KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Armut in einem reichen Land

Von Peter Gach (5.11.2009)

Die SHG_fMisL (1) zum Aktionstag der Ang'fressenen

In wenigen Wochen beginnt EU2010, das europäische Jahr zur Bekämpfung der Armut und sozialen Ausgrenzung. Im Herbst von EU2010 soll in Österreich die bedarfsorientierte Mindestsicherung (bMS) eingeführt werden. Mit mageren 12 statt 14 Bezügen pro Jahr und Zahlen aus EU-SILC 2005 (2) (733 Euro bei 14 Bezügen bzw. 855 Euro bei 12 Bezügen). Nun aber bundesweit mit 12 Bezügen von 733 Euro pro Jahr. Das ist eine Verschlechterung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf, wird von Sozialminister Hundstorfer aber als bessere Lösung gefeiert. Damit wird Armut in Österreich nicht bekämpft, sondern verfestigt.

Mittlerweile sind wir bei EU-SILC 2007, demnach bewegt sich die Armutsgrenze bei ca. 900 Euro pro Monat. Im Zusammenhang mit der bMS wird mit großer Zähigkeit an längst veralteten Zahlen festgehalten. Die Mindestpension mit Ausgleichszulage dient immer noch als „Richtsatz“ für die Sozialhilfe ( aktueller Stand 2009 in Wien: max. 769 Euro inkl. aller Beihilfen für Energiekosten und Miete ).

Dem Gelderwerb wird nach wie vor große Bedeutung beigemessen, obwohl nicht mehr geleugnet werden kann, dass Vollzeitarbeit­splätze immer weniger werden. Prekäre Beschäftigungen sind im Steigen begriffen, von einem derart geringen Einkommen alleine aber können die Menschen nicht mehr leben. Trotzdem wird immer noch mit dem Abstandsgebot argumentiert, wonach die niedrige Höhe der Sozialhilfe ein Anreiz sein soll, damit Sozialhilfebe­zieherInnen besser bezahlte Arbeiten annehmen mögen. Selbst dann, wenn es für „arbeitsferne“ Personen in Wahrheit keine Arbeit gibt.

Das führt im Zusammenhang mit der bMS zu folgender Aussage: „… bedingt die Einführung der Mindestsicherung einen Mindestlohn von 1.000 Euro. (…) Es hilft allen, weil automatisch der Nutzen der Arbeit gestärkt ist. Damit könne man bei der Mindestsicherung gleichzeitig klarstellen, dass der arbeitslose Nichtsnutz nicht die Zielperson ist“ (Karl Blecha, Präsident des SPÖ-Pensionistenver­bandes in ÖSTERREICH vom 13. April 2008 ).

Zugegeben, das war etliche Monate vor der Krise, aber auch damals war die Situation von Arbeitslosen, Sozialhilfebe­zieherInnen und Menschen in prekären Beschäftigungen nicht eben rosig. Es geht aber noch boshafter: „Eine Modellrechnung der Finanzbeamten: Ein berufstätiger Vater (Gattin Hausfrau, drei Kinder) könnte von 40 auf 30 Wochenstunden reduzieren, durch die Mindestsicherung auf den gleichen Jahresnettobetrag kommen, aber weniger Lohnsteuer zahlen. Im Finanzministerium befürchte man einen ‚massiven Steuerausfall‘, wenn sich solche Fälle häufen würden“ (Kurier, 3. August 2009).

Diese „Modellrechnung“ der Finanzbeamten ist schlicht und einfach an den Haaren herbeigezogen und unterstellt ArbeitnehmerInnen betrügerische Absichten, um nicht mehr länger arbeiten zu müssen, wenn es die bMS gibt. Der massive Steuerausfall wäre in Wahrheit ein sehr geringer, da ArbeitnehmerInnen in diesem Einkommensbereich wohl von den Steuern befreit sein werden. Das alles hat nichts mit den eigentlichen BezieherInnen der Sozialhilfe zu tun, die ja von der bMS abgelöst werden soll. Und das sind all jene Menschen, die von Armut bedroht oder bereits manifest arm sind.

Sozialhilfebe­zieherInnen und mögliche BezieherInnen der bMS sind immer wieder Vorwürfen ausgesetzt, wie etwa den des Sozialmissbrauchs. Doch auch hier sieht die Wahrheit anders aus: „Beim Sozialhilfe-Bezug zeichnet sich statt eines steigenden Missbrauchs ein gegenteiliges Szenario ab: Laut einer Studie des Europäischen Wohlfahrtzentrums nehmen 49 bis 61 Prozent aller Bezugsberechtigten keine Sozialhilfe in Anspruch. Die wahren Probleme in der Sozialhilfe lauten also nicht ‚Missbrauch‘ und ‚soziale Hängematte‘, sondern ‚Nichtinanspruchnah­me‘ und ‚Unterversorgung‘.“ (Diakonie und Caritas: Vorurteile, Irrtümer und Mythen rund um die Mindestsicherun­g ).

Der wahre Missbrauch besteht eigentlich darin, dass sehr viele Menschen davon abgehalten werden, Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, obwohl sie lt. Gesetz dazu berechtigt sind. Das geschieht entweder aus Scham oder aber aus Unwissenheit und führt somit zu einer sozialen Unterversorgung, wie es sie in einem der reichsten Länder der Welt nicht geben dürfte.

All das lenkt ab vom eigentlichen Problem, nämlich einer seit langem unsozialen, weil ungerechten Umverteilung von unten nach oben: „Spitzenmanger und Bonibanker werden zu ‚Feindbildern‘ erklärt“, schüttelt es die oberen Dreihundert. Nichts als Neid schlage ihnen entgegen. Aber irgendwie scheinen die etwas durcheinander gebracht zu haben. Wenn die Winner in einer The-Winner-Takes-It-All-Ökonomie die Loser verlachen und ihnen nicht einmal Krümel gönnen, sie anherrschen, sie müssten den Gürtel enger schnallen, sich einfach anstrengen (auch wenn sie den Gürtel längst aufgegessen haben), das würde man doch normalerweise eher unter ‚Neid‘ verstehen. Oder nicht? Jahrelang hat die westlichen Gesellschaften dieser ‚Kralle-Dir-was-Du-kannst-und-wer-nichts-hat-ist-selber-schuld‘-Geist durchweht. Und der verzieht sich nicht so leicht. „Das, was die Neidigen ‚Neiddebatte‘ nennen, ist wahrscheinlich die nützlichste Sache der Welt“ (FM Misik Folge 94: Gierbanker und Abzocker – eine „Neiddebatte“? ).


(1) SHG_fMisL – Selbsthilfegrup­pe?für Menschen in schwierigen?Le­benssituationen

(2) EU-SILC ist eine Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen, in deren Rahmen alle Informationen erhoben werden, die notwendig sind, um ein umfassendes Bild über die Lebenssituation von Menschen in Privathaushalten zu gewinnen.