirtschaft ist so hoch wie noch nie. Die Verteilung des Produktivitätszu­wachses ist jedoch schieflastig. Geringe Lohn- und Pensionserhöhungen führten zu sinkenden Realeinkommen, die Inlandsnachfrage blieb mangels Kaufkraft zurück. Gleichzeitig wurden Sozialleistungen für unfinanzierbar erklärt, Eigenvorsorge propagiert, die Altersvorsorge dem Kapitalmarkt ausgeliefert.

Während immer mehr Menschen in die Armutsfalle geraten und die Schere zwischen Frauen- und Männereinkommen im europäischen Vergleich in Österreich nach Estland am größten ist, steigt die Zahl der MillionärInnen. Und der Staat begünstigt die Superreichen durch Senkung der Steuern auf Kapital und Vermögen. Österreich wurde zum Steuerparadies für Euro-Millionäre. Die Folge: Ein Prozent der Bevölkerung in Österreich besitzt rund ein Drittel des gesamten Vermögens.

Das aus den enormen Profiten resultierende überschüssige Kapital suchte neue Anlagefelder. Dafür wurde öffentliches Eigentum zuerst liberalisiert und dann privatisiert. Die Expansion durch die EU-Osterweiterung und in Entwicklungsländer diente dazu ebenso wie neue, höchst fragwürdige Anlagebereiche wie Gentechnologie, Biomanipulationen, chemische und atomare Umweltzeitbomben etc.. Vor allem aber wurde in Erwartung hoher Spekulationsgewinne der Finanzmarkt unendlich aufgebläht. Bis dann die große (Immobilien-)Blase platzte. Die männlich dominierten Börsen, Banken, Versicherungen und das ganze Spekulationssystem kamen ins Rutschen, eine Rezession ist die Folge.

Neoliberale Dogmen sind zerbröselt

Bis vor kurzem wurde lautstark „Weniger Staat, mehr privat“ gepredigt. Jetzt wird mit größter politischer Wendigkeit Staatsinterven­tionismus eingefordert. Plötzlich darf der Staat hundert Milliarden Euro für bankrotte Banken und marode Konzerne locker machen. Faktisch handelt es sich aber nicht um eine Verstaatlichung der Wirtschaft, sondern darum, dass zuerst die Gewinne privatisiert und jetzt die Verluste vergesellschaftet werden.

Wenn nicht entschiedener Widerstand von „unten“ kommt, werden für die Sanierung wieder einmal diejenigen zahlen müssen, die sie nicht verursacht haben: Jene Menschen, die über Lohnsteuer, Mehrwertsteuer und andere Massensteuern für einen immer größeren Anteil im Steuertopf aufkommen. Und als Draufgabe sollen die Lohnabhängigen in Form von Kurzarbeit, unbezahlter Mehrarbeit, Arbeitsplatzver­nichtung, steigenden Preisen, gekürzten Firmenpensionen usw. die Lasten der Krise übernehmen.

Die Zeit der schönen Worte ist vorbei. Mit der Krise zeigt der globalisierte Kapitalismus sein wahres Gesicht. Der neoliberale Mythos, wonach der Markt alles regelt, ist sichtlich gescheitert. Die männerbündischen Eliten von Kapital, Politik und Medien in Österreich, der EU und weltweit versuchen jetzt „durchzutauchen“, um bei möglichst geringen Abstrichen wie bisher weitermachen zu können. Die Konzerne wollen die Krise zudem zur Bereinigung der Unternehmenslan­dschaft und für eine noch stärkere Konzentration des Kapitals nutzen. Hartnäckig beharren Großunternehmer und Spitzenmanager auf Erhaltung ihrer astronomischen Privilegien, selbst wenn sie ein Milliardendesaster angerichtet haben.

Prekarisierung der Gesellschaft

Die Auswirkungen der Krise sind nicht alleine auf die Ökonomie beschränkt, sie zeigen sich in einer Prekarisierung der gesamten Gesellschaft, insbesondere der weiblichen Lebensverhältnisse, in steigendem Konkurrenzwettlauf um Erwerbsmöglichke­iten, brutaleren Ausleseprinzipien und Zunahme von Gewalt im zwischenmenschlichen Umgang.

Neben der unsicheren Lebens- und Arbeitswelt sind auch die Gemeinden direkt von den Auswirkungen der Finanzkrise betroffen. Die Maastricht-Kriterien und der Euro-Stabilitätspakt als Korsett der kommunalen Budgets führen zu massiven Tarif- und Gebührenerhöhungen, zu Ausgliederungen und Privatisierungen und verleiten die Gemeinden zu riskanten Transaktionen auf dem Kapitalmarkt (Cross-Border-Leasing, Fremdwährungskre­dite, Public-Private-Partnership-Projekte, spekulative Veranlagungen), deren negative Auswirkungen jetzt spürbar werden.

Der Neoliberalismus hat den gesellschaftlichen Ausgleich und damit auch die Bedeutung von Solidarität weitgehend zerstört. Durch gezielte Fremdenfeindlichke­it gegenüber MigrantInnnen und AsylwerberInnnen, der Präsentation von „Sündenböcken“, individualisierte Schuldzuweisungen durch offenen und versteckten bis offenen Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie wird von einer Hinterfragung der gesellschaftlichen Ursachen der Krise abgelenkt.

Tendenz zu autoritären Lösungen

Als vermeintlicher Ausweg aus der Krise und dem Scheitern des Neoliberalismus zeigt sich eine verstärkte Tendenz zu autoritären Lösungen. Dazu gehören neben militärischer Aufrüstung, Überwachung und Kontrolle auch die Akzeptanz rechtsextremer bzw. neofaschistischer Gruppierungen, die Ausschaltung der Mitsprache der Bevölkerung bei wichtigen Entscheidungen (z.B. der EU-Verfassungsvertrag) oder der Ruf nach einem Mehrheitswahlrecht. Dazu gehört auch die Selbstentmachtung der Politik bzw. gewählter Institutionen durch den Verweis auf „Sachzwänge“ und die Verlagerung wesentlicher Entscheidungen in Bereiche, die der demokratischen Einflussnahme entzogen sind.

Die neoliberale Politik gefährdet den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft und führt zu einer Zunahme von Gewaltausübung und verstärkter Spaltung, zu weiteren öko-sozialen Katastrophen sowie insgesamt zum Prozess der Entdemokratisi­erung. Es gilt für Solidarität, soziale und Geschlechterge­rechtigkeit einzustehen und sich gegen populistische Scheinlösungen zu verwehren.

Die gegenwärtige EU ist Teil des Problems und nicht die Antwort auf die Probleme der kapitalistischen Globalisierung. Die gegenwärtige EU als neoliberales Projekt ist eine gigantische Umverteilungsmas­chine. Die Instrumente dafür sind Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung der öffentlichen Güter und Dienstleistungen sowie eine systematische geschlechterdif­ferente Benachteiligung im Bereich der Produktion und der Reproduktion.

Ein radikaler Kurswechsel ist notwendig

Es braucht einen Weg aus der kapitalistischen Sackgasse, es braucht gesellschaftspo­litische Veränderung. Veränderungen sind möglich, wenn sich breiter Widerstand bildet und dieser dafür sorgt, dass sich etwas ändert. Es geht um die Neuausrichtung der gesamten gesellschaftlichen Entwicklung, das heißt, es geht um einen radikalen ökonomischen, ökologischen und sozialen Umbau, um dessen Durchsetzung jetzt gerungen werden muss. Es geht um einen radikalen Kurswechsel.

Die Interessen der Menschen müssen Vorrang vor dem Profitstreben haben. Notwendig ist ein anderer Arbeitsbegriff, der sich nicht auf die Lohnarbeit beschränkt. Angesichts der enormen Produktivität muss eine allgemeine Arbeitszeitver­kürzung bei vollem Lohn auf die Tagesordnung – durch eine Arbeitszeitver­kürzung entstehen zehntausende Arbeitsplätze. Zudem wird dadurch die Kaufkraft im Inland gestärkt. Notwendig und finanzierbar sind eine sichere Existenz für alle durch gesetzliche Mindestlöhne, durch armutsfeste Arbeitslosengelder, Notstandshilfe, Sozialhilfe und Pensionen, eine Energiegrundsiche­rung und perspektivisch auch ein Grundeinkommen.

Was alle brauchen, muss auch allen gehören!

Ein gutes Leben für alle ist machbar und finanzierbar, wenn die Entlastung der Reichen, Superreichen und der Groß-Unternehmen (Abschaffung von Vermögens- und Kapitalverkeh­rssteuer und der Bankenabgabe, die Senkung des Spitzensteuersatz, die Einführung der Privatstiftungs-Privilegien, die Senkung der Körperschaftsste­uer, die Abschaffung der Erbschaftssteuer) endlich aufhört.

Ein gutes Leben für alle ist machbar und finanzierbar, wenn rigide Kapitalverkeh­rskontrollen, die Schließung der Steuer-Oasen, die Einführung einer Tobin-Tax, das Verbot von Hedge-Fonds und komplizierten Derivatgeschäften, die Vergesellschaftung des gesamten Finanzsektors und das Verbot der Börsenspekulation mit Energie, Lebensmitteln, Wasserversorgung und anderen Gütern des täglichen Bedarfs durchgesetzt werden.

Durch selbst geschaffene Sachzwänge hat sich die Politik weitgehend selbst entmachtet. Aber die Politik muss wieder entscheiden, nicht der Finanzmarkt. Dem Leitbild von Konkurrenz und Individualisierung stellen wir ein anderes Leitbild der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit gegenüber. Dem wachsenden politischen Frust, der resignativen Haltung, „nichts ändern zu können“, stellen wir die Forderung nach Partizipation, Emanzipation, Abbau von bürokratischen und technokratischen Hürden und mehr Demokratie von unten gegenüber. Die Menschen müssen über wichtige Fragen entscheiden können. Volksentscheide dürfen kein Tabu, Volksentscheide sollen eine Selbstverständlichke­it sein.

Gegen eine „Festung Europa“

Die Krise verschärft auch die Lebensmittel-, Energie- und Umweltprobleme, die Ansätze für wirksamen Klimaschutz geraten ins Hintertreffen, damit verbunden auch ein Verzicht auf dadurch mögliche Arbeitsplätze. Der mit militärischen Mitteln geführte Kampf um die Kontrolle von Rohstoffquellen bedroht den Frieden. Die Ursachen der Krise liegen im Wirtschafts- und Gesellschaftssystem des global agierenden Kapitalismus. Seine Herrschaft muss deshalb eingeschränkt und überwunden werden. Von Europa darf kein Krieg mehr ausgehen. Die österreichische Neutralität ist kein Auslaufmodell, sondern vielmehr eine Chance, um Alternativen für ein entmilitarisiertes Europa zu entwickeln.

Von EU-Staaten mitgeschürte Konflikte und Kriege und die wirtschaftlichen Folgen von Kolonialgeschichte und EU-Kapitalismus sind die Hauptursachen für Flucht und Migration. Doch jegliche legale Einwanderungsmöglichke­iten nach Europa werden unterbunden, die Direktiven der EU-Politik bedeuten Illegalisierung, Kriminalisierung und militärische Aufrüstung nach Innen und Außen. In der Europäischen Union leben etwa acht Millionen Menschen „ohne Papiere“. Wir fordern ihre Legalisierung verbunden mit Arbeitserlaubnis, denn kein Mensch ist illegal. Die EU darf keine Festung sein.

Karl Marx Analyse war weitsichtig: Die Krise gehört zum Wesen des Kapitalismus, der nicht das Ende der Geschichte ist, sondern sich als Sackgasse erweist. Wir wollen Alternativen entwickeln und lebenswerte Perspektiven für alle Menschen entwerfen. Wir wollen den autoritären, patriarchalen Tendenzen ebenso eine klare Absage erteilen wie der Missachtung von Frauenrechten, der Fremdenfeindlichke­it, egal ob nach innen gegen MigrantInnen und AsylwerberInnen oder nach außen gegen „Brüssel“. Wir wollen starke und kämpferische Gewerkschaften und Sozialbewegungen, damit nicht die Lasten der Krise auf die Mehrheit der Bevölkerung abgewälzt werden.

Internationale Antworten sind notwendig

Die Krise hat globalen Charakter und verlangt daher auch internationale Antworten. Gegen ein zunehmend international agierendes Kapital gilt es auch, international wirksame Gegenkräfte – etwa durch Zusammenwirken von linken Parteien und Organisationen, alternativen Gruppierungen, von zivilgesellschaf­tlichem Protest, von Gewerkschaften, Frauen- und Sozialbewegungen – zu entwickeln, parlamentarische Arbeit und außerparlamen­tarische Opposition für größtmöglichen Widerstand zu nutzen.

Die KPÖ ist Teil der europäischen Linken, einem Zusammenschluss von 30 Parteien in 17 Ländern. Die europäische Linke hat den EU-Verfassungsvertrag von Lissabon abgelehnt, weil er im Kern die Militarisierung der Union und die Festschreibung des Neoliberalismus für Wirtschaft und Gesellschaft grundlegen will. Der EU-Vertrag wurde von uns abgelehnt, weil er das Demokratiedefizit nicht beseitigt und die Abschottung der „Festung Europa“ einzementieren will. Gemeinsam mit linken Parteien in anderen europäischen Ländern meinen wir, dass mit dem EU-Vertrag ein soziales Europa ebenso wenig möglich ist wie eine Bewältigung der Krise, dass dafür eine neue, andere Grundlage für die europäische Entwicklung notwendig ist.

Da die KPÖ Antworten auf die Fragen unserer Zeit hat, ist die KPÖ bei der Europaparlamen­tswahl am 7. Juni 2009 die linke Alternative am Stimmzettel. Und selbstverständlich ist die KPÖ die Alternative sowohl zum Block der kritiklosen BefürworterInnen des „Europas der Konzerne“ von SPÖ, ÖVP und Grünen, als auch zum fremdenfeindlichen Block der Rechtsparteien von FPÖ, BZÖ und Konsorten. Die Unterstützung der Kandidatur der KPÖ und eine Stimme für die KPÖ ist ein Beitrag zum europaweiten Widerstand, für ein soziales, solidarisches, demokratisches, feministisches und für ein friedliches, ein anderes Europa.

Beschlossen vom erweiterten KPÖ-Bundesvorstand am 7. März 2009

Dieser Wahlaufruf steht im Kontext mit der Wahlplattform der Europäischen Linken. Die Haltung der KPÖ zu den verschiedenen Detailfragen haben wir in unserem Forderungsprogramm formuliert.

Weitere Infos: